Wien. "Wien und die Shopping City Süd. Das ist wie Nordpol und Südpol, wie Fred Astaire und Ginger Rogers, wie Alpha und Omega. In ihren Einkaufs- und Lebensgewohnheiten sind beide Metropolen aneinander, ineinander und zueinander gewachsen. Entstanden ist dabei viel mehr als eine gewöhnliche Städtepartnerschaft - entstanden ist eine interurbane Liebesbeziehung." Was sich wie die Persiflage eines Super-GAUs der heimischen Raumordnung liest, nämlich der Genehmigung, Errichtung und unablässigen Weiterentwicklung von Österreichs größter Einzelhandelsagglomeration in der Wiener Speckgürtelgemeinde Vösendorf, stammt aus einem 140-seitigen Bildband, den der inzwischen verstorbene Gründer und damalige Eigentümer der Shopping City, Hans Dujsik, anlässlich des 20-jährigen Jubiläums seiner Einkaufsstadt 1996 in Auftrag gegeben hatte. Darin wird die 80 Hektar große Asphalt-, Beton- und Wellblechwüste an der Südausfahrt der Bundeshauptstadt als "faszinierender Mikrokosmos" und "urbanes Kaleidoskop" gepriesen - und mit ihrem "pulsierenden Stadtleben" als moderne, zukunftsweisende Fortschreibung des verstaubten, überkommenen Wien glorifiziert.

Natürlich war bereits in den 90er Jahren offenkundig, dass die Geschäftsstraßen Wiens oder auch die Innenstädte Mödlings, Badens und Wiener Neustadts nicht von sich aus verödeten, sondern aufgrund der übermächtigen Konkurrenz der SCS und nachfolgender Shopping Malls an der Peripherie zunehmend brachfielen. Schon damals wusste man, dass die suburbanen Einkaufs- und Fachmarktzentren samt ihrer weitläufigen Parkplätze für den enormen Bodenverbrauch und den überbordenden Autoverkehr in ganz Österreich mitverantwortlich waren. Doch konstatieren wir 20 Jahre danach sowie zahllose Nachhaltigkeits-, Boden- und Klimaschutzdeklarationen später, dass die Politik nach wie vor periphere Handelseinrichtungen genehmigt, dass die Bevölkerung weiter begeistert dorthin fährt - und die Medien, eingelullt von teuren Werbeeinschaltungen der großen Handelskonzerne, weder das eine noch das andere gebührend kritisieren, ja sich sogar in den Dienst neuer Shopping Center-Projekte stellen.

Ungeachtet aller Lippenbekenntnisse von einer nachhaltigeren Siedlungsentwicklung, einer umweltschonenderen Mobilität und einem bewussteren Konsumverhalten haben wir Österreich in den letzten beiden Jahrzehnten erst so richtig zu dem gemacht, was es heute ist: das Land mit der größten Einzelhandelsdichte der gesamten EU, in dem mehr als die Hälfte aller Verkaufsflächen nur mit dem Auto erreichbar sind.

Medien voll des Lobs

Das Gros der Gesellschaft hat die SCS und all die anderen Einkaufszentren, Fachmarktzentren oder Outlet Center bis hin zu den unzähligen Supermärkten auf der grünen Wiese längst als integralen Bestandteil ihres verschwenderischen Lebensstils akzeptiert. Daher brauchte es zum 40-jährigen Jubiläum der Shopping City diesen Herbst auch keinen weiteren Bildband mehr, um das größte Einkaufszentrum Mitteleuropas schönzureden.

Zeitungen, Zeitschriften und Radios, ja selbst der ORF boten dafür ausreichend redaktionelle Bühne: Während der Online- "Standard" seine Leser einlud, zu posten, welche persönlichen Erlebnisse aus ihrer Kindheit, ihrer Jugend oder später dann mit ihrer eigenen Familie sie mit der SCS verbinden, durfte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk der Center-Manager widerspruchslos Bilanz ziehen - "Die Shopping City hat sich in den 40 Jahren bewährt und ist für Niederösterreich extrem wichtig" - und dies mit 5000 Beschäftigten sowie 50 Millionen Euro an Kommunalsteuer in den letzten vier Dekaden argumentieren. Die Nachfrage des Redakteurs, wie viele Arbeitsplätze durch die SCS seit 1976 in der gesamten Ostregion verloren gingen oder was sie im Gegenzug an öffentlicher Infrastruktur - allen voran an Straßen, bis hin zu einer eigenen Autobahnabfahrt - geschenkt bekommen hat, blieb erwartungsgemäß aus.

- © Reinhard Seiß
© Reinhard Seiß

Dabei wäre allein die optische Erscheinung der Handelsagglomeration Grund genug, dass ein Volk, begnadet für das Schöne, sie meidet. Rings um die billige Trash-"Architektur" der Kaufhallen bilden kirchturmhohe Signets von Bau-, Garten-, Möbel-, Elektro- und Textilmärkten, von Lebensmittel- und Fast-Food-Ketten - mal in Form eines überdimensionalen roten Sessels, mal in Gestalt eines rotierenden gelben Plastiksackerls - im Kanon mit allgegenwärtigen Plakatwänden und Werbefahnen, mit zahllosen Straßenschildern, mit Felsbrocken, Betonklötzen, Pollern und anderem Zierrat zur Absperrung erbärmlicher Freiräume vor wild parkenden Autos sowie der unüberschaubar großen Fläche an Stellplätzen eine "Kulturlandschaft", die wie keine andere die ignorante Wegwerfmentalität unserer Zeit abbildet. Aber dennoch: "Jeder Zweite geht lieber in einem Einkaufszentrum shoppen als in einer Einkaufsstraße", zitiert ORF Niederösterreich eine "Studie" von marketagent.com und präzisiert: "Am beliebtesten ist die Shopping City Süd in Vösendorf."