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"Niemand soll erfrieren"

Von Arian Faal

Politik

Caritas-Präsident Michael Landau fordert mehr Aufmerksamkeit für die Not der Österreicher.


Wien. "In den vergangenen Wochen hat Wien die Zahl der Betten für obdachlose Menschen erhöht. Auch wir als Caritas haben die Betreuung massiv aufgestockt", sagt Caritas-Präsident Michael Landau im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" und fordert gerade in der kältesten Jahreszeit einen verstärkten Blick auf die Menschen am äußersten Rand der Gesellschaft.

Das Jahr 2016 sei sehr arbeitsintensiv gewesen. "Ich bin sehr froh, dass es in Wien einen breiten Konsens gibt, dass auf den Straßen dieser Stadt niemand erfrieren soll. Und, dass alle Menschen, die in einer akuten Notsituation sind, hier auch wie Menschen behandelt werden", ergänzt Landau.

Wien als sozialer Vorreiter Europas

Hier gehe Wien als sozialer Vorreiter im Vergleich zu anderen europäischen Großstädten einen sehr guten Weg bei diesen Themen. Zu tun gibt es aber noch genug: "Mein Wunsch ans Christkind lautet, endlich zu einer österreichweit einheitlichen Lösung bei der Mindestsicherung zu kommen. Ein Ergebnis, das sich an der Realität der armutsbetroffenen Menschen orientiert", so Landau weiter. Besonders in den Mittelpunkt gerückt werden sollten etwa kinderreiche Familien, alleinerziehende Elternteile oder an Menschen, die von Altersarmut betroffen sind. "Die Würde dieser Menschen ist in Wien dieselbe wie in Vorarlberg. Jeder Mensch ist gleich viel wert, ganz gleich, in welchem Bundesland er lebt", stellt Landau klar. Es dürfe folglich kein Sozialdumping auf dem Rücken wehrloser Menschen geben. Daher fordert der Caritas-Präsident vehement, nicht auf die Not der Österreicher zu vergessen - etwa wenn es um die Themen Rekordarbeitslosigkeit, um die Themen Pflege und Bildung geht. Stattdessen sollte man das Flüchtlingsthema nicht überstrapazieren, meint er.

Eine sehr klare Schelte Landaus gibt es in diesem Zusammenhang für Politik und Ministerien:

"Ich habe manches Mal das Gefühl, dass der Umgang mit Menschen auf der Flucht als Vorwand dient, sich mit anderen drängenden Fragen nicht beschäftigen zu müssen. Wir sind da wie dort gefordert. Kein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als-auch", sagt er. Die Zahlen sprächen für sich selbst. "Wir benötigen Nüchternheit, Sachlichkeit und einen lösungsorientierten Umgang mit diesen Themen. Heuer haben bislang knapp 30.000 Menschen in Österreich um Asyl angesucht. Gleichzeitig sind knapp 400.000 Menschen ohne Arbeit, knapp 220.000 Menschen können ihre Wohnung nicht angemessen warm halten", erklärt Landau. Für Themen wie diese würde ich mir endlich dieselbe Aufmerksamkeit erwarten. Nachsatz: "Ich würde mir wünschen, dass manche Ministerien den Sparmodus beim Thema Asyl einschalten würden, denn wir haben jetzt eine viel geringere Anzahl von Anträgen als etwa 2004", sagt er. Damals sei mit dem Thema wesentlich gelassener und unaufgeregter umgegangen worden.

Als "musterhaft" stuft Landau die Spenden- und Hilfsbereitschaft der Österreicher ein. Im Vorjahr hätten sich allein bei der Caritas 15000 zusätzliche Freiwillige gemeldet, um an Bahnhöfen und an Grenzen zu helfen, weil sie gebraucht worden seien. "Ich erinnere mich an Pensionisten, die Kleider sortiert haben, an Studierende, die Menschen geholfen haben, die nur ein kurzes T-Shirt, eine kurze Hose und Flipflops hatten, und an Schüler, die Wasser ausgeteilt haben", unterstreicht der Caritas-Präsident.

Österreich habe nicht nur einen gut ausgeprägten Grundwasserspiegel der Solidarität, sondern auch eine erstaunlich lebendige und starke Zivilgesellschaft. Nach wie vor würden heute viele Menschen unauffällig und an vielen Orten weiter unentgeltlich arbeiten, etwa wenn sie Sprachkurse organisieren und dabei helfen, den Menschen auf der Flucht nach dem Unterkommen in den Notquartieren nun auch ein Ankommen in der Gesellschaft zu ermöglichen.

Landau dankt engagierten Bürgermeistern

Dank gebühre auch den vielen Bürgermeistern. "Das ist auch eines der spannenden Ergebnisse einer Studie des Gemeindebundes. Gemeinden, die sich für Menschen auf der Flucht engagieren, sind meist viel weniger ängstlich und optimistischer und lösungsorientierer als jene Gemeinden, wo niemand untergebracht ist", sagt Landau.

In Wien würden zudem viele einfach nur Zeit teilen, indem sie in der Gruft kochen, Räume sanieren oder Gärten umgestalten und somit einen wesentlichen Beitrag leisten.

Auf die Frage, was denn in diesem Winter die Schwerpunkte der Arbeit der Caritas seien, meint Landau, dass es vorrangig etwa um gehe, die ihre Wohnung nicht warmhalten können. Dann natürlich gebe es einen Schwertpunkt rund um wohnungslose und langzeitarbeitslose Menschen. Letztlich im Fokus sei auch der Zugang zu Bildung für Kinder aus sozial schwachen Familien. Dies sei ganz wesentlich im Zusammenhang mit Armutsprävention. Wieder holt Landau tief Luft und verweist auf die Lehren aus der Flüchtlingskrise: "Wer sich die Zahlen in Europa ansieht, weiß, dass Europa nicht zuerst eine Flüchtlingskrise, sondern eine Solidaritätskrise hat. Dort, wo es um Menschen auf der Flucht geht, aber auch dann, wenn es um die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit und Armut auf dem Kontinent geht", unterstreicht er.

In vielen Ländern arbeite man mit Notstandsverordnungen ohne wirklichen Notstand, und da frage er sich, ob es nicht sinnvoll wäre, an so etwas wie an einer europäischen Solidaritätsverordnung zu arbeiten. Denn am Ende des Tages würde es im Umgang mit Menschen auf der Flucht und bei der Bekämpfung der Armut keine Einzellösungen in Italien, Frankreich, Deutschland oder Österreich geben. Nur ein einheitlicher europäischer Ansatz könne hier ertragreich sein.

"Polarisierung, die in Hass umschlägt, kennt nur Verlierer"

Abschließend kommt die Bundespräsidentschaftswahl zur Sprache und da hat Landau, der nicht von einer Spaltung der Gesellschaft sprechen will, eine Bitte an die Bevölkerung und an die Politiker: "Ich glaube, dass es jetzt wichtig ist, ein Stück Versöhnungsarbeit zu leisten. Die Geschichte hat gezeigt, dass jede Polarisierung, die in Hass umschlägt, nur Verlierer kennt", sagt er.

Arian Faal im Gespräch mit Michael Landau.
© Arian Faal

Man müsse aufeinander zugehen, daran führe kein Weg vorbei. Das sei eine Aufgabe, die alle Seiten fordere. Wofür es keinen Raum geben dürfe, ist der Hass, der vielerorts geschürt werde. Die sozialen Medien seien während des Wahlkampfes zum Teil vor allem asoziale Medien geworden. "Sie waren geschlossene Echoräume, wo man das Gefühl hatte, dass jene, die sonst vor Parallelgesellschaften warnen, sich zunehmend selbst in Parallelöffentlichkeiten zurückgezogen haben. Das sind Orte, an denen sie für andere Argumente nicht mehr erreichbar sind", bedauert Landau. Dass Journalistinnen persönlich bedroht würden, dafür dürfe und könne es in Österreich keinen Raum geben.

Michael Landau ist der Sohn des jüdischen Vaters Erwin Landau, der 1939 aus Österreich flüchten musste und nach seinem Aufenthalt in Shanghai erst 1947 nach Österreich zurückkehrte, und der katholischen Mutter Eva Landau. Er hat Theologie und Philosophie studiert. 1992 wurde er in Rom zum Priester geweiht. Seit Dezember 1995 fungiert er als Caritas-Direktor der Erzdiözese Wien und seit 13. November 2013 auch als Präsident der Caritas Österreich. Der 56-jährige Wiener hat auch ein Doktorat in Biochemie.