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Die größte Angst der Eltern

Von Solmaz Khorsand

Politik

Wenn Eltern nach einer Schule für ihr Kind suchen, wollen sie ihren Nachwuchs unter ihresgleichen wissen.


Wien. Leistung ist wichtig. Das wird Schülern sehr früh eingebläut. Und das schon in der Volksschule. Am Freitag holen sich knapp 100.000 Buben und Mädchen ihr Semesterzeugnis ab. Für viele unter ihnen ist es der Passierschein für eine erfolgreiche Zukunft. So wird es ihnen und ihren Eltern zumindest verkauft. Doch dass Bildung in Österreich längst nicht mehr das Ticket in eine bessere Zukunft ist, erklärt der Bildungsexperte und ehemalige grüne Gemeinderatskandidat Daniel Landau.

Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" diskutiert er über Wiens Problem der segregierten Schulen und das fehlende Commitment seiner eigenen politischen Heimat zu mehr Chancengerechtigkeit für sozial Benachteiligte.

"Wiener Zeitung": Wer aufsteigen will, soll lernen. Das war über Generationen das Heilsversprechen der sozial Benachteiligten. Mittlerweile belegen mehrere Studien, dass hierzulande die Chancen auf einen sozialen Aufstieg durch schulischen Erfolg sehr gering sind. Ist Bildung als Eintrittsticket in ein besseres Leben nicht mehr als reine Sozialromantik?

Daniel Landau: Mit übergroßer Anstrengung wird Einzelnen der Aufstieg immer noch gelingen. Ich denke schon, dass man Leistung und Willen voraussetzen muss. Denn ich glaube daran, dass wir eine Gesellschaft haben sollten, in der nicht allen alles geschenkt wird. Doch ich fordere vehement, dass wir uns den Kopf darüber zerbrechen, woran die Chancengerechtigkeit - die wir offenkundig nicht so haben wie in anderen Ländern - scheitert und wie wir sie beheben können.

Wer sich Wiens Volksschulen genau anschaut, wird feststellen, dass sie nach Ethnie, Sprache und sozialen Status getrennt sind. Wie funktioniert diese Segregation?

Es gibt eine Segregation durch die unsichtbare Hand. Dabei spielt die freie Sprengelwahl eine Rolle. Jeder kann sein Kind in jede Schule schicken, in die er will. Das führt dazu, dass sozial bessergestellte Eltern ihre Kinder verstärkt nicht in die Schule in ihrer unmittelbaren Umgebung schicken, sondern in jene, von denen sie hören, dass sie gut wäre.

Um die Dinge beim Namen zu nennen: Sozial bessergestellte Eltern haben Angst, dass ihr Nachwuchs von der Sprache und vom Status anderer Kinder kontaminiert werden könnte, deren Eltern nicht ihrem Milieu entsprechen.

Ich will diese Sorge nicht kleinreden. Ab einem gewissen Anteil von Kindern, die einen nicht vorhandenen oder rudimentären Sprachsatz haben und keine Möglichkeit besitzen, dieses Defizit von außen zu kompensieren, kippt das mangels entsprechender Unterstützung im aktuellen Schulsystem. Es führt dazu, dass man sich in der Schule überproportional mit dem Grundlagenwortschatz aufhält und dass jene Kinder, die diesen Sprachschatz schon haben, nicht entsprechend gefördert werden. Doch bei Eltern, die Zeit und die Fähigkeit haben mit ihren Kindern selbst zu reden, ist die Sorge vollkommen unbegründet. Die Kinder verlernen ja nicht in der Schule Deutsch. Im Gegenteil, sie entwickeln auch andere Sprachen.

Und dennoch haben die meisten Angst, ihre Kinder in heterogenere Schulen zu schicken?

Leider ist es im gegebenen Schulsystem so, dass Schulen mit einem Großteil von sprachverarmten Kindern - egal, woher sie kommen - nicht entsprechend unterstützt werden. Das ist ein Nachteil für das Kind. Hier kommen zwei Faktoren zusammen. Die freie Schulplatzauswahl kombiniert mit dem Unwillen, diesen Missstand an den Schulen persönlich mit dem eigenen Kind zu kompensieren, führt zu einer unsichtbaren Segregation nach Sozialstatus.

Wie kann man ihr entgegenwirken?

Man müsste sich eine proaktive Steuerung gegen diese Homogenisierung überlegen, sodass man mit zeitgemäßen und pädagogischen Angeboten mehr Eltern für bisher weniger geschätzte Schulen interessieren kann und umgekehrt Eltern aus sozial benachteiligteren Milieus über das Schulangebot informiert. Ein anderer Weg wäre - nur ist dieser problematisch für mich -, dass die Sprengelwahl strikter durchgeführt wird.

Also dass die Arzttochter dazu gezwungen wird, mit dem Maurersohn die Schulbank in ihrem Grätzel zu drücken, und nicht ein paar Straßen weiter die Schule besucht, wo sie unter ihresgleichen sitzt?

Zwang funktioniert für mich nicht. Aber positiv formuliert: Je länger die Arzttochter zusammen mit dem Maurersohn unterrichtet wird, desto besser werden sie einander in Zukunft verstehen. Doch das Problem ist, dass der Wohnraum bereits sehr segregiert ist. Die beiden Kinder wohnen ja nicht am selben Ort. Diese räumliche Segregation ist zwar nicht so extrem wie in anderen Großstädten, aber sie ist da, egal ob wir auf der einen Seite von Favoriten, Ottakring oder Brigittenau sprechen oder auf der anderen von der Josefstadt, Hietzing oder Alsergrund. Es gilt dezidiert zu sagen, dass der Sozialstatus in unserem Schulsystem einen wesentlich stärkeren Einfluss auf den Bildungserfolg hat als die Herkunft oder die Sprache.

Der reiche Stefan sitzt also durchaus neben dem reichen Mustafa?

Ethnische Durchmischung gelingt nur in den Klassenzimmern jener Stadtteile, wo Kinder mit hohem Sozialstatus aufeinandertreffen. Da sitzen türkischstämmige Kinder neben autochthonen Österreichern. Auch deswegen fordere ich sozialindexbasierte Zusatzinvestitionen, die sozial schlechtere Räume bewusst subventionieren.

Interessiert dieses Thema die Grünen, für die Sie 2015 bei der Wiener Gemeinderatswahl kandidiert haben?

Für meinen Geschmack viel zu wenig. Die Grünen haben keinen historischen Bezug zu sozial schlechtergestellten Menschen. Wir haben im Laufe der Zeit diese Anwaltschaft zwar artikuliert, aber ich hinterfrage, ob wir bereit sind, diese auch umzusetzen.

Inwiefern?

Im Bildungsbereich gibt es von den Grünen keinen bedingungslosen Einsatz für sozial Benachteiligte. Sie engagieren sich rund um die Universitäten, Alternativschulen und die Ausstattung von Kindergärten, aber das bedingungslose Commitment für Menschen aus sozial schlechteren Milieus und der Einsatz für ihre Chancengerechtigkeit, das nehme ich nicht wahr.

Dabei artikuliert die Partei doch diese Anwaltschaft, wie Sie sagen.

Diese Gruppe ist nicht ihre Wählerschaft. So lautet die Argumentation. Ich habe diese Haltung bereits im Wiener Gemeinderatswahlkampf erlebt. Damals habe ich mehrmals zu hören bekommen, ob ich mich denn wirklich in den 11. und in den 22. Bezirk stellen möchte? Ich habe geantwortet: Ja natürlich gehe ich dort auch hin, sonst mache ich die ganze Show nicht. Dann kam meistens der subtile Vorwurf: Geh doch einmal in den 7. oder 8. Bezirk, da sind unsere Wähler.

Haben die Grünen Angst vor den sozial Benachteiligten?

Das kann ich nicht beurteilen. Ich kann nachvollziehen, dass die Grünen dort keinen Auftrag haben. Bei einem begrenzten Einsatz von Mitteln werden wir dort investieren, wo wir die größte Rendite erwarten. Für den Wahlkampf mag diese Überlegung richtig sein. Zwei Monate vor einer Wahl kann ich keine Überzeugungsarbeit leisten in einem Gemeindebau im 10. oder 20. Bezirk. Aber ich erwarte mir ab Tag eins nach der Wahl ein Commitment zu diesen Gruppen. Denn wenn wir schon über Sozialthemen sprechen, sollten wir uns dann auch bedingungslos dafür einsetzen im Bildungsbereich. Und das tun wir nicht. Die Roten übrigens auch nicht.

Ist das nicht scheinheilig? Am Morgen von einer gerechteren Welt zu philosophieren und am Abend sich nicht in die Bezirke trauen, wo diese gerechtere Welt Sinn machen würde?

Ich sehe das nüchtern, dass man letztlich seine Wähler aufgrund dieses Renditegedankens vor der Wahl bedient. Der typische Grüne argumentiert von einer sozial sehr abgesicherten - nicht unbedingt reichen - Position. Und er möchte, dass es seinen Mitmenschen gut geht. Aber die Frage ist, worauf will ich persönlich verzichten, damit es anderen gut geht.

Zur Person

Daniel Landau

ist ausgebildeter Pflichtschullehrer, Betriebswirt, Dirigent und Initiator mehrerer Bildungsinitiativen wie das Bildungsvolksbegehren, zukunft.bildung und dem Verein "jedesK!ND." 2015 kandidierte der Leopoldstädter für die Grünen bei den Gemeinderatswahlen. Knapp verpasste der Quereinsteiger den Einzug ins Stadtparlament.