"Wiener Zeitung": Warum sind in Wien selbst im Sommer noch Lehrstellen offen?

Petra Draxl: Es gab vor dem Sommer noch Lehrlingskampagnen, zum Beispiel in der Industrie. Deshalb geht es in vielen Unternehmen aktuell noch um die Frage, ob Lehrling und Lehrstelle zueinander passen. Da sind einige Firmen noch beim Auswahlprozess. Und im Vergleich zu anderen Regionen ist in Wien der Gap zwischen Nachfrage und Angebot größer, die Anzahl an Jugendlichen also größer als die Anzahl an verfügbaren Lehrstellen.
Warten viele Jugendliche mit der Suche bis zur letzten Minute?
Das ist gar nicht so sehr das Problem, da achten auch die Schulen darauf, dass sie sich rechtzeitig darum kümmern. In Wien stellt sich mehr die Frage, ob sich auch die Eltern darum kümmern. Viele haben da weniger Unterstützung von Zuhause als in anderen Regionen. Und es geht auch um die Frage, welche Defizite die Jugendlichen mitbringen, wir hören von den Unternehmen oft, dass viele nicht alle Basisqualifikationen haben. Da spielt es auch eine Rolle, woher sie kommen, ob sie Migrationshintergrund haben.
Um welche Qualifikationen handelt es sich dabei?
Für eine Lehre braucht man Deutschkenntnisse auf B1-Niveau, in manchen auch auf B2, aber auch Mathematik und Englischkenntnisse. Ich schätze, dass die ein Drittel der Jugendlichen nicht hat. Wir erheben das aber im Moment gerade präzise mit standardisierten Tests, um Ihnen diese Frage genauer beantworten zu können (lacht), vor allem aber um besser nachgelagerte Maßnahmen setzen zu können. Solche Defizite kann man aufholen, zum Beispiel in Produktionsschulen.
Gibt es Branchen, wo besonders viele Lehrstellen offen sind?
Der Fremdenverkehr hat leider ein Imageproblem bei den Jugendlichen. Die Elektro- und Metallbranche, Friseure, Handel und der Gesundheitsbereich.
Die Elektro- und Metallbranche?
Ja, da gibt es zwar sehr attraktive Lehrstellen, die Voraussetzungen bei den Mathematikkenntnissen sind aber sehr hoch. Außerdem laufen da zum Teil auch noch die Tests der Unternehmen, die das vorab überprüfen.
Diesen Herbst wird sich zum ersten Mal zeigen, wie die Ausbildungspflicht bis 18 Jahren wirkt...
Ja, der gesamte Jahrgang wurde schon im Laufe des Schuljahrs darüber informiert. Wir werden aber erst im September sehen, wie viele Jugendliche tatsächlich keinen Schul- oder Lehrplatz gefunden haben.
Was soll ich tun, wenn das bei mir dann der Fall ist?
Unbedingt zum AMS kommen und sich registrieren lassen. Damit wir gemeinsam ein passendes Angebot finden. Für manche ist das eine Produktionsschule, wo es bis zu einem Jahr lang Berufsorientierung gibt. Da kann man verschiedene Berufe ausprobieren und man macht Schnuppertage bei Betrieben. Es geht da aber auch ums soziale Nachreifen. Man kann Fähigkeiten, die einem noch fehlen, nachlernen. Für Mädchen gibt es auch das Fit-Programm, wo sie Technik ausprobieren können. Natürlich wird beim AMS auch ganz klassisch nach einer passenden Lehrstelle gesucht. Und manche finden auch eine passende Schule.
Was ist mit einer überbetrieblichen Lehre?
Das kommt für jene in Frage, für die es keine Lehrstelle gibt. Rund ein Viertel erlernt im ersten Jahr die Grundkenntnisse einer Berufsgruppe, zum Beispiel Metall- und Elektroberufe, und findet dann eine Lehrstelle, die anderen schließen die Lehre überbetrieblich ab. Insgesamt sind es 4500, pro Jahr treten circa 1100 neu ein.
AMS Österreich-Chef Johannes Kopf hat vorgeschlagen, die Lehre für Asylwerber zu öffnen. Ist das auch in Wien sinnvoll?
Da geht es um Asylwerber mit einer hohen Bleibewahrscheinlichkeit, für die es ab 2018 das Integrationsjahr gibt. Das Innenministerium muss zwar erst festlegen, wer genau die hohe Bleibewahrscheinlichkeit hat. Wir gehen aber davon aus, dass es vor allem Leute aus Syrien sind. Für die Jüngeren wäre eine Lehre sehr positiv. Die kommen so oder so zu uns auf den Arbeitsmarkt, da könnte man intelligenterweise früher ansetzen. Denn was passiert, wenn sie ein, zwei oder drei Jahre nichts tun können? Sie werden nicht klüger und nicht fleißiger, und es kostet alle Beteiligten dann nach langen Wartezeiten nur umso mehr Mühe, ihnen was beizubringen.