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"Es hat noch keiner versucht, mich umzulegen"

Von Solmaz Khorsand

Politik
Wolfgang Rehm in seinem Büro bei "Virus" im WUK.
© Solmaz Khorsand

Seit 33 Jahren legt sich der Umweltschützer Wolfgang Rehm mit Politik und Wirtschaft an. Aktuell beim Lobautunnel.


Wien. Wolfgang Rehms Porträt hängt in den Büros der mächtigsten Männer Österreichs. Tag für Tag beobachtet sie der Mann mit den zerzausten Haaren und der schmalen Brille. Ernst und mahnend. Doch sein Bild hängt nicht eingerahmt hinter Glas. Für ihn hat man sich etwas Besonderes einfallen lassen. Rehms Gesicht verbirgt sich hinter einem Fadenkreuz.

Mit solchen Szenarien ziehen ihn seine Bekannten auf. Kleine Scherze unter Freunden halt. Ein bisschen Wahrheit steckt doch dahinter. Sie wissen um die Beliebtheit des 51-Jährigen bei Politik und Wirtschaft. Wolfgang Rehm ist Umweltschützer. Seit 33 Jahren wirft er den Mächtigen Knüppel zwischen die Beine. So gut er eben kann. Denn die Knüppel sind mickrig und die Mächtigen viele. Doch hie und da bringt er sie zum Stolpern. Und manchmal sogar zum Fallen.

Egal ob beim weststeirischen Koralm-Pumpspeicherkraftwerk, dem geplanten Einkaufszentrum im oberösterreichischen Steyr oder dem Wiener Lobautunnel. Sie alle stehen auf Rehms Liste. Je größer und vermeintlich unumgänglicher das Projekt, umso schneller steht er auf der Matte. Monate, mitunter Jahre, ackert er sich durch Unterlagen, fordert Gutachten und zieht vor Gericht, wenn es sein muss.

"Es hat noch keiner versucht, mich umzulegen. Und es gab auch keinen Bestechungsversuch. Anscheinend erachten sie das von vornherein als aussichtslos", sagt er und lächelt. Er sitzt im Büro seiner Umweltorganisation "Virus" im Kulturzentrum WUK im 9. Bezirk. Vor sich hat er den Laptop aufgeklappt. Er trinkt schwarzen Tee und entschuldigt sich für die Unordnung. Es ist stressig derzeit. Aktuell bearbeitet er einen großen Brocken: den Lobautunnel, jenem 8,2 Kilometer lange Herzstück der Schnellstraße S1 zwischen dem Knoten Schwechat und Süßenbrunn.

Gegen die Phalanx

Seit 2005 wird an der Realisierung des insgesamt 19 Kilometer langen Projekts gewerkt. Ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. Der Projektbetreiber, die republikeigene Asfinag, hat fast drei Jahre lang Daten gesammelt, um zu zeigen, wie sehr die Schnellstraße dem Wohl der Allgemeinheit dient.

9000 Seiten umfasst ihr Datenkonvolut. Den Gutachtern des Verkehrsministeriums hat gefallen, was sie gelesen haben. Sie hatten keine Einwände gegen das Projekt. Die Schnellstraße, inklusive Tunnel unter dem Nationalpark, hatte die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) bestanden - trotz Kritik und Gegengutachten von Bürgerinitiativen, Betroffenen und Umweltorganisationen. Immer wieder haben sie Gutachten ins Treffen geführt, dass das Projekt in Sachen Lärmschutz, Tunnelsicherheit und Grundwasserversorgung erhebliche Mängel aufweist. Eine mögliche Absenkung des Grundwassers hätte beispielsweise zur Folge, dass die Fauna und Flora des Nationalparks, der oberhalb des Tunnels liegt, beträchtlich beschädigt werden könnte. Ein Desaster, resümierten die Projektgegner. Sie gingen gegen den positiven UVP-Bescheid in Berufung. Knapp zwei Jahre lang lag der Fall nun beim Bundesverwaltungsgericht.

Seit 8. November wird er nun verhandelt. Und Wolfgang Rehm ist mit dabei. Vorbereitet mit Unterlagen, Laptop und Tee aus der Thermoskanne sitzt er in der ersten Reihe im Gerichtssaal des Bundesverwaltungsgerichts im 3. Bezirk. Um sich herum ein Dutzend Mitstreiter. Es sind Gutachter, Aktivisten und Betroffene. Sie alle haben sich ein paar Stunden freigeschaufelt, um an den acht Verhandlungstagen teilzunehmen, darunter sowohl adrette Sakkoliebhaber als auch zottelige Lobau-Hippies. Im Schichtdienst stärken sie einander den Rücken.

Es gilt Präsenz zu zeigen, angesichts des Aufgebots der Gegenseite. Eine Phalanx von Anzugträgern hat sich hier eingefunden. Knapp 30 Leute hat die Asfinag am ersten Verhandlungstag zusammengetrommelt. Geschäftsführer, Pressesprecher, Anwälte und Gutachter. Sie alle sind gekommen. Schließlich geht es um die Zukunft ihres 1,9 Milliarden Euro teuren Projekts.

Kafkaeskes System

Es werden anstrengende Tage werden für Wolfgang Rehm. Doch er hat Übung damit. Umweltverträglichkeitsprüfungen sind sein Metier. 35 Verfahren hat er bereits begleitet. Aktuell laufen parallel 17 Verfahren, davon allein sechs gegen die Asfinag.

Er kennt die Tricks der Gegner. Wie Verfahren verzögert werden. Wie Fristen in die Urlaubszeit fallen, wie Termine aneinandergereiht werden, um die Aufmerksamkeit der Gegenseite zur zerstreuen. Wie Unterlagen unmittelbar vor der Verhandlung eingereicht werden, sodass er und seine Gutachter keine Möglichkeit mehr haben, sie zu überprüfen.

"Das ganze System ist kafkaesk", sagt er. Die Umweltverträglichkeitsprüfung sei in Österreich lediglich ein Abnickverfahren, einmal beschlossen, ist es fast unmöglich, ein Projekt aufzuhalten. "Auf der politischen Ebene ist alles möglich, auf der rechtlichen ist es schwer. Wenn der positive UVP-Bescheid einmal da ist, interessiert sich keiner mehr was nachher passiert", erzählt Rehm. "Es kommt immer wieder vor, dass Auflagen nicht eingehalten werden. Es gibt keine wirksame Nachkontrolle hinterher. Das Monitoring, das vorgeschrieben wird, ist in den meisten Fällen zeitlich befristet. Und irgendwann kümmert sich keiner mehr darum."

Seit 1993 sind in Österreich Umweltverträglichkeitsprüfungen für private wie öffentliche Projekte Pflicht. Zumeist fallen sie in die Bereiche wie Infrastruktur, Energie-Abfall und Wasserwirtschaft, sowie Bundesstraßen. 470 Projekte wurden seit 1993 in Angriff genommen. Und zum Großteil bewilligt. Insgesamt 345 Projekte bekamen einen positiven UVP-Bescheid. Gerade einmal 17 wurden nicht bewilligt oder zurückgewiesen. In einigen Fällen versuchen Projektbetreiber, die UVP gar zu umgehen. Vier Mal ist es Rehm und seinen Mitstreitern gelungen die Behörden davon zu überzeugen, das Verfahren doch noch einzufordern. Es sind kleine Erfolge. Gelegentlich können sie im Zuge des Verfahrens bessere Auflagen und Bedingungen für das vorgeschlagene Projekt erkämpfen.

Hainburg ist überall

Und in seltenen Fällen es gar verhindern. So wie vor einem Jahr. Damals hat die Wasserstraßen-Gesellschaft via donau versucht, auf der Donausohle von Wien bis zur Marchmündung für die Schifffahrt eine Wassertiefe von 2,40 Metern zu erreichen. Ihr Mittel zum Zweck: ein Schotterteppich von 40 Kilometer. Das Konzept entsprach nicht den Umweltstandards, kritisierten Rehm und andere Umweltaktivisten. Ein Pilotprojekt gab ihnen recht. Das "flussbauliche Gesamtkonzept für die Donau südlich von Wien" wurde 2016 schließlich begraben. Und das obwohl es seit zehn Jahren in den Startlöchern stand.

Rehm ist stolz auf diesen Erfolg. Beweist es doch, dass sich beharrlicher Widerstand auszahlt. So hat er es im Winter 1984 gelernt. An jenen 12 Tagen im Dezember, an denen ihn seine Mutter in die Hainburger Au gefahren hat, damit der introvertierte Bub gegen das geplante Donaukraftwerk protestieren konnte.

Aufgewachsen im niederösterreichischen Marchegg, verfolgte der 18-jährige Rehm damals die Debatten rund um das Projekt mit seiner 500 Meter großen Staumauer, die mehrere Quadratkilometer gerodeten Auwald vorsah. Als am 8. Dezember 1984 rund 5000 Umweltschützer in einem "Sternmarsch" in die Stopfenreuther Au zogen, war dem Sohn zweier Lehrer klar: Da muss ich hin.

Bis heute wird der Mythos von Hainburg hochgehalten. Für die einen als politische Startrampe der Grünen. Für die anderen als Geburtsstunde der österreichischen Zivilgesellschaft. Für Wolfgang Rehm hat Hainburg nie geendet. Nicht während seines Bundesheereinsatzes, nicht während seines Physikstudiums und nicht während seiner Forschungsjahre am Institut für Sicherheits- und Risikoforschung an der Universität Wien. Irgendwo gab es immer ein Hainburg. "Klar bin ich manchmal auch getrieben", sagt Rehm. Es fällt ihm schwer, sich diese Worte abzuringen, klingen sie doch irgendwie emotional, fast schon fanatisch und nicht nach dem gewissenhaften Korinthenkacker, der die Mächtigen vor Gericht zerrt, weil das System kein Korrektiv vorgesehen hat.

Einsames Business

Seit drei Jahren ist Rehm bei der Umweltorganisation "Virus" angestellt. Als Einziger aus dem elfköpfigen Team. Die anderen arbeiten ehrenamtlich. Es ist ein einsames Business. Die Personaldecke ist dünn. Aus den ehemaligen Mitstreitern aus Hainburg wurden gemütliche Endvierziger mit Familien, festen Jobs und Krediten, die abgezahlt werden wollen. Sie haben keine Zeit mehr, sich durch Aktenberge zu wühlen und sich wochenlang Urlaub für Verhandlungen zu nehmen. Nachwuchs ist auch nicht in Sicht. Die wenigen, die kommen, engagieren sich ein paar Tagen, hopsen systemkritische Kreistänze und setzen sich bei Demonstrationen auf Raketen. Danach heißt es für die meisten weiterziehen zur nächsten Weltrettung, vielleicht dieses Mal etwas mit Flüchtlingen oder Robbenbabys. Ihnen fehlt der lange Atem. Und das Sitzfleisch.

"Ich habe einen anderen Lebenszugang. Es ist eine Biografie abseits des Mainstreams. Ich habe keine Kinder und bin auch nicht gläubig", sagt Rehm. "Das heißt, es geht mir nicht darum, die große Schöpfung zu bewahren. Ich muss auch nicht an die kommende Generationen denken, um mich zu motivieren. Es geht mir darum, dass es jemanden geben muss, der manche Begehrlichkeiten im Jetzt zurückdrängt, die provozierend sind mit all ihren einseitigen Dogmen, die dahinter stehen."

Dass sein Einmann-Watchdog-Dasein auf Dauer nicht nachhaltig ist, weiß Wolfgang Rehm. Sollte er eines Tages nicht aufschreien, müssten verstärkt Juristen zum Zug kommen, meint er. Doch das wird noch dauern, beruhigt er. Noch hat er seinen langen Atem. Noch können seine Freunde Witze machen. Noch können sie auf seine Beliebtheitswerte in den Chefetagen vertrauen. Und eine Weile wird sein Porträt wohl noch in dem einen oder anderen Vorstandsbüro dieses Landes hängen.

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