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"Enormer Druck auf die Schüler"

Von Ina Weber

Politik
Heinrich Himmer fordert mehr Personal für Wiens Schulen.
© Diva Shukoor

Für Stadtschulratspräsident Heinrich Himmer sind die vom Bund gewünschten Deutschklassen fragwürdig - die neue geplante Modellschule für Wien soll langfristig Schulversuche wie die Neue Wiener Mittelschule ablösen.


Wien. Was Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) am Dienstag verkündete, dass nämlich ab Herbst separate Deutschklassen in Österreichs Schulen eingeführt werden sollen, versetzt den roten Stadtschulratspräsidenten Heinrich Himmer gelinde gesagt in Staunen. Dass bereits ab Herbst alles neu organisiert sein soll, ohne zu wissen, wie viel Personal, Räumlichkeiten und Geld zur Verfügung stehe, sei für ihn verantwortungslos. Himmer sieht den Vorschlag des Bundes in Wien bereits großteils umgesetzt und fordert Faßmann auf, in einen Dialog zu treten. Immerhin betreffe es Wien am meisten.

"Wiener Zeitung": Herr Stadtschulratspräsident, die im vergangenen Sommer beschlossene Bildungsreform sieht neben einer verstärkten Schulautonomie und Bildungsdirektionen auch die Möglichkeit der Einführung einer Modellregion Gemeinsame Schule vor. Heißt das, dass die Einführung einer flächendeckenden Gesamtschule in Wien endgültig vom Tisch ist?

Heinrich Himmer: Wien hat immer den Standpunkt vertreten, dass eine Trennung mit zehn Jahren in zwei verschiedene Schularten in einer urbanen, pluralistischen, heterogenen Gesellschaft wie es sie in Wien gibt, nicht funktioniert. Das heißt, wir brauchen ein neues Modell, die Gemeinsame Schule, die nach innen differenziert und je nach Stärken und Talenten zusätzlich in Form von Modulen fördert. Man sollte das Beste von beiden Welten - der AHS und der Neuen Mittelschule (NMS) - in einen neuen Schultyp vereinen.

Das heißt, Sie würden sich nach wie vor eine Gesamtschule oder Gemeinsame Schule - wie auch immer man es nennen will - für die Sekundarunterstufe wünschen?

Das wird nicht gehen, weil das Modell mit der neuen Reform mit maximal 5000 AHS-Unterstufenschülern beschränkt ist. Das ist nicht das, was Wien fordert, allerdings ist es eine Möglichkeit, einen kleinen Spalt breit die Vorteile eines solchen Modells zu entwickeln. Jetzt werden wir einmal einen Bildungsplan dazu erstellen. Vor 2023 ist eine Umsetzung gesetzlich ohnehin nicht möglich. Außerdem geht es jetzt darum, Vertrauens- und Überzeugungsarbeit bei den Lehrern und den Eltern zu leisten. Was nicht geht, ist, einfach zu sagen, hier gibt es die AHS, hier die NMS, und jetzt bauen wir daraus eine neue Schule und alle sind glücklich.

Warum halten Sie am Modell Gemeinsame Schule fest, wo doch der Bund die Differenzierung will?

Für die Kinder in der 4. Volksschulklasse beginnt ein unerbittlicher Kampf. Sie fragen sich, ob sie gescheit genug für das Gymnasium sind, oder ob sie dumm sind und in die NMS müssen. Diese Rückmeldung haben wir von vielen Volksschullehrern, aber auch von den Eltern. Das ist ein enormer Druck auf die Schüler, weil alle schauen, dass sie ja gute Noten bekommen, damit sie eine Chance haben, in die AHS zu gehen. Das enttäuscht Kinder zu einem Zeitpunkt, wo sie eigentlich der Schule noch sehr positiv gegenüberstehen. Und plötzlich haben sie das Gefühl, dass sie nicht wertvoll sind. Das ist für Neunjährige wohl nicht ideal.

Aber das Modell der Neuen Wiener Mittelschule, wo Kinder mit und ohne Gymnasiumsreife zusammengeführt werden, gibt es ja schon länger. Warum versucht man jetzt wieder etwas Neues?

Der Punkt ist, dass die Neue Wiener Mittelschule zwar ein Erfolgsmodell ist, allerdings nie in den gesetzlichen Stand des Bundes übernommen wurde. Das bedeutet, dass dieser Schulversuch keinen Gesetzesbeschluss hat und diese Form auf Dauer kein gangbarer Weg ist. Die Neue Wiener Mittelschule (WMS) braucht mehr Ressourcen, und wenn der Bund nicht bereit ist, diese Schulform gesetzlich zu akzeptieren, dann heißt das, dass es auch die Mittel dafür nicht gibt. Außerdem ist es auch kein Modell, das die Trennung in AHS und NMS wirklich aufhebt. Es gibt keine gemeinsamen Zeugnisse, sondern es gibt ein NMS-Zeugnis oder ein AHS-Zeugnis. Auch der Lehrplan ist kein gemeinsamer. Die WMS ist eine Verbesserung, aber nicht unser Ziel. Das war damals der Versuch, zu zeigen, dass man ohne AHS-Reife kommen darf und im Rahmen der Unterstufenzeit die Möglichkeit hat, die fehlenden Kompetenzen aufzuholen. Man wird also nicht nach zwei Jahren AHS-Unterstufe ausgesiebt und dann in die NMS geschoben. Damit erzeugt man automatisch das Bild, dass die AHS die bessere Schule ist. Das ist für Wien deshalb ein Problem, weil wir alle Schulen in Reichweite haben. Im Zillertal etwa gibt es einen NMS-Standort, wo alle Kinder hingehen. In Wien haben wir 60 Prozent der Schüler in einer AHS und 40 Prozent in einer NMS.

Es kann also sein, dass das Modell Wiener Mittelschule ausläuft?

Naja, man muss darüber nachdenken. Wenn man sagt, es gibt die AHS, die NMS, die WMS und dann vielleicht noch die neue Modellschule, dann erhöhe ich wohl nicht die Einfachheit für die Eltern, sondern schaffe erneut Paralellwelten. Das ist nicht das Ziel. Ziel ist eine gemeinsame Schule - vom Kindergarten bis zum Ende der Schulpflicht, wo man die Kinder grundsätzlich nicht trennt, sondern je nach Stärken entsprechend unterstützt. Wir wollen die starke Spezialisierung auf Fachinhalte der AHS mit der Zuwendung und Förderung der NMS verknüpfen. Das ist der Weg, wo wir aber noch am Anfang stehen.

Wie würde Ihr ideales Schulsystem für Wien aussehen?

Ich sehe das Kernproblem bei den Übergängen. Vom Kindergarten in die Volksschule, von der Volksschule in die AHS oder NMS und dann nach der 9. Schulstufe. Die Eltern wollen das Beste für ihr Kind erreichen und es gibt eine sehr große Auswahl in Wien. Wir als Stadtschulrat müssen sicherstellen, dass Eltern auch alle Informationen haben, weil es hier sehr viel Mundpropaganda gibt und man geht danach, was man in der Nachbarschaft gehört hat. Es geht um eine Transparenz der Informationen. Wir wollen vor allem ein Angebot schaffen, wo Kinder kein Mascherl umgehängt bekommen. Wir wollen ein Schulmodell, das eine durchgängige Möglichkeit bietet. Wir wollen sagen können: Das ist Schule. Alle sitzen in einer Klasse und es gibt unterschiedliche Module für Stärken und Förderungen.

Bildungsminister Faßmann will Deutschklassen ab Herbst. Wie würde das in Wien aussehen?

Wir haben im Moment 16.000 Kinder im Pflichtschulalter, die bereits jetzt Sprachförderkurse bekommen. Voraussetzung ist, wenn ich am Unterricht teilhaben will, dass ich die Sprache so weit verstehe, dass ich dem Unterricht folgen kann. Die Bundesregierung versucht darzustellen, dass es das noch nicht gibt. Das gibt es aber bereits dort, wo Schüler für elf Stunden in der Woche außerhalb des Regelunterrichts gefördert werden. Wenn die Regierung das jetzt mit 15 Stunden machen will, dann ist das kein ganz neues Modell, sondern eine Ausweitung des bestehenden Modells um weitere vier Stunden. Das aber mit unabsehbaren Auswirkungen: Wenn ich das ausweite, müssen ja irgendwo die Räume, die Lehrer, die Ressourcen herkommen. Diese Frage ist - unabhängig von der Frage des pädagogischen Sinns - noch nicht beantwortet worden. Und ich hätte mir schon erwartet, da Wien hauptbetroffen ist, dass man mit uns spricht. Es gibt viele offenen Fragen: Was ist in der Stammklasse? Werden dort Plätze freigehalten? Wir haben mit den 610 Sprachförderkursen gute Erfahrungen gemacht. Deshalb meine Botschaft an den Bund: Redet mit uns.

Die Frage, ob es in Wien funktioniert oder nicht, ist für viele schwer zu beantworten.

Pauschal lässt sich das auch nicht sagen. Man wird das nicht für alle 16.000 Kinder gleich beantworten können. Die Lehrerperson ist entscheidend. Wir bieten seit der Flüchtlingsbewegung im Jahr 2015 noch mehr Fortbildungen für Lehrer im Fach Deutsch als Fremdsprache an. Entscheidend ist auch, wie die Schule sich organisiert, wie sie mit den Eltern redet. Wien hat entschieden, diese Kinder von den ersten Tag an in den Schulbetrieb zu nehmen.

In Wien hat man den Eindruck, dass die Durchmischung nicht wirklich gegeben ist. Jeder zweite Wiener ist zwar ein Migrant und doch gibt es Klassen und Schulen mit fast ausschließlich Kindern mit deutscher Muttersprache.

Eltern haben oft das Gefühl, dass ihr Kind in bestimmten Schulen nicht gut aufgehoben ist. Entscheidend ist, dass es dort Unterstützungsmaßnahmen gibt, und zwar nicht nur für die Schwächeren, sondern auch für die Stärkeren. Wenn Eltern sich Schulen bewusst anschauen, dann bekommen sie oft ein anderes Bild. In Simmering etwa, in meinem Heimatbezirk, gibt es eine Schule mit vielen Flüchtlingen. Dort passiert Großartiges. Das ist in der Öffentlichkeit nicht immer so bekannt. Diese Angst kann man nur durch persönliches Kennenlernen und Austausch nehmen.

Oft hat die private Schule für ganztägig berufstätige Eltern aber das bessere Angebot.

Der Privatschulanteil geht in der Volksschule leicht zurück. Es findet keine Flucht aus den öffentlichen Schulen statt. Dennoch verstehe ich den Anspruch der Eltern. Wir müssen weg von einer Behördensicht zu einer Dienstleistersicht. Und wir brauchen ganztägige Schulangebote. Unser Job ist es, Eltern als Partner zur Seite zu stehen. Das Problem ist, dass zum Beispiel die Direktoren der Pflichtschulen keine Sekretariate haben. Da bleibt oft nicht genug Zeit für persönliche Beratung. Wir fordern daher mehr Personal.