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Tunnel oder nicht Tunnel?

Von Christian Rösner

Politik

Ex-Verkehrsstadtrat Rudolf Schicker und Verkehrsplaner Hermann Knoflacher diskutierten über Sinn oder Unsinn des geplanten Lobautunnels.


Wien. Am Wochenbeginn hat Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou die Vertreter der Presse eingeladen, um eine lang erwartete Studie zu präsentieren, die Alternativen zum Lobautunnel aufzeigen soll. Präsentiert hat sie dann gleich zwei Studien, die zu entgegengesetzten Ergebnissen gekommen sind: So spricht sich eine Forschungsgruppe der Technischen Universität Wien gegen den Tunnelbau aus. Eine andere Expertengruppe kommt hingegen zum Schluss, dass man den Tunnel brauchen wird.

Politisch argumentieren die Gegner damit, dass ein Tunnel aus verkehrstechnischer Sicht gar nicht notwendig ist. Ein Aktionsplan zum Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel und der Parkraumbewirtschaftung würden ausreichend sein. Die Befürworter sind wiederum der Meinung, dass die Siedlungs- und Wirtschaftsentwicklung im 21. und 22. Bezirk sowie im Umland ohne Tunnel erheblich behindert und zeitlich verzögert werde.

In einem von der "Wiener Zeitung" moderierten Streitgespräch im Café Eiles diskutieren der ehemalige Verkehrsstadtrat Rudolf Schicker und Verkehrsplaner Hermann Knoflacher von der TU Wien über diese Standpunkte.

"Wiener Zeitung": Herr Knoflacher, Sie sind gegen den Bau des Lobautunnels - warum?

Hermann Knoflacher: Wir haben in der Studie verschiedene Szenarien durchgerechnet und da zeigt sich, wenn die Stadt Wien ihre Verkehrspolitik - die in den vergangenen 40 Jahren dazu geführt hat, dass Wien heute international eine so gute Position einnimmt - auch weiter jenseits der Donau konsequent verfolgt, dann ist der Tunnel nicht notwendig. Ein Tunnel hätte negative wirtschaftliche, soziologische und ökologische Auswirkungen. Ohne Tunnel würde der Zwang zu einem sehr kompakten Städtebau entstehen.

Sie meinen ein engmaschiges Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln?

Unter anderem ja.

Herr Schicker, ich nehme an, Sie sehen das ein wenig anders?

Rudolf Schicker: Punkt eins: Den Durchzugsverkehr aus der Stadt hinaus zu bekommen ist eine Forderung, die jede Metropole stellt. Punkt zwei: Wien wächst enorm schnell, weswegen eine Ansiedlungspolitik dort betrieben werden muss, wo noch Flächen zur Verfügung stehen. Da die Verfügbarkeit von Konversionsflächen - Eisenbahn- oder Kasernenareale - langsam zu Ende geht, müssen Flächen wie bei der Seestadt Aspern genützt werden. Und das geht nicht ohne ÖV-Anschluss (Öffentlicher Verkehr Anm.) und ohne Anschluss an den Individualverkehr.

Was hat das konkret mit dem Lobautunnel zu tun?

Tatsache ist, dass die Verkehrsleistung - egal wie man sie löst - in der Donaustadt massiv wachsen wird. Selbst wenn man, wie geplant, bis 2030 den motorisierten Individualverkehr von derzeit 27 Prozent auf 20 Prozent reduziert, ergibt sich alleine durch das Bevölkerungswachstum noch immer eine idente Verkehrsleistung im Individualverkehr. Wenn man die Ortskerne der Donaustadt entlasten möchte und den Durchzugsverkehr von der Südosttangente wegbekommen will, dann brauche ich eine Donauquerung außerhalb Wiens.

Herr Knoflacher, können Sie bitte genauer erklären, wie man Ihrer Meinung nach den Verkehr in einem Stadtentwicklungsgebiet ohne zusätzliche Anbindungen bewältigen kann?

Die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung auf die Bezirke jenseits der Donau plus die Umsetzung des bereits beschlossenen ÖV-Konzeptes bringt insgesamt mehr Entlastung als ein Tunnel, der einen massiven Impuls Richtung Autoverkehr setzen würde.

Wie kommen Sie zu diesem Schluss?

Meine Aussage beruht auf soliden Berechnungen des Verhaltens der Stadt Wien, der Bevölkerung und der Wirtschaft in Wien und auf den Zielen der Stadt: Die hat nämlich beschlossen, den Anteil der verschiedenen Verkehrsträger in eine bestimmte Richtung zu verschieben. Also vom Auto zum öffentlichen Verkehr. Aber der Lobautunnel widerspricht eindeutig diesen Zielen. Ich hätte nichts dagegen, wenn man die Südosttangente abtragen würde und den Lobautunnel baut. Aber den Tunnel zusätzlich zu bauen, wird nicht dem entsprechen, was sich die Stadt Wien erwartet. Und das sind keine Plausibilitätsbetrachtungen, sondern harte Fakten.

Was meinen Sie damit, wenn Sie sagen, die A23 abtragen?

Man könnte sie anders organisieren. Sie wäre nicht die erste Autobahn, auf der man eine Spur für den öffentlichen Verkehr einrichtet. Sie können auf so einem Streifen - und das gibt es bereits im Ausland - pro Stunde 30.000 Personen befördern. Das heißt, mit zwei Fahrstreifen könnte man den Großteil des gesamten Individualverkehrs von dort wegbringen. So etwas nennt sich Verkehrsmanagement - und man kann auf den Tunnel verzichten.

Schicker: Glücklicherweise ist in allen Verkehrskorridoren Wiens ein Rückgang des motorisierten Individualverkehrs feststellbar, weil der ÖV ausgebaut ist und eine Radinfrastruktur hergestellt wurde. Die Bevölkerung in der Donaustadt wächst aber deutlich. Der Bezirk wird bald 200.000 Einwohner haben und gemeinsam mit Floridsdorf größer als Graz sein. Ich glaube, dass wir uns darauf einigen können, dass - sobald der Tunnel steht und der Verkehr dort hinaus verlagert werden kann -, man den öffentlichen Verkehr entlang der A23 attraktiver machen kann. Allerdings wohnt unmittelbar an der A23 kaum jemand. Es geht dort um Gewerbegebiete, die ausgebaut wurden und gar nicht so viel ÖV-Anschluss brauchen. Der ist eher dort notwendig, wo Siedlungen entstehen - und zwar rechtzeitig, so wie bei der Seestadt. Überfällig ist jetzt die Verlängerung der Linie 25 und 26, damit eine Vernetzung mit der Seestadt hergestellt wird. Für Betriebsansiedelungen ist allerdings auch ein Anschluss an die Autobahn nötig. Und das in brauchbarer Distanz. Denn Unternehmen wie etwa die Firma Hörbiger können ihre Rohstoffe nicht mit den Öffis anliefern.

Also geht es nur um die Reindustrialisierung?

Es geht um beides. Denn durch das Bevölkerungswachstum wird der Individualverkehr summenmäßig mehr und diese Verkehrsleistung ist nicht mehr auf dem vorhandenen Straßennetz unterzubringen. Wenn ich parallel dazu in den Ortskernen reduzieren will - also etwa in Hirschstetten, Aspern, Essling, Süßenbrunn, Stadlau und anderen -, dann ist es notwendig, eine Alternative für die 20 Prozent Individualverkehr anzubieten. Nicht nur für die 80 Prozent.

Jetzt sind wir genau zu dem Punkt gelangt, wo es sich spießt oder?

Knoflacher: So ist es. Aber ich hatte dieselbe Diskussion schon an der Wende der 1960er, 1970er Jahre, als es darum ging, wie die Bewohner Wiens den ersten Bezirk erreichen sollen und wie sich die Wirtschaft dort entwickeln kann. Das Denken war im Rathaus damals ein komplett anderes. Es gab den Entwurf für Autobahnen an der Donau, entlang des Donaukanals und Gürtels, auch statt dem Naschmarkt und so weiter. Und schon damals war mein Zugang genau das Gegenteil, und der damalige Stadtrat hat mich hinauskomplimentiert mit meinen Ideen, einen Radverkehr in der Stadt zu machen. Und schauen Sie sich an, wie es heute ist. Meine Aufgabe war es schon immer, die Stadt nach bestem Wissen und Gewissen zu beraten. Und heute sage ich: Wir haben zwar viele Autos auf der Tangente, aber gar nicht so viele Menschen. Der Besetzungsgrad beträgt nur etwa 1,2. Damals, nach dem Einsturz der Reichsbrücke wurde an die Bevölkerung appelliert, das Auto gemeinsam zu nützen. Und es hat funktioniert: Auf den übrigen Donaubrücken gab es einen Besetzungsgrad von 1,8. Das heißt 50 Prozent höher als vorher - und die Verkehrssituation entspannte sich. Das heißt, das System regelt sich von selbst. Wenn ich aber den Regler auf Öffnung des Autoverkehrs drehe, regelt sich der Verkehr auch von selbst - allerdings genau in die andere Richtung. Und zwar nicht nur in Bezug auf das Verkehrssystem, sondern auch im Bezug auf die Strukturentwicklung.

Und was ist mit den Betriebsansiedelungen?

Der Industrie-Investor geht dorthin, wo es billigen Grund gibt und wo es am meisten Platz gibt. Und der ist nicht in Wien, sondern außerhalb. Und dann sitzt er dort und verlangt nach ÖV- und Autobahn-Anschluss - und die Entwicklung findet wieder außerhalb statt. Die Tangente wird durch die Lobauquerung nicht entlastet, sondern es entsteht neues Potenzial für Autoverkehrsentwicklung.

Schicker: Der Vergleich mit der Innenstadt ist nicht zulässig. Wir haben hier alle paar hundert Meter eine U-Bahn-Station und das gibt es in der Donaustadt nicht. Das würde ökonomisch auch wenig Sinn machen.

Knoflacher: Da frage ich aber, warum nicht?

Schicker: Na weil es ökonomisch nicht geht.

Knoflacher: Das muss man mit der Stadtentwicklung abgestimmt machen.

Schicker: Das hat mit Stadtentwicklung nichts zu tun. Sie wissen, dass Menschen an Randgebiete siedeln, weil sie die dichtverbaute Stadt nicht unmittelbar vor der Haustüre haben wollen. Das sind die Unterschiede. Wenn man auf das Rücksicht nimmt, dann braucht man eben Zubringerfunktionen, also Bus, Straßenbahn - und dazwischen verbindend die U-Bahn. Das ist international State of the Art. Der entscheidende Punkt ist zu erkennen, wenn ich eine Stadt für mehr als 130.000 Einwohner baue, dann muss ich auch entsprechend Rücksicht nehmen auf die 20 Prozent Verkehrsleistung im Individualverkehr. Und dass man den Durchzugsverkehr draußen halten kann.

Knoflacher: Es gibt zwei Auffassungen. Die eine ist, dass man die Eigendynamik des Autoverkehrs, die seit den 1950er Jahren stattfindet, akzeptiert und die Infrastruktur dieser Situation anpasst. Wenn man aber die Stadt der Menschen im Kopf hat, Autobahnen ersatzlos abreißt und dafür den ÖV fördert, wird die Stadt gestaltet und nicht der Verkehr.

Jetzt sprechen Sie von den Menschen, die man ja gut mit Öffis transportieren kann. Was ist aber mit den Betrieben und dem Wirtschaftsverkehr?

Wir haben genug Platz an bestehenden Autobahnen und Schnellstraßen, um den Wirtschaftsverkehr unterzubringen. Ist in Kärntner Straße oder Mariahilfer Straße die Wirtschaft zusammengebrochen, nur weil keine Autos mehr durchfahren konnten? Ist sie nicht.

Jetzt vergleichen Sie aber wieder Transdanubien mit der Innenstadt.

Und zwar weil in der Innenstadt eine auf Menschen ausgerichtete städtische Struktur existiert, die Fehlentwicklungen verhindert. Und das ist da draußen nicht der Fall. Dort geht es nur um die Sucht, für das Auto zu planen, wenn man die Lösung im Tunnel sieht.

Schicker: Nicht bös’ sein, aber das ist ja absurd zu sagen , dass die Stadt Wien nur in den Dimensionen des Autos denkt, wenn schon 1977 bei der Volksbefragung 79 Prozent der Wiener für einen Ausbau des öffentlichen Verkehrs gestimmt haben. Wir haben es sogar geschafft, dass wir von damals 40 Prozent Individualverkehr auf 27 Prozent heruntergekommen sind. Und wenn ein neuer Stadtteil entsteht, wird man den nicht ganz ohne Erschließung für den Individualverkehr bauen können. In Aspern war mit der U-Bahn der ÖV als Erstes dort.

Ich würde noch gerne ein Thema aufs Tapet bringen, das hier noch gar nicht erwähnt wurde: Was ist mit dem Umweltschutz? Schließlich soll hier ein Tunnel in 60 Meter Tiefe durch ein riesiges Naturschutzgebiet gegraben werden, was laut Umweltschützern Auswirkungen auf das Grundwasser und damit auf die gesamte Fauna und Flora an der Oberfläche hätte.

Bei der Super Now (Strategische Umweltprüfung Entwicklungsraum Nordosten Wiens im Zeitraum 2001 bis 2004 Anm.) wurde aus 15 Trassen jene ausgewählt, die unter der Tegelschicht - die Abdichtschicht des Donaubeckens - liegt und nur in den Bereich, wo die Tunnelportale sind, Beeinträchtigungen des Schotterkörpers mit sich bringt.

Da spielen schwankende Pegelstände keine Rolle?

Nein, denn die Querung der Lobau und des Donaubeckens befindet sich unterhalb der Tegelschicht.

Und was ist mit dem sogenannten Schwechater Schlitz (eine tektonische Bruchzone, die den Tunnel versetzen und durch Risse das im Untergrund gespeicherte Wasser verunreinigen könnte Anm.)?

Dieser Schlitz wurde durch stark verdichtete Probebohrungen genau lokalisiert und in der Folge die Trasse so angepasst, dass man dem auskommt.

Was meinen Sie, Herr Knoflacher?

Knoflacher: In Grundwasserfragen wenden Sie sich an Dr. Josef Lueger, der hat inzwischen alle Gutachten der Asfinag widerlegen können, die besagen, dass der Tunnelbau keine Auswirkungen auf das Grundwasser hat. Aber angenommen, der Tunnel wird gebaut, wäre es zu überlegen, ob nicht die Asfinag Strafzahlungen an Wien für die CO2-Überschreitungen bezahlen sollte.

Schicker: Die Alternative zum Tunnel kann nicht ein "Nein" sein oder gar nichts. Denn selbst wenn wir die Antriebstechnologien umstellen, wird das für die Städte noch immer ein Problem sein, weil die Fahrzeuge noch immer zu groß sind. Wenn wir es schaffen, dass der Nord-Süd-Transit uns gar nicht berührt, weil er außen vorbeifährt, dann tun wir uns auch leichter während der Stoßzeiten bei der engen Tunnelröhre in Stadlau auf der A23.

Knoflacher: Zu den Stoßzeiten: Wenn ich in einem Café mit mehreren Leuten sitze und Milch brauche, stelle ich mir deswegen doch auch keine Kuh ins Haus oder? Meiner Meinung steht der Paragraf 51 unserer Verfassung gegen den Lobautunnel - dort heißt es, dass Zweckmäßigkeit, Sparsamkeit und Sinnhaftigkeit nachzuweisen sind. Das ist nicht beweisbar.

Schicker: Das Gegenteil aber auch nicht.

Letzte Frage: Wie sinnvoll war dieses Streitgespräch überhaupt, wenn die Asfinag schon heuer mit dem Tunnelbau beginnen will und eigentlich alle politischen Kräfte, mit Ausnahme der Grünen, für den Lobautunnel sind?

Knoflacher: Ich habe schon gegen Zwentendorf gekämpft - und offensichtlich hat es weder Österreich noch unserer Energieversorgung geschadet, dass es nicht in Betrieb gegangen ist.

Schicker: Atomkraftwerke mit dem Donautunnel zu vergleichen, ist zu viel der Ehr’ für den Umfahrungsring um Wien.

Rudolf Schicker wurde am am 23. August 1952 in Wien geboren, hat auf der TU Vermessungswesen und Raumplanung studiert und war von 2010 bis 2015 Klubvorsitzender der SPÖ Wien. Von 2001 bis 2010 war er amtsführender Stadtrat für Stadtentwicklung und Verkehr.

Hermann Knoflacher wurde am 21. September 1940 in Villach geboren, hat Bauingenieurwesen, Vermessungswesen und Mathematik an der TU studiert und ist Zivilingenieur sowie Professor emeritus am Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der TU.