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Atib-Auflösung wird keine einfache Sache

Von Daniel Bischof

Politik

Die "Wiener Zeitung" analysiert mit Religionsrechtlern die verworrene Rechtslage. Blümel setzte der IGGÖ ein Ultimatum.


Wien. Der türkisch-islamische Verein Atib befindet sich im Visier der Behörden. Dem Verein drohen Konsequenzen, nachdem in einer Atib-Moschee in Brigittenau Kriegsspiele mit Kindern durchgeführt wurden. Eine mögliche Auflösung von Atib steht etwa im Raum. Die "Wiener Zeitung" analysiert die Rechtslage.

Welchen rechtlichen Status hat Atib?

Die Türkisch Islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich (Atib) koordiniert die religiösen, sozialen und kulturellen Tätigkeiten der türkisch-islamischen Moscheegemeinden. Die Union ist ein Ableger des türkischen Religionsamts. Experten sehen in Atib einen verlängerten Arm der türkischen Regierung. Hinsichtlich des rechtlichen Status von Atib ist eine komplizierte Doppelgleisigkeit gegeben. Atib ist ein nach dem Vereinsgesetz konstituierter Verein. Er fungiert als Dachverband, in dem 65 Moscheevereine mit über 100.000 Mitgliedern in ganz Österreich zusammengefasst sind.

"Atib ist daher einerseits ein staatlich organisierter Verein, auf den das Vereinsgesetz anwendbar ist", erklärt Stefan Schima, Professor am Institut für Rechtsphilosophie an der Universität Wien. Andererseits kommt aber auch das Islamgesetz ins Spiel, da es innerhalb der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) sechs Atib-Kultusgemeinden gibt, eine Gemeinde ist etwa für Wien zuständig. IGGÖ und Atib sind eng miteinander verknüpft: Ibrahim Olgun, Präsident der IGGÖ, ist gleichzeitig auch Atib-Vertreter.

Für Verstöße gegen das Vereinsgesetz ist das Innenministerium zuständig. Das im Bundeskanzleramt angesiedelte Kultusamt prüft hingegen religionsrechtliche Fragen rund um das Islamgesetz. Der jetzige Vorfall in der Atib-Moschee eröffnet für die Behörden in vielerlei Hinsicht ein neues Terrain. Das Islamgesetz trat erst 2015 in Kraft, es mangelt an entsprechender Judikatur.

Da die Bestimmungen im Islamgesetz gleich wie vergleichbare Bestimmungen im Bekenntnisgemeinschaftsgesetz lauten würden, seien die gesetzlich festgelegten Prüfkriterien bekannt, heißt es aus dem Bundeskanzleramt. "Bisher gab es aber noch keinen Fall, der mit dem konkret vorliegenden tatsächlich vergleichbar wäre", räumt man jedoch ein.

Welche Vorwürfe werden nun geprüft?

Ein Verfahren gegen Atib wurde vom Kultusamt eingeleitet. Das Kultusamt prüft derzeit drei mögliche Verstöße gegen das Islamgesetz. Einerseits könnte ein Verstoß gegen die "positive Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat" vorliegen. Schima zeigt sich hier skeptisch. "Wenn man der Geschichte eines Staates - sei es auch in einer dubiosen Weise - huldigt: Ist das eine Stellung gegenüber Österreich, die man als kritisch gegen Staat und Gesellschaft würdigen kann?", so der Professor.

Sowohl Schima als auch der ebenfalls am Institut für Rechtsphilosophie tätige Religionsrechtler Richard Potz stellen infrage, ob es sich bei den dubiosen Kriegsspielen überhaupt um religiöse Übungen handelt. "Diese Darstellungen beruhen auf einer länger bestehenden nationalistisch-kemalistischen Tradition. Kemal Pascha, später als Atatürk bekannt, war einer der großen Helden der Schlacht von Gallipoli. Möglicherweise wird diese Tradition nun aber gezielt von Erdogan-Anhängern für religiöse Zwecke vereinnahmt", sagt Potz.

Für beide Experten noch unklar ist der zweite mögliche Vorwurf, jener der Behinderung der Entwicklung der Kinder. Hier mangle es noch an Details. "Auch das Verhältnis zwischen Kindeswohl und österreichischem Religionsrecht ist noch etwas unklar", sagt Schima. Geprüft wird seitens des Kultusamts auch, ob eine verbotene Finanzierung aus dem Ausland stattgefunden hat. "Die Frage ist, inwiefern vom Ausland finanzierte Personen in diese Vorfälle involviert waren. Vom jetzigen Informationsstand her würde ich allerdings eher ausschließen, dass hier gegen das Verbot verstoßen wurde", so Schima.

Was sind die nächsten Schritte?

Derzeit ermittelt das Kultusamt, die Einvernahme von Verantwortlichen, darunter Vertreter von Atib, ist geplant. Geprüft wird zunächst jene Kultusgemeinde, welche die betroffene Moschee betreibt. Auf Basis der Ermittlungen wird das Amt eine Sachverhaltsdarstellung erstellen. Danach sollen gemeinsam mit Innen- und Finanzministerium weitere Schritte eingeleitet werden.

Bei einer möglichen Auflösung muss unterschieden werden. "Die Kultusgemeinde Atib könnte vom Kultusamt mit Bescheid aufgelöst werden. Vor einer Aufhebung der Anerkennung verlangt das Islamgesetz jedoch, dass die Gemeinde aufgefordert wird, das gesetzwidrige Verhalten abzustellen. Erst im Wiederholungsfall darf sie aufgelöst werden", so Potz. Anderes gilt für den Dachverband Atib. "Dessen Auflösung müsste dann über das Vereinsgesetz erfolgen", erklärt Schima.

Welche neuen Entwicklungen gab es in der Causa?

Am Donnerstag wurde bekannt, dass der Atib-Dachverband indirekt auch Kindergärten betreibt und dafür 2017 von der Stadt Wien zumindest 227.000 Euro an Förderung bekommen hat. Träger der Kindergärten ist nicht Atib selbst, sondern das "Bildungs- und Forschungsinstitut Nokta", eine Art Unterverein des Dachverbands. Nokta betreibt den Kindergarten "Marienkäfer". Der Kindergarten werde laufend kontrolliert und sei bisher nicht auffällig geworden, versicherte eine Sprecherin des für Kindergärten zuständigen Stadtrats Jürgen Czernohorszky. Die Stadt gebe 360 Millionen Euro pro Jahr für die Förderung von privaten Kindergärten aus, 227.000 Euro davon eben für den "Marienkäfer".

Die "Türkisch Islamische Union" und das "Katib Kultur Zentrum" haben in den Jahren 2013 bis 2017 zudem rund 30.000 Euro an dezentraler Bezirksförderung bekommen. Wie viel Fördergeld Atib und seine Vereine bekommen haben, ist nicht feststellbar, da Förderungen auf Landes-und Gemeindeebene nirgends vollständig aufscheinen. Der für die Glaubensgemeinschaften zuständige Kultusminister Gernot Blümel (ÖVP) stellte der IGGÖ zudem ein Ultimatum, berichtete der "Kurier" am Donnerstag. Bis zum 27. April soll sie die Bundesregierung umfassend über die Vorgänge in der betroffenen Moschee unterrichten.