Lebensmittelgeschäft von Fialas Oma (l.) in der Grillgasse 38. - © privat
Lebensmittelgeschäft von Fialas Oma (l.) in der Grillgasse 38. - © privat

Wien. Zum Beispiel der Böhmische Prater in Favoriten, dessen Ursprung in den Ziegelwerken des späten 19. Jahrhunderts liegt. Oder die Ringstraße mit ihren Prachtbauten, die heute Touristen anzieht, wie sie früher Arbeiter aus Böhmen und Mähren anzog. Es sind Zeichen, die von einer langen Geschichte der Tschechen in Wien erzählen. Um 1900 lebten zwischen 300.000 bis 400.000 Tschechen in der Bundeshauptstadt. Nach Prag stellte Wien damals die zweitgrößte tschechische Stadt in Europa.

"Meine Großmutter stammte aus einer armen Familie in Mähren. Nachdem ihr Vater gestorben ist, war die Frage, wer die Familie ernähren soll." Die Lösung war Wien, schildert Franz Fiala seine Familiengeschichte. Seine Großmutter begann Ende des 19. Jahrhunderts in einem Konsum zu arbeiten. Der Großvater, ebenfalls aus Mähren, zog als Schlosser nach Wien. Er zählte zu jenen Arbeitern, die die Seile für das Wiener Riesenrad herstellten.

Diese Familiengeschichte ist nur eine von vielen ähnlichen: Während die Bevölkerung aus dem südlichen Böhmen zunehmend verarmte, boomte Wien zur gleichen Zeit: Die Stadtmauer brauchte einen neuen Schliff, die Ringstraße und die dazugehörigen Bauten wurden gebaut, Arbeitskräfte gebraucht. Ab 1850 zog es immer mehr Menschen von Böhmen und Mähren nach Wien.

Fialas Familienchronik erzählt auch eine Geschichte abseits von Stereotypen: Die Vielfalt der Wiener Tschechen langte weit über die Ziegelböhm oder die Böhmische Küche hinaus. Fialas Großmutter zählte mit einem eigenen Lebensmittelgeschäft in Simmering bald zu den Gewerbetreibenden. "Natürlich waren viele Tschechen in den Ziegeleien beschäftigt. Gemessen an der gesamten tschechischen Bevölkerung in Wien war es nur ein kleiner Teil. Es waren viele Handwerker und Gewerbetreibende dabei", entkräftigt Regina Wonisch vom "Forschungszentrum Historischer Minderheiten" das Klischee. "Manchmal waren es Karrierewege, die Beamten, Uni-Professoren oder Politiker nach Wien führten", ergänzt die Historikerin Vlasta Vales.

Zunehmende Ängste


Wahrgenommen wurden von der Mehrheitsbevölkerung hauptsächlich die arbeitenden Tschechen. Mit ihrer steigenden Zahl nahmen Ängste und Ressentiments innerhalb der Wiener Bevölkerung zu. Waren die Tschechen als notwendige Arbeitskräfte willkommen, ändert sich diese "Willkommenskultur" mit dem sozialen Aufstieg, der vielen Migranten nach und nach gelingt.