Während in den USA und Europa bereits in den 1970ern die ersten Kickboxer in Meisterschaften gegeneinander antraten, wurde der Sport in Kurdistan erst in den letzten Jahren populär. Etwa 300 Zuseher haben sich heute Abend in der Halle versammelt. Zigarettenqualm hängt über den Tischen, man trinkt Bier und Wasser. In den Pausen zwischen den Kämpfen fetzt die Metal-Band Dark Phantom auf der Bühne.
Blaue Lichtstrahlen irren durch den Kunstnebel. Das Mikro des Moderators hängt an einem langen Kabel von der Decke, seine Stimme kracht aus den Lautsprechern. Geklatsche und Pfiffe, als er die Kontrahentinnen vorstellt. Noch wenige Sekunden bis zum Fight. In ihrer Ecke des Rings erhält Lina letzte Anweisungen von Trainer Qays. Sie nickt stumm, ein Betreuer schiebt ihr den Gebissschutz in den Mund. Lina mustert ihre Gegnerin mit dem eng um den Kopf gewickelten Tuch in der Ecke gegenüber. Sie weiß von ihr nur, dass sie aus dem Iran kommt. Und dass sie um fast einen Kopf größer ist als Lina.
Die Glocke läutet die erste Runde ein. Lina tänzelt in die Ringmitte, reißt ihren linken Arm hoch, um einen Fußschlag der Iranerin abzuwehren. Doch ihre Gegnerin ist schneller. Treffer am Kopf. Benommen weicht sie zurück, geht hinter ihren pinken Handschuhen in Deckung. Das Geschrei und Gejohle der Zuschauer hört sie nicht mehr. Ebenso wenig die Stimme ihres Coaches, der immer wieder "Fuß! Fuß!" brüllt. Sie solle ihre Low-Kicks gegen die Oberschenkel der deutlich größeren Gegnerin einsetzen. Lina kassiert immer weitere Schläge und Kicks. Zwei Minuten Ewigkeit. Dann der erlösende Klang der Glocke. Die erste von drei Runden ist überstanden.
Tschak, tschak, tschak. Jedes Mal, wenn Linas Springseil auf den Boden schnalzt, heben sich ihre Füße für den Bruchteil einer Sekunde wenige Zentimeter in die Luft. Bis Schweiß auf ihrer Stirn glänzt. Im Hintergrund scheppern Langhanteln.
Der Crossfit- und Kampfsport-Club "Black Mamba" ist in einer Lagerhalle im Industriegebiet Erbils untergebracht. Vorne beim Eingang die Rezeption, am anderen Ende der Ring. Dazwischen Fitness-Training. Für Lina begann alles mit Crossfit. Um Gewicht zu verlieren, wie sie sagt. Mit ihrer Schwester sei sie anfangs hierhergekommen. Doch die verlor bald das Interesse. Und Lina entdeckte ihre Kampfsportfaszination.
Gegenwind
"Mein Vater weiß nicht viel über das, was ich hier mache", sagt Lina, die im christlich geprägten Stadtteil Ainkawa aufgewachsen ist. "Er denkt, ich mache etwas wie Karate." Aber ihre Mutter wisse Bescheid. Sie sei auch zu ihrem ersten Kampf gekommen. "Doch auch sie ist nicht sehr froh, dass ich boxe." Sie glauben, sie sei noch zu jung für den Sport und könnte Schäden davontragen.

Doch da Linas Erfolge in der Schule unverändert gut sind, tolerieren die Eltern den Sport ihrer Tochter. In der Schule löste ihre Leidenschaft für Kampfsport Verwunderung aus. Warum sie so etwas mache? Ihr Körper werde bald wie der eines Mannes aussehen. Ihre Schultern seien bereits zu breit für ein Mädchen. "Da gab es viele Kommentare zu meinen Schultern", sagt Lina und lacht. "Aber jetzt sind sie stolz auf mich."