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Timor-Leste: Mit Süßkartoffeln in die Zukunft

Von Marc Tornow

Reflexionen
Hoffen auf Lebensverbesserung durch landwirtschaftliche Kooperativen: Felismina und Felismino aus Kibra, einer Siedlung auf rund 2000 Metern Höhe.
© Tornow

Vor 20 Jahren stimmte Osttimor für die Unabhängigkeit von Indonesien. Dem Wunsch nach Autonomie folgt nun jener nach wirtschaftlicher Entwicklung.


Zweieinhalb Stunden Fahrt für 36 Kilometer. Im Schritttempo rollt der Allradwagen bergan. "Das ist nichts im Vergleich zur Regenzeit", sagt Romaldo da Custo und schaltet schon wieder in einen anderen Gang. Geschickt weicht er einer metertiefen Furche aus, die sich mit dem Monsunregen wie die meisten Wege in Timor-Leste (= Osttimor) in eine schlammige Falle für Fahrzeuge verwandeln wird. Ringsum pittoreske Berge, die Ausläufer des sogenannten Bandabogens. Es sind Felsformationen vulkanischen Ursprungs, die gleich hinter der Hauptstadt Dili steil empor ragen.

Jenseits der Seestraße von Ombai, in der die Frachtschiffe ferner Länder im Transit vorüberziehen, werden die Verhältnisse rauer und die Lebensbedingungen herausfordernder. Die Dörfer im Inneren des Inselstaates bleiben nur schwer zugänglich.

Hölzerne Rundhütten mit strohbedeckten Dächern tauchen abseits der Küste auf. Ein traditioneller Baustil, der seine Wurzeln im melanesischen Archipel weiter östlich hat und bis heute zwei Drittel aller Gebäude im Land prägt. Vor uns stehen Felismina und Felismino, ein ergrautes Ehepaar, das zur Begrüßung einen Tais in den Händen hält. Die handgewebten Schals in bunten Farben dienen als Geschenk und drücken Anerkennung gegenüber Besuchern aus.

"Wir haben die Hoffnung, dass mit der neuen Kooperative für uns das Leben besser wird", sagt der 72-jährige Felismino, der so etwas wie der Vorsteher des Dorfes Kibra ist. Eine Siedlung auf rund 2000 Metern Höhe, die eben noch vom Tatamailau, dem höchsten Berg des Zwergstaates, überschattet wurde. Binnen Minuten ziehen dicke Wolken heran, es wird dunkel und kalt. Die umliegenden Bäume, Felder und Rundhütten geraten in die nassen Klauen des Himmels - und machen plausibel, weshalb die Idee einer landwirtschaftlichen Zusammenarbeit hier heroben in den Bergen Timor-Lestes Sinn macht.

Einfache Gewächshäuser werden mit Mikrofinanzhilfen errichtet.
© Tornow

"Zusammen können wir es schaffen und uns Gewächshäuser bauen", schildert der Bürgermeister die Träume der Familien inmitten der eigenwilligen Naturschönheit, die mühelos als Kulisse für einen Fantasy-Film herhalten könnte. Die Gewächshäuser, die vieles erleichtern sowie die Einnahmen erhöhen sollen, sind einfache Konstruktionen, für die die Menschen Bambusrohr aus der Umgebung abschneiden und zu kleinen Gerüsten auf ihren Feldern zusammenstecken. Die robusten Klarsichtfolien aber, die über die Halme gespannt werden, um die Wärme der Sonne darunter aufzustauen, kosten für hiesige Verhältnisse ein kleines Vermögen.

Alle Familien hier leben von der Subsistenzwirtschaft. Mit etwas Glück bleiben einige wenige US-Dollar, der die offizielle Währung des südostasiatischen Landes darstellt, als Ersparnis übrig. Internationale Organisationen sind engagiert, um Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. "Eine Familie allein könnte kaum den Bau der einfachen Gewächshäuser stemmen", erklärt da Custo, der als Entwicklungshelfer seine Landsleute unterstützt. "Doch zusammen als Kooperative und mit einem Mikrofinanzprojekt ist dies sehr wohl möglich."

Beispielsweise in Aileu, 36 Kilometer weiter nördlich. Hier profitieren die 21 Teilnehmer der Kooperative Hrer bereits von höheren Einnahmen. Alle zahlten zunächst eine Minimalsumme in eine Gemeinschaftskasse, aus der dann Folien, Naturdünger und andere Bestandteile für nachhaltige Landwirtschaft finanziert wurden. Mit jedem extra verdienten US-Dollar konnte man sich gemeinsam mehr leisten. Inzwischen springen kleine Gewinne für alle heraus. Ein großer Supermarkt in Dili kauft die gesamte Ernte zu festen Preisen direkt vom Feld und aus den Gewächshäusern an. Brokkoli, Blumenkohl, verschiedene Sorten Süßkartoffeln - alles findet Abnehmer. "Viele Timoresen bedenken ihre Zukunft nicht", bedauert die Projektteilnehmerin Eleonora Soares. "Aber in unserer Mikrofinanzgruppe wird genau das thematisiert."

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© Tornow

Es sind kleine Schritte für etwas Wohlstand, die allein schon wegen der herausfordernden Topografie Zeit und Mühe kosten. "Wir sind froh, dass sich jemand um uns kümmert", sagt Tomas da Silva, Bürgermeister der Gemeinde Gourema, die von einem gesponserten Kinderhort mitten in einer von Moosen grün gefärbten Felslandschaft profitiert.

In der nahegelegenen Bezirksstadt Maubisse, flankiert von haushohem Bambus, sind die Spuren der Vergangenheit zu besichtigen, die die Portugiesen hinterlassen haben. Auf ihren Streifzügen durch die Weltmeere schlugen die einst führenden Navigatoren auch in Südostasien Siedlungen auf. 1515 in Timor-Leste, wo in Maubisse der Pouzada entstand, eine Art Gouverneurssitz mit Terrassen und imposantem Ziergarten, der auf einem markanten Fels mit atemberaubendem Ausblick errichtet wurde.

Lukrative Kolonie

Die religiösen Befindlichkeiten der Einheimischen spielten dabei keine Rolle: Für den Palast, der seine architektonischen Vorbilder an der portugiesischen Algarve haben könnte, wurde kurzerhand ein angestammtes Heiligtum, ein Geisterhaus, abgerissen. Die östliche Hälfte der Insel Timor - eingeklemmt zwischen dem australischen Kontinent im Süden und der seinerzeit niederländisch besetzten Inselwelt Indonesiens im Norden - wurde zur lukrativen Kolonie. Jahrhunderte bedienten sich die Südeuropäer bei Sandelhölzern und anderen Naturprodukten, drückten dem kleinen Land ihre katholische Religion und ihre romanische Sprache auf.

Bis mit der Nelkenrevolution 1974 in Lissabon auch für die Kolonien in Übersee die Zeit für mehr Freiheit gekommen war. Den Ost-Timoresen wurde sie allerdings 1976 schon wieder genommen, denn die indonesische Armee marschierte ein. Aus der administra- tiven Sicht Jakartas ein logischer Schritt - für die eigenständig entwickelte Kultur Timor-Lestes hingegen eine Katastrophe. Tetum, die aus portugiesischen, malaysischen und melanesischen Wurzeln entstandene Landessprache, wurde verboten. Indonesische Namen wurden ausgegeben und die eben als überwunden geglaubte Ausbeutung ging unter neuer Direk-tion weiter.

"Während der indonesischen Besatzungszeit wurde hier keine Rupie investiert - und als sie nach unserem Unabhängigkeitsreferendum endlich abzogen, hinterließen sie verbrannte Erde", sagt Bürgermeister da Silva. Nach blutig niedergeschlagenen Protesten und eskalierender Gewalt mit Zehntausenden Toten stimmten am 30. August 1999 fast 80 Prozent aller Wahlberechtigten gegen den Verbleib im indonesischen Staatenverbund. Ein neues Land erschien auf der Weltkarte. Und als es endlich seine volle Souveränität gewonnen hatte, lagen 70 Prozent seiner wirtschaftlichen Infrastruktur am Boden. Zerstört von pro-indonesischen Milizen sowie abziehenden Armeeangehörigen.

Von der schmerzhaften Abnabelung von vor 20 Jahren ist heute wenig zu spüren. Indonesien tritt vielmehr als gewichtiger Geschäftspartner in Erscheinung und liefert dem abtrünnigen Nachbarn fast alles - gegen Bezahlung, versteht sich. Der Jahrhunderte andauernden Fremdbestimmung möchte die Regierung in Dili autonomes Handeln entgegensetzen.

Es geht vor allem um einen ungehobenen Schatz vor der Küste: nämlich gewaltige Gas- und Ölvorkommen. Statt überstürzt die erstbesten Angebote zur Ausbeutung aus dem Ausland anzunehmen, will Timor-Leste die Ressourcen selbst nutzen. Noch ist es nicht so weit, noch mangelt es dem Staat an geeigneten Industrieanlagen.

Schwacher Tourismus

Das spiegelt sich auch in den Straßen der Hauptstadt wider. Rund 230.000 Einwohner zählt sie, viele Leute kennen sich namentlich. Dili wirkt wie ein großes Dorf, in dem es eines von landesweit zwei Postämtern gibt und in dem die Globalisierung einzig in Form von drei US-amerikanischen Hamburger-Restaurants angekommen zu sein scheint. Die Schnellrestaurants sind meist menschenleer und nur die junge Elite der Stadt hat sie als coolen In-Treffpunkt für sich entdeckt.

Rivalisierende Gangs in den Vororten Dilis, die sich über den unkontrollierten Zuzug aus anderen Landesteilen rekrutieren, sind die größte Bedrohung für die Einwohner der Hafenstadt. "Nach Einbruch der Dunkelheit benutzen wir lieber ein Taxi oder bleiben ganz zu Hause", sagt Romaldo da Custo. Etwa 38 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze und von weniger als 1,25 US-Dollar pro Person und Tag.

Der Tourismus, der angesichts exotischer Naturschönheiten viel Potential hätte, wird von der schlechten Erreichbarkeit des Landes gebremst. Eine internationale Fährverbindung gibt es nicht und "die Flüge nach Dili sind einfach zu teuer", klagt Gabriel Selesdra vom staatlichen Tourismusamt am Largo de Lecidere, dem von Palmen gesäumten paradiesischen Strand von Dili. Laut bunter Werbetafeln können Kunden mit der heimischen Air Timor zu zwei oder drei Destinationen fliegen, je nach Jahreszeit. Tatsächlich verkauft die virtuelle Staatsfluglinie lediglich Plätze auf den Jets ausländischer Fluggesellschaften.

Einmal täglich geht es ins aus-tralische Darwin, zweimal täglich heben die Flieger fast leer nach Denpasar im indonesischen Bali ab, zweimal die Woche gibt es eine Verbindung nach Kupang im indonesischen Westteil Timors. Die Tickets kosten je Richtung 200 bis 300 Euro - und damit etwa fünf hiesige durchschnittliche Monatslöhne. Wahrlich kein Pappenstiel und unerschwinglich für die meisten Menschen in Timor-Leste, die nach der gewonnenen Freiheit nun von der wirtschaftlichen Entwicklung träumen.

Marc Tornow, geboren 1972, lebt als Journalist in Hamburg und arbeitet für verschiedene Zeitungen.