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US-Bomber auf dem Meeresgrund

Von Michael Biach

Wissen
"Fliegende Festung" genannt: Das Wrack ist eines der letzten erhaltenen Exemplare des Bombertyps B-17 G.
© Franz Mittermayer

Vor der adriatischen Insel Vis liegt in 72 Meter Tiefe das Wrack eines Kampfflugzeugs, das 1944 einen Luftangriff auf Wien fliegen sollte. Ein Tauchgang in die Geschichte.


Noch einmal kontrollieren wir an der Wasseroberfläche treibend unsere umfangreiche Tauchausrüstung. Die Ventile unserer Doppelstahlflaschen, die mit einem Helium-Sauerstoff-Stickstoff-Gemisch gefüllt sind, müssen erreicht werden, um bei Problemen mit der Luftversorgung richtig reagieren zu können. Der um den Hals liegende, zwei Meter lange Schlauch des Atemreglers, der im Notfall an den Tauchpartner abgegeben wird, muss frei liegen.

An unserer linken Seite platzieren wir weitere Aluminiumflaschen, eine davon mit reinem Sauerstoff, die wir für die spätere Dekompression während des langwierigen Aufstiegs an die Oberfläche benötigen werden. Wir signalisieren uns gegenseitig, dass wir für den Abstieg bereit sind. Mit einem lauten Zischen entweicht die Luft aus unseren Auftriebskörpern und langsam sinken wir in das tiefe dunkelblaue Meer hinab.

Das Ziel unseres Tauchgangs ist eine 23 Meter lange und 32 Meter breite Boeing B-17 G, ein schwerer Bomber aus dem Zweiten Weltkrieg, der vor 75 Jahren vor der Küste der heutigen kroatischen Insel Vis im Meer versunken ist. Aufgrund der großen Tiefe von über 70 Metern und der damit verbundenen logistischen Planung eines Tauchgangs ist die Erkundung des Flugzeugwracks nur entsprechend ausgebildeten Tauchern vorbehalten. In 50 Metern Tiefe können die ersten Umrisse des Flugzeugkolosses im glasklaren Wasser ausgemacht werden.

Gesamtansicht des Kampfflugzeuges von vorne.
© Franz Mittermayer

Schnell wird klar, warum die B-17 aufgrund ihrer Größe im Krieg auch als Flying Fortress, als fliegende Festung, bezeichnet wurde. Das Wrack ist eines der letzten erhaltenen Exemplare dieses Bombertyps und unter Wasser in diesem Erhaltungszustand sogar einzigartig. Doch wie kam dieser Gigant vor einer entlegenen Insel mitten in der Adria auf den Grund des Meeres?

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Im Jahr 1944 herrscht über Österreich und Süddeutschland ein unerbittlicher Luftkrieg, zahlreiche Städte werden von britischen und amerikanischen Luftstreitkräften bombardiert, um das nationalsozialistische Reich in die Knie zu zwingen. Leidtragender ist vor allem die Zivilbevölkerung. Alleine in Wien sterben knapp 9000 Menschen durch Luftangriffe.

Aber auch die alliierten Flugzeugbesatzungen müssen aufgrund der immensen Luftabwehreinrichtungen ständig um ihr Leben fürchten. Viele Angriffe werden von der italienischen Luftwaffenbasis Amendola aus geflogen. Dort beginnt auch die kurze Geschichte der B-17 mit der Seriennummer 44-6630. Neu gebaut kommt das Flugzeug am 3. November 1944 auf der Basis an und wird bereits am 6. November auf den ersten Kampfeinsatz mit Angriffsziel Wien geschickt.

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Auf unserem Weg in die Tiefe nimmt das Tageslicht mit jedem Meter weiter ab, nur dank starker Unterwasserlampen können wir in 72 Metern jedes Detail des beinahe perfekt erhaltenen Flugzeugwracks erforschen. Aufrecht, wie auf einer Landebahn stehend, liegt die Maschine im schlammigen Meeresboden. Das linke Fahrgestell ist ausgefahren, ein Reifen ist deutlich zu erkennen, während der rechte Tragflügel auf dem Grund liegt. Der Flugzeugrumpf wurde nach dem Aufprall in den Grund gedrückt, durch die offenen Fenster der Seitenkabine können wir die Flugzeugkabine untersuchen. Die meisten Armaturen scheinen noch intakt, viele Anzeigen sind perfekt erhalten und lesbar, Hebel und Griffe stehen in derselben Position wie vor einem Dreivierteljahrhundert, als die B-17 unterging.

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Von Amendola aus startet der Bomber mit seiner zehnköpfigen Besatzung am 6. November 1944 Richtung Wien. Der Flug der Formation verläuft ruhig, wie Merrle C. Sieling, der Steuerbordschütze, knapp ein halbes Jahrhundert später berichten wird. Doch über Wien angekommen, verhindert eine starke Wolkendecke über der Stadt eine weitere Bombardierung. Der Pilot Irving G. Emerson wird angewiesen, mit weiteren Bombern der Formation das Ausweichziel Maribor anzufliegen.

Die slowenische Stadt ist während des Krieges ein wichtiger Eisenbahnknoten, Angriffe sind keine Seltenheit, und die Luftabwehr ist entsprechend gerüstet. Innerhalb kürzester Zeit wird die B-17 von dutzenden Luftabwehrgranaten beschossen, eine davon explodiert schließlich knapp unter dem Flugzeug. Die Wucht der Detonation muss enorm sein, es dauert eine Weile, bis die Crew eine Schadensmeldung abgeben kann.

Schnell wird klar, dass das Hydrauliksystem irreparabel beschädigt wurde. Der Bombenschacht kann nicht mehr geschlossen werden, das linke Fahrgestell wird ausgefahren. Der Pilot muss feststellen, dass bereits einer der vier Motoren ausgefallen ist, ein weiterer verliert massiv an Öl. Emerson hat also keine andere Wahl, als mit den zwei verbliebenen Motoren den nächsten verfügbaren Landeplatz anzufliegen.

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Erkundung der der Kuppel des Bombers.
© Franz Mittermayer

Bei unserem Tauchgang inspizieren wir die Motoren und denken daran, wie es wohl für die Crew gewesen sein muss, als alle vier nacheinander ausfielen. Im Innenraum des Flugzeugs erkennen wir die Tür zur Funkkabine und entdecken auch die aus Plexiglas bestehende Flakkuppel mit den Maschinengewehren, die - am Heck angebracht - zur Abwehr gegnerischer Flugzeuge dienten. Um das Wrack herum liegen Teile der Fallschirme, die die Crew jedoch nicht einsetze. Im Inneren der Pilotenkanzel bemerken wir unterhalb der Steuergriffe auch Reste von Schuhen und Kleidung. Welchem Besatzungsmitglied sie gehörten, wissen wir nicht, es ist dennoch ein schauriges Bild, immerhin ist die B-17 auch ein Kriegsgrab.

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Unmittelbar nach dem Granatentreffer fordert der Pilot Irving G. Emerson seinen Steuerbordschützen Merrle C. Sieling auf, in die Pilotenkanzel zu kommen, der Kopilot Ernest N. Vienneau habe eine schwere Kopfverletzung und benötige Hilfe. Sieling kann, wie er später als Zeitzeuge berichten wird, unter größter Anstrengung den offenen Bombenraum überqueren und Vienneau erreichen.

In der Zwischenzeit fällt auch der dritte Motor aus und Pilot Emerson bietet seiner Mannschaft an, das Flugzeug mit dem Fallschirm zu verlassen. Da aber noch nicht klar ist, ob Vienneau überleben wird und ein Sprung für einen Schwerverletzten keine Option darstellt, entschließt sich die Besatzung, an Bord zu bleiben, bis man den Landeplatz auf der Insel Vis erreicht.

Vis ist zu dieser Zeit das Hauptquartier der jugoslawischen Partisanen unter Tito. Dort können beschädigte Flugzeuge notlanden, sofern sie mit der kurzen Landebahn auskommen und diese überhaupt frei ist. Merrle Sieling muss indessen feststellen, dass Vienneau verstorben ist und nicht mehr gerettet werden kann. Als Emerson das Flugzeug Richtung Landebahn steuert, sieht er eine rote Leuchtrakete am Himmel aufsteigen, ein Hinweis darauf, dass die Landebahn blockiert ist und er nicht landen kann.

Zu diesem Zeitpunkt fällt auch der letzte Motor der B-17 aus und der Pilot hat keine andere Möglichkeit mehr, als eine kontrollierte Wassernotlandung zu wagen. Die Crewmitglieder begeben sich in den Funkraum, Emerson und der regungslose Vienneau verbleiben in der Pilotenkanzel. Tatsächlich gelingt es Emerson, das Flugzeug ohne große Beschädigungen an der glatten Meeresoberfläche zu landen.

Ein Blick ins erstaunlich gut erhaltene Cockpit.
© Franz Mittermayer

Als das Flugzeug zum Stillstand kommt, öffnet Sieling die obere Tür des Funkraumes und die Besatzung klettert auf den Flugzeugrumpf. Mit einem Rettungsfloß verlassen sie das Wrack. Den leblosen Körper von Vienneau können sie nicht mitnehmen. Nach einer Weile geht die B-17 mit den sterblichen Überresten des Kopiloten unter und sinkt hinab auf den Grund des Meeres. Ein halbes Jahrhundert bleibt der Bomber unentdeckt, bis slowenische Taucher ihn vor der südlichen Küste der Insel Vis finden. Die Überreste von Ernest Vienneau werden später zum Teil von amerikanischen Marinetauchern geborgen.

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Nach einer halben Stunde am Flugzeugwrack müssen wir uns schließlich auf den beschwerlichen Rückweg machen. Es wird eine weitere Stunde brauchen, bis sich unsere Körper an den reduzierten Umgebungsdruck gewöhnt haben und wir die in der Tiefe aufgesättigten Gase Helium und Stickstoff aus unserem Körper wieder abgeatmet haben, um nicht Gefahr zu laufen, einen Dekompressionsunfall zu erleiden.

Noch einmal suchen die starken Lichtkegel unserer Tauchlampen den Flugzeugkoloss, so wie einst die großen Scheinwerfer der Flugabwehr den Bomber am Himmel. Doch diesmal herrscht absolute Stille und zurück bleiben nur die Gedanken an dieses einzigartige Mahnmal gegen den furchtbaren Krieg, der auf allen Seiten so viel Leid und Trauer hervorbrachte.

Michael Biach, geboren 1979, ist freier Journalist, Fotograf und begeisterter Wrack- und Höhlentaucher.

Franz Mittermayer erforscht als Unterwasserfotograf seit über 25 Jahren untergegangene Wracks in den Weltmeeren.