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Hochhäuser der anderen Art

Von Christian Hlavac

Reflexionen
Ein Gärtner im "Kommandostand" des Turmglashauses in Langenlois (Sommer 1963).
© Fritz Weigl

Auf den Spuren der Turmgewächshäuser des Wieners Othmar Ruthner, die den Anbau von Gemüse im urbanen Raum hätten revolutionieren sollen.


In den 1960er Jahren waren Hochhäuser in den meisten europäischen Städten eine Seltenheit. Daher darf es uns nicht verwundern, dass damals neuartige Türme mit bis zu 54 Meter Höhe große Aufmerksamkeit erregten. Noch dazu, wenn in diesen Hochhäusern nicht Menschen wohnten oder arbeiteten, sondern Zier- oder Gemüsepflanzen in einer Art Paternoster ihre Runden drehten.

Diese vertikale Gewächshauskultur verdankte man dem Wiener Ingenieur Othmar Ruthner. Bekannt wurde er später durch die Erfindung des Turmglashauses, das den Gartenbau und die Ernährungssituation in der Welt revolutionieren sollte. Es kam jedoch anders. Das zeigt sich auch daran, dass heute kein einziger Turm mehr in Betrieb ist.

Othmar Ruthner, um 1970.
© Archiv Oswald Ruthner / Photo Simonis

Othmar Ruthner (1912-1991), in Wien-Rudolfsheim als Sohn eines Elektrikers geboren, war nach einem technischen Studium bei den Böhler Ybbstalwerken tätig. 1946 gründete er in Wien seine eigene Firma, die "Ruthner Elektrochemisch-Metallurgische Industrieanlagen". In den späten 1950er Jahren verschob sich jedoch sein beruflicher Fokus hin zum sogenannten "Industriellen Pflanzenbau". Seine ersten Verfahrenspatente aus diesem Bereich stammen aus dem Jahr 1958. Sichtbares Zeichen war das Turmglashaus, dessen größtes Exemplar mit 54 Meter Höhe von 1966 bis 1984 im polnischen Chorzów nahe Katowice stand.

Die Wiener Türme

Bereits Monate vor Eröffnung der Wiener Internationalen Gartenschau 1964 auf dem Gelände des späteren Donauparks wurde in Medien eine "Weltsensation" auf dem Gebiet der Gartenbautechnik und eine "Revolution im Pflanzenbau" angekündigt: das Turmglashaus Ruthners, welches während der Schau für 10 Schilling Eintrittsgebühr zugänglich war.

Das insgesamt 42 Meter hohe Rundgebäude mit einer Nutzfläche von 1.000 m2 diente der Produktion von Jungpflanzen, Blumen und Gemüse. Auf einem sich ständig im Umlauf befindlichen Paternoster hingen auf 282 Hängevorrichtungen insgesamt 35.000 Töpfe. An der tiefsten Stelle befand sich eine Tauchwanne, die mit Wasser und einer Nährlösung gefüllt war. In der offiziellen Broschüre zur Gartenschau wurden die Übertragung industrieller Methoden in die Agrikultur, die erhöhte Wirtschaftlichkeit, eine Personaleinsparung und eine hohe Qualität des Pflanzenmaterials unabhängig von Standort und Klima hervorgehoben.

Ein weiteres Turmglashaus stand ab 1964 bei der Baumschulfirma Christenson in Alt-Erlaa (Wien-Liesing). Es wurde für die kontinuierliche Produktion von Jungpflanzen eingesetzt.

Die beiden Glashaustürme in der Gartenbauschule Langenlois auf einer Aufnahme von 1964.
© Sammlung Christian Hlavac

Diese beiden Turmgewächshäuser in Wien hatten in der Gärtnerei der Gartenbauschule im niederösterreichischen Langenlois zwei kleinere Vorgänger. Der sechseckige Prototyp aus 1963 mit Paternoster-Umlaufsystem für Saatkisten wies eine Gesamthöhe von 11 Meter auf. Anfang 1964 folgte ein zweites Exemplar - diesmal mit rundem Grundriss und 22 Meter Gesamthöhe -, das mit Pflanztöpfen für Blumen ausgestattet wurde.

Auch in Wiener Neustadt stand auf dem Gelände der Stadtgärtnerei ein 10,5 Meter hoher Ruthner-Turm. Er wurde 1964/1965 errichtet und wies einen sechseckigen Grundriss auf. Die Umlaufgeschwindigkeit des Paternosters betrug rund 1,8 Meter pro Minute, die Umlaufzeit rund 20 Minuten. Auf die Hängevorrichtungen konnte man Töpfe, Schalen oder Blumenkästen stellen. Einen weiteren Glashausturm in Niederösterreich gab es in der Gärtnerei Starkl in Tulln. Er diente ausschließlich als platzsparender "Blumenspeicher".

Bei all diesen Turmglashäusern war das Ziel das gleiche: die kontinuierliche Produktion von Pflanzen auf Fließbändern - hier eben vertikal und nicht wie bisher üblich horizontal.

Am Anfang der Geschichte dieser Erfindung stand ein hehres Ziel: die Produktion von Nutz- und Zierpflanzen zu vereinfachen und effizienter zu handhaben sowie auf einer geringen Grundfläche eine möglichst große Nutzfläche zu gewinnen. Mit seinem neuen Prinzip wollte Ruthner - so seine eigenen Worte - "kontinuierlich Pflanzenrohstoffe in beliebigem Ausmaße unabhängig vom Standort und Jahreszeit produzieren" können, indem Pflanzen auf dreidimensional geführten Fließbändern in künstlichen Wurzelräumen kultiviert werden. Er wollte mittels der Produktion von Frischgemüse an Ort und Stelle, vor allem in Millionenstädten, eine ganzjährige gesunde Ernährung ermöglichen.

Ein anonymer Autor in "Eipeldauers Gartenzeitung" schwärmte im September 1963 von der Erfindung: "Ein Wiener Ingenieur hatte einen genialen Einfall, der den Gartenbau und vielleicht sogar die Landwirtschaft revolutionieren wird." Mit seinem Turmglashaus "wird die traditionell zweidimensionale Anbaufläche verlassen und der dreidimensionale Raum zur Pflanzenproduktion verwendet". Mit der Erfindung "ist auch der bäuerliche Mensch nunmehr in der Lage, sich die Erde untertan zu machen, er ist nicht mehr absolut den Naturelementen ausgeliefert". Der Autor sah das Turmglashaus als großen "Beitrag zur Bekämpfung des Hungers in der Welt".

In der gleichen Zeitschrift hieß es im April 1964: "Der Gärtner muß nicht mehr zu den Pflanzen hingehen, sondern die Pflanzen kommen nach einem wohldurchdachten Fließbandsystem in fortlaufender Auf- und Abwärtsbewegung zum Gärtner." Der menschliche Körperkraft sparende Ansatz wird auch in einem Foto aus dem Sommer 1963 deutlich: Es zeigt einen sitzenden Gärtner, der mit einer Brause die vorbeikommenden Pflanzentöpfe gießt.

Sogar das deutsche Magazin "Der Spiegel" sprach Mitte 1965 vom "im Lehnstuhl sitzenden Gärtner", der das Gemüse "ohne sich zu erheben, düngt, jätet und begießt". Das hoffnungsvolle Fazit des Autors: "Entspannte Gärtner, denen Rückenschmerzen fremd sind, und eine Menschheit ohne Hunger."

Gründe des Scheiterns

Bei den meisten Türmen machten die aufwendige Wartung und die hohen Kosten für den Strom eine effiziente Produktion unmöglich, wobei der hohe Energieverbrauch auch heute noch als ein großes Problem des "vertical farming" gilt. Die Stromkosten waren nicht nur aufgrund des permanent laufenden Paternosters hoch. Es bedurfte bei den großen Turmgewächshäusern auch mehrerer Ventilatoren, welche die sich im oberen Teil des Turmes ansammelnde warme Luft nach unten befördern mussten.

Das Ziel, den Pflanzen überall im Turm die gleichen klimatischen Bedingungen zu bieten, war daher nur durch einen hohen Energieeinsatz zu erreichen. Die steigenden Strompreise im Zuge der Energiekrisen in den 1970er Jahren trugen das Ihre zu den hohen Betriebskosten bei. Summa summarum lag das Grundproblem im zu hohen Investment bei geringen Einnahmen und (noch heute) fehlender Kostenwahrheit im Pflanzenbau. Somit dauerte die Amortisationszeit viel zu lange. Die Verlagerung der Anbauflächen in die Länder des Südens verstärkte das Problem.

Turmgewächshaus für Blumenkulturen in Chorzów (Polen).
© Othmar Ruthner

Es ist leider unmöglich, alle ehemaligen Standorte von Turmglashäusern zweifelsfrei zu bestimmen. Die Gesamtzahl wird um die 29 betragen haben. Sie standen nicht nur in Österreich und in Polen, sondern unter anderem auch in der Schweiz, in der BRD, in Schweden und im Iran. Doch kein einziges von ihnen ist heute noch in Betrieb - alle wurden abgebaut. So trug man das Turmgewächshaus auf dem Gelände der Wiener Internationalen Gartenschau 1964 nach deren Ende ab, da die Stadt Wien das Gelände in einen öffentlichen Park umwandelte. Der Turm wurde nach Krefeld in der BRD verkauft und dort in einem Gärtnereibetrieb ausschließlich für die Anzucht von Anthurien verwendet. Mit der Verbauung des Gärtnereigeländes in den 1980er Jahren verschwand dieses Exemplar.

Auch die Türme in Langenlois existieren nicht mehr: Der kleinere der beiden musste aus technischen Gründen außer Betrieb genommen werden. Anfang der 1990er Jahre war er so desolat, dass man ihn abbaute. Der große Turm war hingegen bis in die 1990er in Verwendung und wurde 1998 als Altmetall entsorgt.

Auf dem Gelände der Wiener Internationalen Gartenschau 1974 in Wien-Oberlaa hatte Othmar Ruthner bereits ein Jahr vor der Veranstaltung ein vollklimatisiertes Test-Haus mit zwei Türmen errichtet, von dem heute nur mehr die metallene Außenhaut samt Nebengebäuden existiert.

Noch funktionsfähig

Der Turm in Wiener Neustadt wurde hingegen erst 2006 außer Betrieb genommen. Er musste einem Hotel-Projekt weichen, wurde im Jahr 2017 zerlegt und fristet heute im Freien und daher kaum geschützt sein Dasein. Bei diesem Turm hat man es mit einer Besonderheit zu tun: Es handelt sich mit großer Wahrscheinlichkeit um das einzige erhaltene Turmgewächshaus von Othmar Ruthner auf der ganzen Welt, das noch funktionstüchtig wäre.

Mit der nötigen zeitlichen Distanz lässt sich festhalten, dass die noch heute Aufsehen erregenden Ideen Othmar Ruthners nicht nur in der Praxis, sondern auch im Ansatz selbst scheiterten. Die damaligen Erwartungen waren hoch gesteckt und ignorierten Erkenntnisse, die im Zuge der Ökosystemforschung immer deutlicher formuliert wurden. So wissen wir heute, dass der Boden als komplexes, lebendes System nicht einfach zu ersetzen ist und nicht beliebig generiert werden kann. Ruthner entfernte sich - im guten Glauben - vom erdbodengebundenen Pflanzenanbau.

Dass die notwendige Energieversorgung bei einem großflächigen Einsatz der Turmglashäuser indirekt zu großen Flächenverlusten geführt hätte, übersah man damals noch. Erst in der Zeit der Energiekrisen in den 1970er Jahren erkannte die Gesellschaft, dass Strom nicht einfach aus der Steckdose kommt. Zusätzlich erschwerte die Verlagerung der Produktion von Gemüse und Zierpflanzen in südliche Billiglohn-Länder einen betriebswirtschaftlichen Erfolg.

Trotz dieser ernüchternden Bilanz darf Othmar Ruthner auf der einen Seite als ein österreichischer Pionier des "vertical farming" gelten, auf der anderen Seite war er ein heute fast vergessener Pionier des Industriellen Pflanzenbaus.

Christian Hlavac ist Garten- und Landschaftshistoriker sowie Publizist. Soeben ist sein Buch "Wiener Parkgeschichten" (Amalthea Verlag) erschienen.