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Meine geliebte Briefwelt

Von Willy Puchner

Reflexionen
© Willy Puchner

Wie das Schreiben, Zeichnen und Nähen von Briefen Teil meines Alltags wurde.


Briefe, Postkarten im Sinne von Art-Mail, Bilder mit genähten Applikationen oder geklebten Fundstücken - all das gehört zu meiner Brief-Welt, einer Welt, die für mich so notwendig ist wie Essen, Trinken und Schlafen. Sie ist Teil meiner Grundbedürfnisse, sie ist mein Lebenselixier, mein Zaubertrank, mein Aufputschmittel. Mit ihr belohne ich mich. Sie erheitert und sie beruhigt mich.

Begonnen hat es bei meiner vierjährigen Reise mit den Pinguinen Joe & Sally, einer Reise, bei der ich viel Zeit hatte. Bedingt durch das Unterwegssein in einer fremden Welt, versuchte ich neben meinen Materialbüchern, in die ich alles Mögliche hineingeschrieben, -geklebt und -gezeichnet habe, mit Menschen weltweit zu kommunizieren. Ich konnte mit kleinen und auch größeren Poststücken experimentieren, mich selbst verwirklichen, und ich erlebte auch eine gewisse Art von Trost.

© Willy Puchner

Bei meinen Reisen hatte ich in den Hotelzimmern das Allerwichtigste für meinen Briefverkehr vorbereitet, das, was ich den "kleinen Kritzelbedarf" nenne: Zeichenpapier, leere Postkarten, Bleistifte, Wasserfarben, Pinsel, Buntstifte, Füllfedern, allerlei Briefmarken, Klebstoff, selbstgemachte Stempel, eine Lupe und Fundstücke, die ich von draußen mitgebracht hatte.

Im Lauf der Jahre hat sich meine Korrespondenz verändert: Waren es anfangs kleine Grußpostkarten oder exklusiv gestaltete Briefmarken, wurden es immer längere Texte, die sich mit Zeichnungen und Fundstücken vermischten, sogenannte Bilderbriefe, in denen eine Seite ein spezielles Text-Bild-Gefüge war.

So saß ich jeden Tag lange am Hoteltischchen und stellte mir oft die Frage: Wem schreibe ich heute? Ich habe von diesem und jenem zu berichten, will eine kurze Geschichte erzählen, ein Bild zeigen, aber auch mitteilen, dass ich dich einfach mag, schätze, liebe!

So wurde die Briefwelt Teil meines Alltags, wo immer ich auch bin, ob zu Hause oder irgendwo anders; täglich schreibe und zeichne ich und sende Botschaften an Freunde, Bekannte und manchmal auch an Wildfremde. Ich weiß mittlerweile, dass ich vielen Menschen damit eine große Freude mache. Ob ich damit ein Leben gerettet habe, glaube ich nicht, aber sicher den einen oder anderen Tag.

© Willy Puchner

Neu ist, dass ich seit mehr als zwei Jahren zu nähen begonnen habe. Daran interessiert mich der fortlaufende Faden, das aus Fasern zusammengesetzte Gebilde, das ich mit dem Schreiben und Zeichnen verbinde. Da ich so gut wie nie das Gefühl habe, den Faden zu verlieren, hilft mir diese Aufgabe im Labyrinth meiner Lebensreise einen Weg zu gehen, der Struktur und Ordnung schafft. Auf eine gewisse Art habe ich auch das Gefühl, dass ich damit die unzähligen Fäden, die durch die Luft schwirren, zusammenbinde und gelegentlich verschnüre.

Vielleicht ist es auch die Zeit, die ich in meinen Arbeiten und Poststücken speichere und verpacke, Zeit für scheinbar Unnützes, Sinnloses oder Überflüssiges. Und doch weiß ich, dass es das Kostbarste ist, das ich hier und jetzt in diesem Dasein habe: Zeit. Ich wiederhole es noch einmal: Zeit!

© Willy Puchner

Die letzten Monate habe ich, bedingt durch Corona, meine kleinen Reisen rund um mein Bauernhaus auf die nahe Umgebung verlegt. In meinem Rucksack habe ich das Notwendigste eingepackt, eine Art kleines mobiles Büro, meinen Kritzelbedarf, mein Materialbuch, Briefpapier und ein wenig Proviant. Ich mache Rast, nachdem ich eine Zeitlang gegangen bin, und überlege, wem ich heute unbedingt das eine oder andere erzählen möchte, versuche meine inneren und äußeren Bilder zu verbinden.

Würde man mir - bedingt durch die Lockdown-Maßnahmen - den Weg zum Postamt verbieten und ich dürfte mein Bauernhaus nur noch in Ausnahmefällen verlassen, würde ich mir zwei bis drei Brieftauben zulegen und sie so trainieren, dass sie frühmorgens meine Poststücke abholen und zum Postamt bringen. Danach würde ich sie ausreichend mit bestem Vogelfutter versorgen, einer Mischung aus Mais, Weizen, Gerste, Hafer, Reis und Buchweizen. Ich frage mich, ob ich schon mit dem Bau eines einfachen Taubenschlages beginnen sollte.

Aber noch überlege ich. Ich habe, so glaube ich, einen anderen, besseren Weg gefunden, der vorerst genauso geheim bleibt wie ein gut gehütetes Briefgeheimnis...

 

Willy Puchner ist Fotograf, Zeichner und Autor. Siehe auch: www.willypuchner.com