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Österreichs erster NS-Prozess

Von Markus Roschitz

Wissen
Drei Akteure im Umfeld des Prozesses: Der steirische Gauleiter Walther Oberhaidacher (links), Hans Frank, NS-Justizminister in Bayern (Mitte), und Hans Unterberger, der Anwalt von Rudolf Steiner, im Mai 1933. Die Zeitung "Der Kampf im Bild", der das Foto entnommen ist (Folge 6/1933), wurde wenig später verboten.
© M. Roschitz

Nach einer Razzia im Mai 1933 ging die Justiz erstmals gegen heimische Nationalsozialisten vor.


Am 31. Mai 1933 wurden bei einer bundesweiten Polizeiaktion in den sogenannten "Braunen Häusern" und bei führenden Nationalsozialisten Hausdurchsuchungen vorgenommen. Noch war die NSDAP in Österreich nicht illegal, das wenig später, am 19. Juni erlassene "Betätigungsverbot" war allerdings schon absehbar. Die Aktion sei, wie die nationalsozialistischen und deutschnational ausgerichteten Blätter mit sichtlicher Genugtuung berichteten, vollkommen erfolglos verlaufen. Im südweststeirischen Pölfing-Brunn wurden jedoch Briefkonzepte sichergestellt, die zu einem heute vergessenen, damals aber aufsehenerregenden Hochverratsprozess führten.

Die Gendarmerie von Pölfing-Brunn fand bei einem pensionierten Werksbeamten der Graz-Köflacher Eisenbahn- und Bergbaugesellschaft (GKB) namens Friedrich Stočes insgesamt 25 Briefkonzepte, die die Staatsanwaltschaft Graz als hochverräterisch auslegte. Wie sich schnell herausstellte, war jedoch nicht er, sondern der 56-jährige ehemalige Generaldirektor des Unternehmens, Ing. Rudolf Steiner, der eigentliche Urheber dieser Konzepte - Stočes hatte sie nur auf Diktat Steiners in seine Maschine getippt. Wenige Tage später wurden sie beide in Haft genommen und dem Landesgericht für Strafsachen Graz überstellt.

Die vorgefundenen Konzepte hatten prominente Adressaten: die Notare Dr. Friedrich Rigele in Berlin und Linz und Dr. Franz Hueber in Mattsee, beide mit Hermann Göring verschwägert, den steirischen NS-Gauleiter Walther Oberhaidacher und den bayerischen Justizminister Dr. Hans Frank.

Gegen Österreich

Rudolf Steiner, engagierter Nationalsozialist in der Steiermark, stand wegen Hochverrats vor Gericht.
© Erich Wozonig

Steiner, der als Leiter der NS-Wirtschaftsabteilung auch Mitglied der steirischen Gauleitung der NSDAP war, brachte bereits im April 1933 in den Briefen an Rigele zum Ausdruck, dass angesichts der großen Bedeutung der deutschen Urlaubsgäste für Österreich eine "Fremdenverkehrssperre" das effektivste Mittel sei, um die "Regierung Dollfuß und das jetzige System nieder zu kämpfen". Dahinter stand eine simple Logik: "Wenn Oesterreich die deutschen Nationalsozialisten hier im Lande nicht sehen will, dann muß es eben auch auf die sonstigen Besucher verzichten."

Während Steiner und Rigele bereits seit längerem freundschaftlich verbunden waren, hatte er den bayerischen Justizminister erst am 14. Mai 1933 in Graz kennengelernt. Dem Besuch Franks war ein außenpolitischer Eklat vorangegangen: Nachdem der Minister sich in einer vom bayerischen Rundfunk übertragenen Rede abfällig über die österreichische Regierung geäußert hatte, erklärte diese seinen Besuch in Österreich für "unerwünscht" - was ihn nicht hinderte, dennoch zu kommen. Bei seiner Rede auf dem Grazer Schlossberg goss Frank weiter Öl ins Feuer, indem er Bundeskanzler Dollfuß verhöhnte und Maßnahmen der deutschen Reichsregierung ankündigte, die den österreichischen Fremdenverkehr hart treffen würden.

Wohl unter dem unmittelbaren Eindruck dieser Rede diktierte Steiner einen Brief an Frank persönlich. Steiner ließ den Minister wissen, dass dessen Rede am Grazer Schlossberg in der österreichischen Politlandschaft "wie eine Bombe eingeschlagen" habe. Seitens des Deutschen Reichs solle mit der Bundesregierung aber keine Verständigung gesucht werden, im Gegenteil: Es bräuchte gegen Österreich "die Durchführung wirtschaftlicher Vergeltungsmassnahmen, wie Fremdenverkehrssperre, Erschwerung des Handelsverkehres und ähnliches".

Elf Tage später gab die deutsche Reichsregierung ihren Beschluss bekannt, von allen nach Österreich ausreisenden Reichsangehörigen ab dem 1. Juni 1933 eine Taxe von 1.000 Reichsmark einzuheben. In der Folgezeit ging die Zahl deutscher Urlaubsgäste in Österreich beträchtlich zurück. Das von Rudolf Steiner in den Briefkonzepten an Friedrich Rigele und Hans Frank beschworene Szenario war also Wirklichkeit geworden. Allein zum Sturz der Regierung Dollfuß kam es nicht.

Aus dem Prozessakt von Steiner und Stočes.
© Steiermärkisches Landesarchiv

Steiner wurde am 7. Juni 1933 in Graz das erste Mal gerichtlich vernommen. Zum Vorwurf des Hochverrates bekannte er sich als nicht schuldig. Über die bei Stočes vorgefundenen Konzepte sagte Steiner aus, dass sie "zum grossen Teile gar nicht, zum anderen Teile in gänzlich geänderter Form, meist von mir selbst mit der Hand geschrieben, abgegangen sind".

Friedrich Stočes erklärte, sich keiner strafbaren Handlung schuldig zu fühlen, da er lediglich gegen Bezahlung manchmal Schreibarbeiten von Steiner übernehme. Die bei ihm gefundenen Konzepte habe er auf Steiners Diktat "mechanisch geschrieben", ohne sich dabei "über den Inhalt der Briefe Gedanken zu machen".

In einer weiteren Vernehmung versuchte Steiner, die ihn so schwer belastenden Briefkonzepte mit seiner unbefriedigenden beruflichen Situation zu erklären. Nach seinem vom GKB-Präsidenten Viktor Wutte eingefädelten ungewollten Ausscheiden aus dem Eisenbahn- und Bergbauunternehmen im Jahre 1926 habe er in "Stimmungen, die begreiflicherweise oft der Verzweiflung nahe waren, wiederholt Briefe an massgebende Persönlichkeiten gerichtet, die weit über das Ziel schossen, ohne mir zu nützen und habe ich es mir seit jener Zeit zur Pflicht gemacht, zunächst Briefkonzepte zu entwerfen, diese dann gewissermassen abliegen zu lassen und selbst zur Ruhe zu kommen und habe dann die Konzepte entweder ganz weggeworfen oder an Hand derselben Briefe in ganz geänderter Fassung abgehen lassen." Das habe auch für die bei Stočes gefundenen Konzepte gegolten.

Außerdem würden die in diesen Briefkonzepten zum Ausdruck gebrachten Gedanken auch gar nicht von ihm selbst stammen, sondern seien schon "lange früher in den verschiedensten deutschen Blättern niedergelegt" worden.

Der bayerische NS-Minister Hans Frank sagte in München zu dem Prozess aus.
© Steiermärkisches Landesarchiv

Auf Steiners schriftlichen Antrag setzte das Grazer Landesgericht ein Schreiben an das Amtsgericht München auf, in dem ersucht wurde, "Herrn Minister Frank und Herrn Fritz Rigele ehestens und eingehend als Zeugen zu vernehmen". Tatsächlich erklärten sich beide zur erbetenen Zeugeneinvernahme bereit, was die politische Brisanz des Hochverratsprozesses verdeutlicht.

Am 25. Juli 1933 sagte Frank im Amtsgericht München aus, "mit Bestimmtheit angeben" zu können, niemals einen Brief von Rudolf Steiner aus Pölfing-Brunn erhalten zu haben. Das Gespräch, welches Steiner mit ihm in Graz geführt haben wollte, sei ihm nicht mehr erinnerlich. Stattdessen legte Frank wortreich dar, dass nicht "irgend welche harmlose und gutmeinende Briefschreiber" am Zustandekommen der sogenannten Tausend-Mark-Sperre schuld seien, sondern ausschließlich die österreichische Bundesregierung.

Sechs Geschworene

Auch Friedrich Rigele, der am 29. Juli 1933 im Amtsgericht München seine Aussage machte, belastete Steiner nicht. Er gab zwar zu, mehrmals Briefe vom ehemaligen Generaldirektor der GKB erhalten zu haben, doch nicht jene, die das Landesgericht Graz in Abschrift als Beweismaterial nach München übermittelt hatte.

Die Hauptverhandlung gegen Rudolf Steiner und Friedrich Stočes fand am 29. September 1933 im Grazer Landesgericht statt, das durch ein starkes Polizeiaufgebot gesichert werden musste. Für die Dauer der Verhandlung wurde das Publikum ausgeschlossen, da die öffentliche Ruhe und Ordnung dadurch hätte gefährdet werden können. Die Urteilsfällung in dieser Strafsache wurde zur Gänze der Geschworenenbank überlassen, die mit fünf Männern und einer Frau besetzt war.

Steiner suchte die Anklage wegen Hochverrat mit zwei Argumentationslinien zu entkräften: Die erste ging dahin, glaubhaft zu machen, dass er die Briefe in einem seelischen und körperlichen Ausnahmezustand diktiert habe. In der zweiten Argumentationslinie zielte Steiner darauf ab, sich selbst als einen Menschen darzustellen, der allein schon aufgrund seiner verdienstvollen Vergangenheit bei der GKB niemals einen Hochverrat oder eine Schädigung der wirtschaftlichen Interessen Österreichs im Sinn haben könne.

Stočes wiederholte bei der Hauptverhandlung im Wesentlichen nur seine bisherige Rechtfertigung, ein reiner Handlanger ohne jede innere Anteilnahme gewesen zu sein.

Die "Hauptfrage" an die Geschworenen.
© Steiermärkisches Landesarchiv

Die Geschworenen hatten im Anschluss daran über mehrere Fragen zu beraten, die zu einer einzigen Frage zusammengefasst wurden. Sie war mit "ja" oder "nein" zu beantworten und entschied über Schuld oder Unschuld der Angeklagten. Waren Rudolf Steiner und Friedrich Stočes schuldig, durch das Diktieren, Niederschreiben und Absenden der vorgefundenen Briefkonzepte etwas unternommen zu haben, das darauf angelegt war, "eine Empörung oder einen Bürgerkrieg im Inneren" herbeizuführen? Das Abstimmungsergebnis der Geschworenen über diese Frage war einhellig und lautete: "Nein".

Die Geschworenen sahen es als nicht erwiesen an, dass Steiner Reinschriften der Briefkonzepte angefertigt und auch abgesandt hatte, obwohl dem Gericht eine Bestätigung des Postamtes Pölfing-Brunn vorlag, dass dort eine Einschreibesendung an Dr. Frank am 17. Mai - allerdings ohne Absender - aufgegeben wurde.

Nachklänge

Der Staatsanwalt legte umgehend die Nichtigkeitsbeschwerde ein, da der Vorsitzende Dr. Plankensteiner den Geschworenen eine "unrichtige" Rechtsbelehrung erteilt habe. Steiners Anwalt konterte mit dem Argument: "Wer in einer Kammer Selbstgespräche hochverräterischen Inhaltes führt, begeht nicht einmal eine Vorbereitungshandlung zum Hochverrat." Noch im November 1933 zog der Staatsanwalt die Nichtigkeitsbeschwerde wieder zurück.

Über den Hochverratsprozess gegen Steiner und Stočes berichteten alle größeren österreichischen Blätter ausführlich. Während sich etwa die "Reichspost", die "Neue Freie Presse" und die "Wiener Zeitung" auf eine sachliche Schilderung des Verfahrens beschränkten, erklärte die "Arbeiter-Zeitung" Steiner zum "Urheber der Kriegshandlungen Nazideutschlands gegen Oesterreich, vor allem der Tausendmarksperre". Das war Steiner aber erwiesenermaßen nicht.

Nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft wurde Steiner wieder für die NSDAP aktiv. 1934 beteiligte er sich am Juli-Putsch und musste nach Deutschland flüchten. Auch dort suchte Steiner die Nähe zu führenden NS-Persönlichkeiten, um seine berufliche Rehabilitierung zu erreichen. Dies gelang jedoch erst 1941, als ihn der steirische Gauleiter Uiberreither persönlich an leitender Stelle eines untersteirischen Kohlenbergwerks einsetzte. Im Mai 1945 wurde Rudolf Steiner in Pölfing-Brunn von jugoslawischen Partisanen verschleppt. Er kehrte nicht mehr zurück.

Literaturhinweis:

Markus Roschitz: "Die NSDAP in der Region Schwanberg 1930-1938. Eine Mikrostudie." Forschungen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark Band 85. Studienverlag, Innsbruck/Wien 2020.

Markus Roschitz, geboren 1985, ist Assistent an der Universität Graz und der Andrássy Universität Budapest.