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Feinfühliger Mittler mit edlem Ton

Von Peter Kastner

Reflexionen

Der Geiger und Bratschist wurde vor 100 Jahren geboren. Mit dem Amadeus-Quartett feierte er Welterfolge.


Technische Raffinesse: Peter Schidlof (9.7.1922 - 15.8.1987).
© User:1laurent234, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

Als am 5. Juli 1987, einem lauen Sommerabend, vier soignierte, grau melierte Herren im weißen Smoking auf dem blumengeschmückten Podium der ausverkauften Town Hall von Cheltenham in Süd-West-England Platz nahmen, ihre kostbaren Instrumente stimmten, um mit dem Allegro ma non tanto aus dem Streichquartett von Ludwig van Beethoven Op. 18 Nr. 4 anzusetzen, ahnte wohl niemand unter den Zuhörern, dass es der letzte Auftritt des weltberühmten Amadeus-Quartett sein würde. Nur wenige Wochen danach erlag der Bratschist des Quartetts, Peter Schidlof, einem Herzinfarkt. 40 Jahre lang spielte er mit Norbert Brainin, Sigmund Nissel und Martin Lovett zusammen. Sein Tod löste das Ensemble auf. Eine Ära war zu Ende.

Geboren wurde Hans (Johann), wie er mit seinem Taufnamen hieß, am 9. Juli 1922 in Göllersdorf (Bezirk Hollabrunn), wo seine Eltern, Wilhelm und Paula Schidlof, einen Gemischtwarenladen führten. Seine musikalische Begabung zeigte sich früh. Nach ersten Anfängen auf der Geige erhielt er Unterricht in Wien. Ältere Bewohner in Göllersdorf erinnern sich noch an den hübschen Jungen mit dem Geigenkasten unter dem Arm, am Weg zum Bahnhof.

Bedrückende Kindheit

Geigenunterricht in der Bundeshauptstadt erhielten zu dieser Zeit auch Norbert Brainin und Sigmund Nissel. Beide waren etwa gleich alt wie Hans. Sie haben es später als Ironie der Geschichte bezeichnet, erst in der Fremde, in einem Internierungslager, aufeinandergestoßen zu sein. Als Juden mussten sie und ihre Familien nach dem "Anschluss" um ihre Leben bangen.

Hart traf es die Schidlofs. Binnen eines Tages mussten sie im Frühjahr 1938 ihr Haus in Göllersdorf verlassen. Ihre letzte Meldeadresse hatte die Familie in der Taborstraße im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Für Hans und seine knapp eineinhalb Jahre jüngere Schwester Ilse konnten Wilhelm und Paula Schidlof im Dezember 1938 Tickets für einen Kindertransport der Israelitischen Kultusgemeinde nach Großbritannien sichern. Danach verliert sich ihre Spur. Erst geraume Zeit nach dem Krieg erfuhren die beiden Kinder, dass ihre Eltern im April 1942 nach Izbica deportiert und dort ermordet wurden. Sie haben diesen Schmerz nie verwunden.

In England angekommen, wurden die Geschwister getrennt. Während sich Ilse als Dienstbotin und Pflegekraft verdingen musste, hatte ihr Bruder mehr Glück. Sein Talent wurde von der Geigerin Stephanie Hess erkannt. Sie förderte den mittlerweile 17-Jährigen und gab ihm in ihrer Londoner Wohnung Logis. Norbert Brainin zog 1938 zu seinen Verwandten in die City. Sigmund Nissel kam mit einem der letzten Kindertransporte am 15. März 1939. Beide hatten die Schrecken der "Reichskristallnacht" und die Pogrome an der jüdischen Bevölkerung in Wien hautnah miterlebt.

In der neuen Heimat waren sie zunächst geduldet. Nach Ausbruch des Kriegs wurden Schidlof, Brainin und Nissel jedoch - wie tausende rassisch oder politisch Verfolgte, die sich vor dem Naziregime nach England retten konnten - zu "friendly enemy aliens" erklärt und nach kurzen Stationen in Durchgangslagern auf die Isle of Man verbannt. Es war, wie die Musiker rückblickend meinten, nach ihrer Flucht aus Wien der dunkelste Moment in ihrem Leben. Gefangen auf einer Insel inmitten der Irischen See, hinter Korridoren aus Stacheldraht, bewacht von Soldaten, ohne jede Perspektive, und die Angst im Nacken: Wenn die Deutschen den Ärmelkanal überqueren und auf das Internierungslager stoßen, gibt es kein Entkommen.

Und doch war das Camp in Onchan der Wendepunkt in ihrem Leben. Schnell sprach sich herum, dass es außergewöhnliche Talente waren, die hier festgehalten wurden. Aufgrund ihrer Begabungen und der zu erwartenden künstlerischen Leistungen ließ man sie ziehen, wenn auch um den Preis, sich zum zivilen Kriegsdienst zu melden. Zurück in London, arbeitete Brainin als Schlossergehilfe, Nissel in einer Gießerei, Schidlof bei einem Zahntechniker.

Geigenunterricht erhielten sie ab 1941 von Max Rostal, der Assistent des berühmten Pädagogen Carl Flesch an der Hochschule für Musik in Berlin war, ehe er selbst emigrieren musste. Rostal formte die drei jungen Musiker, bildete sie technisch wie künstlerisch fertig aus, vermittelte ihnen Engagements, gab ihnen den letzten Schliff. Er war ihnen Lehrer, Vaterfigur und Mentor zugleich. Ihm verdanken sie, wie sie nicht müde wurden zu versichern, den Grundstock ihrer Karriere. Er führte sie auch mit dem englischen Cellisten Martin Lovett zusammen.

Lebenslang Freunde

Alle vier hatten bereits als Solisten und in Ensembles reüssiert. Schidlof spielte inzwischen abwechselnd Geige und Bratsche. Auf Rostals Rat hin hatte er den polyglotten Vornamen Peter angenommen. Bereits nach dem ersten Zusammenspiel wuchs in den vier jungen Musikern der unbändige Wunsch, sich künftig ganz der Kammermusik zu widmen. Obwohl viele in Schidlof den besseren Violinisten sahen, überließ er Norbert Brainin die Führung und wandte sich fortan der Viola zu. Am 10. Jänner 1948 debütierte das Ensemble in der Wigmore Hall. Erst kurz davor verständigten sich die Musiker auf den Namen Amadeus-Quartett.

Peter Schidlof (rechts) mit dem Amadeus-Quartett.
© 1laurent234 at English Wikipedia, CC BY 3.0 via Wikimedia Commons

Die Premiere in Londons bedeutsamsten Konzertsaal war ein Wagnis und wurde zum vollen Erfolg. Das Auditorium war bis auf den letzten Platz besetzt, die Spannung spürbar: Werden die jungen Musiker die Erwartungen erfüllen? Der "Wolf Gang", wie Norbert seine Kollegen und sich spaßhalber bezeichnete, gelang der Coup. Vom ersten Ton an gewannen sie das Publikum. Technisch, stilistisch, musikalisch, in allen Belangen überzeugten sie die Kritiker. Die Rezensionen waren hymnisch.

In den folgenden Jahren gelang es dem Amadeus-Quartett, zu den arrivierten Kammermusik-Ensembles aufzuschließen und sich international zu etablieren. Auf ausgedehnte Konzertreisen in Europa, Übersee, dem nahen und fernen Osten folgten Phasen intensiven Probens, in denen an schwierigen Passagen gefeilt und das Repertoire erweitert wurde. Selbst wenn es dabei nicht immer harmonisch zuging, blieben die Musiker einander über all die Jahre treu und freundschaftlich verbunden.

Geschicktes Zuspiel

Diese Kameradschaft half auch über Verletzungen, Krankheiten und Schicksalsschläge hinweg, die keinem erspart blieben. Dass das Quartett so lange Bestand hatte, haben die Musiker auch ihren Frauen zu verdanken. Sie waren oft wochenlang auf sich gestellt und mussten viele Entscheidungen alleine treffen. 1952 heiratete Peter Schidlof die Schwedin Margit Ullgren. Vier Jahre später wurde ihre gemeinsame Tochter Anmarie geboren. Die vier Familien lebten in London, halfen sich wechselseitig, und boten den Musikern nach den Tourneen ein Zuhause, in dem sie sich regenerieren konnten.

Gemanagt wurde das Quartett von Nissel. Er hatte die Finanzen über, verhandelte mit den Konzertagenturen, organisierte die Reisen, erledigte die Korrespondenz. Brainin, auf dem als Primarius ein hoher Druck lastete, konnte sich ganz auf sein Spiel konzentrieren. Inspiriert wurde er von Peter Schidlof, der feinfühlig zwischen dem Cello und den beiden Violinen mittelte, mit sonorem Klang hervortrat, wenn die Bratsche die Melodie übernahm, um sich im nächsten Augenblick wieder vornehm zurückzunehmen. Wissend um die Schwierigkeiten der ersten Stimme, spielte er Brainin geschickt zu. Gemeinsam mit seinen Kollegen schuf er einen edlen Klangteppich, über dem sich die erste Violine jubilierend erheben konnte.

Über die Jahre wurde die Gruppe zum führenden Quartett und musizierte mit allen großen Künstlern der Zeit. 2017 wurde von der Deutschen Grammophon eine Gesamteinspielung auf den Markt gebracht, die 70 CDs umfasst. Viele der Tondokumente gelten als Referenzaufnahmen. Für ihre Leistungen wurden die Musiker hochdekoriert und mit Ehrendoktoraten (der Universitäten York, London und Caracas) geadelt.

Ihrem Fleiß und Plattenlabel verdanken die Künstler jenen Wohlstand, der es ihnen erlaubte, im Laufe ihrer Karriere wertvolle Streichinstrumente zu erwerben. Ab den 1960er Jahren spielten alle vier auf erlesenen Meisterwerken von Antonio Stradivari: Brainin und Nissel auf Violinen aus den Jahren 1725 und 1731, Lovett auf einem Cello aus 1725. Das kostbarste Instrument hatte Peter Schidlof. Von den wenigen Violen aus der Werkstatt des Cremoneser Meisters ist jenes Exemplar, das der Musiker 1964 erwarb, das besterhaltene. Benannt nach einem seiner Vorbesitzer, Baron Macdonald, stammt es aus der Zeit, zu der Stradivari am Höhepunkt seiner Schaffenskraft war, seiner "goldenen Periode".

Viola im Tresor

Nach dem Tod Schidlofs legten Sammler Angebote in mehrstelliger Millionenhöhe, ehe sich die Familie im Jahr 2014 zu einem Verkauf über ein Auktionshaus entschloss. Das geringste Gebot wurde mit 45 Millionen US-Dollar angesetzt, der mit Abstand höchste Preis, der je für ein Streichinstrument verlangt wurde. Drei Monate lang wurde die Viola unter großem medialen Interesse beworben, in London, New York, Hongkong und Paris ausgestellt und ausgewählten Kunden präsentiert, ehe zu einem Stichtag die Bieter ihre schriftlichen Angebote legten. Die Auktion platzte. Der Preis war zu hoch. Die Viola wurde eingezogen, liegt seither in einem Tresor und ist nach wie vor in Familienbesitz.

Wie viele alte italienische Streichinstrumente gilt die Macdonald als kapriziös und schwierig zu spielen. Ob ihr das lange Ruhen guttut, wird bezweifelt. Geigenbauer wie Instrumentalisten äußern die Sorge, dass es mit fortschreitender Zeit immer schwieriger wird, jenen obertonreichen, silbernen Klang zurückzuerhalten, der das Instrument einmal auszeichnete. Wer immer künftig seinen Bogen darauf ansetzt, sein Spiel wird an dem Peter Schidlofs gemessen werden. Angesichts der Leichtigkeit, technischen Raffinesse, ja aristokratischen Lässigkeit, mit der der Musiker seiner Viola die schönsten Töne entlockte, liegt die Latte hoch.

Eine Gedenksäule erinnert am Golders Green Crematorium in London an Peter Schidlof.
© 1Veertje, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

In den Wochen nach dem Konzert in Cheltenham klagte Peter Schidlof über Schmerzen in der Brust. Am 14. August 1987 telefonierte er noch mit Sigmund Nissel; er stand Peter wie kein Zweiter nahe, mit ihm hatte er das Zimmer auf der Isle of Man geteilt. Am Tag danach starb Schidlof an den Folgen einer Herzattacke. Er wurde in London beigesetzt.

Ilse übersiedelte 1958 nach Hamm in Nordrhein-Westfalen. Sie überlebte ihren Bruder um 22 Jahre. Die Namen ihrer Eltern, Wilhelm und Paula Schidlof, finden sich auf der Liste jener 65.000 Opfer, die aus Österreich vertrieben und ermordet wurden, eingraviert in die Steinplatten der Gedenkstätte auf dem Areal des Ostarrichiparks, vor der Oesterreichischen Nationalbank.

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Peter Kastner, geboren 1964, Studium von Musik und Rechtswissenschaften, lebt und arbeitet als Jurist in Wien.