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"Aus der Blutgruppe N (Nestroy) gewirkt"

Von Peter Payer

Reflexionen
Josef Mayer-Limberg (2.v.r.) bei einer Veranstaltung des Literaturkreises "PODIUM", 1975.
© M. Chobot

Eine Erinnerung an den Wiener Dichter Josef Mayer-Limberg, der in seiner Lyrik den Leuten aufs Maul schaute.


Was lässt sich im Wiener Dialekt sagen, das man in der deutschen Hochsprache nicht sagen kann? Unendlich Vieles und Mannigfaltiges, möchte man sogleich antworten und auf die bekannten All-Time-Stars wie H. C. Artmann oder Christine Nöstlinger verweisen. Oder aber auf einen großen Unbekannten der Wiener Dialektdichtung: Josef Mayer-Limberg.

Er stand stets im Schatten seiner berühmten Kollegenschaft - und doch gehörte er zu jenen, die die literarische Verarbeitung des Wienerischen auf höchstem Niveau beherrschten. In den 1970er und 80er Jahren war er mit seinen Gedichten einigermaßen bekannt geworden, geschätzt von Publikum und Literaturveranstaltern, nach seinem Tod im Jahr 1992 jedoch weitgehend in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht, wie die Lektüre seiner sprachlich fein ziselierten, die Abgründe der Wiener Seele so schonungslos wie humorvoll bloßlegenden Gedichte belegt.

waun

de rosn en bak

wia grobladdean

leichdn

wüle nix

oes wia schdeam

und hob dabei

an hamlechn gusda

auf a gsöchds

med gnel und graud

Geboren wurde er als Josef Mayer am 15. Februar 1911 im kleinen Weinviertler Ort Limberg, nach dem er sich später auch benannte. Das Weinhauerdorf nahe Maissau kennt man heute am ehesten durch sein Schloss, das sich im Besitz des Künstlers Erwin Wurm befindet, der dort Wohnsitz und Atelier hat.

Mayer-Limberg stammte aus einfachsten Verhältnissen, seine Eltern waren Kleinhäusler. Dennoch schaffte er es mit Hilfe von privaten Förderern, nach der Volksschule ein humanistisches Gymnasium zu besuchen. Priester wollte er werden, ein Plan, den er jedoch aufgrund einer Erkrankung bald wieder aufgeben musste. So übersiedelte er nach der Matura nach Wien und begann dort Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte zu studieren.

Zu Unrecht vergessen: Josef Mayer-Limbeck (1911-1992)
© PODIUM

Wann genau Josef Mayer-Limberg zu schreiben begann, ist nicht überliefert. Wie wir überhaupt nur sehr spärliche Informationen zu seinem Leben haben. Wesentliches davon verdanken wir dem Dichterkollegen Manfred Chobot, einem langjährigen Wegbegleiter, der zumindest einige Bausteine zu Mayer-Limbergs Biografie zusammentrug.

Dieser kam im Zweiten Weltkrieg in Frankreich, Russland und Italien zum Einsatz. Näheres darüber hat er - wie so viele andere - nie erzählt. "Nach schweren Jahren kam ich zurück", ist als einer der wenigen Aussprüche dazu von ihm überliefert.

Wieder in Wien, trat Mayer-Limberg in den 1950er Jahren in der Verwaltungsdienst der niederösterreichschen Landesregierung ein, übte dort seinen Brotberuf aus, letztlich bis zur Pensionierung im Jahr 1972. Wohnung und passendes Sozialmilieu hatte er mittlerweile in Ottakring gefunden, wo er regelmäßig seine Stammwirtshäuser besuchte und mit Freunden Karten spielte - und den Leuten dabei aufmerksam aufs Maul schaute.

en unsara gossn

is aun ana jedn eggn

a wiadshaus

en an jedn

sizzn hausmasda

drin

de fon linggs owe

en da gossn

sizzn bein grölla

de fon rechds owe

en da gossn

sizzn bein schindela

Es waren die einfachen Menschen, denen seine Zuneigung galt und deren Sprache er uns gekonnt und in durchaus eigenwilliger Orthographie und einer das Weiche im Wienerischen stark betonenden Transkription präsentierte. "fon de hausmasda und de möada - gedichda aus oddagring" hieß seine erste Buchveröffentlichung 1973, der fünf Jahre später der Band "eilodung zu de hausmasda - neuche gedichda aus oddagring" folgte.

© Archiv

Darin skizzierte er neben den titelgebenden Figuren auch zahlreiche andere vorstädtische Typen: "bosdla" und "broleddn", "dodngrowa", "braundweina" und "gosdoaweidda" oder die "greislarin" und die "oede renddnarin". Und bisweilen wurde er dabei auch sehr politisch, wenn er scharf zu polemisieren begann gegen "hiddla" und "schdalin", Figuren, die durchaus noch sehr lebendig waren in den Köpfen und Worten so mancher Zeitgenossen.

Seine literarischen Bezugsorte hießen "fridhof", "besalbak", "baundaum" und natürlich "heirechn", und manchmal auch - quasi als bürgerliche Antithese - "deadda" und "opa". Man kann sich lebhaft vorstellen, wie er auf seinen Spaziergängen durch die Stadt stets aufmerksam schaute und lauschte. Er war ein Einzelgänger, lebte einfach und bescheiden, still und zurückhaltend.

Anzug und Krawatte

Literarischen Anschluss fand er durch Mitgliedschaft im österreichischen PEN-Club und im Literaturkreis "PODIUM". Für diesen trat er auch regelmäßig bei Lesungen in Erscheinung, die er, so erinnert sich Manfred Chobot, stets mit großer Leidenschaft vollzog. Man spürte, hier, in der Sprache des Dialekts, war Mayer-Limberg zu Hause. Rein altersmäßig und von seinem Auftreten her - stets trug er Anzug und Krawatte - gehörte er eher zur konservativen Fraktion, die im deutlichen ideologischen Gegensatz zu jüngeren Kollegen stand. Dies führte mitunter zu heftigen Diskussionen zwischen Linken und Rechten, etwa bei der Großveranstaltung "Künstler für den Frieden", an der Mayer-Limberg nicht teilnahm. Er war skeptisch gegenüber der, wie er meinte, allzu kommunistisch angehauchten Friedensbewegung.

Der Umweltschutzbewegung, die in den 1980er Jahren ebenfalls ihre ersten Lebenszeichen von sich gab, begegnete er jedoch durchaus mit Sympathie. Immer wieder finden sich in seinen Gedichten kritische Äußerungen zur ausgeprägten "Betonierermentalität" moderner Stadtplaner und "archideggdn", zur Massenmotorisierung, bei der auf der "auddobbaun" das "gasbedeu" regiert. Es war eindeutig: Mayer-Limberg hatte ein Faible für das Langsame und Retardierende.

nua ned

jauggn

des soge ina glei

nua ned

jauggn

beforeme

jauggn los

sezzeme nida

und dua goanix

Was die Dialektautoren bei aller Verschiedenheit ihrer Weltanschauungen einte, war die Faszination für den klanglichen Reichtum und die Schönheit der Wiener Mundart. Seit H. C. Artmanns bahnbrechendem Werk "med ana schwoazzn dintn" waren deren visuelle und akustische Aspekte in der zeitgenössischen Literatur salonfähig geworden, durchaus mit einem Schuss Subversion und Deftigkeit, die auch Mayer-Limberg zu lieben schien. Schimpfwörter wie "droddl", "oaschloch" oder "gfrassda" baute er genüsslich in seine Gedichte ein. Die Freude am Festhalten und Transkribieren dieser und vieler anderer, zum Teil schon selten gewordenen Ausdrücke spricht aus vielen seiner Gedichte.

Parallel zu seinen Büchern veröffentlichte er immer wieder in diversen Literaturzeitschriften, in der gleichnamigen Zeitschrift des Literaturkreises natürlich, aber auch in "Heimatland", in den "Protokollen", im "Pflug" oder im "NÖ-Literaturkalender". Das Land Niederösterreich war es dann auch, das ihm 1983 den Kulturpreis des Landes verlieh, die einzige Auszeichnung der Mayer-Limberg zeitlebens erhalten sollte.

© Archiv

Weiterhin war und blieb er eher im Hintergrund. Fast so etwas wie ein Geheimtipp, den man ab und zu vor den Vorhang holte. Was etwa der beliebte Burgschauspieler Richard Eybner tat, als er im Oktober 1988 einige seiner Mundartgedichte im Wiener Konzerthaus vortrug. Eybner stellte in seiner Lesung Mayer-Limbergs Werke neben jene von Johann Nestroy und Josef Weinheber, eine Auszeichnung und Ehre, die durchaus ihre Berechtigung hatte. "Kritikerpapst" Hans Weigel sah es ähnlich: "Er ist für mich aus der Blutgruppe N (Nestroy) gewirkt. Unser lieber, stiller Josef ist ein verschmitzter, leicht hämischer Bursche, er verfügt über kritischen Humor, dem die lyrische Form wie angegossen sitzt, er ist voll Phantasie, er ist in all seiner kleinen, knappen Form immer wieder sehr dichterisch."

Inspirationsquelle

Mayer-Limberg veröffentlichte noch einen Prosaband ("Traum und Verfolgung") sowie Gedichte in Hochsprache ("Lockwörter"), die jedoch weniger populär wurden als seine Dialektlyrik. Am 3. August 1992 starb Josef Mayer-Limberg, ziemlich unbemerkt von der Öffentlichkeit, in Klosterneuburg. Manchen "Eingeweihten" blieb er allerdings auch posthum Inspirationsquelle und literarisches Vorbild. Karlheinz Hackl und Miguel Herz-Kestranek veranstalteten Lesungen seiner Gedichte (auch auf CD erhältlich), das "Erste Wiener Lesetheater" nahm Mayer-Limbergs Verse ebenso in sein Programm auf wie der Liedermacher Richard Weihs.

© Archiv

Auch für das erfolgreiche Wienerlied-Duo Die Strottern, bestehend aus Klemens Lendl und David Müller, war er ein prägender Einfluss. Mayer-Limberg war ein enger Freund von Lendls Großeltern. Zu Weihnachten, am Stephanitag, kam er immer zu Besuch, erinnert sich Lendl, brachte seinen Super-8-Filmprojektor mit und führte den Kindern Laurel-& Hardy-Filme vor.

Literarisch kam Lendl durch ihn erstmals mit der Wiener Mundartdichtung in Kontakt - und war sofort begeistert. Eine Begeisterung, die bis heute anhält: Gemeinsam mit der Jazzwerkstatt Wien vertonten Die Strottern ausgewählte Gedichte, eine kraftvolle musikalische Würdigung an den "Alten Meister". Und eine gebührende Erinnerung an einen stets leise auftretenden Dichter, der selbst einmal von "elegischem Staunen" schrieb als einer Empfindung zur Welt und Sprache, die ihn zeitlebens begleitete.

nau jo

nau jo

nau jo

nau jo

se wean do

ned imma

nau jo song

nau naa

weare song

dasde glaum

i faschdee wos

Hinweis:

"Salut für Josef Mayer-Limberg". Vortrag und Lesung von Peter Payer. Donnerstag, 1. Dezember 2022, 19 Uhr. Projektraum k48, Kirchengasse 48/Lokal 2, 1070 Wien.

Peter Payer ist Historiker, Stadtforscher und Kurator im Technischen Museum Wien.