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Die Welt von oben

Von Wolfgang Ludwig

Reflexionen
Die Wuppertaler Hochbahn verläuft größtenteils über der Wupper . . .
© Thomas Ludwig

Schwebebahnen haben sich kaum durchgesetzt, nach Wuppertal hingegen reist man wegen einer solchen extra an.


Wuppertal existiert eigentlich erst seit 1930, als die im Tal der Wupper gelegenen Städte Barmen, Elberfeld und Vohwinkel, die sich bereits ein Jahr zuvor in einer Gemeinde zusammengeschlossen hatten, den Namen Wuppertal erhielten. Heute hat die Stadt über 350.000 Einwohner und ist nach dem Rückzug der Textilindustrie ein bedeutender Standort der Elektro-, Maschinenbau und chemischen Industrie mit vielen bekannten Namen.

Da die Betriebsstandorte und Arbeitersiedlungen im relativ schmalen Tal der Wupper wie aufgefädelt, aber doch in größerem Abstand voneinander am Ufer des Flusses lagen, suchte man schon früh Verkehrslösungen für den Transport der Arbeitskräfte. Eine ab 1874 errichtete Pferdeeisenbahn konnte die nötigen Kapazitäten nicht annähernd erbringen, auch Straßenbahnen erfüllten nicht die Erwartungen. Außerdem fehlten im engen Tal der Wupper breite Verkehrsflächen, was zu Konflikten mit anderen Verkehrsteilnehmern führte. Daher erfolgten ab 1887 Überlegungen, den Personentransport in Form einer Hochbahn über die Wupper und teilweise über Straßen zu legen. Dieser Verkehrsträger war außerdem wesentlich billiger als der Bau einer U-Bahn, die im feuchten Untergrund extrem aufwendig gewesen wäre.

Konstruktionsneuland

Beispiele, wie das funktionieren soll, gab es damals bereits: Der Unternehmer Eugen Langen (1833-1895) war mit der Produktion eines Vorläufers des Otto-Motors, den er zusammen mit dem eigentlichen Erfinder des Motors, Nicolaus August Otto, in einer Fabrik in Deutz (heute ein Teil von Köln) herstellte, zu Geld gekommen. Langens Schwerpunkt aber lag in der Zuckerindustrie, deren Produktionsabläufe er revolutionierte und die Verwendung des Rübenzuckers statt des importierten Zuckers forcierte. Sein erfolgreiches "Hobby" war hingegen der Schienenverkehr.

Neben herkömmlichen Schienenfahrzeugen entwickelte Langen auch eine auf hochgelegenen Schienen hängende Bahn, die er als "Schwebebahn" bezeichnete, obwohl sie genau genommen nicht "schwebte", sondern rollte. Für diese Erfindung errichtete er sogar eine kurze Teststrecke in Köln, um das Produkt besser vermarkten zu können. Die Bemühungen waren erfolgreich. Er bekam die Aufträge für die Hochbahn in Wuppertal und für eine kurze Bergbahn in Dresden-Loschwitz. Beide Bahnen verkehren bis heute. Auch an verschiedene Industriebetriebe konnte er Schwebebahnen für den Materialtransport verkaufen.

Ferdinand Redtenbacher, Eugen Langens Professor an der Hochschule in Karlsruhe, hatte einst zu dem jungen Langen, als dieser sein Maschinenbaustudium kurz vor Abschluss schmiss, bedauernd gemeint, dass aus dem jungen Mann durchaus "hätte vielleicht noch etwas Rechtes werden können" (zit. nach em. Prof. Otto Kraemer). Aber es soll ja öfters vorkommen, dass sich Lehrer irren ... Langen, der es auch ohne abgeschlossenes Studium weit gebracht hatte, fand übrigens als fast 62-Jähriger ein tragisches Ende, als er sich bei der Einweihungsparty des Nord-Ostsee-Kanals an einem nicht so hygienisch zubereiteten Buffet eine Fischvergiftung zuzog.

Ungewohnter Anblick: die Bahn über der Straße.
© Thomas Ludwig

Aber zurück nach Wuppertal: Langen gelang es, eine von der Stadtverwaltung eingesetzte Projektkommission zu überzeugen, dass eine hängende und bis zu 15° pendelfähige Bahn durch eine zügige Befahrung der Kurven schnell unterwegs sein konnte und zusammen mit dem geringen Flächenbedarf und mäßigen Errichtungskosten ein für die lokalen Verhältnisse ideales Verkehrsmittel darstellte. Im Dezember 1894 kam es zum Vertragsabschluss.

Doch bis zur Fertigstellung dauerte es noch. Die hochliegenden Bahnhofsanlagen bedeuteten für die Konstruktion Neuland, für die bei höheren Geschwindigkeiten auftretenden Schwingungen mussten Lösungen in Form von zwischen den Normalstützen eingesetzten, miteinander verbundenen Doppelstützen, sogenannte "Ankerjoche", gefunden werden. 1898 erfolgte der Baubeginn, im März 1900 fuhren die ersten Züge im Probeverkehr, ein Jahr später begann der Regelbetrieb.

Bald erfreute sich die Bahn großer Beliebtheit, auch Kaiser Wilhelm bezeichnete anlässlich einer Fahrt die Bahn als "zweckmäßig und angenehm". Die Passagiere schätzen damals wie heute die ruhige, rüttelfreie Fortbewegung. Auf dem Streckenteil über Straßen gleitet man rasch über den langsameren Bodenverkehr hinweg, der Großteil der Strecke verläuft aber über dem Fluss. Allerdings wird die Störungsanfälligkeit kritisiert, da Schwingungen immer wieder zu Materialermüdung führen. Oft verkehrt daher mehrmals im Jahr ein Schienenersatzverkehr. Bei Störungen muss die gesamte 13,3 km lange Strecke gesperrt werden, da es nur an den Endpunkten Umkehrmöglichkeiten gibt.

Ein Elefant als Passagier

1999 ereignete sich ein tragischer Unfall, als zwei Wagen aus der Schiene sprangen und in die Wupper stürzten. Fünf Passagiere kamen ums Leben. Harmloser verlief ein kurioser Unfall im Juli 1950, als Franz Althoff vom gleichnamigen Zirkus mit Zustimmung der Stadtwerke einen Elefanten aus Werbezwecken in einen Wagen der Hochbahn verfrachtete und mit ihm eine Runde drehen wollte. Doch nach nur wenigen Minuten hielt es der Elefant im engen Wagen nicht aus, durchbrach mit Leichtigkeit die Seitenwand und stürzte in die Wupper. Er blieb fast unverletzt, der Wagen wurde schwer beschädigt.

Zweifellos hat die unter Denkmalschutz stehende Hochbahn zum weiteren Zusammenwachsen der an der Wupper aufgefädelten Ortsteile beigetragen. Bus- und O-Buslinien ergänzen die Bahnstrecke, eine Straßenbahn wurde eingestellt. Auch die Stationen verdienen Interesse: Wenigen alten (oder nachgebauten) Stahlkonstruktionen (z.B. "Völklinger Straße") stehen moderne Glas-Stahlbauten (z.B. Station "Westende") gegenüber. An der Station "Adlerbrücke" kann man eine weitere Attraktion Wuppertals besuchen: das Wohnhaus der pietistischen Fabrikantenfamilie Engels (mit Ausstellung), deren Sohn Friedrich Engels in Wuppertal die Auswüchse der Frühindustrialisierung und des Kapitalismus hautnah miterleben konnte und nach kurzer bürgerlicher Handelsausbildung zum Revolutionär wurde.

Fast schon romantisch (und abermals über der Wupper).
© Thomas Ludwig

Vor dem Engels-Haus befindet sich eine 1975 von der Stadt Wuppertal in Auftrag gegebene Plastik von Alfred Hrdlicka mit dem Namen "Die starke Linke". Dabei kam es zu kuriosen Verwicklungen, da die Stadt einen Betrag von 130.000 DM dafür vorgesehen, aber nicht einberechnet hatte, wer die hohen Transportkosten von Wien nach Wuppertal bezahlen sollte. Zudem hatte Hrdlicka auch noch den Rahmen deutlich überzogen, womit das Werk mehr als doppelt so viel kostete. Die SPD brachte die erhöhten Kosten im Stadtrat durch, die Stadt bezahlte zusätzlich auch Transport und Sockel. Bei der Einweihung des Denkmals blieb die CDU der Veranstaltung aus Protest fern.

Billiger kam der Stadt Wuppertal ein von der VR China gespendetes Engels-Denkmal, das ganz in der Nähe seinen Platz fand. Das benachbarte Museum für Frühindustrialisierung steht in Wuppertal aufgrund der langen industriellen Entwicklung der Stadt genau richtig.

Geringe Wagenzahl

Literaturinteressierte finden im Literaturarchiv in Wuppertal zahlreiche Briefe, Dokumente und Schriften der 1869 in Elberfeld (heute Wuppertal) geborenen Expressionistin Else Lasker-Schüler. In ihrem nicht so leicht lesbaren Schauspiel "Die Wupper" (1909) bringt sie die sozialen und religiösen Gegensätze am Beispiel einer Arbeiter- und einer Unternehmerfamilie ihrer Heimatstadt auf die Bühne und thematisiert somit auch die Industrialisierung.

Richtig durchgesetzt haben sich Schwebebahnen als Verkehrsmittel jedoch nicht. Die Störungsanfälligkeit wurde schon erwähnt, auch die Lautstärke ist höher als bei einer Straßenbahn, da die Schienen nicht in die Erde versenkt sind, und sich Fahrgeräusche daher frei entfalten können. Optisch sind die Stahlkonstruktionen über einem Straßenverlauf sehr gewöhnungsbedürftig. Da Hochbahnen aus Gewichtsgründen meist nur mit geringer Wagenzahl verkehren, sind sie nicht so leistungsfähig wie lange Straßenbahnzüge oder U-Bahnen, die in der Konstruktion aber viel teurer sind.

Die umstrittene Hochbahn am Flughafengelände Düsseldorf. 
© Wolfgang Ludwig

Gerade in Nordrhein-Westfalen gibt es gleich mehrere Standorte von Hochbahnen: Neben Wuppertal verkehrt im Universitätsbereich von Dortmund eine 3,1 km lange Hochbahn, deren Beförderungskapazität aufgrund des eingleisigen Betriebs gering ist. Reisende am Flughafen Düsseldorf haben sich sicher schon über die dort existierende Hochbahn vom Terminal zur Bahnstation geärgert und gefragt, warum man nicht durch Verlagerung der Bahntrasse näher zum Terminal eine benutzerfreundlichere Lösung geschaffen hat.

Hochbahnen in Form von Seilbahnen erfreuen sich in mehreren südamerikanischen Städten großer Beliebtheit, da sie günstig zu errichten sind und die Reisezeiten signifikant verkürzen.

Wolfgang Ludwig, geboren 1955, unterrichtete lange in Südosteuropa und in Wien Deutsch und Geografie und schreibt Kulturreportagen.