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Unentbehrliche Reisebegleiter

Von Andrea Traxler

Reflexionen
Welche Dinge muss man wirklich unbedingt in den Koffer packen?
© Hallwyl Museum / Jens Mohr / CC BY-SA Public domain / via Wikimedia Commons

Was man einst auf Reisen mit sich führte: Bücher klassischer Autoren, Bettzeug - und einen gewissen Sanitärartikel.


Karl Philipp Moritz war sehr genügsam, was seine Ausstattung betraf, als er 1782 eine mehrwöchige Englandreise unternahm. Ein wenig weiße Wäsche, untergebracht in irgendeinem leicht transportablen Behältnis, reichte ihm völlig aus. Dies auch deswegen, da er vorwiegend zu Fuß zugange war.

Zur Not wäre auch das Weißzeug verzichtbar gewesen, nicht aber das eine Buch von John Milton, in dem er jederzeit wollte lesen können. Kleinformatig in seiner Rocktasche untergebracht, zog er, hingestreut auf einer Grasböschung etwa, "Paradise Lost" heraus und vertiefte sich darin. Aber "im Land der Karossen und Pferde", so Moritz, wurde schon das Zufußgehen über Land beargwöhnt und erst recht ein lesender Mensch am Wegesrand, auch wenn er mit der Schöpfungsgeschichte beschäftigt war, weswegen Moritz alsbald weniger exponierte Leseplätze aufsuchte.

Karl Philipp Moritz, ca. 1790, gemalt von Friedrich Rehberg.
© Public domain / via Wikimedia Commons

Tendenziell mit Lasterhaftigkeit in Verbindung gebracht, galten in England dazumal Fußgänger wenigstens als bedenklich. So geriet Moritz das eine und andre Mal in unliebsame Umstände, vor allem dann, wenn er, staubbedeckt und wandermüde einem Nachtlager entgegenhoffend, ein Wirtshaus betrat. Da nützte es ihm zuweilen kaum, dass er auch Geld in seiner Rocktasche hatte: Als zwielichtiger Fußgeher wurde er entsprechend unfreundlich behandelt oder fortgeschickt. Ihn aber beeinträchtigte dies nur im jeweiligen Moment, das Seine fand er wandernd, schauend oder lesend in den vor sich hin grünenden Naturschwüngen.

Politur und Gepränge

Anders Lord Byron, als er 1809 für zwei Jahre England verließ, um über Spanien, Portugal und Malta die Türkei und Griechenland zu bereisen. Er führte eine "höchst superbe Uniform" mit sich, da eine solche "unentbehrlich ist auf Reisen". Über diese hinaus war er nebst einigen Begleitern mit diversen Lederkoffern und Holztruhen, Büchern, Sätteln und Zaumzeug, Hausrat, Bettzeug und Bettgestellen ziemlich erheblich ausgerüstet.

Diese voluminöse, wenig bequem handzuhabende Ansammlung musste denn auch über unwegsames Gelände befördert werden. "Bequemlichkeit darf nicht erwarten, der aus Vergnügen reist", fand Byron, der im Gegensatz zu Moritz auch nicht im Sinne Rousseau’scher Naturfindung unterwegs war, sondern der Abenteuer wegen, denen fern des heimatlichen Bodens mitunter unbekümmerter nachzukommen möglich ist.

Angeregt von Byrons in Genua verfertigtem epischem Gedicht "Don Juan", beschloss Charles Dickens 1844, sich mit seiner zehnköpfigen Familie und seinem Hund für ein Jahr an diesem Schauplatz niederzulassen. Durch den Erfolg seiner Romane "The Pickwick Papers", "Oliver Twist" und "The Old Curiosity Shop" bereits bemittelt, ließ er sich vom exquisiten Londoner Kutschenhersteller Pantechnicon am Belgrave Square einen Reisewagen kommen. Dieses glanzlackierte, von vier Pferden gezogene Gefährt beträchtlichen Ausmaßes war auch mit allerlei Annehmlichkeiten ausgestattet: so etwa mit 96 Glöckchen, die zu je 24 den Pferden umgehängt, die Familie beim Rollen durch Landschaften und Städte mit beständigem Geläut umgaben und zugleich deren Kommen und Dasein anzeigten.

Marguerite Gardiner, Countess of Blessington, 1822 auf einem Gemälde von Thomas Lawrence.
© Public domain / via Wikimedia Commons

Marguerite Gardiner, durch Verehelichung mit Lord Blessington in den Stand einer Countess gesetzt und finanziell sehr beweglich, unternahm mit ihrem Gatten und dem Dandy Alfred d’Orsay - dessen prächtigen Lebenswandel das Ehepaar bestritt - sowie einigem Personal 1822 eine so weitläufige wie aufsehenerregende Exkursion über Frankreich nach Italien. Mit einer doppelt gefederten, Daunenbettzeug beinhaltenden Schlafkutsche und weiteren Karossen, luxuriös ausgestattet mit Ruhemöbeln, Reiseküche, Bibliothek und Schreibpulten, kurz: allem Unverzichtbaren, zog die Gesellschaft als sogenannter Blessington Circus durch die Lande.

In Genua wurde Byron aufgesucht, der 1816 erneut und für immer England hinter sich gelassen hatte. Von dessen Äußerem zunächst wenig angetan, befreundete sich Lady Blessington schließlich mit ihm und führte eine Reihe von Gesprächen, die 1834 unter dem Titel "Conversations with Lord Byron" erschienen.

Als Lord Blessington 1829 verstorben und sechs Jahre später das nicht gerade geringe Vermögen sehr exklusiv durchgebracht war - auch mit dem Betrieb eines literarischen Salons -, versuchte Lady Blessington, vom Schreiben zu leben. Sie publizierte ihre Reiseberichte sowie mehrere Romane und versorgte einige Monate eine Society-Kolumne in Dickens’ Zeitschrift "Daily News".

Ungeachtet der exzentrisch oder kaiserköniglich Reisenden - denen standesgemäß ein ganzer Hofstaat und eine mitunter dreistellige Kutschenprozession anhingen - mussten bis ins 19. Jahrhundert hinein auch kleinere Formationen oder Einzelreisende verschiedene Artikel mitführen, um auf den lange dauernden Fahrten wie auch in den oft nur sehr leidlich ausgestatteten Gasthöfen ihr Auslangen zu finden.

Fragen der Hygiene

Um vielgestaltige Ärgernisse abzuwenden, die unsaubere Betten mit sich bringen können, hat Maximilien Misson im Führer zu seiner Reise nach Italien im Jahr 1688 empfohlen, so es nicht möglich war, ein komplettes Bett mitzunehmen, wenigstens reichlich Decken und Leintücher einzupacken. In historischen Reiseberichten finden sich Serien von Klagen über allerlei Ungemach, hervorgerufen durch hygienische Sorglosigkeit, somit lästiges Getier, schlechte Gerüche und unzulängliche Liegestätten, die mitunter nur aus dünn aufgestreutem Stroh bestanden.

Misstrauisch den gasthäuslichen Fußböden gegenüber, bevorzugte es beispielsweise Michel de Montaigne, der auf seiner siebzehn Monate dauernden Italienreise in den Jahren 1580/81 zumeist recht passable Quartiere vorfand, in den wenigen unkomfortablen Fällen angekleidet auf einem Tisch in der Gaststube zu schlafen.

Ein Bedürfnis konnte bei Reisen in Kutschen und auch anfänglich in Eisenbahnen über alle Enge und Unbequemlichkeit hinaus zur peinlichen Angelegenheit werden, da dafür keine entsprechenden Einrichtungen vorgesehen waren. In James Boswells Journal seiner Reise nach Italien und Korsika im Jahr 1765 findet sich dazu ohne Weiteres der Eintrag: "Pißte wohltuend in der Kutsche." Nun wäre interessant zu wissen, in welche Art von Gebinde.

Mehr als hundert Jahre später ist etwa in Pauline de Panges Erinnerungen zu lesen, man habe auch auf kurzen Reisen nebst allerlei Gerät eine Art Nachttopf aus Kautschuk mitgeführt. Und da solche Behelfe schon in der Antike in transportabler Ausführung geläufig waren, wird Boswell wohl auch etwas Derartiges zur Verfügung gestanden sein. Wobei der Vorgang selbst fragwürdig bleibt, so er nicht allein in der Kutsche saß. Vielleicht aber war man in diesen Belangen damals insgesamt weniger umständlich.

Die Reisebibliothek der polnischen Gräfin Dorota Batowska, mit 210 Bänden zu allen Wissensgebieten und ausgewählten französischen Klassikern (Ende 18. Jh.).
© Myślewicki Palace / CC0 / via Wikimedia Commons

Beschaulicher ging es etwa im Dasein von Giuseppe Tomasi di Lampedusa zu. Bei seinen täglichen Wanderungen durch Palermo, wo er sich von Kaffeehaus zu Kaffeehaus und von Buchhandlung zu Buchhandlung bewegte, hatte er eine Tasche bei sich, in der er Lesestoff, ein wenig Proviant und immer auch einen Shakespeare mittrug - zum Trost für den Fall, dass ihm unterwegs etwas Unangenehmes unterkommen sollte.

Auch Karl Philipp Moritz hatte einen Trost-Shakespeare bei sich, wenn er in Jugendjahren, mit seiner niedersächsischen Umwelt uneinig, zerrüttet in Wald und Flur flüchtete - auch Horaz konnte tröstend auf ihn einwirken. Mehr zur Eventualitäts- als zur Trostausstattung gehörte zu Montaignes Reiseausstattung ein nicht ganz bescheidener Vorrat Bücher, auch wenn Tage, Wochen oder Monate vergehen sollten, ohne dass ein Exemplar herausgenommen wurde.

Abgesehen von essenziellen, unumgänglichen Begleitern für unterwegs - wie je nach Wetter und Jahreszeit mehr oder weniger dichte Gewandschichten und diverses Kleinzeug wie Taschentücher, Ersatzschuhbänder, ein Knopf, Nadel und Zwirn womöglich - war und ist das Buch wahrscheinlich der am meisten mitgeführte Gegenstand bei Fortbewegungen aller Art, seien es Spaziergänge, Ausflüge oder Reisen.

Da selbiges aber nicht stark auftragen und beschweren soll, spielt seine Größe wie auch seine Aufmachung eine wesentliche Rolle. So wird man sich kaum einen Folio- oder Quart-Band umhängen wollen, sondern eher nach Büchern in Klein-Oktav, Duodez oder auch Sedez Ausschau halten, wobei die Auswahl in letztgenannten Brusttaschenformat doch eher gering ist.

Begleitende Literatur

In elektronischer Form kann man eine ganze Bibliothek mit sich führen.
© Public domain / Martouf / via Wikimedia Commons (Ausschnitt)

Mittlerweile sind derlei Kriterien bei der Wahl der Lektüre, die mitgenommen werden soll, will oder muss, ziemlich in den Hintergrund gerückt und auch die Frage nach der Menge. Quantität und Ausmaß brauchen niemanden zu beschäftigen, der auf Elektrobücher setzt. Die beulen weder Rocktaschen aus noch zwingen sie mit ihrem Gewicht in die Knie, zudem kann man fast unzählige mit sich führen und gegebenenfalls auch jederzeit neue in die imaginären Säcke stopfen (so der Strom den Zugang ins Sphärische gestattet).

Ob aber Bücher sonder Zahl bei sich zu haben nötig ist? Für den einen ja, für den anderen nein. Manch einer kann im Vorhinein weder erahnen noch wissen, welche Lektüre ihm unter Umständen zupasskommt und ob überhaupt eine, so wie Montaigne. Johann Gottfried Seume hingegen hatte auf seinem "Spaziergang nach Syrakus" im Jahr 1802 einen Homer, einen Theokrit und einen Virgil in seinem Tornister, wie sich beim Durchwühlen seiner Sachen an der Barriere Stockerau-Wien zeigte. Er hatte offenbar eine sehr genaue Vorstellung davon, wer ihn auf seinem Spaziergang begleiten sollte.

Doch selbst wenn Moritz auch dazumal die Möglichkeit gehabt hätte, Mega-, Giga- oder Terabyte mitzuführen, würde er auf seiner Englandreise vermutlich trotzdem nur das eine Buch von Milton gelesen haben - da er mit einer bestimmten Perspektive loszog und ein präzises Bild vom Fort- und Dortsein hatte.

Andrea Traxler, geboren 1962, Typographin, lebt als freie Lektorin in Wien.