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Die Hüter der Stiegenhäuser

Von Beppo Beyerl

Reflexionen

Die Hausmeister waren lange Zeit beherrschende Figuren in der Wiener Wohnkultur - ein Nachruf.


Es war einmal der Hausmeister. Sein Beruf entstand mit dem raschen und planmäßigen Verbau der Wiener Vororte und dem damit verbundenen Entstehen der Zins- oder Mietshäuser, auch Zins- oder Mietskasernen genannt. In der Phase des politischen Liberalismus vergab die Stadt Wien die Grundstücke auf den parzellierten Flächen äußerst günstig: Vermögende Bürger sollten ermutigt werden, ihr Kapital nicht zum Kauf von Aktien, sondern von Grundstücken einzusetzen. Der Zinssatz, also die monatliche Abschöpfung, sollte bei Mietshäusern viel höher sein als bei Bankeinlagen. Bis heute zahlen daher in Wien die Parteien eines Hauses ihren monatlichen Zins.

In den fertiggestellten Häusern - Klosett und Bassena am Gang, kleiner Lichtschacht, Waschküche im Keller oder im Dachgeschoß - wachte natürlich ein grimmiger Zerberus über das gesamte Geschehen in der Zinskaserne. Der Beruf des Hausmeisters entstand. Er war der verlängerte Arm des Hausherrn und musste in dessen Auftrag auf Zucht und Ordnung, seine Frau hingegen auf Sauberkeit und Reinheit achten. Von Vorteil waren seine handwerklichen Fähigkeiten, mit denen er allfällige Ausbesserungsarbeiten im Hause selber durchführte.

Person des Vertrauens

Der Hausherr, der in der Regel im eigenen Haus wohnte, hatte natürlich keine Lust, sich mit grölenden Bengeln oder besoffenen Gfrastern anzulegen. Wohnte er hingegen nicht im Haus, so war es für ihn um so wichtiger, in seiner als Wertanlage gekauften Immobilie über eine Person seines Vertrauens zu verfügen, die in seiner Abwesenheit für die Wahrung des mehr oder weniger wertvollen Bestandes sorgte.

Den Zins zahlten in der Regel die Parteien dem Hausherrn selber. Bei manierlichem Auftreten und gutem Aussehen vor allem weiblicher Parteien konnte der Zins auch gestundet werden. Sollte der Hausherr nicht zugegen sein, war der Zins ab Ultimo brav und devot beim Hausmeister abzuliefern. Um die Überwachungsfunktion korrekt vollziehen zu können, bezog der Hausmeister eine Wohnung im Erdgeschoß, links oder rechts am Gang, sodass niemand das Haus betreten oder verlassen konnte, ohne vom Hausmeister perlustriert zu werden. Wehe, wenn jemand der Parteien den Verputz im Gang touchierte und damit zum "Abblatln" brachte oder den Fußball auf der Stiege fallen ließ - die Rache des Hausmeisters war ihm sicher. Und wehe, wenn ein fremdes Mannsbild den Weg in die höheren Stockwerke begehrte - der sofort Sexskandale witternde Zerberus war ihm ein unumgängliches Hindernis.

Wie Peter Payer in den "Wiener Geschichtsblättern 4/1996" treffend vermerkte, war der Hausmeister anno dazumal ein Produkt von frühkapitalistisch-patriarchalischen Lebensformen. Dazu passte auch das von vielen Zeitgenossen kolportierte und im Spätkapitalismus fast anachronistische "Hausmeisterbankerl". Dort, also auf dem Gehsteig neben dem Hauseingang, saßen zu Sonn- und Feiertagen Herr und Frau Hausmeister. Sie, die Frau Hausmeister - noch ohne -in, also keine Hausmeisterin - mit dem obligatorischen Strickstrumpf, er, der Herr Hausmeister, mit der Pfeife in der einen und dem Krügerl in der anderen Hand. Und stets hielten sie ihr angestammtes Revier, also Haus und angrenzende Nachbarschaft, streng im Blickfeld . . .

Dennoch möchte ich eine eigenartige Dichotomie festhalten. Einerseits war die Macht des Hausmeisters nahezu schrankenlos. Parteien mit lärmenden Kindern mussten mit der Kündigung rechnen; neuen Mietern hingegen war es angeraten, erst die Gunst des Hausmeisters zu erlangen, was ihnen durch die Wiener Kombination von Arschkriechen & Süßholzraspeln & Schmieren oft gelingen sollte. Und zudem verfügte der Hausmeister als Einziger über den Hausschlüssel. Wer nun nach der obligatorischen Haustorsperre um 22 Uhr nach Hause kam, der musste erst den Hausmeister herausläuten und ihm für das Aufsperren den Obolus von sechs Kreuzern (vulgo das "Sechserl") verrichten.

Spärliche Entlohnung

Doch warum Dichotomie? Die Wohnverhältnisse des Hausmeisters entsprachen nicht seiner sozialen Stellung. Er logierte - ohne Zins zu zahlen - im Erdgeschoß; die Hausmeisterwohnung war in der Regel nicht gerade geräumig, oft feucht und unansehnlich. Entlohnt wurde er - abgesehen vom Sperrsechserl - nur für die Putzdienste, die seine Frau durchführte. Eine rechtliche Absicherung gab es nicht.

Zwei Zitate möchte ich noch anführen, die die Stellung des Hausmeisters illustrieren können, eines aus einer Tageszeitung, eines aus der Literatur. Die "Arbeiter-Zeitung" berichtete im September 1911:

"Vorgestern und gestern kam es in der Herthergasse vor dem Haus Nr. 26 zu aufsehenerregenden Demonstrationen. Die Ursache war, dass zwei Parteien, von denen die eine 13 Jahre, die andere schon 17 Jahre in diesem Haus wohnt, von der Hausbesorgerin, einem Fräulein Kaspar, gekündigt, während einer dritten Partei die Kündigung angedroht wurde. Diese Kündigungen wurden gestern im Bezirk bekannt und erregten besonders deshalb große Empörung, weil es sich bei jener Partei, der einstweilen die Kündigung nur angedroht worden war, um eine hochschwangere Frau und Mutter von 6 Kindern handelt. Die Entrüstung darüber war so groß, dass sich abends vor dem bezeichneten Haus etwa 2000 Personen ansammelten. Der Groll kehrte sich hauptsächlich gegen die Hausbesorgerin, von der gesagt wird, daß sie Kündigungen auf eigene Faust vornehme."

Auch in den Romanen von Heimito von Doderer taucht oft die Gestalt des Hausmeisters auf. Doderer verwendete für ihn ob seines angeblichen Gestankes die abfällig-ironische Bezeichnung "foetor conciergicus", wohnhaft in "troglodytischer Enge". Die Familiennamen stammten - Beispiel: Wewerka - aus dem Tschechischen, und das bedeutet bei Doderer nichts Gutes. Auch sonst will ich weitere Schilderungen des homo conciergicus dem Leser ersparen.

Zum Schluss sei noch auf eine historische Hausmeisterin verwiesen. In der Hernalser Gschwandnergasse 32 arbeitete dereinst Frau Katherina Kunschak als Hausbesorgerin. Sie hatte zwei Söhne: Leopold Kunschak, der es zum anerkannten Arbeiterführer der Christlich-sozialen Partei brachte, ohne bis zu seinem Tode seinen wütenden Antisemitismus zu verlieren. Und Paul Kunschak, der auf Grund seines Hasses auf alle Sozialisten den beliebten Arbeiterführer Franz Schuhmeier am 1. Februar 1913 am Wiener Nordwestbahnhof erschoss.

Der "Blockwart"

Eine besondere Funktion übte der Hausmeister im Dritten Reich aus. Als Blockwart kannte er durch permanente Bespitzelung und durch gezieltes Ausfragen im Rahmen des Haustratsches die politische Gesinnung aller Hausparteien. Er wusste, wo die Juden wohnten, er wusste, wer Feindsender hörte, er wusste, wer sich abfällig über den Führer geäußert hatte. Der Weg zur Denunziation war denkbar einfach und führte zur nächsten Gestapostelle.

Jimmy Berg, nach New York emigrierter Komponist und Textautor, schrieb anno 1946 in dem Lied "Mein Wiener Hausbesorger": "Mein Wiener Hausbesorger hat mir jüngst geschrieben, / Er schwört, er ist die ganze Zeit mir treu geblieben,/ Er sagt, das braune Gift war ihm nicht eingeimpft, / Und nur wenn’s sein musst hat auf Juden er g’schimpft!"

Langsam, aber sicher kommen wir in der Nachkriegszeit zu einem epochalen Strukturwechsel. Bis in die Fünfziger, ja in die frühen Sechzigerjahre gab es noch immer in manchen Wiener Zinskasernen den Hausherren, der im eigenen Hause wohnte. Von Fall zu Fall - sprich von Haus zu Haus - zahlte man noch immer dem Hausherrn den Zins zu Ultimo bar in die Hand und erhielt einen handgeschriebenen, manchmal auch einen vorgedruckten Zettel als Bestätigung: März 63 bezahlt. Ältere Nachbarn im von mir bewohnten Haus in der Meidlinger Fockygasse können sich an diese Zettelwirtschaft gut erinnern.

Auf der anderen Seite konnte der Hausmeister noch immer Angst und Schrecken verbreiten. Als Beweis ein Lied des jungen Wolfgang Ambros: " Franz Pokorny, 60, Hausbesorger": "De Hockn von an Hausmasta besteht / darin, dass er waß, wos in sein Haus vuageht. / Der Hausmeister is a Respektsperson".

Die Drecksarbeit

Doch auf einmal schaute alles ganz anders aus. Die soziale Stellung der Hausmeister änderte sich mit dem verstärkten Aufkommen der Gastarbeiter in den Siebzigerjahren. Tätigkeiten wie das Putzen der Stufen oder das Wegschaufeln des Schnees konnte keinem Wiener mehr zugemutet werden. Da mussten nun "der Mirko" und "die Dragica" her, wie der Wiener seine Zuwanderer in den ersten Jahren stereotyp und in Unkenntnis der tatsächlichen Namen gerne bezeichnete. Der neue Hausmeister war nunmehr ein Schackl, der die Drecksarbeit zu verrichten hatte, und den man mit wilder Entschlossenheit aus seiner Wohnung herausläutete, wenn ein Fetzen Papier ungeziemend im Stiegenhaus herumkullerte. "Du da putzen!" und "Du da schaufeln!" waren die beliebtesten Dialoge, die der Wiener mit dem Mirko und mit der Dragica zu führen pflegte.

Aber auch diese historische Phase ist schon wieder Vergangenheit. Im Jahre 2000 wurde von der ÖVP-FPÖ-Koalition ein neues Hausbesorgergesetz beschlossen, das nach dem Auslaufen der alten Verträge mit den Hausbesorgern zu einer weitgehenden Liberalisierung führte.

Es war ja der Hausherr als Person längst verschwunden und durch eine fernab des Hauses tätige Firma substituiert worden, die die Verwaltung des Hauses an die Hausverwaltung delegierte. Und nun verschwand der Hausmeister als Person und wurde substituiert durch eine Reinigungsfirma mit türkischem Personal. Die hat mit der Hausverwaltung einen Vertrag geschlossen, der in etwa vorsieht: 1mal wöchentliche Arbeitsleistungen, halbjährliche Arbeitsleistungen, Wartung. Was hingegen geschehen soll, wenn im Gang ein Licht ausfällt, weiß nicht einmal der hochverehrte Schutzpatron des homo conciergissimus.

Beppo Beyerl, geboren 1955, lebt als freier Schriftsteller in Wien. Der Text hier ist ein Auszug aus seinem Buch "26 Verschwindungen. Von Arbeiter-Zeitung bis Ziegelbehm". In diesem Buch, das im Wiener Löcker Verlag erschienen ist, beschreibt Beyerl 26 verschwundene und vergessene Dinge.