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Ehrung mit Ablaufdatum

Von Dietmar Grieser

Reflexionen

Die Umbenennung von Straßen geht häufig mit politischen Konflikten einher. Auf dem Wiener Stadtplan finden sich dafür zahlreiche Beispiele.


Als ich 1958 - damals noch als Untermieter - in den 3. Wiener Gemeindebezirk übersiedelte, bekam ich es mit einem Problem zu tun, das mir sehr typisch vorkam für diese Stadt und manche ihrer Bewohner. Dannebergplatz lautete die Adresse - so stand es auf meinem Meldezettel, so las ich es auf den Straßenschildern, an sämtlichen Haustoren und auch auf dem Stadtplan, den ich mir zugelegt hatte. Doch manche der Anrainer, mit denen ich ins Gespräch kam, vor allem die der älteren Generation, verwendeten für den Dannebergplatz konstant einen anderen Namen: Arenbergring. Auch wenn ich für den Heimweg zu meinem neuen Zuhause ein Taxi bestieg, tat ich gut daran, nach dem Arenbergring zu verlangen: Einen Dannebergplatz kannten nur die wenigsten Fahrer (und der Navigator war noch nicht erfunden).

Arenberg - Danneberg

Was war der Grund für dieses Verwirrspiel? Der 1906 nach den einstmals hier residierenden Fürsten Arenberg benannte Straßenzug war 1949 in Dannebergplatz umgetauft worden - jenem führenden SPÖ-Politiker Robert Danneberg zu Ehren, der, von den Nationalsozialisten verfolgt, 1942 in Auschwitz umgekommen war.

Straßenumbenennungen sind immer eine problematische Angelegenheit: Die Leute trennen sich ungern von einer seit Jahrzehnten gewohnten Adresse, auch ist die behördlich verfügte Umstellung mit mancherlei Mühsal, ja Unkosten verbunden. Aus ebendiesem Grund hat man für den 1978 inaugurierten Robert-Stolz-Platz (zwischen Schillerplatz und Opernring) ganz bewusst eine Örtlichkeit gewählt, die, vordem der Goethegasse zugehörig, keinerlei Hauseingänge aufweist.

Im Fall Dannebergplatz mochte noch hinzukommen, dass manche der hier Ansässigen Vorbehalte gegen den neuen "Taufpaten" hatten: Der Dannebergplatz liegt in einem Stadtviertel, das - damals noch weit mehr als heute - von bürgerlich-konservativen Familien bevölkert war, darunter hochbetagten Aristokraten, die vielleicht gar noch von den alten Zeiten träumten, vom schmählich untergegangenen Kaiserreich.

Tatsächlich lebte damals in einem der Häuser eine bekennende Monarchistin, die ihr hartnäckiges Festhalten am Arenbergring sogar öffentlich kundtat, indem sie sich standhaft weigerte, ihren Telefonbucheintrag auf den neuesten Stand bringen zu lassen. Auch, als der Arenbergring bereits seit über zwanzig Jahren Dannebergplatz hieß, klammerte sie sich an die alte Adresse, und ich kann mir lebhaft vorstellen, welche Befriedigung es ihr verschaffte, bei der alljährlichen Zustellung des Telefonbuchs Nachschau zu halten, ob es ihr ein weiteres Mal gelungen war, die (ahnungslose) Redaktion zu überlisten. Tatsächlich hat sie dieses Spiel bis zu ihrem Tod durchgezogen. Ein Triumph des Starrsinns!

In einer so straff durchorganisierten Stadt wie Wien unterliegt selbstverständlich auch das Kapitel Straßennamen festen Regeln. Die 1872 von dem damaligen Stadtarchivar Karl Weiß ausgearbeiteten "Benennungsgrundsätze" sind grosso modo bis heute gültig; sie nennen als Kriterien den anhaltenden Nachruhm bedeutender Persönlichkeiten, die Erinnerung an große historische Ereignisse sowie (dies allerdings immer seltener) die Einbeziehung erhaltungswürdiger Flurbezeichnungen und Katasterangaben.

Die Rolle der Politik

Auch die Politik spielt dabei eine tragende Rolle. Sowohl das Ende der Monarchie wie die Überwindung von Ständestaat und Nationalsozialismus, sowohl Besatzungszeit wie Ausrufung der Zweiten Republik hatten zahlreiche Umbenennungen von "Verkehrsflächen" zur Folge. Das ging nicht immer ohne Streit ab unter den verschiedenen "Lagern". Nur in einem war man sich seit einem Gemeinderatsbeschluss von 1894 stets einig: Es dürfen für Straßenbenennungen im Raum Wien keine noch lebenden Personen herangezogen werden. Es gilt also auch hier das Goethe-Wort aus dem "West-östlichen Divan": "Stirb und werde." Kein Wunder daher, dass die jüngst erwogene Einführung einer nach der 1948 geborenen Schriftstellerin Anna Mitgutsch benannten Straße im oberösterreichischen Leonding einen erbitterten Parteienstreit auslöste. Selbst die also Geehrte äußerte Bedenken: "Eigentlich hoffe ich, noch eine Weile zu leben . . ."

Keine Regel ohne Ausnahme: Kaiser Franz Joseph, ja sogar die minder geliebte Kaiserin Zita konnten sich noch zu Lebzeiten ihrer "eigenen" Straßen erfreuen: Erst 1894 wurde die Kaiser-Franz-Joseph-Straße im Bezirk Ober-St. Veit in Seifertstraße, erst 1919 der Kaiserin-Zita-Ring in Kärtnerring umgetauft. Und wie verhält es sich mit den großen Toten aus dem Hause Habsburg-Lothringen? Aus der Kaiserin-Elisabeth-Gasse in Floridsdorf wird 1919 die Mengergasse, nur der Kronprinz hat bis heute seinen Rudolfsplatz. Wer noch auf seine diesbezügliche Verewigung warten muss, ist Otto von Habsburg. Die 1862 im Bezirk Landstraße aus der Taufe gehobene Ottogasse kann selbst der glühendste Legitimist nicht dem Kaisersohn zuordnen. Simbrunners Standardwerk "Wiener Straßennamen von A bis Z" begnügt sich unter dem Stichwort Ottogasse mit der lakonischen Auskunft: "Benennungsgrund nicht mehr feststellbar."

Gehen wir weiter zurück in der an Kuriosa reichen Geschichte der Straßenumbenennungen, so landen wir zunächst bei der Revolution von 1848, die den Wienern über Nacht eine Barrikadenstraße, einen Constitutionsplatz, eine Studentenstraße und eine Versöhnungsstraße beschert hat. Bis heute erhalten geblieben sind die an die sogenannten März-Gefallenen erinnernde Märzstraße und der Achtundvierzigerplatz, während der Freiheitsplatz im Heurigenvorort Stammersdorf eine spätere Kreation ist: gewidmet dem Gedenken an die Ausrufung der Republik anno 1918.

Einen wahren Boom an Umbenennungen löste das Großprojekt des Ringstraßenbaues aus: Namen aus dem alten Wien, die inzwischen an Strahlkraft verloren haben, werden durch Persönlichkeiten höheren (und bleibenderen) Ranges ersetzt. So mutiert die Krebsgasse zur Marc-Aurel-Straße, die Untere Bäckerstraße zur Sonnenfelsgasse.

In den 1920er und frühen 1930er Jahren - insbesondere als Folge der Februarkämpfe - kommen eine Reihe sozialdemokratischer Arbeiterführer als "Straßenpaten" zum Zuge, und eine förmliche Umwälzung setzt nach 1945 ein, als es gilt, die Namen der diversen Nazigrößen aus dem Stadtbild zu tilgen: Der Rathausplatz löst den Adolf-Hitler-Platz ab, Gauleiter Josef Bürckel muss Bundespräsident Karl Renner weichen (wobei der nunmehrige Dr.-Karl-Renner-Ring in seiner Geschichte - von Franzensring über Ring des 12. November bis zu Dr.-Ignaz--Seipel-Ring und Parlamentsring - nicht weniger als fünf Mal seinen Namen wechselt).

Bei der 1955 erfolgenden Umwandlung der Kernstock- in die Tauschinsky-Gasse verbleibt man innerhalb der "Branche": Dem "braunen" Barden Ottokar Kernstock folgt der "rote" Publizist Hippolyt Tauschinsky. Schon 1920 wird aus der Großen Zufahrtsstraße die Straße des Ersten Mai, und Kaiser Franz Josephs Kriegstreiber Conrad von Hötzendorf wird 1949 zugunsten des Reichsratsabgeordneten Josef Schlesinger eliminiert.

Lueger und Renner

Im Zuge der durch die Waldheim-Affäre der 1980er Jahre ausgelösten verstärkten Aufarbeitung des österreichischen NS-Erbes kommt es nicht nur zur Rehabilitierung etlicher 1938 aus ihrer Heimat vertriebener jüdischer Persönlichkeiten, sondern auch zu einer heftig geführten Diskussion über die Frage, ob es zulässig sei, an der Ehrung eines erklärten Antisemiten wie des Bürgermeisters Karl Lueger festzuhalten - mit dem Ergebnis, dass der Dr.-Karl-Lueger-Ring 2012 tatsächlich in Universitätsring umbenannt wird. Bis dato gescheitert sind die "Retourkutschen" der Gegenseite, doch auch den "Anschluss"-Sympathisanten Karl Renner und den Euthanasie-Befürworter Julius Tandler an den Pranger zu stellen.

Weitere "Kandidaten" für eventuelle "Verbannung" aus dem Wiener Straßennetz sind der Autokonstrukteur Ferdinand Porsche, dem sein NSDAP-Parteibuch und der Totenkopfring der SS vorgehalten werden, der Radsport-Profi Ferry Dusika, der von der Arisierung jüdischer Geschäfte profitierte, und die Schriftstellerin Maria Grengg, die vor lauter Hitler-Kult ihr Geburtsdatum gefälscht hatte, nur um im selben Jahr wie der "Führer" auf die Welt gekommen zu sein. Erst spät wurden die NS-Verstrickungen der Theaterwissenschafterin Margret Dietrich enthüllt - ihr Name ist inzwischen aus dem Straßenverzeichnis getilgt. Im Hinblick auf den Austragungsort des Song Contest 2015, die Wiener Stadthalle, geriet schließlich auch deren Erbauer, Architekt Roland Rainer, in die Diskussion: Sei es der Weltöffentlichkeit gegenüber zu verantworten, dass die Großveranstaltung an einem Ort (Roland-Rainer-Platz 1) stattfinde, der an die biologistisch-rassistische Diktion des einstigen NS-Günstlings erinnere?

Über alle Kritik erhaben ist der Beschluss des Wiener Gemeinderats vom 23. November 1982, das Verbindungsstück zwischen Siebeckstraße und Prandaugasse im Herzen von Kagran in Straße der Menschenrechte umzubenennen. Ich denke, das ist eine UNO-Stadt wie Wien sich und der Welt schuldig. Breiter Zustimmung gewiss ist auch der Plan der Bezirksvertretung Wien-Margareten, den Hauptwegen des Naschmarkts in Hinkunft Namen zu geben - und zwar die wirklich vorzüglich passenden Namen Sopherl, Minerl, Reserl und Mariedl.

Ein anderes Kapitel ist die Gedenkkultur rund um die alliierten Besatzungsmächte nach dem Zweiten Weltkrieg. Erst nach dem Abzug der letzten Sowjetsoldaten im Oktober 1955 kann sich der Stalinplatz wieder in den altehrwürdigen Schwarzenbergplatz zurückverwandeln, und die "zur Erinnerung an die Befreiung Wiens vom Hitler-Faschismus" installierte Straße der Roten Armee wird in Industriestraße umbenannt.

Zum Schluss noch ein Wort zu einer neueren Zeiterscheinung, die durchaus auch bei Straßenumbenennungen eine Rolle spielen könnte. Ich spreche von der wegen ihrer zahlreichen, oft ans Lächerliche grenzenden Auswüchse heftig umstrittenen "political correctness". Bevor allzu eifrige Hitzköpfe auf die Idee kommen könnten, vielleicht auch die Negerlegasse im Bezirk Leopoldstadt in Frage zu stellen, sei vorsorglich angemerkt, dass es sich bei diesem herzig anmutenden Namensgeber nicht - wie etwa im Falle der Kleinen Mohrengasse - um einen juvenilen Vertreter der "schwarzen Rasse", sondern um den garantiert "weißhäutigen" Handelsmann Wilhelm Negerle handelt, der mit der Errichtung der ersten Häuser in dem betreffenden Grätzel in die Wiener Lokalgeschichte eingegangen ist.

Dietmar Grieser, geboren 1934, lebt als Schriftsteller und literarischer Reporter in Wien. Der Text hier ist ein gekürzter Auszug aus seinem neuesten Buch: "Wege, die man nicht vergisst. Entdeckungen und Erinnerungen" - soeben im Wiener Amalthea Verlag erschienen (277 Seiten, 24,95 Euro).