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Mit Komfort und Seele

Von Elisabeth Hewson

Reflexionen

Nicht zu elegant, aber erst recht nicht zu einfach: So empfängt das Berliner Hotel Savoy seit Jahrzehnten seine Gäste.


Hotels haben einen eigenen Zauber, der auch in Filmen immer wieder genützt wird: Von "Menschen im Hotel", 1932 nach einem Roman von Vicki Baum gedreht, bis zum unpersönlichen Tokioter Hotel aus "Lost in Translation" oder dem bizarren "The Grand Budapest Hotel" sind die verschiedenen Hotelhallen, Gänge und Suiten ein ideales Biotop für die verschiedensten Schicksale, Persönlichkeiten, Tragödien oder Liebesgeschichten.

Im Hotel "Savoy" in Berlin, gleich hinter dem Ku’damm, in der Fasanenstraße, setzte - und setzt - man sich allerdings nicht für Kameras in Szene, sondern ist selbst die Szene. Das Ambiente stammt aus den 1930er Jahren, als der Werkbund-Architekt Heinrich Straumer beschloss, das modernste Hotel Berlins mit nie gekanntem Komfort zu bauen: In jedem Zimmer ein Bad! Telefon auf jedem Nachttisch! Elektrische Türöffner, vom Bett aus zu bedienen! Thomas Mann war sofort bezaubert und empfahl es allen seinen Freunden: "Man soll solche Gelegenheiten wahrnehmen, seiner Menschenfreundlichkeit Genüge zu leisten, indem man auch andere darauf hinweist."

Und alle, alle kamen und kommen: Filmstars, Regisseure, Schriftsteller, Musiker, Dirigenten, von der Garbo bis zu Hans Albers, von Maria Callas bis zu Herbert von Karajan, von Istvan Szabo bis zu Romy Schneider, deren Eintragung in das Gästebuch "Gott sei Dank - ruhig!" wahrscheinlich genau den Punkt trifft: Hier wird man nicht angestarrt, umlagert, betulich bewundert, hier wird man einfach freundlich empfangen und umsorgt, egal ob Promi oder Mr. Unbekannt. Und wer öfter hierher kommt - und das tun viele -, wird mit Namen angesprochen und fühlt sich wie ein Heimkehrer.

Sicher auch dank der Wandtäfelung, riesiger Spiegel, imposanter Sitzgruppen, glitzernder Luster, nicht zu elegant, nicht zu einfach; auch dank der großen, hohen Zimmer mit den altmodischen Doppelfenstern und dem Gefühl von Sicherheit und unvergänglicher Gediegenheit; dank dem Blick aus dem Fenster auf das wunderbar altmodische Delphi-Filmtheater; der gemütlichen englischen Bar, in der man glaubt, hinter jeder Zigarrenrauchwolke einen Henry Miller, Churchill oder Heinrich Böll zu erkennen: irgendwie liegt deren Nimbus noch in der Luft.

Der Empfangschef

Bodo Wulfert ist seit 50 Jahren für viele Gäste das Gesicht dieses Hotels. Er bedauert nur eines: "Noch heute könnte ich mich dafür ohrfeigen, dass ich in meiner Anfangszeit im Savoy einem Gast verwehrte, mir das ausschweifende Berliner Nachtleben zu zeigen: Der Gast war Henry Miller!"

Früher Empfangschef und stellvertretender Direktor, konnte Wulfert sein geliebtes Savoy mit 65 einfach nicht verlassen und hätte das Gefühl gehabt, "seine" Gäste im Stich zu lassen. "Da ich alle Gäste kenne, hat man mich gebeten, zu bleiben." Er ist jetzt offiziell Guest Relation Manager, er selbst nennt das "Gäste-Unterhalter". Dafür sitzt er montags bis freitags gegenüber dem Empfang an seinem kleinen Mahagoni-Schreibtisch unter einem riesigen Bulldoggenbild und strahlt, wenn ein Stammgast durch die Glastür sichtbar wird.

Wie wird man zu so einem Vertrauten, oft sogar Freund von Besuchern aus der ganzen Welt, berühmt und sogar manchmal berüchtigt? Herr Wulfert wollte nach der Bundeswehr irgendwohin, wo es keine Uniformen gibt, noch besser dorthin, wo es damals keine Bundeswehr gab - nach Berlin. Mit seiner Ausbildung in der Hotelfachschule suchte er sich also für sein Vorstellungsgespräch ein Hotel aus, das auch seinen Vorstellungen entsprach. Das Kempinski war ihm eine Nummer zu groß, das Adlon lag noch in Schutt und Asche - aber das Savoy gefiel ihm. Und er dem Hotel: "Nach einem 15-minütigen Gespräch war alles geregelt." Er sollte sofort anfangen: Sogar die Koffer wurden für ihn aus Kassel geholt.

Es war eine perfekte Wahl, für beide und für die Gäste. Herr Wulfert fand sich plötzlich inmitten von Literaten, Leinwandgrößen und Dirigenten wieder. "Alle Namhaften waren hier. Und niemals war die Begegnung schwierig, man war mir gegenüber immer aufgeschlossen, so wie ich auch immer versuchte, Sonderwünsche zu erfüllen."

Inspirierende Gäste

Durch diese Begegnungen angeregt, begann er viel zu lesen, sich für die Träger der berühmten Namen und ihre Werke zu interessieren. "Ich wollte ja nicht dumm dastehen." Er genoss den Umgang mit der Sprache. "Heinrich Böll drückte sich immer besonders exakt aus, duldete auch keine Widersprüche. Doch man wollte seine perfekte Satzkonstruktion gar nicht unterbrechen." Ronald Searle, der berühmte englische Karikaturist, war ihm ein besonderer Freund. "Er kam immer mit seiner Frau, hatte einen unglaublichen Humor, war ein echter Champagnerkenner und liebte Wein und gutes Essen. Seine Art, Dinge zu erzählen, war unübertroffen." Heute wird Wulfert manchmal sentimental und fürchtet das Öffnen von schwarz umrandeten Briefen an das Hotel.

Die illustren Brüder

Einige Geschichten von Curt Siodmak, dem Bruder des preisgekrönten Hollywoodregisseurs Robert Siodmak, selbst Drehbuchautor und Regisseur - beide waren häufig zu Gast im Sayoy - sind ihm noch besonders gut in Erinnerung, obwohl schon viele Jahre her. "Er kam oft, immer mit seiner Frau Henriette, er duzte mich, ich siezte ihn natürlich. Er war dann bereits 96, seine Henriette ein Jahr älter, aber der Blick, wie er ihr nachgesehen hat, stolz, glücklich, den vergesse ich nie."

Kurz vor seinem Tod kam Curt Siodmak anlässlich einer Siodmak-Retrospektive zum ersten mal alleine. Herr Wulfert fragte zaghaft nach dem Verbleiben der Frau Gemahlin. Höchst irritiert antwortete Curt Siodmak: "Stell dir vor, die kränkelt!"

Robert Siodmak hingegen brachte seinen Scotch Terrier Hamlet ("Jeder Baum warf doch die Frage auf: To pee or not to pee"), der ihn auch in die Bar begleitete, wo dereinst ein Goldfischbecken den Rauchraum verzierte. Der gelangweilte Hund setzte sich gerne an dessen Rand und zog seine Pfoten durch das Wasser. Und siehe da, eines Tages fehlte ein Goldfisch. Und Hamlet hatte Barverbot - das freilich bald wieder von einem pfotennassen Terrier gebrochen wurde.

Noch eine legendäre Hundegeschichte gibt es: Immer wieder mussten Gäste erstaunt erleben, dass ein Taxi vor der Türe hielt, dem ein Langhaardackel mit Puppe im Maul entstieg, der fröhlich Richtung Lift und Zimmer entschwand, hinter ihm das Personal mit Koffern und Taschen. Ein taxifahrender Hundegast? "Das war Anna, der Hund des Dirigenten Eschenbach. Er war für seine Proben meist zu spät dran, schickte die Hündin deshalb vor, sie kon-trollierte, ob auch alle Koffer da waren, und wenn alles verstaut war, ließ sie sich von uns gnädig Gassi führen."

"Wir waren immer hundefreundlich. Außer bei Kampfhunden. Wie oft haben wir den Lancelot von Nadja Tiller ausgeführt, wenn sie mit ihrem Mann Walter Giller Kollegen traf. Giller aß übrigens immer Eiersalat, nichts anderes. Ich fand es stets erfreulich, wie gut sich Schauspieler im Allgemeinen verstehen, man hat nie den Eindruck von Konkurrenz. Schriftsteller sind da anders, distanzierter, wahrscheinlich, weil sie ja auch nie zusammen arbeiten."

Wulfert selbst plaudert natürlich gerne mit jedem. "Martin Schwab hat immer wieder so viel vom Theater zu erzählen. Ein unglaublich reicher Erfahrungsschatz. Das ist das Schöne, jetzt habe ich Zeit dafür, früher hatte ich immer ein schlechtes Gewissen, weil ich dabei vielleicht andere Gäste vernachlässigen hätte müssen."

Aber es gibt auch andere Geschichten und Geheimnisse, die man über das Savoy erzählen könnte. Schließlich war es im Zweiten Weltkrieg die japanische Botschaft, Nazigrößen wurden einquartiert, oder es wurde zumindest versucht: "Hans Albers sollte einmal seine Suite für den König Peter von Rumänien, der 1936 zu Gast bei der Olympiade und Hitler war, räumen, aber der dachte nicht daran: Ich bin auch ein König hat er gebrüllt und ist nicht ausgezogen."

Von 1945 bis 1953 saß im Savoy das britische Headquarter, und danach im Kalten Krieg wohnten höchstwahrscheinlich auch Spione im Hotel: Kuriere der englischen Krone durften auf dem Weg nach Moskau gratis übernachten, immer wieder fuhren große, dunkle Limousinen vor, denen Männer mit angeketteten Koffern entstiegen. "Die Stasi ist halb verrückt geworden! Und offensichtlich waren hier einige Spitzel im Hotel, denn nach der Wiedervereinigung fand man einen kompletten Schlüsselsatz des Hotels in den Archiven."

Herr Wulfert machte sich auch oft seinen eigenen Reim auf geheimnisvolle Gäste: "Ich erinnere mich an einen Rabbiner aus New York, immer freundlich, immer lächelnd, ein riesiger Mann mit Charme. Der kam, telefonierte viel, traf sich mit Wolfgang Vogel, Honeckers Unterhändler für Agentenaustausch, man verschwand hinter verschlossenen Türen. Und regelmäßig vier Wochen später hörte man Neuigkeiten. Der Rabbi kam schon vor meiner Zeit, als 1962 der Austausch des US-Spionagepiloten Powers nachts um vier Uhr auf der Glienicker Brücke gegen den KGB-Oberst Abel stattfand. Er war sicher vom CIA."

Und so war der Aufruf, der auf Zetteln aus der U-Bahn flatterte (das Savoy ist ja nicht weit davon entfernt), durchaus verständlich: "Bürger Westberlins, meidet das Savoy Hotel, das Agentennest im Herzen eurer Stadt! CIA Agenten wohnen dort: Hübner aus Kassel...!" (Wen immer man damit gemeint hatte, in den Büchern tauchte der genannte Herr nie auf.)

Beliebt wie eh und je

Heute frühstückt Frau Merkel manchmal hier - das Buffet ist legendär und jeder Extrawunsch wird erfüllt. Man trifft Schauspieler, Schriftsteller und viele amerikanische Politiker. Und Herrn Wulfert. "Früher war ich sehr gut mit Namen, heute dauert es mir manchmal viel zu lange, ich bin dann fast in Panik: Wie kannst du so etwas vergessen?"

Ihn kann man nicht vergessen. Wie beschreibt das der niederländische Schriftsteller und Essayist Geert Mak in seinem vielbeachteten Buch "Was, wenn Europa scheitert"? "Im Foyer sitzt Herr Wulfert wie ein Felsen hinter seinem Tresen, und er wird auch weiterhin all seine Gäste erkennen und begrüßen, bis in alle Ewigkeit." Und Peter Zadek hinterließ im Gästebuch den Satz: "Die ganze Welt ist ein Hotel - und das Savoy ist eins der schönsten". Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer dem Wunsch, dort einen Koffer stehen zu haben.

Elisabeth Hewson arbeitete als Werbetexterin und Chefredakteurin einer Konsumentenzeitung und ist heute freie Journalistin. Sie reist viel, und lebt in Wien. Zahlreiche Publikationen.