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Stark, doch mit Verstand

Von Daniela Schröder

Reflexionen
Der 18-Jährige Jetmir (hier mit seiner Mutter) gehört zu Kosovos "neuen Männern".
© Care/Sabine Wilke

Das "Care"-Bildungsprogramm "Be a Man" hilft jungen Männern im Kosovo, neue Verhaltensweisen zu finden.


Als Mutter ist Jetmir ein Star. "Kochen, putzen, waschen, bügeln, einkaufen - und schön aussehen soll ich auch noch?", ruft er mit hoher Stimme, streicht seine wallende Mähne zurück und lässt sich erschöpft aufs Sofa fallen. Die Zuschauer klatschen und pfeifen, Jetmir dankt dem Publikum mit Handküssen. Wenn er mit Perücke, Make-up, ausgestopftem BH und Pumps über die Bühne stolziert, dominiert er das Stück. "Ach mein Sohn", klagt Jetmir theatralisch. "Warum bist du kein Mädchen, das mir im Haushalt hilft?"

Immer wieder geht das so. Bis "Mutter" eines Tages streikt und nur noch auf dem Sofa liegt. Dem "Sohn" bleibt nichts anderes übrig, als selbst zum Spülschwamm zu greifen, Essen zu kochen, Hemden zu bügeln. Erst stinkt es ihm und seine Freunde lästern, irgendwann macht es ihm sogar Spaß und die anderen Jungs sind beeindruckt. Ganz zu schweigen von seiner "Mutter". Die kann es kaum glauben, als sie ihren "Sohn" beim Abwaschen sieht. "Ein Wunder, ein Wunder!" trillert Jetmir und hüpft begeistert um den "Sohn"-Darsteller. Der hat Mühe, ernst zu bleiben, das Publikum in einem Jugendclub in Pristina rastet regelrecht aus.

Verhaltensänderung

Ein 18-Jähriger, der eine Hausfrau spielt, das bricht in seiner Heimat Kosovo alle Konventionen. Jetmir Fejzullahu - groß, kräftig, kurzgeschorene Haare - stört das nicht. Im Gegenteil. "Ich liebe es, mich zu verwandeln, einen ganz anderen Charakter darzustellen", erzählt er nach der Aufführung. Vor allem aber spielt Jetmir eine Geschichte, die er bestens kennt. Es ist seine eigene.

Gut drei Jahre ist es her, da war Jetmir ein klassischer kleiner Macho. Zu Hause rührte er keinen Finger, in der Schule und mit Freunden gab er den aggressiven Draufgänger - keine Ausnahme, sondern normal in einer Gesellschaft, deren Männerbild von traditionellen Verhaltensweisen und Erwartungen geprägt ist. Ein richtiger Mann raucht, trinkt, hat Kraft, baut auf seine körperliche Stärke. Wenn ihm zu Hause etwas nicht passt, schlägt er zu, draußen sowieso, notfalls greift er auch zur Waffe. Wer Frauen und Mädchen gleichwertig behandelt, der ist ein Schwächling; Gefühle zeigen und darüber sprechen, das ist für einen Mann tabu.

Kurz bevor Jetmir in die zehnte Klasse kam, hörte er von einer Initiative namens "Be A Man", ein Bildungsprogramm für junge Männer zwischen 13 und 19 Jahren, mit dem die internationale Hilfsorganisation Care und lokale Partner in der Balkan-Region mobil machen. "Sei ein Mann" lautet das Motto, aber definiere dich und deine Rolle neu. Die Initiative läuft in Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Serbien und Montene-gro, 2006 startete sie im Kosovo. Kern des Projekts sind regelmäßige Treffen, bei denen die Teilnehmer über Themen reden, die in ihrem Alter wichtig sind: Mädchen, Sex, Drogen, Gewalt, Probleme mit den Eltern, Zukunftspläne.

In der Rexhep Mala, einer schmalen Seitenstraße im Zen-trum von Pristina, zwei Ecken entfernt vom Bildungsministerium, teilt sich "Be A Man" mit mehreren Zivilgesellschafts-Organisationen ein Haus. Ein junger Mann in roter Jeans und schmalem Schal steht vor der Tür, Jetmir und seine Freunde begrüßen ihn mit Handschlag, halber Umarmung, zwei Wangenküssen. Care-Mitarbeiter Besnik Leka, der das Anti-Macho-Programm im Kosovo leitet, sieht kaum älter aus als die Teilnehmer, 30 ist er gerade geworden.

Kritische Fragen

Die Burschen setzen sich um einen großen ovalen Tisch, Jetmir und zwei andere fallen auf Sitzsäcke. "Etiketimi" schreibt Leka auf einen Bogen Papier an der Wand und kringelt das Wort ein, so heißt "Etikett", oder "Label" auf Albanisch. "Etiketimi - was versteht ihr darunter?", fragt er. "Wenn mich jemand mit einem Begriff bezeichnet, der verächtlich ist", sagt Agon Kelmendi, 18, schmales Bärtchen, tief sitzende Jeans, Kapuzenpulli. "Jemand so alt wie ich, der mich immer wieder Sohn nennt, der nimmt mich nicht ernst, der macht sich über mich lustig." - "Früher dachte ich, Gewalt ist, wenn man sich prügelt oder Schlimmeres", sagt Korab Jaha, 18, blonde Wuschelfrisur, Sneaker. "Aber Schimpfwörter sind auch eine Form von Gewalt. Oft tun sie sogar mehr weh als ein Schlag ins Gesicht."

Betreuer Besnik Leka hört den Jugendlichen zu, fragt oder bohrt nach, taut die Schweigsamen auf, bändigt die Redenschwinger. Seit vier Jahren betreut er das Programm. Leka hat als Kellner gearbeitet, wird bald für ein Studium in die USA gehen und träumt davon, eines Tages im Kosovo eine Schule zu leiten. Aufgewachsen ist er in Kamenica, einer Kleinstadt im Osten des Landes. Ein trister Ort, sagt Leka. Die Familie hatte acht Kinder, Besnik war nicht der Jüngste, aber der Kleinste, die Schwestern zogen ihm oft Mädchenkleider an.

"Wann ist ein Mann ein Mann? Das ist in unserer Gesellschaft eine schwierige Frage", sagt Leka. "Wir schreiben daher niemandem vor, wie er sich verhalten soll. Unser Ziel ist, dass sich die Jugendlichen über die herrschenden Einstellungen zu Gewalt und Geschlechterrollen bewusst werden und dass sie andere Wege kennen lernen, miteinander umzugehen."

Die Gründe für Gewaltbereitschaft und Diskriminierung liegen erst wenige Jahre zurück. Während der Jugoslawienkriege in den 1990ern entwickelte sich in der Region eine patriarchalische Gesellschaft, der Krieg verstärkte alte Rollenbilder: Die Männer kämpften als Soldaten oder blieben als Beschützer bei ihren Familien. Depressionen und Kriegstraumata ließen viele Männer aggressiv werden, ihre Söhne wuchsen mit dem Vorbild des dominanten Macho-Mannes auf.

Die wirtschaftlich anhaltend schlechte Lage verschärft die Situation, der Kosovo war und ist die ärmste Ecke Europas. Armut und fehlende Perspektiven treffen besonders die junge Generation. Mehr als zwei Drittel der 1,8 Millionen Einwohner sind jünger als 24 - und mehr als 60 Prozent der jungen Leute haben keinen Job. Die Bildungschancen sind schlecht, es gibt kaum Freizeitangebote. Alkohol und Drogen vertreiben die Langeweile, verdrängen die Zukunftssorgen und verstärken das Gewaltpotenzial.

Kinder ohne Väter

Vor allem aber ließ die noch frische Kriegsvergangenheit eine Generation von Kindern ohne Väter aufwachsen, besonders den Söhnen fehlte der Orientierungspunkt. Auch Jetmir wurde ohne seinen Vater groß. Der ging kurz vor Ausbruch des Kosovokriegs in die Schweiz, sein Sohn war zwei Monate alt. Wenn sich die Lage wieder beruhigt hat, komme ich zurück, versprach er seiner Frau.

Doch er kam nicht zurück. "Ich habe ihn nie kennen gelernt", erzählt Jetmir. "Nur manchmal hat er angerufen. Über das Erwachsenwerden und über Mädchen und so habe ich mit meinen Freunden geredet." Er lacht, wird ein bisschen rot. "Das sind keine Themen für einen Sohn und seine Mutter."

Mit Mutter und Schwester wohnt Jetmir in einem kleinen Dorf bei Pristina. Neve heißt seine Mutter, 52 ist sie, eine zierliche Frau mit braun gebranntem Gesicht und rauen Händen. Der Garten hinter ihrem kleinen alten Haus ist eine gepflegte Wildnis aus Beerensträuchern und Blüten, sie bringt starken Kaffee und eine Kiste mit Fotos. Das Haus ihrer Eltern, niedergebrannt im Krieg. Ihre Brüder mit Frauen und Kindern auf Familienfesten. Neve als schöne junge Frau in Sommerbluse, an der Hand ein kleines Mädchen, auf dem Arm ein dickes Baby mit dunklen Knopfaugen, Jetmir. Fotos mit seinem Vater zeigt sie nicht.

"Die Frauen meiner Generation sind stark", sagt sie später. "Doch natürlich habe ich unter der Situation gelitten, ich habe oft geweint. Aber nur nachts, wenn die Kinder schliefen. Es war für sie schon hart genug, ohne Vater aufzuwachsen, ich wollte sie nicht zusätzlich belasten."

Hoffnungen

Was hält sie von der "Be A Man"-Bewegung? Erziehung ist vor allem Elternsache, wozu braucht es so eine Initiative? Sie blickt auf ihre Hände. "Ich habe versucht, meinen Kindern alles im Leben Wichtige beizubringen. Aber ich musste gleichzeitig arbeiten und hatte wenig Zeit für sie. Jetmir musste die Welt selbst entdecken, er musste Fehler machen und aus Erfahrungen lernen." Hat das Männer-Training Jetmirs Einstellung gegenüber Mädchen und Frauen verändert? "Ich hoffe es", sagt sie, lächelt und zwinkert. "Es ist gut, dass sie dort auch über Sexualität sprechen. Das fällt mir mit meinen Kindern sehr schwer. Besonders mit Jetmir."

Jetmir, Agon und Korab sitzen mit Freunden in einem Café im Zentrum von Pristina, zwei tragen ein T-Shirt mit dem Logo von "Be A Man": ein Arm in Muskelprotz-Pose, doch der Muskel ist ein Gehirn. "Klubi Bonu Burre" steht darunter. "Der Club" sagen die Jugendlichen nur, es klingt nach einer verschworenen Gemeinschaft. Mehr als 15.000 junge Männer in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien haben das Anti-Macho-Training bisher mitgemacht, eine Erfolgsgeschichte.

Allerdings steigen immer wieder Jungen aus, erzählt Kosovo-Projektleiter Leka. Wer aber dabei bleibt und das dreijährige Programm durchzieht so wie Jetmir, der identifiziert sich stark mit der Initiative. Was ihnen der Club vermittelt, das geben sie weiter: In einem Männer-Kochwettbewerb in Pristinas Fußgängerzone, auf einer eigenen Facebook-Seite des "Klubi Bonu Burre", im "Wann ist ein Mann ein Mann?"-Theaterstück, bei dem Jetmir die aufgedrehte Mutter spielt. Vor allem aber übernehmen einige der jungen Männer das, was bisher ihr Betreuer Leka machte: Sie organisieren Workshops, in denen sie für Gleichberechtigung und gegen Gewalt mobil machen.

Daniela Schröder lebt in Hamburg und arbeitet als freie Autorin und Redakteurin, ihr Schwerpunkt liegt auf Wirtschaftsthemen aus den Bereichen Energie, Rohstoffe und Innovationen.

Care International zählt zu den
weltweit größten internationalen Hilfsorganisationen. Über 9000  MitarbeiterInnen weltweit, davon 98 Prozent direkt aus den  Projektländern arbeiten an der Vision einer Welt ohne Armut. Care hat
Beraterstatus bei den Vereinten Nationen und ist politisch und religiös unabhängig. Care International besteht aus 14 unabhängigen nationalen Mitgliedsorganisationen. Dazu zählen: Australien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Japan, Kanada, Niederlande,
Norwegen, Österreich, Peru, Thailand, USA.