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Einsiedelei auf Zeit

Von Rudolf Stumberger

Reflexionen
In diese Holzhütte kann man sich bis zu zwei Wochen als Einsiedler zurückziehen. Pater Christian steht als Betreuer bereit.
© Stumberger

Das Kloster Maria Eck im bayerischen Chiemgau bietet Besinnungstage in einer Walderemitage an.


"Ich war einfach da",
diesen Satz hat jemand am 15. April in das kleine Büchlein geschrieben, das auf dem Holztisch in der Ecke des Raumes liegt. "War in Gedanken verloren, jetzt voller Zuversicht", lautet ein anderer Eintrag, vom September vergangenen Jahres.

Tisch und Büchlein gehören zur Einrichtung der Blockhütte, die in der Nähe des Klosters Maria Eck einsam im Wald steht. Es ist eine Einsiedelei, in der Gäste für eine oder zwei Wochen zu sich selbst finden können. "Es gibt immer mehr Menschen, die fragen: Soll das Leben aus dieser Tretmühle bestehen?", sagt Bruder Christian. Der Druck in der Arbeitswelt würde immer größer, so wie auch die Sehnsucht nach dem Ausstieg aus der Hektik. Vor zwei Jahren hat der Franziskaner die Einsiedelei auf Zeit ins Leben gerufen - und seitdem ist die Hütte meist ausgebucht.

In karger Einrichtung fallen innere Andacht und Achtsamkeit leichter.
© Stumberger

Das Kloster Maria Eck liegt am Fuße des Hochfelln im bayerischen Chiemgau, von hier aus geht der Blick weit hinüber zum Chiemsee. Die Anfahrt schlängelt sich durch abgelegene Weiler hinauf in die Höhe. Der Wallfahrtsort geht zurück auf das 16. Jahrhundert, neben dem mächtigen Kirchenbau findet sich auch ein großräumiger Klostergasthof. Und etwas oberhalb liegt das Kloster der Franziskaner-Minoriten, fünf Brüder leben heute noch in den ehrwürdigen Mauern.

Sport und Spiritualität

Zu ihnen gehört Bruder Christian. Der schlanke 50-Jährige ist ein rühriger Pater, er kümmert sich um einen neu angelegten Steingarten, organisiert ein Jugendfest bei einem renovierten Heustadel des Klosters, hat an einem Wanderweg mit Hilfe von Freunden und Sponsoren eine Waldkapelle mit kleiner Grotte errichtet. Mit 32 Jahren ist er in den Orden eingetreten, zuvor hatte er als Sportlehrer in einem Sanatorium gearbeitet. Auf einer Reise durch Nepal und Sikkim hatte er in einem buddhistischen Kloster die Begegnung mit der Spiritualität: "Ich habe die Erfahrung gemacht, da gibt es noch mehr." Nach seiner Rückkehr beschäftigte er sich zusehends mit der Bibel und entschloss sich schließlich, Franziskaner zu werden.

Die Idee, eine Einsiedelei zu errichten, kam ihm durch die Erfahrung bei Exerzitien. "Meine Hauptaufgabe besteht darin, den Menschen zu helfen, in den Zustand der Achtsamkeit zu gelangen", schildert er seine Aufgabe bei der Betreuung der Einsiedler auf Zeit. Jeden Abend steht er für ein Gespräch über die Erfahrungen des Tages zur Verfügung.

Wir machen uns auf den Weg zur Holzhütte. Von der Rückseite des Klosters geht der Weg vorbei an weidenden Kühen in Richtung Wald. Nach einer Weile bleibt Bruder Christian stehen und deutet linkerhand auf eine Senke, dort unten befindet sich die neu errichtete Einsiedelei unter den Bäumen, nicht einsehbar von hier oben. Wir erreichen sie auf einem abschüssigen Pfad, ein Schild an einer Tanne begrüßt uns mit der Inschrift: "Franziskusklause Maria Eck. Wir bitten Sie, die Atmosphäre der Stille und des Gebets nicht zu stören." Das sei an Wanderer oder Neugierige gerichtet, sagt Bruder Chris- tian.

Die Klause selbst besteht aus einem Blockhaus mit zwei Räumen. Der eine dient als Schlafraum und ist mit einem Bett, einem Herd sowie Tisch und Stuhl versehen. Hier verbringen die Einsiedler ihre Zeit. Der zweite, kleinere Raum dient dem Gebet oder der Meditation. Das Innere der Hütte macht einen freundlichen Eindruck, man fühlt sich schnell geborgen. Bank und Tisch gibt es auch vor der Türe, von hier geht der Blick auf eine kleine Lichtung im Wald. Links davon plätschert das Wasser in einen Holztrog, etwas weiter entfernt steht das Toilettenhäuschen, die Lichtung ist von Bäumen umgeben. Für das Kochen ist man selbst zuständig, Bücher oder andere Ablenkungen sind nicht erwünscht. "Die Voraussetzung ist die Bereitschaft, einen eigenen Weg zu gehen", sagt Bruder Christian, "es geht hier nicht um Urlaub".

Eine Woche hat Gunther F. in dieser Holzhütte verbracht. Sich mit Nudeln, Reis und Tomaten selbst versorgt. Einmal am Tag hat der hagere pensionierte Grundschullehrer Holz gehackt. "Mich hat diese Einfachheit fasziniert", berichtet er von seiner Erfahrung als Einsiedler, "wie wenig man im Leben eigentlich braucht". Auch als es drei Tage regnete, war das kein Problem: "Ich hatte kein Buch dabei, nur ein Tagebuch. Darin habe ich meine Träume aufgeschrieben. Und ich bin näher zu mir gekommen."

200 Tage war im vergangenen Jahr die Einsiedlerhütte von Maria Eck belegt. Es kommen mehr Frauen als Männer, die Verweildauer beträgt einige Tage bis höchstens zwei Wochen, länger soll der Aufenthalt nicht dauern. Im Tagesablauf ist eine Stunde körperliche Arbeit vorgesehen, Holzhacken, Beerenpflücken oder Unkraut jäten.

Am Anfang gibt es einen "Naturtag", dabei geht es um das Wahrnehmen der Umgebung, die Geräusche, Gerüche und wie sich ein Baum anfühlt. "Einfach stehen bleiben und nur hören", sagt Bruder Christian, "das Murmeln des Baches oder das Geräusch des Flugzeugs über dir." Letztendlich gehe es darum, den "Schalter umzulegen", so der Franziskaner. Die Dinge nicht mehr mit dem Kopf zu begreifen, sondern einfach wahrzunehmen. Loszulassen. Ganz in der Wahrnehmung aufzugehen. "Alles was kommen will, soll kommen". Und es gehe auch gar nicht um bestimmte Probleme, die es hier zu lösen gäbe. Sondern um einen Prozess, der angestoßen wird und bei jedem etwas anderes in Gang bringt.

Auch für Gunther ging es während seiner Woche als Einsiedler im Wald viel um das Loslassen, Zulassen, Einlassen. Ein Gedicht von Rilke kam ihm in den Sinn, über den Panther, der vor lauter Gitterstäben keine Welt mehr sieht. Und er meditierte über einen Text des Evangeliums, den ihm Bruder Christian gebracht hatte, "Die Samariterin am Brunnen". Er nahm die Natur in sich auf, hörte die Vögel singen. Ab und zu kam ein Hase vorbei.

Schwierige Reise

"Es ist schon eine kleine Abenteuerreise, diese Reise mit Gott", hat ein Bewohner der Hütte im Jänner 2015 in das kleine Büchlein geschrieben. Für manche ist die Reise zu schwierig. Eine Frau, berichtet Bruder Christian, habe nach drei Tagen den Aufenthalt in der Einsiedelei abgebrochen.

Wir sind auf dem Rückweg ins Kloster. Und schauen noch kurz bei der neuen Waldkapelle vorbei. Auch sie ist wie die Einsiedlerhütte ganz aus Baumstämmen gefertigt und innen noch kahl. Bruder Christian erzählt von weltlichen Mühen, die es zu überwinden galt, bevor das spirituelle Leben in der Waldlichtung möglich wurde: "Es war gar nicht so einfach, beim Landratsamt eine Baugenehmigung für die Hütte zu bekommen." Aber, so sein Glaube, "wenn es gut ist, fügt es sich".

Rudolf Stumberger, geboren 1956, arbeitet als Journalist und freiberuflicher Dozent für Soziologie und Wirtschaft in München.