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"Viel zu schade für Wien"

Von Christian Hütterer

Reflexionen
Fritz Grünbaum bei einer Rollenprobe, um 1925.
© IMAGNO, Österreichisches Theatermuseum

Kleiner Mann mit großem Humor: Vor 75 Jahren starb Fritz Grünbaum, einer der bedeutendsten Kabarettisten, im KZ Dachau.


"1880, am sieb’ten April, Montag, wenn man’s genau wissen will,hab’ ich, vom Schöpfer der Erde geschickt,wie man sagt, das Licht der Welt erblickt."

So begann in Brünn das Leben des Fritz Grünbaum, der rasch zu einem der bedeutendsten, wenn nicht überhaupt wichtigsten Kabarettisten und Humoristen seiner Zeit werden sollte.

Der kleine Fritz wuchs mit seinen drei Geschwistern in gutbürgerlichen Verhältnissen auf. Nach der Matura zog er nach Wien, wo er Rechtswissenschaften inskribierte. Noch während des Studiums begann er, sich für Literatur und Kabarett zu interessieren und schon bald folgten seine ersten Auftritte als Conférencier im Kabarett Hölle
. Diese Hölle war 1906 im Souterrain des Theaters an der Wien eröffnet worden - und bald eines der bekanntesten Kabaretts der Stadt. Vor allem war sie dafür bekannt, jungen Künstlern eine Plattform zu bieten, und so debütierten dort neben Grünbaum noch viele andere später Bekannte wie Karl Farkas, Hans Moser und Hugo Wiener.

Duell nach Eklat

1907 kam es während einer Vorstellung Grünbaums zu einem Skandal: Ein Offizier beleidigte Grünbaum mit antisemitischen Sprüchen, woraufhin dieser von der Bühne stieg und den Widersacher ohrfeigte. Ein Duell mit Säbel und Pistolen folgte, bei dem Grünbaum verwundet wurde. Trotz dieses Eklats führte seine Karriere weiter nach oben, rasch wurde er zu einem der bekanntesten Kabarettisten Wiens. Das Engagement in der Hölle förderte aber nicht nur Grünbaums Karriere in Österreich, auch Theaterdirektoren aus dem Ausland wurden auf ihn aufmerksam.

Rudolf Nelson, Leiter des damals weithin bekannten Berliner Kabaretts Chat noir
, sprach von "Witzraketen und Bonmots mit überdrehter Logik", die Grünbaum auf sein Publikum abfeuere, und kam zu dem Schluss: "Famose Begabung! Viel zu schade für Wien!" 1907 engagierte er Grünbaum deshalb nach Berlin und sollte mit seiner Einschätzung Recht behalten, denn Grünbaums Auftritte in der deutschen Hauptstadt wurden ebenso bejubelt wie jene zuvor in Wien. Innerhalb kurzer Zeit war er in Berlin so populär, dass seine Dichtungen in Sammelbänden gedruckt wurden.

Nach drei Berliner Jahren kehrte Grünbaum nach Wien zurück und konnte hier nahtlos an seine erfolgreichen Zeiten anschließen. Er arbeitete mit allen großen Namen der Branche - Roda Roda, Egon Friedell, Robert Stolz - zusammen und schrieb Libretti für Operetten, gereimte Monologe und Texte für Schlager.

Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs ließ sich Grünbaum von der Begeisterung seiner Zeitgenossen anstecken - und schrieb mit Ralph Benatzky eine patriotische Operette, in welcher der Kaiser mit den Worten: "Lieber guter alte Herr, mach dir doch das Herz net so schwer!" besungen wurde. Das Lied wurde sogar vor der kaiserlichen Familie aufgeführt und von dieser wohlwollend aufgenommen, aber dass er im Lied geduzt wurde, soll den Kaiser dann doch weniger erfreut haben.

Grünbaum meldete sich 1915 freiwillig zur Armee und wurde an die Südfront geschickt. Dort angekommen, verflog seine Begeisterung für den Krieg aber rasch. Auch während seiner Einsätze in Südtirol und am Isonzo schrieb er Programme, die in Wien aufgeführt wurden, und tat dies wohl auch, um dadurch dem Schrecken des Krieges entkommen zu können.

Nach Kriegsende setzte Grünbaum seine Karriere im Kabarett fort und griff gemeinsam mit Karl Farkas eine in Budapest geborene Idee auf: die Doppelconference. Die Rollen waren dabei klar verteilt: Farkas war der G’scheite, Grünbaum der Blöde. Wie Farkas es seinem Kompagnon erklärte: "Das Wesen der Doppelconference besteht darin, dass man einen äußerst intelligenten, gutaussehenden Mann nehme - das bin ich - und einen zweiten, also den Blöden, dazustellt. Das bist, nach allen Regeln der menschlichen Physiognomie, natürlich du!"

Aufwändige Revuen

Neben dem Kabarett wirkte Grünbaum auch an damals sehr populären Revuen mit, die mit beträchtlichem Aufwand inszeniert wurden; so kamen etwa in der sehr beliebten Schlagerrevue "Wien lacht wieder" 120 Akteure in 900 Kostümen zum Einsatz. In einer dieser Revuen gelang Grünbaum mit dem Lied "Ich hab das Fräulein Helen baden sehen" ein veritabler Hit.

Auch wenn Grünbaum in seinen Texten politische Fragen weitgehend vermied und meist über alltägliche Themen wie das Liebesleben oder familiäre Probleme schrieb, konnte er sich in der tief gespaltenen Ersten Republik der Politik nicht entziehen. Wenige Tage vor der Wiener Gemeinderatswahl am 24. April 1927 positionierte sich Grünbaum für die in Wien regierenden Sozialdemokraten, indem er gemeinsam mit anderen Prominenten - wie Sigmund Freud, Robert Musil und Franz Werfel - einen Aufruf unterzeichnete, der die "große soziale und kulturelle Leistung der Wiener Stadtverwaltung" lobte.

Bei all den Erfolgen in Wien hatte das deutsche Publikum Grünbaum nicht vergessen: Er wurde immer wieder in Berlin engagiert und gab Gastspiele in vielen anderen deutschen Städten. Neben seinen Erfolgen im Kabarett und als Autor von Schlagertexten entdeckte der Künstler dort auch das noch neue Medium Film für sich: Er schrieb Drehbücher und wurde selbst als Schauspieler für Filme engagiert. Die Tourneen durch Deutschland ließen ihn aber bald die Folgen der nationalsozialistischen Machtübernahme erahnen. In einem Brief beklagte er die "sinnlose Gewaltherrschaft" und schrieb die prophetischen Worte: "Es wird sicher besser werden, aber erleben werd’ ich’s nicht."

Karriereende 1938

Grünbaum wurde angesichts der Entwicklungen immer politischer, und in den Texten seiner Programme äußerte er sich kritisch gegenüber Hitler und der NSDAP. Seine Karriere in Deutschland war damit zwar zu Ende, aber in Wien fühlte er sich in Sicherheit; und so brachte Grünbaum noch kurz vor dem Einmarsch deutscher Truppen in Österreich eine neue Revue heraus.

Der "Anschluss" an Deutschland bedeutete auch das Ende der Karriere Grünbaums. Gleich nach dem Einmarsch der deutschen Truppen wollte er gemeinsam mit seiner Frau in die Tschechoslowakei fliehen, aber die beiden wurden an der Grenze zurückgewiesen. Wieder in Wien, wurde Grünbaum verhaftet und im Gefängnis an der Elisabethpromenade, der heutigen Rossauerlände, inhaftiert. Danach wurde er in eine als Gefängnis adaptierte Schule in der Karajangasse transferiert, wo er eine Zelle mit einem jungen Sozialisten namens Bruno Kreisky teilte. Dieser erzählte später folgende Anekdote: "Den ganzen Tag mussten wir gehen, gehen und gehen: das waren so die kleinen Bosheiten, die sie uns antun wollten, und da sah Fritz Grünbaum zu mir herauf und sagte: ‚Und die draußen glauben, wir sitzen.‘"

Am 24. Mai 1938 folgte der Transport nach Dachau. Grünbaums Frau und Freunde probierten mehrmals, eine Ausreise in die USA zu arrangieren, doch alle Versuche schlugen fehl. Auch im Konzentrationslager verlor Grünbaum seinen Humor nicht; in Auftritten vor Lagergenossen sprach er davon, wie er das Tausendjährige Reich besiegen werde und dass das erzwungene Hungern die beste Kur gegen die Zuckerkrankheit sei. Als ihm ein Aufseher eines Tages ein Stück Seife verweigerte, soll er geantwortet haben: "Wer für Seife kein Geld hat, soll sich kein KZ halten."

Obwohl sein gesundheitlicher Zustand schon sehr schlecht war, trat Grünbaum zu Silvester 1940 noch einmal im Lager vor seinen Kameraden auf. Ein Leidensgenosse berichtete über diese Vorstellung, dass dieser "zermürbte kleine Mann" dabei noch einmal auflebte, er "wurde temperamentvoll und witzig wie einst und sprach, spielte und sprudelte seine Versscherzchen". Es war ein letztes Aufflackern, denn am 14. Jänner 1941 starb Grünbaum.

Grünbaum-Platz

Schon zu Lebzeiten hatte sich der Kabarettist in einer selbstironischen Dichtung mit dem Titel "Entwürfe für ein Grünbaum-Monument" Gedanken gemacht, wie ein Denkmal für ihn aussehen könnte. Nachdem er allerlei Varianten durchgespielt hatte, kam er zu folgendem Schluss:

"Und hoch über mir ziehen die Schwalben die Kreise,und am Sockel lehnen die Hunde leise,und all das Getier wird beim Sterneblitzenmein Denkmal bei Nacht zum Benetzen benützen,so tut das Getier seine Liebe mir kund,von oben die Vögel, am Sockel der Hund."

Ein von oben und unten benetztes Denkmal wurde Grünbaum bis heute nicht errichtet, aber der Fritz Grünbaum-Platz in Mariahilf erinnert immerhin an den Kabarettisten. Der Ort ist nicht zufällig gewählt, denn vor der Umwandlung in ein Kino stand dort das Apollo-Theater, in dem Grünbaum viele seiner Erfolge feierte.

Mehr als ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod geriet der Name Grünbaums im Zusammenhang mit der Diskussion über NS-Raubkunst noch einmal in die Schlagzeilen. Der Kabarettist war zeit seines Lebens sehr an Kunst interessiert gewesen und hatte eine umfangreiche Sammlung besessen. Nach seiner Verhaftung wurden die Bilder bei einer Spedition eingelagert, danach verlor sich die Spur vieler Kunstwerke; bei den erhalten gebliebenen war deren weitere Geschichte oft nicht genau nachvollziehbar. Bis heute konnte bei Gemälden aus der Sammlung des Kabarettisten die Frage des Eigentums nicht endgültig geklärt werden.

ChristianHütterer,
geboren 1974, Studium von Politikwissenschaft und Geschichte in Wien und Birmingham, lebt und arbeitet in Brüssel.