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Selbstbewusste Kämpferinnen

Von Petra Tempfer

Reflexionen
Die österreichische Pazifistin Bertha von Suttner.
© Ullsteinbild

Eine Erinnerung an Frauen, die Geschichte schrieben, indem sie eine Männerdomäne für sich beanspruchten.


Nur wenige von ihnen trugen Hosen, kaum eine hatte einen Kurzhaarschnitt. Und doch waren sie, was Emanzipation betrifft, ihrer Zeit voraus. Es waren nicht viele Frauen, die in vergangenen Jahrhunderten Geschichte schrieben, weil sie nicht bereit waren, sich den gesellschaftlichen Normen zu unterwerfen. Allem Widerstand zum Trotz führten sie Männer an, waren politisch aktiv oder betrieben wissenschaftliche Forschung. In jedem Fall verfolgten sie unbeirrbar ihr Ziel.

Eine von ihnen wird heute als Nationalheldin gefeiert und als Jungfrau und Heilige verehrt. Johanna von Orléans (1412-1431) ist erst 19 Jahre alt, als sie auf dem Marktplatz von Rouen in Frankreich auf dem Scheiterhaufen stirbt. Sie wurde wegen Ketzerei zum Tod verurteilt, weil sie notorisch Männerkleidung trug.

Johanna von Orléans ist eine Bauerntochter, die von sich behauptet, dass sie Stimmen hört. Diese sollen es auch gewesen sein, die sie während des Hundertjährigen Krieges als 17-Jährige durch Lothringen zu Karl VII. nach Chinon im Westen Frankreichs reiten lassen - in Hosen und Hemd mit Umhang, die schwarzen Haare kurz geschnitten und mit sechs Männern im Gefolge.

Mit Helm und Harnisch

Dort angekommen, verhilft sie mit Helm und Harnisch den Truppen des Thronerben bei Orléans zu einem Sieg über Engländer und Burgunder und geleitet Karl VII. von Frankreich zu seiner Krönung nach Reims. Am 23. Mai 1430 nehmen die Burgunder sie gefangen und übergeben sie den Engländern. Am 9. Jänner 1431 eröffnet der pro-englisch eingestellte Bischof von Beauvais das Verfahren. In der Präambel der Anklageschrift wird das Gericht aufgefordert, Johanna zu verurteilen, und zwar als "Hexe [. . .], als Lästerin Gottes [. . .], die Ehrbarkeit und Schicklichkeit ihres Geschlechts verletzend und unehrerbietig und unpassend Kleid und Beruf der Krieger annehmend, weswegen sie vor Gott und den Menschen verabscheuungswürdig ist, als Verächterin göttlicher und natürlicher Ordnung".

Vor dem Scheiterhaufen kniet sie nieder und stammelt, dass sie ihrem Irrglauben abschwören wolle. Das Urteil lautet nun: lebenslange Haft. Als Johanna selbst im Gefängnis das Kleid gegen Hose und Hemd tauscht, wird sie wegen Ketzerei erneut zum Tod verurteilt und am 30. Mai 1431 auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Jahrhunderte später wird sie selig- (1909) und heiliggesprochen (1920).

Nicht in Männerkleidern, sondern mit ihrer Fraulichkeit dringt Madame de Pompadour (1721- 1764) in die Männerwelt der Politik ein. Sie wird als Jeanne-Antoinette Poisson von einer Fleischertochter in Paris geboren. Zunächst heiratet sie ihren Cousin und bringt 1744 eine Tochter zur Welt. Noch im Wochenbett reift jedoch der Plan, den König auf sich aufmerksam zu machen - und zwar mit Mieder, eng geschnürter Taille und weitem Dekolleté.

Es gelingt ihr, als Ludwig XV. in einem Wald von Sénart jagt. Der König ist zwar auch verheiratet, nichtsdestotrotz richtet sich Madame de Pompadour, wie man sie schließlich nennt, 1745 im Schloss von Versailles ein. Dem Kronrat missfällt, dass sich der König in geheimen Regierungsangelegenheiten mit ihr bespricht. Die Drahtzieher registrieren Unbehagen, dass eine Frau politische Entscheidungen beeinflusst - unkontrollierbar, wie ihnen scheint. Madame de Pompadour schreibt in einem Brief: "Ich fange an, einzusehen, dass der Ehrgeiz eines Frauenherzens die größte aller Martern ist".

Politischer Einfluss

Während ihr Liebesleben mit Ludwig XV. abflaut, erstarken politische Macht und Einfluss der Mätresse. Hier kommt auch Österreich ins Spiel. Bourbonen und Habsburger stehen einander zwar feindlich gegenüber, der österreichische Gesandte in Paris tritt aber dennoch für eine Annäherung an Frankreich ein und wendet sich an Madame de Pompadour. Diese wirkt unermüdlich auf den König ein und rät ihm im Siebenjährigen Krieg zum Bündnis mit Österreich gegen England und Preußen.

Nach ihrem Tod durch eine fiebrige Erkältung machen sie die Franzosen für alle Niederlagen verantwortlich: Frankreich verliert seine vorherrschende Stellung in Kontinentaleuropa und große Teile seiner Kolonialgebiete.

Etwa zwei Jahrzehnte später wird Wilhelmine Reichard (1788-1848) in Braunschweig geboren, die in tausende Meter Höhe aufsteigen und dadurch Geschichte schreiben sollte. Sie ist die erste deutsche Ballonfahrerin. Nach der Hochzeit mit Gottfried Reichard zieht sie nach Berlin. Reichard unternimmt 1810 seine erste Ballonfahrt, seine Frau möchte es ihm unbedingt gleichtun, muss damit aber bis 16. April 1811 warten. In den "Berliner Nachrichten" heißt es: "Da Madame Reichard die erste deutsche Frau ist, welche es wagt, zum ersten Male und allein, das Luftschiff zu besteigen, so wird diese Unternehmung gewiss sehr interessant sein." Die zierliche, dunkelhaarige Frau erreicht eine Höhe von 5171 Meter und fährt 33,4 Kilometer weit.

Bei ihrer dritten Ballonfahrt stürzt Wilhelmine Reichard aufgrund heftiger Windböen aus 7800 Meter Höhe ab. Sie ist zu diesem Zeitpunkt schwanger und zieht sich mehrere Platzwunden zu - der Ballon wurde durch Bäume gebremst. Sie selbst lässt sich jedoch nicht bremsen. "Man weiß nicht, wie in ein so zartes, junges Frauenzimmer diese Kühnheit eingekehrt ist", schreibt die "Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten", "aber sicher begleiten alle fühlenden Herzen diese merkwürdige Luftschifferin, so wie sie den redendsten Beweis ablegt, dass auch Frauenseelen zu Zeiten mit beherzten Männern an Mut wetteifern."

Nach zehn Jahren, 17 Ballonfahrten und sieben Geburten zieht sich Wilhelmine Reichard ins Familienleben zurück. 1834 kommt ihr achtes Kind zur Welt. Als dieses 13 Jahre alt ist, stirbt sie an einem Schlaganfall.

Durch ihr Streben nach Frieden hebt sich mehrere Jahrzehnte später Bertha von Suttner (1843- 1914) von den Frauen ihrer Zeit ab. Die österreichische Pazifistin und Schriftstellerin erhält 1905 als erste Frau den Friedensnobelpreis. Die gebürtige Gräfin Kinsky von Wchinitz und Tettau stammt aus einer böhmischen Adelsfamilie. 1876 heiratet sie Arthur Gundaccar von Suttner, davor war sie für kurze Zeit in Paris, um als Sekretärin für einen reichen älteren Herrn zu arbeiten: den schwedischen Erfinder und Industriellen Alfred Nobel. Er wird sie ein Leben lang als Freund begleiten.

Friedensnobelpreis

Vorerst fahren Bertha und Arthur Suttner jedoch in den Kaukasus, um über den hier herrschenden Krieg zu berichten. Bertha unter dem geschlechtsneutralen Pseu-donym "B. Oulot", um nicht an den Vorbehalten gegen Frauen zu scheitern. Der zuständige Redakteur ist begeistert von der Arbeit des unbekannten Autors - auf die Idee, dass es sich um eine Autorin handeln könnte, kommt er gar nicht. Und sie schreibt weiter. Zunehmend rückt das Thema Frieden in ihren Fokus. Ihr 1889 erschienenes Buch "Die Waffen nieder!" ist ein zweibändiger Roman über eine Adelige, deren Vater vom Heldentod schwärmt. Mit diesem Buch wird Bertha von Suttner zur Symbolfigur des Friedens.

Weiterhin trifft sie sich regelmäßig mit Alfred Nobel, der sie auch mit Geld unterstützt. In seinem Neujahrsbrief von 1893 schreibt er ihr, dass er beabsichtige, einen Teil seines Vermögens einer Stiftung zu vermachen, die alle fünf Jahre einen Preis für den bedeutendsten Beitrag zum europäischen Frieden verleihen soll. Kurz darauf stirbt er.

Drei Jahre danach veranstaltet Nikolaus II., der Zar des Russischen Reiches, eine internationale Abrüstungskonferenz. Bertha von Suttner nimmt als einzige Frau daran teil. 1901 verleiht schließlich eine schwedische Stiftung den ersten Friedensnobelpreis und tut das bis heute jedes Jahr am Todestag Alfred Nobels. Bertha von Suttner bekommt ihn erst 1905 als erste Frau der Geschichte. Am 21. Juni 1914 stirbt sie an Magenkrebs. Eine Woche später fallen Erzherzog Franz Ferdinand und seine Gemahlin Sophie in Sarajevo einem Attentat zum Opfer. Die Balkankrise flammt auf, der Erste Weltkrieg beginnt.

Bereits zwei Jahre vor Bertha von Suttner erhält eine Physikerin und Chemikerin polnischer Herkunft 1903 gemeinsam mit ihrem französischen Ehemann
Pierre Curie und dem Pariser Physiker Antoine Henri Becquerel den Nobelpreis für Physik. 1911 wird ihr der Nobelpreis für Chemie zugesprochen: Marie Curie (1867-1934) prägte das Wort Radioaktivität mit und entdeckte die chemischen Elemente Polonium und Radium. Sie ist bisher die einzige Frau unter den vier Mehrfach-Nobelpreisträgern, die Nobelpreise auf zwei unterschiedlichen Gebieten erhalten hat. "Man muss daran glauben, für eine bestimmte Sache begabt zu sein, und diese Sache muss man erreichen, koste es, was es wolle", schrieb sie einmal in einem Brief.

Als 23-Jährige kommt sie von Polen nach Paris, um an der Sorbonne Mathematik, Physik und Chemie zu studieren. In Polen sind Frauen an Universitäten zu dieser Zeit nicht zugelassen. An der Sorbonne sind etwa 200 der rund 9000 Studenten Frauen.

Im Labor lernt sie dessen Leiter Pierre Curie näher kennen, ihren späteren Mann. Wenige Monate nach der Geburt der Tochter 1897 beginnt Marie Curie ihre Doktorarbeit, mit der sie an Becquerels Forschung über eine unsichtbare Strahlung des Schwermetalls Uran ansetzt. Die weiteren Jahre sind von der Mehrfachbelastung einer berufstätigen Mutter geprägt: Zu Hause sorgt Marie Curie für Tochter und Mann, im Labor verfasst sie wissenschaftliche Berichte und arbeitet Teilzeit als Physiklehrerin an einem Gymnasium. 1903 - das Jahr, in dem sie ihre Doktorarbeit finalisiert und anteilig ihren ersten Nobelpreis erhält - ringt sich die älteste englische Wissenschaftsakademie, die Royal Society in London, dazu durch, eine Frau einzuladen. Marie Curie darf allerdings nur im Publikum sitzen, als ihr Mann einen Vortrag über die gemeinsame Forschungsarbeit hält.

Im darauffolgenden Jahr bringt sie ihre zweite Tochter zur Welt, und ihr Mann erhält einen Physik-Lehrstuhl an der Sorbonne. Erst als Pierre Curie von einem Pferdefuhrwerk überfahren wird und stirbt, wird Marie Curie zur außerordentlichen Professorin ernannt. 1908 beruft die Sorbonne sie als ordentliche Professorin auf den Lehrstuhl. Sie ist die zweite Frau in der europäischen Geschichte, die mit einem Ordinariat betraut worden ist. Nach der Überreichung des zweiten Nobelpreises 1911 stirbt Marie Curie an perniziöser Anämie - möglicherweise eine Spätfolge der Strahlenbelastung. Die heute veraltete Curie-Einheit der Radioaktivität erinnerte noch jahrelang an sie.

Literatur:

Dieter Wunderlich: "Eigensinnige Frauen" (2004); "Wagemutige Frauen" (2008); "Außerordentliche Frauen" (2009), alle im Piper-Verlag erschienen.

Petra Tempfer arbeitet als Redakteurin im "Österreich"-Ressort der "Wiener Zeitung".