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Sportauspuff und Rallyestreifen

Von Matthias Marschik

Reflexionen
Ein Symbol des Aufbruchs: der bemalte VW-Bus in malerischer Urlaubslandschaft.
© Ullstein Bild-Image Broker/Michael Nitzschke

Die 1970er Jahre feierten die Entzauberung des Automobils und machten aus einem technisch-mechanischen Prestigeobjekt ein buntes Vehikel der Individualität.


Der Gediegene fährt Mercedes oder Peugeot, der Sportliche lenkt einen Porsche oder Alfa, der Sparsame fährt Volkswagen oder - noch schlimmer - koda. Der Rasante pilotiert einen Italiener, der Elegante einen Franzosen, der Sicherheitsbewusste einen Schweden. Stereotypen zur Beziehung von Fahrer und fahrbarem Untersatz sind fast so alt wie das Automobil selbst und überaus langlebig. Sie überdauerten bisher sogar die - berechtigte - Kritik am motorisierten Individualverkehr.

Doch es gab eine kurze Phase in den 1970ern, da schien alles anders. Wohlstand und Vollbeschäftigung als Folge des "Wirtschaftswunders", aber wohl auch die radikaldemokratische Metapher "1968" zeigten selbst im Automobilismus Wirkung. Die Autowelt wurde bunt. Das war zum einen die Folge einer Erweiterung der Käuferschichten in Richtung Vollmotorisierung, zum anderen des Umdenkens der Hersteller.

Aber primär lag die Ursache in der Veränderung der Einstellung zum Automobil: Die bunte Farbpalette spiegelte einen positiven, frohen und spielerischen Umgang mit dem Auto wider, wie er für die 1970er Jahre typisch war: Man fuhr in die Arbeit, in den Urlaub, aber selbstverständlich auch die hundert Meter zur Trafik für ein Päckchen Zigaretten (das "Nichtraucherauto" war noch kein Verkaufsbonus). Selbst die Ölkrise des Herbstes 1973 konnte den unbeschwerten Fahrspaß nicht nachhaltig bremsen.

Schon in den 1960er Jahren waren die Attitüden der Herrenfahrer allmählich geschwunden, die einen "ganzen Mann" erforderten, von den Ritualen des Startens mit Handchoker über die Beherrschung eines teilsynchronisierten Getriebes bis zum Kraftaufwand des Steuerns ohne Servolenkung. Das Auto war als Status- wie als Männlichkeitssymbol zunehmend entzaubert worden, und mit dem Trend zur Massenware hatte sich auch seine identitätsstiftende Bedeutung gewandelt. Weil sich schon 18-Jährige, Frauen und Studenten ein Auto leisten konnten - wenn es auch nur eine Rostlaube war - , sollten nun andere Merkmale zwischen den besseren und den billigen, aber auch zwischen den zahllosen Exemplaren desselben Typs differenzieren.

Mobile Revolution

So bedeuteten die 1970er eine Revolution auf den Straßen: Das schwarze, graue oder braune Einerlei (nur die Mutigen fuhren schon einen Käfer in "Resedagrün") wurde von einem Potpourri aus Blau, Gelb, Rot und vor allem Orange verdrängt. Das galt zwar nicht für Mercedes, aber vom BMW abwärts bis zu den Kleinwagen wie dem R4 oder R8, dem Simca 1000, den Ford Escorts und Opel Kadetts. Deren statusfördernde Varianten hießen nun Sport, GT oder GTI, TI ("touring internationale") und gar Tii (BMW) oder Rallye (Simca 1000, Kadett). Die Spitzenmodelle bekamen die Namen bekannter Tuner wie der Renault 5 Alpine, der R8 Gordini und der Mini Cooper.

Doch sicher konnte man sich des Statusgewinns nie sein, prangten solche Schriftzüge doch immer öfter auch auf Modellen, denen das leistungsmäßig gar nicht zustand. Der Ford Capri oder der Opel Manta versprachen etwas, was sie größtenteils nicht einhalten konnten.

Zum anderen legten die Besitzer immer häufiger selbst Hand an ihre Fahrzeuge. Der Schweizer Bucheli- und der deutsche Motorbuch-Verlag versorgten die Autobesitzer mit dem Wissen um das Do-it-Yourself. Es war die große Zeit der Reparaturanleitungen, und man sah in Hinterhöfen, Gärten oder am Straßenrand Menschen, die, statt ihr Auto zu waschen, unter dem Auto lagen, um den Auspuff oder die Bremsbeläge zu wechseln, oder die Köpfe im Motorraum versenkten, um Vergaser oder Zündung einzustellen. Nicht wenige begannen sogar, tief in den Eingeweiden ihrer Fahrzeuge zu wühlen. Wer es sich platzmäßig leisten konnte, hatte einen Zweitwagen zum Ausschlachten im Garten stehen, die anderen lagerten die Ersatzteile hinter der Wohnzimmercouch. Es gehörte gerade unter den Jüngeren zum guten Ton, mit Polyesterharz, Füllspachtelmasse und (Nitro-)Lacken den Dellen oder Rostlöchern zu Leibe zu rücken und es verwunderte nicht, Arbeits- oder Studienkollegen auch weiblichen Geschlechts im Blaumann und mit öligen Händen zu sehen.

Diese Reparatur- und Ausbesserungsarbeiten blieben - von manchen kühnen Farbvariationen abgesehen - freilich für die automobile Umwelt unsichtbar. Um in der zunehmenden Masse der Automobilisten (die Zahl der PKW in Österreich stieg im Laufe der 1970er von 1,2 auf 2,1 Millionen) und angesichts der steigenden Konformität der Modelle noch Individualität auszustrahlen, wurde daher auch die äußere Erscheinung der Fahrzeuge nach persönlichen Vorlieben - und mit Hilfe einer rasch reagierenden Zubehörindustrie - gestaltet.

Alternative Bemalung

Ein alternativer Lebensstil oder eine politische und weltanschauliche Einstellung wurde oft auf der Außenhaut des Autos zur Schau gestellt: Weil die Farbpalette der Hersteller zwar bunt, aber nicht individuell genug war, wurden die fahrbaren Untersätze, besonders wenn es ein 2CV, ein Renault 4 oder am besten ein VW-Bus war, mit Hippie-Bemalung zu einem unverwechselbaren Einzelstück gemacht. Damit ging man auf Campingurlaub oder fuhr überhaupt gleich nach Indien oder Afghanistan (auch der Bus, der nie über Wolkersdorf hinauskam, musste wie ein Indien-Heimkehrer aussehen).

Vor allem Atomkraftgegner outeten sich über den unverzichtbaren "Atomkraft - Nein Danke"-Aufkleber hinaus durch kreatives Outfit ihrer Fahrzeuge. Lebensweisheiten wurden ebenso auf Autokarosserien verewigt wie individuelle Botschaften über das Auto oder dessen Besitzer.

Meist sollten die äußerlichen Veränderungen am Auto jedoch Jugendlichkeit und Sportlichkeit vorgaukeln. Als einfachste Möglichkeit erwiesen sich Aufkleber, modisch "Pickerln" genannt. Eines, nämlich die amtliche Überprüfungsplakette, mussten ja seit 1967 alle Fahrzeuge tragen, aber speziell jüngere Fahrer verzierten ihre Autos mit einschlägigen Aufschriften aus der Zulieferbranche, vom Zündkerzenhersteller bis zum Ölzusatz. Diese Mode fiel mit der Ausweitung der Werbung im Motorsport zusammen und besaß den angenehmen Nebeneffekt, dass "Pickerln" das Überkleben von Rostflecken erlaubten.

Dekorative Attrappen

Als besonders sportliche Alternative galten Rallyestreifen, die im Zubehörgeschäft um wenig Geld zu erwerben waren. In Form von zwei Längsstreifen über das gesamte Fahrzeug oder eines schwarz-weiß karierten Streifens, der überall angebracht werden konnte, wurde damit jeder Gebrauchtwagen zum Rennfahrzeug. Rallyestreifen zierten ja bereits den Herbie-Käfer von 1968 (und sind heute im automobilen Retrolook wieder hoch aktuell).

Teurer, aber ebenfalls erschwinglich waren sportliche Rückblick-Spiegel in Tropfenform von Vingard oder Vitaloni, die es in zwei Varianten (rund oder elipsoid und direkt an die Karosserie angepasst) gab. Auch wenn sie einen Opel Kadett, zumal im Stadtgebiet, um nichts schneller machten, verhießen sie nach außen enorme Rasanz. Schon ihre Namen, Sebring und MACH 1, versprachen ein sportliches Fahrerlebnis. Wer tiefer in die Tasche griff, konnte seinem Fahrzeug mit dem Einbau von Spoilern, wie sie in der Formel 1 üblich waren, oder mit Seitenschürzen aus dem Bereich der Sportwagenrennen ein neues Outfit verleihen. Die Billigvariante bestand in der Anbringung von Scheibenwischern mit Anpressdruckverstärkern.

Aus dem Rallye-Bereich dagegen stammte die Nachrüstung mit Nebel- oder Zusatzscheinwerfern. Einen guten Klang hatten die Firmen Hella und Bosch, wer es exotischer liebte, verwendete S.E.V. Marchal und Cibié. Als Lichtquelle waren die Lampen im Stadtverkehr so unnötig wie die Sicherheitsgurte. Deren Einbau war zwar ab Juli 1976 Vorschrift (Anschnallpflicht gab es erst ab 1984), doch kaum jemand verwendete die Gurte, die lediglich als Falle beim Aussteigen angesehen wurden.

Im Innenraum sorgte die Aufbesserung des kargen Armaturenbretts mit Zusatzinstrumenten wie Drehzahlmesser, Ölthermometer und -manometer oder Amperemeter für sportliches Flair, war aber von meist beschränktem Aussagewert. Notfalls konnte die sportive Aussage auch durch einen Schaltknüppel aus Leder oder Wurzelholz mit dem Emblem der Fahrzeugmarke erreicht werden.

Ein teurer, aber zugleich optischer wie akustischer Aufputz des Automobils bestand im Einbau eines Sportauspuffs. Bei diesem Accessoire konnten österreichische Autobesitzer auf ein einheimisches Produkt zurückgreifen: Die Firma Sebring baute seit 1963 Auspuffanlagen, spezialisierte sich aber ab der Mitte der 1960er Jahre - in enger Zusammenarbeit mit Motorsportidol Jochen Rindt - auf Sportauspuffe und konnte sich europaweit einen hervorragenden Namen machen (seit 1990 wurde Sebring durch die Firma Remus konkurrenziert, bis sich die beiden 1997 zu einer Holding zusammenschlossen, auch wenn sie am Markt bis heute als eigenständige Unternehmen auftreten).

Kumpel von nebenan

Die Entzauberung des Automobils machte aus einem bestaunten technisch-mechanischen Wunderwerk, das man bestenfalls bedienen und beherrschen konnte, einen Kumpel von nebenan (wie Herbie, den Volkswagen), an den man schon auch selbst Hand anlegen konnte. Man schraubte, man pinselte, aber man versuchte auch, aus der Massenware ein unverwechselbares Gefährt zu machen. Marke und Type waren bei den zehn Jahre alten 4000-Schilling-Autos völlig nebensächlich (die Hut-Fahrer im Käfer und die "Kommunisten" im koda nahm man nicht ernst, und die Bonzen im Mercedes oder die Machos im Porsche oder Ferrari waren sowieso "out" oder spielten in ganz anderen Ligen).

Die Autoindustrie setzte der kurzzeitigen "Demokratisierung" des Automobils relativ rasch ein Ende, indem sie die Typenpalette ausweitete und zahlreiche Sondermodelle anbot, die die manuelle und billige Individualisierung bald obsolet machten. Spätestens in den 1980ern hatte sich wieder eine Hierarchie der Marken und Modelle (Musterbeispiel war der GTI von Golf) herausgebildet, und am Ende verwandelte der Elektronikboom der 1990er Jahre das Automobil überhaupt in eine Black Box (im doppelten Wortsinn, denn das schwarze Auto wurde Trumpf). So war dem - im weitesten Sinne - bunten und individuell gestylten Auto, das nicht den Status, sondern die Kreativität seines Besitzers oder seiner Besitzerin repräsentierte, nur eine kurze Lebensspanne beschieden.

Matthias Marschik, geb. 1957 in Wien, forscht als Kulturwissenschafter und Historiker zur Kulturgeschichte insbesondere des Sports. Zum Thema Auto erschien zuletzt: Martin Krusche/Matthias Marschik: Der kurze Sommer des Automobils: Erinnerungen an die Siebziger Jahre, Hollinek, Purkersdorf 2016.