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Rekordfahrten mit links

Von Thomas Karny

Reflexionen

Der Tiroler Rennfahrer Otto Mathé hatte nach einem Unfall einen gelähmten rechten Arm - trotzdem war er einer der besten Fahrer der Nachkriegszeit und außerdem ein erfolgreicher Erfinder und Konstrukteur.


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Otto Mathé, hier links neben seinem Auto mit dem legendären Kennzeichen T 2222.
© TheSamba

Der Krieg war gerade erst zu Ende, sein hinterlassenes Trümmerfeld unübersehbar, das tägliche Brot karg und vieles nur im Schleichhandel zu erwerben. Das Volk lechzte nach Abwechslung und Unterhaltung und bekam das Erwünschte unter anderem im rasch wiederbelebten Motorrennsport geboten. Autos und Motorräder, die irgendwie den Krieg überstanden hatten und nun wie aus dem Nichts auftauchten, bildeten das Starterfeld in Orten und auf Untergründen, die man auch nur irgendwie dafür geeignet hielt. Man fuhr auf Sand, Gras, zugefrorenen Seen und rund um den Kirchturm.<p>Es gab genügend "Wahnsinnige", die ihr Gerät über die oft schwierig zu passierenden Zonengrenzen quer durch ganz Österreich karrten, um Wochenende für Wochenende in Eisenstadt, Graz, Hallein, Korneuburg, Mattighofen, Rankweil, St. Pölten, Stockerau, Wiener Neustadt, rund ums Wiener Heustadelwasser oder auf diversen Trabrennbahnen gegeneinander in Wettstreit zu treten. Zigtausende Zuschauer drängten sich bei diesen Rennen gegen die oftmals nur symbolische Streckenabsperrung eines in Hüfthöhe gespannten Seils, um sich am Knattern, Kreischen und Dröhnen der Rennfahrzeuge zu begeistern. Unfälle waren unvermeidlich, final Verunglückte wurden noch ganz im Gefühl der kriegsbedingten jahrelangen Todesnähe als unausweichliche Kollateralschäden wahrgenommen.<p>

Symbol und Idol

<p>Was da wettkampfmäßig über die Straßen fegte, war dem Spalier stehenden Publikum die wochenendliche Visualisierung eines Traumes, der in sehr ferner Zukunft erst in Erfüllung gehen sollte. Man wäre froh gewesen, hätte man ein Fahrrad besessen, aber die Sehnsucht galt dem Motorrad oder Auto. Der Rennfahrer stand als personifiziertes Symbol für diese bessere Zukunft und war wahrscheinlich schon allein deshalb ein Idol.<p>So einer wie der Innsbrucker Otto Mathé. Der rollte 1948 in einem zehn Jahre alten Fiat-Sportwagen zum ersten Innsbrucker Hofgartenrennen an den Start und erreichte nach einem wahren Husarenritt hinter dem auf einem wesentlich jüngeren Fiat-Simca fahrenden italienischen Renn-Ass Luigi Villotti den zweiten Rang. Dieses Ergebnis erntete nicht nur große Bewunderung, weil der Wagen in Eigenregie renntauglich gemacht worden war, denn das waren viele andere auch. Geradezu atemberaubend jedoch war, mit welch physischem, nahezu artistischem Aufwand dieses Ergebnis erzielt worden war. Vor jeder Kurve, vor jeder Verzögerung, vor jeder Beschleunigung konnte man beobachten, wie sich Mathé mit dem Oberkörper gegen das Lenkrad warf, seinen linken Arm vom derart fixierten Volant nahm, durch selbiges hindurchgriff, den Gang wechselte und gleich darauf mit sicherem Griff weiter seine Bahn zog.<p>Der ehemals erfolgreiche Rad- und Motorradrennfahrer war 1934 bei einem Sandbahnrennen in Graz mit seiner Eigenbau-Maschine böse zu Sturz gekommen und gegen einen Pfosten geprallt. Wenige Tage später teilten die Ärzte dem 27-Jährigen mit, dass sein rechter Arm gelähmt bleiben würde. Fortan bewältigte Mathé sein Leben als Linkshänder, den gelähmten Arm steckte er abgewinkelt unter den linken Teil der Jacke. Ein bisschen erinnerte er damit an Napoleon.<p>Ein regelrechter Siegeszug setzte ein, nachdem Mathé 1949 von Ferdinand Porsches Sohn Ferry den "Typ 64" erstanden hatte. Der Wagen war zwar etwa gleich alt wie der im Hofgartenrennen eingesetzte Fiat, doch wies er eine stromlinienförmige und darüber hinaus aus Alu gefertigte Karossiere auf und war schon allein dadurch wesentlich leichter und schneller. Ursprünglich war der Wagen für die Wettfahrt von Berlin nach Rom, die 1938 in Anlehnung an das harte Straßenrennen Lüttich-Rom-Lüttich hätte stattfinden sollen, entwickelt worden, doch dieses Rennen kam nie zur Austragung.<p>

Das Siegerfahrzeug

<p>Der Wagen gilt als Vorfahre des Porsche 356 und wurde vom einarmigen Mathé, nachdem er ihn entsprechend seinen Bedürfnissen auf einen Rechtslenker mit linksseitiger Schaltung umgebaut hatte, mit dem legendär gewordenen Autokennzeichen T 2222 von Sieg zu Sieg gefahren. Unter anderem gewann er 1950 die 1200 Kilometer lange "Internationale Österreichische Alpenfahrt", die durch schwieriges, kurvenreiches Gelände führte und nur zu etwa einem Drittel asphaltiert war. Alternativ dazu setzte Mathé einen der ersten in Gmünd gefertigten Serien-Porsche sowie einen Eigenbau-Porsche ein und startete dabei in unterschiedlichen Hubraumklassen. 1952 konnte er bei der berühmten "Stella Alpina" vier von sieben Bergprüfungen für sich entscheiden, gewann 22 Saisonrennen und erstmals die österreichische Meisterschaft.<p>Es ist vielleicht das Jahr 1953, das den Übergang vom Champion zum Mythos Otto Mathé markiert. Am 18. Oktober jenes Jahres stand zum Aschenbahnrennen in der Wiener Krieau neben den bekannten Wagen ein seltsam geformter Monoposto am Start: eine flach und niedrig ausgeführte Frontpartie, die nicht mehr als ein Beinschutz zu sein schien, und hinter dem tief ausgeschnittenen Cockpit hob sich ein mächtiger Buckel, unter dem sich ein vor der Hinterachse montierter 1500-ccm-Porschemotor verbarg. Die Mittelmotorkonstruktion war zwar nicht unbekannt (Ferdinand Porsche hatte bereits in den Dreißigerjahren die Rennwagen der Auto-Union nach diesem Konzept bauen lassen), doch wirklich durchsetzen wird sie sich im Monoposto-Rennsport erst einige Jahre später. Die Vorder- und Hinterachse entstammten dem Volkswagen, das Chassis war eigenhändig zusammengeschweißt, die ganze Rennflunder wog rund 400 Kilogramm. Mathé fuhr an jenem Tag die gesamte Konkurrenz - egal, ob Cooper oder 2-Liter-Bristol mit dem deutschen Star-Rennfahrer Hans Stuck am Steuer - in Grund und Boden.<p>Es war die Zeit, in der ein Einzelner mit herausragendem individuellen Know-how, kreativem Geist und hohem handwerklichen Geschick gegen die Phalanx der Konzerne bestehen konnte. War es den Automobilwerken möglich, ihre Neukonstruktionen mit großem Aufwand auf Herz und Nieren zu prüfen, so war Mathés Testinfrastruktur der Klosterkasernenplatz: drei Tage vor dem Rennen erhielt er die Erlaubnis, darauf ein paar Proberunden zu drehen. Mathé wird mit seinem "Fetzenflieger" in den Folgejahren viele Siege und weitere Staatsmeistertitel erringen. Durch mit Lampen bestückte Kotflügel, die mittels weniger Handgriffe dem silbernen Einsitzer angeschnallt werden konnten, war er im Handumdrehen auch für die Sportwagenklasse rennberechtigt - und Favorit auf den Sieg.<p>

Das letzte Rennen

<p>Für sein letztes Rennen, das Ferdinand-Porsche-Gedenkrennen auf dem zugefrorenen Zeller See am 15. Februar 1959, hatte Mathé einen 130 PS starken Porsche-Viernockenwellenmotor einbauen lassen, mit dem er den Zuffenhausener Werksfahrern Huschke von Hanstein und Richard von Frankenberg in ihren modernen Spyders davongefahren war. Mit Siegerkranz und kleinen Schnittwunden im Gesicht, die von Eisstückchen stammten, die die Spikes aufgewirbelt hatten, drehte Mathé seine letzte Ehrenrunde und zog sich mit knapp 52 Jahren vom Automobilrennsport zurück.<p>In der Innsbrucker Heiliggeiststraße betrieb er seit 1936 gemeinsam mit seiner Frau Rosl eine kleine Tankstelle; Werkstatt und Entwicklungslabor befanden sich auf seinem Villengrundstück in der Neurathgasse. Der Feinmechaniker, der die Gewerbeschule für Maschinenbau besucht und 1941 die Prüfung zum Kraftfahrzeugmechaniker abgelegt hatte, schliff und bohrte hier an selbst konstruierten und selbst gebauten Maschinen Zylinder, einmal 42 an einem Tag! Da der begeisterte Skifahrer mit nur einem funktionstüchtigen Arm keine Schuhe mehr schnüren konnte, montierte er jene Klemmen, mit denen man Steigfälle auf die Skier spannte, auf das Ristleder und erfand die möglicherweise ersten Schnallenskischuhe. Der vielseitig begabte Techniker entwickelte eine Sicherheitsbindung, die er in Innsbruck gießen ließ, konstruierte Jahre vor Felix Wankel einen Drehkolbenmotor sowie einen Allstoffvergaser, in dem kleine, gegenläufige Propeller geringwertigen Treibstoff bei hoher Temperatur zu einem brauchbaren Gemisch zerstäubten.<p>Wirklich bekannt wurde Mathé jedoch durch einen von ihm entwickelten Schmierstoff. Wohl inspiriert von dem amerikanischen Additiv "Bardahl", das er als österreichischer Generalvertreter vertrieb, mixte er nun sein eigenes. Mittels Pumpen und Filtern wurde Altöl wiederaufbereitet, notwendige Zentrifugen besorgte sich Mathé aus der Milchwirtschaft. Als Behältnisse für die Herstellung dienten Treibstofftanks, die angeblich von V2-Raketen stammten und dank guter Kontakte zur amerikanischen Besatzungsmacht zu Mathé gelangt sein sollen.<p>

Betriebsgeheimnis

<p>Beim Abfüllen des Mittels hatte er die Anwesenheit unliebsamer Beobachter peinlichst vermieden, die Zusammensetzung blieb ein streng gehütetes Geheimnis, auf den Markt kam es als "Mathé Universal". Durch das Additiv, so behauptete Mathé, erzeuge jedes Mineralöl einen zerreißfesten Schmierfilm, der die Abnützung aller rollenden und gleitenden Teile minimiere und nicht nur für Kfz-Motoren, sondern beispielsweise auch für Maschinen in Drehereien und Fräsereien bis hin zur Schmierung von Seilbahnen und Skiliften einsetzbar sei.<p>Die Geheimniskrämerei um die Mixtur polarisierte. Die einen hielten Mathé, der von 1953 bis 1981 Gremialvorsteher des Tiroler Mineralölhandels war, für ein Genie, die anderen für einen Scharlatan. Doch wer einmal auf Mathés Prüfstand den Nachweis für seine Behauptungen gesehen hat, soll zum Stammkunden geworden sein. Zahlreiche Briefe zufriedener Kunden belegen den positiven Effekt.<p>Mathé, der seinen Alchemisten-Nimbus kräftig nährte, muss an seinem Produkt prächtig verdient haben. Die Spanne zwischen dem Einkaufspreis für Altöl und dem Verkaufspreis des "Mathé Universal" war enorm. Woraus es auch immer zusammengesetzt war, viele zufriedene Rückmeldungen lassen den Schluss zu, dass in Innsbruck ein wahrer "Motorschmeichler" hergestellt worden war. Das Produkt hat seinen 1995 im Alter von 88 Jahren verstorbenen Erfinder überlebt. Der runderneuerte Nachfolger ist heute unter leicht abgeändertem Namen in Verwendung.

Thomas Karny, geb. 1964, ist Sozialpädagoge, Autor und Journalist.
Mehrere Buchveröffentlichungen zur Zeit- und Motorsportgeschichte. Lebt
in Graz.