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Deutsch-böhmische Mischkulanzen

Von Hans Haider

Reflexionen

Das "Böhmakeln", das "Kuchldeutsch" und andere Spielarten derselben Mundart leben nur noch in Archiven. Ein neues Buch erforscht nun diese Sprachen.


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Eine wichtige Quelle zur Erforschung der böhmisch-deutschen Mischsprache ist die volkstümliche Musik.
© privat

Welches Lied könnte uns g’schmackiger das "Kuchldeutsch" ins Ohr komplimentieren als die "Powidltatkscherln"? Hermann Leopoldi sang es in den dreißiger Jahren noch in Wien, ehe er sich aus den KZs Dachau und Buchenwald nach New York rettete. Den Text schrieb Rudolf Skutajan, Lebensdaten unbekannt, dem Namen nach eher Armenier als Böhme: "Powidl-tatkscherl aus der scheenen Tschechoslowakei schmecken noch viel besser als die feinste Bäckerei. Denn so ein Tatschkerl, so ein powidales, das ist doch wirklich etwas Pyramidonales. Und immer denk’ ich, wenn ich Bozena erblick’: Powidltatschkerl, tatschkerl ist das allerhekste Glick".<p>Peter Alexander, Sohn einer Pilsnerin, bejubelte Böhmens berühmteste Mehlspeis’. Heinz Conrads, ebenfalls durch eine böhmische Mutter dialektal eingestimmt, servierte sie gern in seiner Sonntagmorgen-Radiostunde "Was gibt es Neues?" Fritz Muliar war wie Peter Alexander ein berühmter "Soldat Schwejk", und beide sprachen diese Rolle besser als Heinz Rühmann. Muliar war wie Karl Farkas im Böhmakeln so firm wie im Jiddln. Peter Wehle schrieb schon während der Schulzeit eine Parodie aus Schillers "Taucher": "Der Kenich Přemysl von die Ribisl / haltet hof in der Frieh bißl . . ."<p>

Verklungene Töne

<p>Die Sprechtöne aus dem Vielvölkerreich sterben aus. Als Hans Krendlesberger zum 100. Geburtstag von Karl Kraus 1974 "Die letzten Tage der Menschheit" komplett für den ORF aufnahm, fand er noch in bunter Breite alte Stimmen. Und wen fände er heute? Miguel Herz-Kestranek kann noch jüdeln und böhmakeln. Aber dann ist, wie Claus Peymann zu sagen pflegte, "sängse". Peymann liquidierte das 1976 bis 1986 von Achim Benning an der Burg gehütete tschechische Exiltheater, in dem Pavel Landovsky auf Akzentrollen beschränkt war und Valter Taub, der letzte Stern des Prager Deutschen Theaters, engagiert war. 1967 spielte Taub als Erster den "Schwejk" in Pavel Kohouts Bühnenfassung 1967 (mehrere Jahre das meistgespielte Stück auf deutschen Bühnen!).<p>Am Lesepult intonierte er noch das Sprachmelos von Kafka - für den Böhmakeln wie Jüdeln ein unstandesgemäßer "Jargon" war. Wenn Georg Kreisler seine "Telefonbuchpolka" sang, in welcher ein Herr "Brscht" seinen Namen ändern will, kam noch die Wehmut der verfolgten Juden hinzu.<p>Der seit 1850 anschwellende Nationalitätenkonflikt fand auch auf dem Felde der Sprache seine billigen Waffen: wechselseitige Stereotypen, entweder beifällig-positive oder verächtlich-negative. Was sagte man den Tschechen nach? Musikalisch seien sie, aber fanatisch.<p>Im Roman "Die Geschichte des braven Soldaten Schwejk" hält Jaroslav Haek Abrechnung mit der habsburgischen Herrschaft. Der kriegsunlustige Hundefänger spricht im Original ein derbes Umgangstschechisch. Er böhmakelt erst in der Übersetzung von Grete Reiner aus 1926 und den darauf zurückgreifenden Verfilmungen. Reiner griff auf drei Stufen tschechisch-deutscher Bilingualität zurück, die freilich nur Sprachwissenschafter einigermaßen unterscheiden können: das "Prager Deutsch" als bürgerliche Umgangssprache (gern als Erbschaft des nur legendären "reinsten Deutsch" der 1749 geschlossenen Prager Hofkanzlei betrachtet) sowie das eher unterschichtige "Kleinseiter Deutsch" und das Böhmakeln. Der neue Übersetzer Antonin Brousek schreibt: "Die Reinersche Übersetzung wirkt durch das ,Böhmakeln’ wie ein k. u. k. Komödienstadel."<p>

Böswillige Karikaturen

<p>Tendenz andersrum findet sich in der sogenannten "Grenzlandliteratur" deutsch-böhmischer Autoren, wo der miesgemachte Volksfeind nicht richtig Deutsch kann. Im Roman "Tote Scholle. Eines deutschen Dorfes Kreuzweg" von Alois Fietz (1914) sagt der Bauer Kratochwil über die "Böhm": "Sein sparsame Leut, haben aber Geld! Können kaufen Bauernhäuser! Können kaufen ein Dorf um ander! Wenn dauert zwanzig Jahr, sein viel deutsche Dorf böhmisch. Muß mal ganz Böhm und Morava sein ein Sprach! War sich das in alte Zeit alles böhmisch. Sein g’wesen schöne Zeit. Bis i Deutsche einbrechen und arm Böhm wegjagen und all’s für sich behalt." In Veit Harlans Propagandafilm "Die goldene Stadt" von 1942 droht ein deutsches Landmädchen, gespielt von Harlans Frau, der blonden Kristina Söderbaum, genannt "Reichswasserleiche", im Großstadtsumpf zu verkommen. Der ihr nachstellt, böhmakelt.<p>Für die Sprachwissenschaft sind es "deutsch-tschechische Mischvarietäten", verbreitet vom späten 18. Jahrhundert bis in die siebziger Jahre des vorigen. Für den Hausgebrauch deckt das Wort "Böhmakeln" alles ab, was auch "böhmisch-deutscher Jargon", "Tschechodeutsch", "Behmischdaitsch" oder "böhmischer
Accent" genannt ist. Speziell in Wien, wo in herrschaftlichen und bürgerlichen Küchen viele Babuschkas und Mariankas in Dienst standen, heißt es auch "Kuchldeutsch".<p>Von der Sprache der tschechischen Arbeiter in Wien, am bekanntesten die "Zieglbehm", blieben kein eigenes Etikett und kaum schriftliche Zeugnisse aus dem Sprachalltag, auch kein Arbeiter- oder Dienstbotenbrief im Österreichischen Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum in Margareten.<p>Die neuere Arbeitsmigration wird genauer protokolliert. So die "Kanak sprak" der zweisprachig aufgewachsenen Türkenkinder in Deutschland. Lingua franca der Monteure auf den Baustellen ist das Deutsche. Aktuell liefern den Soziolinguisten die Deutschlehrer für Flüchtlinge Studienmaterial frei Haus. Daneben spielen unauffällig und unerforscht zigtausend slowakische Altenpflegerinnen in Österreich auf beiden Registern der Sprachorgel.<p>Aus der Slowakei kamen schon die durch die Lehár-Operette dieses Titels bekannt gebliebenen "Rastlbinder" und schrien in Altwien ihre Kaufrufe: "Häfebinda!" "Pfanaflicka!" "Restlbinda is da!" Oder das Mischwort "Drathowat", das "Drahtbinden" heißt.<p>

Forschungsarbeit

<p>Doch die viel reicher sprudelnden, wenn auch nicht so reinen Quellen für das Böhmakeln sind in literarischen und journalistischen Texten aus zumeist Wiener Schreibwerkstätten zu finden. Mit dieser Einsicht musste sich eine mehrjährige, von der deutschen Bundesregierung finanzierte Kooperation der Universitäten Bamberg und Olmütz begnügen. Ein Manko, das auch sein Gutes hat.<p>Denn darum erweiterte sich der soeben im Wiesbadener Harassowitz Verlag erschienene Forschungsbericht von Bettina Morcinek, Veronika Opletalová, Helmut Glück und Karsten Rinas: "Deutschlernen ,von unten‘: Böhmakeln und Kuchldeutsch", zu einer 200-Seiten starken Anthologie deutsch-böhmischer Mischkulanzen, zumeist komischen, doch voll Not und Hoffnung im lebensgeschichtlichen Hintergrund. Eine aus öffentlichen und privaten Archiven zusammengetragene CD mit Aufnahmen seit 1910 liegt dem Buch bei. Kostbarkeiten zum Wiehern!<p>Nie zuvor wurden systematisch Text- und Tonbeispiele aus Volksstücken, Kabarett, Wienerlied, Witzblättern etc. gesammelt. Die meisten Böhmakeleien finden sich in kurzlebiger Unterhaltungsware. Die älteste übrigens in einer "Klosteroperette" des Benediktinerpaters Maurus Lindemayr: "Der Chamäleon des Herrn Rabener", 1775, worin ein Mädchen einen Tambur fragt, ob er gern Soldat sei. Antwort: "Mine schöne Jungfer! Bey di Soldat muß Vogel fressen, oder sterben".<p>In Nestroys Zauberspiel "Müller, Kohlenbrenner und Sesseltrager" wirft der Flickschneider seiner Frau Sepherl vor: "Du hast s’ ins Haus g’numme, die drey alte Künstler, hab ich gleich gesagt, nimm lieber was orndlichs, warum hast nicht gnumme vacirende Schneidergselln?" Der Dichter Schwan wehrt sich: "Hinaus jetzt bocklederne Seel, so laßt sich kein Künstler beleidigen, und wenn er auch trockens Brod fressen muß." Nestroy übersetzte mit Karl Treumann Offenbach-Operetten für Wien. In "Die beiden Blinden" verrät der Straßenmusiker Jerzabek seine Tricks beim Betteln: "Das heist me Marel (Malheur)! Gestern war grad a si im Durchhaus bei Michäler, wo i war als Krippel elendige mit Arm einzige! Heut’ hab ich glaubt, is gute Idee, dass ich bin blind ganz alleinig, find ich wieder so Kerl aufdringlich neidische."<p>Wienerlieder mit böhmischer Observanz finden sich überraschend zahlreich - ein Carl Spa- ček sang "Mi sein me alle Menschen" und "Mei Marianka". Das Wiener Volksliedwerk verwahrt einen "Wenzel in Wuth", der selbstbewusst behauptet: "Franzö’scher Schliff, franzö’sche Sprach /Is nit modern mehr heutzutag,/ Ich pfeif‘ auf grosse Nation/ Fi donc, fi donc!/ Tonangebend sein jetzt Böhmen, / Oh, mir brauch’ me uns nit schämen/ Mir ham Bildung, mir ham G’Gschmack!/ To je tak" (das ist so)!<p>Böhmische satirische Texte druckten Wiener Zeitschriften wie der arg antisemitische "Kikeriki" sowie der "Figaro", "Die Bombe", "Der Floh". In der "Neuen Freien Presse" wird 1868 von einer böhmischen Magd berichtet, die ein bodenständiger Gauner um Ersparnisse brachte. Fragt der Richter: "Hat er ihnen wirklich das Heiraten versprochen?" - Das Mädchen Maria: "Hot eschwurden (geschworen) zu Gott, hote mich schimpft, weil hab’ ich g’sagt, heiraten gehte nit so g’schwind; hote g’sagt, willste immer su leben? Hab’ ich ihm alles glaubt, natürli, hote Mensch ’schwuren, wird mich machen glücklich‘."<p>Ein bedenkenswertes Kuriosum ist in der zweiten Verfilmung von Carl Zuckmayers Preußen-Satire "Der Hauptmann von Köpenick" zu finden. Der Lumpenhändler, der dem armen Schuster Voigt unter einem S-Bahn-Bogen die alte Uniform verkauft, war 1931 noch als armseliger Ostjude dargestellt. Mit gebotener Empfindlichkeit ersetzte ihn Helmut Käutner 1956 durch einen böhmakelnden Wanderhändler. Jüdeln und Böhmakeln sind für heutige Ohren oft schwer zu unterscheiden. Für Zuwanderer nach Wien, Flüchtlinge und Glückssucher, die sich wünschten, dass wenigstens ihren Kindern der Aufstieg in bürgerliche Sphären gelingen möge, war - Canetti erzählt davon in seiner Autobiographie - das "reine" Deutsch das Ziel. Egal ob sie aus Pilsen oder Prag, Czernowitz oder Brody kamen.

Hans Haider, geboren 1946, lebt als Kulturjournalist und Publizist in Wien.

Das Buch "Deutschlernen ‚von unten’: Böhmakeln und Kuchldeutsch" von Bettina Morcinek, Veronika Opletalová, Helmut Glück und Karsten Rinas wird am Montag, 29. Mai 2017 um 19.00 Uhr in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur,Herrengasse 5, 1010 Wien, vorgestellt. Helmut Glück spricht über das Buch. Hilde Haider-Pregler über den Böhm/Behm auf der Unterhaltungsbühne (mit Tonbeispielen). Miguel Herz-Kestranek liest Bekanntes und Entdecktes. Moderation: Manfred Müller