Kurz vor Ausbruch des deutsch-französischen Krieges 1870 verfügt der Händler über ausreichend Erspartes, um am rechten Seine-Ufer, in der Rue du Pont-Neuf, einen Raum in einem Café zu mieten. Er nennt auch diesen ersten eigenen Laden "Au petit Bénéfice", um die Klientel der nahen Markthallen und des Kaufhauses "À la Belle Jardinière" anzusprechen. Die Zeiten sind hart. Ein Hungerwinter ist überstanden, der Krieg gegen Deutschland verloren. Paris gerät für Wochen unter die "Arbeiterherrschaft" der Kommune - und Cognacq in die Klemme, droht ihm doch die Mobilisierung als Nationalgardist und damit der Verlust der Lizenz. Doch der kreative Unternehmer erbittet sich eine alternative Form der Mitwirkung und beliefert die Gardisten mit Hosen.
Der Erfolg
Ende Mai 1871 ist das revolutionäre Experiment der Kommunarden - mit hohem Blutzoll - gescheitert, die Stadt in weiten Teilen verwüstet. Auf diesen Trümmern baut Cognacq seine große Karriere. Er stellt zwei Verkäufer ein, gestaltet das Lokal um und gibt ihm einen neuen Namen: "La Samaritaine". Damit ist der Grundstein für die "Grands Magasins de la Samaritaine" gelegt. Das Motto über dem Ladeneingang, "per laborem" (durch Arbeit), nehmen die Verkäufer als Ehrennamen für ihren disziplinierten, unprätentiösen Chef.
1872 heiratet Cognacq Marie-Louise Jay, damals Leiterin des Konfektionsrayons im allerersten Grand Magasin, dem "Bon Marché". Der Warentempel am gegenüberliegenden Seine-Ufer dient dem Paar als Modell, etwa in der Organisation von ergebnisverantwortlichen Abteilungen oder der Kalkulation mit Fixpreisen, die ausgeschildert werden.
Anno 1875 erwirtschaftet die "Samaritaine" mit nunmehr 40 Verkäufern einen Umsatz von 800.000 Francs. Im Jahr 1894 sind es 3000 Angestellte, und der Umsatz beläuft sich auf 40 Millionen Francs. Die Milliarde ist 1925 überschritten - bei einem Beschäftigtenstand von 8000. Die betriebliche Umsicht des Gründers ist bald ebenso Legende wie die Höflichkeit seines Verkaufspersonals. Die zahlreichen, bis 1933 durchgeführten Um- und Anbauten im Stil des Art Nouveau tragen die Handschrift der Architekten Frantz Jourdain und Henri Sauvage. Die Verkaufsflächen erreichen stolze 48.000 m².
Die Cognacqs, ein Musterbeispiel für den sozialen Aufstieg im ausgehenden 19. Jahrhundert, entwickeln sich zu Pionieren einer modernen Unternehmenskultur. Sie ermöglichen die Anprobe von Kleidungsstücken, räumen den Kunden ein Rückgaberecht ein. Ernest Cognacq verfasst die Werbung höchstpersönlich und ficht beim Obersten Verwaltungsgericht sogar erweiterte Öffnungszeiten durch: Fortan können die Pariser ihre Hüte, Schuhe und Stoffe, ihre Möbel, Teppiche oder Haushaltsartikel auch sonntags kaufen. Das Personal kommt in den Genuss freiwilliger Sozialleistungen: Jeder Angestellte erhält ein Pensionskonto; eine hauseigene Kinderkrippe erlaubt Verkäuferinnen, ihre Kleinsten direkt am Arbeitsort betreuen zu lassen und dort auch zu stillen. Darüber hinaus stellt der paternalistische Unternehmer billigen Wohnraum, ein Lehrlingszentrum, ein Sanatorium und ein Altenheim bereit.
Nachfolgerprobleme
Die Cognacqs gründen die - bis heute aktive - Stiftung "Fonda-
tion Cognacq-Jay" und loben einen Preis für kinderreiche Jungfamilien aus. Nur unter dem eigenen Dach (einem standesgemäßen Palais in der heutigen Avenue Foch) bleibt der Kindersegen aus.
Die Nachfolge will indes geregelt sein. Der erste Kandidat, ein Neffe von Madame Cognacq-Jay, zieht allerdings der kommerziellen die kirchliche Laufbahn vor und wird Priester. Der zweite Anwärter auf die Chefetage, ein Sohn von Ernests Halbbruder, übt sich in die Rolle als Patron ein. Dass er sich in eine kleine Verkäuferin der Samaritaine verliebt und mit dieser einen Sohn zeugt, wird von den Gönnern aber nicht goutiert. Aus der Traum. Das Mädchen stamme aus unpassendem Milieu, lautet die Begründung der immer gestrengeren Eigentümer.
Der verhinderte Juniorchef stirbt früh, worauf die Cognacqs der Witwe anbieten, für das Kind zu sorgen. Sie bedingen sich dafür deren Wegzug aus. Die mittellose Frau hat keine Wahl - und La Samaritaine einen neuen Chef: Gabriel Cognacq, den Großneffen des Unternehmensgründers.
Die "Grands Magasins de la Samaritaine" gingen nach Cognacqs Tod 1928 in den Besitz der Familie Renan über, die den Komplex 2001 an den Konzern LMVH verkaufte. Im Juni 2005 schloss das Warenhaus für immer seine Pforten. Der alte Werbeslogan "Im Samaritaine findet man alles" ist Geschichte. Doch das denkmalgeschützte Hauptgebäude soll voraussichtlich 2018 in neuem Glanz erstrahlen - als Luxushotel.