Zum Hauptinhalt springen

Der schöne Weltschmerz

Von Martin Zinggl

Reflexionen

Fado überall: Lissabon ist noch immer die Hauptstadt der traditionellen portugiesischen Gesangskunst.


<p>

© Zinggl

Der Kellner dimmt das Licht im Lokal. Kerzenflammen flackern im heulenden Luftzug, der sich unterhalb der schweren Eichentür und durch die Spalten in den alten Fensterrahmen hereinschmuggelt. Draußen peitscht der Regen durch die Nacht, als stünde wieder einmal der Weltuntergang bevor. Die Stube ist klein und kuschelig gefüllt. Rund dreißig Personen warten andächtig. Niemand traut sich mehr zu sprechen, auch die beiden Kellner haben aufgehört zu servieren und abzuräumen. Die Stille wird lediglich durch das Zurechtrücken von Sesseln, hustende Gäste und das Klimpern der Eiswürfel im Glaskrug, der mit billigem Sangria angefüllt ist, unterbrochen. In einer hinteren Ecke funkeln Manschettenknöpfe, ein Ring und eine goldene Uhr im fahlen Kerzenschein. Zwar lässt sich in der Dunkelheit eine Gestalt erahnen, aber ob es der Tod oder der Pate höchstpersönlich ist, bleibt vorerst offen.<p>Tuschelnd besprechen die beiden Gitarristen die nächste Nummer, bevor urplötzlich ihre Finger über die Saiten flitzen, daran zupfen und sie streichen. Wärmend-trauriges Gitarrengeklimper mit hohen Tönen, das zu Tränen rührt. Einer der beiden, Luís ist sein Name, nimmt die Gitarre richtig ins Gebet, als wäre sie eine Verlängerung seiner selbst. Unter den geschlossenen Augen verbirgt er höchste Konzentration. Und kurz darauf durchschneidet seine Stimme den Raum, so voll mit Schmerz, dass mir unwohl wird. Tief unten in der Seele sticht es. Und genau diesen Schmerz lässt Luís nun schluchzend und schleppend aus seiner Kehle heraus, sodass man ihn gleich wieder mit Portwein hinunterspülen möchte.

Fado ist eine beliebte Musikrichtung, aber auch ein Symbol nationaler Identität.
© Zinggl

<p>

"Fado passiert"

<p>"Acontece fado", brummt leise der Lokalbetreiber mit den glasigen Augen, der neben mir Platz genommen hat. "Fado passiert", soll das heißen und bezeichnet jenen seltenen Moment, in dem die Musik, der Fadista und das Publikum miteinander verschmelzen. Luís’ gesungene Worte klingen so verzerrt, das ich nichts verstehe - und doch weiß ich sinngemäß, wovon er spricht. Denn Freund Luís teilt sich über seine Emotionen mit. Er singt von Mutterliebe und Kindheitserinnerungen, die einen unsichtbaren Dämon namens Melancholie mit sich bringen, über Vergangenes und Unendliches sowie über generellen Weltschmerz.<p>Das also ist Fado, dieser markant-monotone akustische Wahnsinn Portugals, der durch das Gehör in Mark und Bein fließt, wie einer dieser kalten und feuchten Regentage im winterlichen Lissabon. Müsste man die Stadt in ihren Klängen erfassen, wäre Fado unerlässlich.<p>In jedem Lied erzählt Fado ein Stück vom Leben, wenngleich in ihm selbst nur bedingt Leben steckt, da ihn die Monotonie fest im Würgegriff hält. Und dennoch ist er unterhaltsam, irgendwie. Fado ist tiefschwarz und dunkel und klingt wie Blues, aber ohne den Einfluss afroamerikanischer Rhythmen, dafür begleitet von einem birnenförmigen, zwölfsaitigen Instrument, das aussieht wie eine Laute: die portugiesische Gitarre. Fado-Texte lesen sich wie ein Gemisch aus betrunkener Poesie und nostalgischer Lyrik mit immer gleichem Inhalt: dem ach so miserablen Schicksal, das immer wieder mal bei dir vorbeischaut und dich verschluckt, bevor es dich wieder ausspuckt, ehe du noch Zeit hast, endgültig abzudanken. Du überlebst gerade noch, trägst aber erheblichen Schaden davon. Zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig. Viele Portugiesen haben einen Hang zu diesen nostalgischen, schwermütigen Balladen, wie auch Bosnier, Kurden, Perser und Afghanen.<p>Luís fällt innerlich zusammen, als ihn die Zuseher mit tosendem Applaus erlösen. Sein Höllenritt ist vorbei, und unserer auch. Bis zum nächsten Lied, wo er uns wieder für einen Augenblick in seine Seele schauen lässt - und genau hier fängt mein Problem mit Fado an. In kleinen Dosen tut er gut und ist wunderbar ergreifend. Es sind schmerzhaft-schöne Stiche ins Herz, die kurz zwicken und brennen. Sie hinterlassen Wärme und Schlagseite. Melancholische Menschen brauchen diese Mittel, um zu überleben.<p>

Jammerkunst

<p>Fado in Überdosis hingegen ist einfach nur schmerzhaft - für die Zuhörer ebenso wie für den Fadista selbst. In mir vergrault das Gejammer Leib und Seele, wirkt wie ein Horrortrip über kurvige Bergstraßen zur Mittagszeit im Hochsommer, mit einem üblen Kater im Kopf. Aber ja, so geht es mir, wie gesagt: In Portugal stehen die Leute drauf.<p>Um seinen Rachen zu reinigen, nippt Luís in der Gesangspause an seinem Weinglas. "Alles ist Fado", spricht er durch den Alkoholdunst. "Es ist unser Lebenselixier." Ein Zaubertrank, dessen Rezept nicht gelehrt werden kann, denn entweder kommt man als Fadista zur Welt oder lässt es besser gleich bleiben. "So will es unsere Tradition", sagt Luís. "Fadista sein ist kein Beruf, den du erlernen kannst, sondern eine Berufung."<p>Während ich also an portugiesischen Universitäten so ziemlich alles studieren könnte, vom Restaurieren von Spielpuppen bis hin zum Bemalen von Wandkacheln, ist Fado ein Geschenk Gottes, ein Talent, das es zu fördern gilt. Angehende Fadistas lernen die Musik auf mittelalterliche Art: von den alten Meistern, durch Zuhören, Nachsingen und Fehlermachen. Luís kam bereits als Kind in Kontakt mit Fado, da sein Vater, Luís senior, ebenfalls Fadista ist. Der wiederum bekam die musikalische Melancholie von seinem Vater eingehaucht, und dieser von Luís’ Urgroßvater. Und so geht die Familiengeschichte zurück, bis sie sich irgendwo verliert im legendenhaften Ursprung des Fado Anfang des 19. Jahrhunderts. Die einen werden traditionsgemäß Hirten, Bauern oder Wirte, andere haben den Drang, ihre schicksalhaften Emotionen über Gesang zu entfalten, in ihren Genen.<p>Und wenn ein Fadista von Fado spricht, dann muss im gleichen Atemzug auch irgendwann dieses sagenumwobene Wort Saudade fallen, denn die beiden erscheinen immer im Doppelpack - zumindest in den Touristenbroschüren, die an jeder Straßenecke Lissabons im Wind taumeln. Saudade, dieses angeblich unübersetzbare Wort, das so etwas wie Sehnsucht bedeuten soll, gehört - unumstritten - den Portugiesen. Und nur Portugiesen können dieses Wort verstehen, sagen die Portugiesen, denn Saudade beschreibt den Urgemütszustand der Bewohner. Wonach sehnen sich also die Fadistas? Nach Liebe? Nach der Heimat? Nach einem weiteren Glas Wein? Nur das Schicksal weiß es.<p>

Besuch beim Experten

<p>Ob portugiesische Seefahrer oder brasilianische Hofbarden daran Schuld sind, dass Fado heute in Lissabon zu Hause ist, kann niemand genau sagen. Auch nicht Fado-Experte Rui Vieira Nery, den ich in seinem Büro in der Gulbenkian-Stiftung besuche. Er ist einer jener seltenen Menschen, deren Lebensaufgabe darin besteht, dieses besondere Musikgenre wissenschaftlich aufzuarbeiten.<p>Der Universitätsprofessor leitete auch jenes Team, bestehend aus Akademikern und bekannten Fadistas, dem Portugal zu verdanken hat, dass Fado seit 2011 als immaterielles Weltkulturerbe auf der UNESCO-Liste geschrieben steht. "Fado ist ein Symbol nationaler Identität", sagt Vieira Nery, dessen Worte Eindruck und Gewicht hinterlassen. Sein Vater, Raul, zählte zu den bekanntesten Spielern der portugiesischen Gitarre und begleitete fünfzig Jahre lang so ziemlich jeden Fadista, der Rang und Namen hatte. So wuchs der heute sechzigjährige Musikwissenschafter und Historiker mit der Musik seines Vaters auf. Für eine Karriere als Fadista reichte es schlussendlich zwar nicht, Fado beeinflusste Vieira Nery aber dennoch sein Leben lang und bewog ihn dazu, sich auch wissenschaftlich damit auseinanderzusetzen.<p>Angefangen hat die Geschichte des Fado höchstwahrscheinlich als Straßentanz afrobrasilianischer Bewohner im kolonialen Brasilien. Das war im frühen 19. Jahrhundert. Bis zu den kapverdischen Inseln, die auf halber Strecke der transatlantischen Sklavenroute zwischen Brasilien und Portugal liegen, vermischte sich der Stil auch mit den Wehklagen der portugiesischen Seefahrer, die sich nach ihrer Heimat sehnten. Saudade lässt grüßen! Und auf den Kapverden beheimatete Musik verwässerte das soeben veränderte Musikgenre aufs Neue. In der portugiesischen Hauptstadt angekommen, traf Fado zusätzlich auf die Modinha, eine ursprünglich an brasilianischen Kaiserhöfen gesungene Form harmonischer Balladen mit sentimental-lyrischen Texten. Gleichzeitig zogen Migranten aus dem restlichen Portugal und aus anderen Teilen Europas nach Lissabon, die ihrerseits die lokale Musikszene beeinflussten. Als völlig neues Kon-strukt entpuppt sich Fado schließlich als Spiegelbild der Populärkultur in Lissabon und als gemeinsamer Nenner all dieser Kulturen. Einig sind sich nämlich alle darin, dass Fado ab den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts in den Hafen- und Rotlichtvierteln Lissabons groß wurde und die portugiesische Hauptstadt daher als das Fado-Mekka gilt.<p>Fado war die Musik der Armen und sozial Schwächeren, jener Arbeiterklasse, die ums Überleben kämpfte, gebeutelt durch Schicksalsschläge, geschlagen von jedem nur möglichen Aspekt des Lebens: Industriearbeiter, Prostituierte, Zuhälter, Taschendiebe, Tagelöhner, Banditen. Daraus entwickelten sich auch die vulgären, tristen Texte und die thematischen Wiederholungen über das fiese Schicksal, von dem sich die Portugiesen seit Herrgottszeiten bestraft fühlen. Dies schürte auch Interesse innerhalb der Arbeiterparteien und politisch Linksgerichteten, und die Texte klangen plötzlich nach Marx und Engels.<p>Im Laufe der Zeit verlor Fado jedoch seinen verruchten Beigeschmack und erfreute sich großer Popularität im Lande, denn das Volk wandte sich - neben dem Wein - dieser eigentümlichen Musikrichtung zu, um seine Sorgen und Ängste darin zum Ausdruck zu bringen.<p>

Die Zensur Salazars

<p>Mit dem Erscheinen der ersten Phonographen und des Radios wurde Fado richtig beliebt in Lissabon, Portugal und darüber hinaus - bis 1926 Diktator Salazar an die Macht kam und jegliche öffentlichen Auftritte untersagte, sofern die Musiker nicht über eine Lizenz verfügten. Salazar hasste Fado aus tiefer Überzeugung, da die Musik mit der politischen Linken und den Arbeiterparteien verbunden wurde. Er wollte diese Musik in seinem autoritären Regime Estado Novo komplett verbieten, beugte sich aber der Beliebtheit innerhalb der Bevölkerung. Jedoch ließ er die Texte zensurieren. "Unter der eisernen Faust des Diktators wurde Fado standardisiert und formalisiert", sagt Vieira Nery. "Er tolerierte die Musik, aber förderte sie nicht."<p>Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs überlebten zwei Diktaturen in Europa: Francos Spanien und Salazars Portugal. Salazar war sich im Klaren, dass er seinen faschistischen Strang nicht mehr weiterführen konnte wie in den Jahren zuvor, also tendierte er in eine eher populistische, konservative Richtung. Er wusste, wie beliebt Fado innerhalb der Bevölkerung war, und machte sich diesen zu eigen, um seine politischen Botschaften anzubringen und gegen den Einfluss anderer Mächte innerhalb Portugals zu kämpfen. "Salazar sah sich als wahrer Verfechter traditioneller portugiesischer Kultur und der portugiesischen Nation", sagt Vieira Nery. "Ähnlich wie Mr. Trump heute in Amerika." "Portugal zuerst", hätte das damals wohl geheißen.<p>Diese Lücke im System der jahrelangen Zensur und Kontrolle nutzten die Fadistas zugleich zu ihren Gunsten und experimentierten in den fünfziger Jahren mit neuer Poesie und alternativen Instrumenten sowie neuen Interpretationen und Hintergrundmusikern. Damit brachten sie den Fado auf ein neues Niveau. Allen voran Amália Rodrigues, die Fado-Ikone schlechthin. Der großen Amália sagen Kritiker nach, dass ihre Texte nach Picasso klingen, so komplex und gebildet sei ihre Poesie und daher oft nicht verständlich genug - eben wie die abstrakte Kunst Picassos. Amália machte den Fado weltbekannt, als Wehklang schwarz gekleideter Frauen aus Portugal. Sie starb 1999. Umgeben von wichtigen Staatsmännern liegt sie als einzige Frau begraben im Pantheon von Lissabon.<p>Am Ende des achtundvierzig Jahre andauernden Regimes feindeten die Demokraten Fado an, da sie diesen als Ausdruck des Diktators sahen und als Symbol dafür interpretierten, dass sich die Menschen ihrem Schicksal ergeben hatten, anstatt zu kämpfen. Die Nelkenrevolution 1974 markierte sogar eine zweijährige strikte Ablehnung des Fado innerhalb der Bevölkerung, da er an die triste Vergangenheit erinnerte, unter der Portugal zu leiden hatte. Die Musik lief nun endgültig Gefahr, auszusterben.<p>In den späten achtziger und frühen neunziger Jahren erlebte Fado dann seine eigene Revolution, denn eine neue Generation, die nichts mit dem Regime zu tun hatte, entdeckte diesen Musikstil als kulturelles Gut wieder. Die alteingesessenen Fado-Häuser blieben jedoch leer und die traditionelle Version des Fado schien weitestgehend auszusterben, denn die Jungen brachten Fado als Nischenprodukt am Weltmusikmarkt an - in Konzerthäusern, auf Festivals und in den Charts.<p>

Moderne und Tradition

<p>"Fado lebt und ist dynamisch", sagt Vieira Nery. "Das ist nichts Statisches, sondern entwickelte sich ständig weiter. Es gibt keine Definition dessen, was echter, authentischer Fado ist und was nicht. Einzig die Fadistas entscheiden das." Die Jungen schafften es jedenfalls erfolgreich, den traditionellen Fado mit neuen Elementen zu versehen. Erst mit der Nominierung zum UNESCO-Weltkulturerbe versöhnten sich die Moderne und die Tradition und starteten in weiterer Folge jenen Trend, der schließlich den touristischen Kommerz auslöste.<p>In den letzten Jahren nämlich entwickelte sich Fado immer mehr zum geschäftlichen Erfolg - und zur Touristenfalle. "Fadistas kommen traditionell aus Lissabon", sagt Vieira Nery, "in den armen Arbeitervierteln von Alfama, Bairro Alto und Mouraria wachsen sie seit Generationen mit der Musik auf, absorbieren die Kultur vom ersten Tag ihres Lebens an. In letzter Zeit aber finden wir Fadistas aus dem ganzen Land, die weder durch diese Lebensschule noch durch diese Nachbarschaft gegangen sind und einen individuellen Zugang zu der Musik haben. Das Resultat hört sich deutlich anders an, hat aber genauso Erfolg!"<p>Auch heute noch werfen etliche Portugiesen dem Fado vor, das Fatalistische und Passive in den Menschen zu fördern und damit dem Land zu schaden. Die Restaurants entlang der Touristenmeilen in Alfama hingegen versuchen täglich aufs Neue, Fado-Sänger zu engagieren, der Nachfrage wegen. Kein Wunder, spucken die Kreuzfahrtschiffe doch Tag für Tag Abertausende Besucher aus, die in Horden kurzfristig die Stadt belagern und das ohnehin entspannte Lissabon ausbremsen und endgültig lahmlegen. "Je mehr Passanten, desto weniger eilig die Schritte", schreibt Nationaldichter Fernando Pessoa.<p>Da Fado so in Mode ist, schleichen sich zudem auch Scharlatane unter die Fadistas. Eine Schande, findet Vieira Nery. "Aber jeder, der sich ein bisschen auskennt, hört sofort, dass das wenig mit Fado zu tun hat. Das sind nur Leute, die ihr Glück versuchen und improvisieren." Fragt sich nur, wie viele Touristen, die für eine Nacht oder ein Wochenende in Lissabon bleiben, dieses Wissen mitbringen? Furchtbare Vorstellung: An jeder zweiten Ecke in Wien locken Dirndl in ein "traditionelles" Jodelkonzert.<p>"Die Fado-Welt kann mit beidem umgehen", meint Vieira Nery, "dem Kommerzzirkus und der authentischen Kunst. Aber natürlich leben Fadistas in einem gruppenbezogenen Umfeld. Sie akzeptieren einander nur bedingt, sofern man nicht zum ,richtigen’ Clan dazugehört."<p>

Die Gestalt im Schatten

<p>In der Taverne neigt sich der Abend dem Ende zu. Die meisten Besucher sind längst verschwunden, einige Hartgesottene jedoch unterliegen dem Rausch des wässrigen Biers. Langsam sondert sich ein Schatten aus dem pechschwarzen Hintergrund ab und Manschettenknöpfe, Ring und Uhr funkeln im Licht. Die Gestalt aus der Ecke tritt leise und unauffällig hervor, um spontan einen Fado anzustimmen. Dunkler Anzug, weiße Haare, dicker Bauch und eine verrauchte Stimme, gekennzeichnet von Jahrzehnten des Alkohol- und Tabakkonsums.<p>Schnell hört auch ein unkundiger Gast, wo Luís gelernt hat. Dieser leert sein Weinglas und schnappt sich die Gitarre, um die Wehklänge zu begleiten. Es ist sein Vater, Luís senior, dessen Zunge nach einigen Gläsern Wein locker genug sitzt, um seinen Schmerz durch Gesang zu entfalten. Stolz wie ein Gockel verrenkt er seinen Kopf und spaziert zwischen den Holztischen umher, eine Hand in der Hosentasche, die andere gegen den Himmel gerichtet, als wollte er dem lieben Gott persönlich erzählen, wie ihn das Schicksal gepeinigt hat. Fest hält ihn die Saudade im Griff, okkupiert seine Seele. Zunächst wimmert er in sich selbst versunken, dann prustet und schreit er, ringt in theatralischen Gesten mit seinem inneren Dämon, bevor er ihn endgültig herauslässt und urplötzlich verstummt.<p>Trotz der wenigen Besucher ist der Beifall um nichts geringer als vorhin. Luís senior lächelt weinselig. Es hat aufgehört zu regnen. Der Weltuntergang ist vertagt, vorerst zumindest. Es geht weiter, irgendwie - auch mit Donald Trump. Schicksal halt. Alles ist Fado.

Martin Zinggl, geboren 1983, lebt als Autor und Dokumentarfilmer in Wien und auf Reisen. Im Wiener Picus Verlag ist heuer unter dem Titel "In der
Wehmut liegt die Kraft" seine "Lesereise Lissabon" erschienen. (132 Seiten, 15,- Euro; E-Book 9,99 Euro).