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Wie ein Heldenbild entsteht

Von Anton Holzer

Reflexionen

Vor 50 Jahren starb Ernesto Che Guevara. Ein Porträt, das den Revolutionär in heroischer Pose zeigt, wurde zum wahrscheinlich meistreproduzierten Foto aller Zeiten. Die Geschichte einer linken Ikone.


Diesem Bild aus dem Jahr 1960 entnahm der Fotograf den berühmten Ausschnitt.
© A. Korda / Wikimedia

Vor etwa einem Jahr erzielte der Fotoapparat eines gewissen Alberto Díaz Gutiérrez bei einer Auk- tion den erstaunlichen Preis von 18.000 Euro. Wer war dieser Mann? Und was machte seine Kamera, eine Leica, so wertvoll? Die Antwort ist einfach und kompliziert zugleich: Mit diesem Apparat hat der 1928 in Kuba geborene Fotograf das wohl meistreproduzierte Foto der Welt aufgenommen: ein zur Ikone gewordenes Porträt Ernesto Che Guevaras, das jeder kennt: ein jugendliches, entschlossenes Gesicht, den Blick in die Ferne gerichtet. Und als besonderes Kennzeichen: das lange, zerzauste, wallende Haar. Darauf die berühmte Baskenmütze mit dem revolutionären Stern.

Der sagenhafte Preis der Kamera resultiert also aus dem sagenhaften Bild. So wie eine Ikone, der wunderbare Kräfte zugesprochen werden, strahlte das Porträt von Che aus und adelte nun, Jahrzehnte nach der Aufnahme, sogar das Handwerkszeug, mit der das Foto hergestellt worden war: die Kamera aus dem Besitz von Alberto Díaz Gutiérrez, der sich seit den 1950er Jahren Alberto Korda nannte.

Entstanden war das wohl berühmteste Foto der Weltgeschichte am 5. März 1960 in Havanna, und zwar bei einer Trauerfeierlichkeit. Aber erst als Che Guevara am 9. Oktober 1967 in Bolivien starb, wurde aus dem Porträt eine wiedererkennbare Ikone, zunächst als Heldenbild für die politische Linke der 68er- und Nach-68er-Zeit, dann als universal einsetzbares Emblem. Längst ist die ehemalige linke Projektionsfigur zum popkulturellen Accessoire geworden. Che dient zwar noch immer als beliebtes Postermotiv im Jugendzimmer, aber mit seinem Porträt wird darüber hinaus alles beworben, was vorstellbar ist: Kinderschuhe und Bikinis, Zigaretten, Wein und Bier, Autos und Telefon. Wir finden das Konterfei des Che, mal als Foto, mal als stilisierte rot-schwarz eingefärbte Grafik (1968 vom irischen Künstler Jim Fitzpatrick hergestellt), auf Kaffeetassen und Handtüchern, auf T-Shirts und Uhren.

Die Nase des Genossen

Aber blenden wir zunächst zurück in das Jahr 1960, als die kubanische Revolution erst wenige Monate alt war. Das Foto, das Alberto Korda im März dieses Jahres von Che Guevara machte, war auf den ersten Blick unscheinbar: Rechts schieben sich die Blätter einer Pflanze ins Bild, links ist das angeschnittene Gesicht eines Parteifunktionärs zu sehen. Korda war im Zuge der Revolution zum politisch engagierten Fotojournalisten geworden. Die Werbe- und Modefotografie, von der er bisher gelebt hatte, hatte er an den Nagel gehängt und sich fortan der Dokumentation der Revolution gewidmet. Die Pflanze und die Funktionärsnase schnitt Korda weg und machte die Szene zum Hochformat. Derart "frisiert", sandte er das Bild an die Zeitung "Revolu-ción", für die er damals arbeitete. Doch diese rückte am folgenden Tag ein anderes Che-Bild auf ihre Titelseite. Das Foto verschwand in der Schublade.

Ernesto Rafael Guevara de la Serna, der sich erst als Revolutionär Che Guevara nannte, war der revolutionäre Gestus nicht in die Wiege gelegt. Er stammte aus einer bürgerlichen Familie in Argentinien, studierte Medizin in Buenos Aires und bereiste als junger Mann zahlreiche südamerikanischen Länder. Die Begegnung mit Fidel Castro im Jahr 1955 leitete eine radikale Wende in seinem Leben ein. Er wurde zum Revolutionär und zog 1959, nachdem die kubanische Diktatur besiegt war, an der Seite Castros in Havanna ein. Che wurde zum kubanischen Staatsbürger und sein rasanter politischer Aufstieg begann. Mit 31 Jahren wurde er zum Präsidenten der kubanischen Zentralbank ernannt, später zum Industrieminister. Er trat zunehmend aus Castros Schatten und wurde zum unkonventionell auftretenden, wortgewaltigen und charismatischen Botschafter der kubanischen Revolution.

Es ist eine Ironie des Schicksals, dass gerade Alberto Korda es war, der Che unsterblich machte. Denn die politische Karriere des Fotografen hatte 1959 an der Seite Castros begonnen. Korda wurde bald zu dessen Leibfotografen und begleitete den Staatschef auf seinen zahlreichen Auslandsreisen. Er war es, der Castros politische Auftritte in Bildern modellierte, auch wenn er später auf seine Unabhängigkeit pochte und festhielt: "Fidel hat mir nie ein Gehalt gezahlt." Als Korda Anfang März 1960 das berühmte Che-Foto machte, konnte er noch nicht ahnen, dass er damit ungewollt auch Castro in den Schatten stellte.

In den Augen von Che verpuffte der revolutionäre Elan allzu schnell. Und die politische Eintracht der ehemaligen Kampfgenossen begann rasch zu bröckeln. Immer öfter gerieten Anfang der 1960er Jahre Castro und Che übers Kreuz. Als Che im März 1965 plötzlich alle seine Ämter niederlegte und über Nacht spurlos aus Kuba verschwand, hatte dies mit den Konflikten innerhalb der kubanischen Führung zu tun, aber auch mit außenpolitischen Differenzen: Che begann sich, anders als Castro, China anzunähern, konnte sich aber nicht durchsetzen. Als Geschäftsmann verkleidet, reiste er zunächst in den Kongo, um dort die linken, von Kuba unterstützten Rebellen zu unterstützen, später nach Bolivien, wo er sich unter falschem Namen der nationalen Befreiungsarmee anschloss. Am 8. Oktober 1967 wurde er verwundet, gefangen genommen und einen Tag später von einem kolumbianischen Offizier erschossen.

Ein Gescheiterter

Hier könnte die Geschichte Che Guevaras enden. Der Revolutionär, der seine Zukunft im bewaffneten Kampf unter linken Gleichgesinnten suchte, hatte seine Massenbasis, aber auch die kubanische Unterstützung verloren. Er war ein gescheiterter Held. Was nun geschah, war kaum vorherzusehen. Che wurde zum Helden, ja mehr noch: zur Projektionsfläche aller möglichen linken Projekte, und zwar weit über Kuba, Süd- und Mittelamerika hinaus.

Dass dies möglich wurde, hat viel mit der Fotografie zu tun, die Alberto Korda sieben Jahre zuvor aufgenommen hatte. Innerhalb weniger Monate wurde das Foto zur Ikone, die sich wie ein Lauffeuer in Europa, Südamerika und später auch weltweit verbreitete.

Am Beginn dieser Massenvervielfältigung stand der linke italienische Verleger Giangiacomo Feltrinelli, ein glühender Anhänger der kubanischen Revolution und insbesondere Che Guevaras. Er war es, der nach dem Tod Ches dessen Porträt aus dem Jahr 1960 als Poster reproduzieren ließ und in der linken Mailänder Szene verbreitete. Binnen kurzem war das Foto in vielen europäischen Ländern bekannt. Es traf mitten in die heiße Phase der Studentenbewegung und es gab der stärker werdenden Anti-Vietnam-Politik der Linken ein markantes Gesicht.

Wenige Monate vor seinem Tod hatte Che noch einen Aufruf an diese internationale Anti-Kriegs-Bewegung verfasst und aus seinem bolivianischen Versteck in die linke Öffentlichkeit geschmuggelt. "Zwei, drei, viele Vietnams" forderte er darin als "Schläge gegen den Imperialismus", ein Slogan, den auch der Anführer der deutschen Studentenbewegung, Rudi Dutschke, publik machte.

Die Verwandlung Ches zum Helden erfolgte in zwei Schritten. In den späten 1960er und in den 1970er Jahren wurde er zur Ikone vieler linker Bewegungen, die sich, wenn auch oft nur unscharf, an seine politischen Forderungen erinnerten. So traten Ches Verehrung für den Diktator Stalin, die er zeitlebens nie wiederrief, oder sein Eintreten für den bewaffneten Kampf hinter dem suggestiven Porträt des jungen, unbändigen Revolutionärs zurück, der für eine Erneuerung des revolutionären Elans und ein Aufbrechen der alten Parteistrukturen stand.

Ende der 1970er Jahre begann der revolutionäre Elan der Studentenbewegung freilich zu erlahmen. Nun begann eine neue Phase in der Verbreitung der Ikone Che Guevara. Als die palästinensischen Terroristen im Jahr 1977 eine deutsche Lufthansa-Maschine entführten und ihre Forderungen in T-Shirts mit dem Konterfei Che Guevaras vorbrachten, schien das Bild des kubanischen Revolutionärs als massentaugliche Projektionsfläche an ein Ende gekommen zu sein.

Aber erstaunlicherweise konnte diese Indienstnahme des Che-Sujets für die Ziele des Terrors dessen Erfolgszug nicht stoppen. Im Gegenteil: Je mehr in den 80er Jahren die Kraft der Studentenbewegung schwand, desto stärker verbreitete sich das Motiv, nun aller konkreten politischen Forderungen entkleidet, als Emblem für Jugendlichkeit, Ausbruch und Individualismus. Mit Che und seiner Politik hatte dies alles nur mehr wenig zu tun.

Solange die Fotoikone Che als im weitesten Sinne emanzipatorisches Emblem funktionierte, sah Alberto Korda, der Fotograf, wohlwollend zu. Verdient hat er mit der millionenfachen Vervielfältigung des Bildes zeitlebens nichts. Mehr als ein wenig lokaler Ruhm war ihm nicht beschieden. So wurden seine Bilder immer wieder für Kuba-Bildbände verwendet, auch auf etlichen Ausstellungen war er präsent. Beruflich ging er in späteren Jahren ganz andere Wege: Als ob er sich vom Revolutionsfotografen abwenden wollte, wandte er sich neuen, unpolitischen Themen zu, etwa der Unterwasserfotografie.

Später Zorn

Im Jahr 2000 aber wurde Alberto Kordas revolutionärer Furor noch einmal entfacht, als der Wodka-Hersteller Smirnoff mit dem Che-Motiv zu werben begann. Nun beschloss der inzwischen 72-jährige Fotograf sein Urheberrecht am berühmten Bild geltend zu machen. "Ich bin entschieden dagegen, mit dem Bild des Che für Produkte wie Alkohol oder andere Zwecke zu werben, die seinem Ruf schaden", meinte er damals.

Korda erstritt in einem außergerichtlichen Vergleich 50.000 Dollar, die er für Medikamente und ein kubanisches Kinderprojekt einsetzte. Mit einem Mal war der Urheber des berühmten Bildes ins Licht der großen internationalen Öffentlichkeit getreten. Er wurde in TV-Dokumentationen und auf Vernissagen herumgereicht. Lange allerdings konnte er sich nicht mehr in seinem Ruhm sonnen, denn er verstarb im Jahr 2001.

Wenige Jahre danach, 2008, erschien erstmals ein auflagenstarker Bildband, der nicht nur sein berühmtes Foto, sondern auch das Handwerk des Fotografen vorstellte. Der bezeichnende Titel des spanischsprachigen Bandes lautet: "Alberto Korda: Conocido - Desconocido" (Alberto Korda: Bekannt und unbekannt).

Anton Holzer, geboren 1964, arbeitet als Fotohistoriker, Publizist, Kurator und Herausgeber der Zeitschrift "Fotogeschichte" in Wien. Vor kurzem erschien sein Buch: "Krieg nach dem Krieg. Revolution und Umbruch 1918/19" (Theiss Verlag, Darmstadt, 2017). www.anton-holzer.at