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Geräuschloser Fortschritt

Von Peter Payer

Reflexionen

Von 1912 bis 1914 fuhren in Wien Elektrobusse auf der Linie Stephansplatz - Volksoper. Diese Neuerung rief Begeisterung hervor, war aber nicht von Dauer.


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Einfahrt eines Elektrobusses in die Ladestation am Währinger Gürtel, 1912.
© Sammlung Peter Payer/Allgemeine Automobil-Zeitung, Nr. 10, 1912

Elektromobilität ist derzeit in aller Munde. Und es ist kein neues Phänomen, wie wir mittlerweile gelernt haben. Schon um 1900 gab es in zahlreichen europäischen Städten ausgedehnte Versuche mit Elektrofahrzeugen. Nicht nur auf dem Gebiet des Automobils, sondern - was weniger bekannt ist - auch bei Autobussen. Wien war dabei zwar etwas verspätet, aber doch unter den ersten Großstädten, in deren Straßen Elektrobusse unterwegs waren.<p>Dabei sollte die Elektrifizierung des Omnibusses nicht über Oberleitung wie bei der Straßenbahn erfolgen (wenngleich es auch solche Versuche gab), sondern mittels Batterie. Internationales Vorbild war Berlin, wo im Frühjahr 1898 weltweit erstmalig ein Batteriebus durch die Straßen fuhr. In Wien fanden ab 1907 Probefahrten mit Elektrobussen statt, doch erst im Frühling 1912 kam es zur Einführung eines geregelten Linienverkehrs.<p>

Das Wunderwerk

<p>Am 1. März des Jahres erfolgte die offizielle Eröffnung der ersten elektrischen Buslinie Stephansplatz-Volksoper. Unter größtem Publikumsinteresse rollten die Fahrzeuge der "Österreichischen Daimler-Tudor-Omnibus-Gesellschaft" durch die Stadt, "sanft und geräuschlos", wie die Zeitungen staunend berichteten. Alle wollten mit dem neuen batterie-gespeisten Elektrobus fahren.<p>"Auf den Endstationen wird er förmlich gestürmt, die Leute stellen sich an, um einen Platz im Wageninnern zu erobern, und wenn sie drinnen sitzen, machen sie einen zugleich feierlichen und verlegenen Eindruck. Sie reden nicht miteinander und noch weniger mit dem Kondukteur, und betrachten es als eine ihnen und dem Autobus mit vollem Recht gebührende Ehrung, daß in den Korsostraßen, die der Wagen passiert, die Leute mit teilnahmsvoller Neugier stehen bleiben und dem dahinsausenden Fahrzeug mit einer gewissen träumerischen Verlorenheit nachblicken. Wenig fehlt, daß mit den Hüten geschwenkt und mit Taschentüchern geweht wird. Der Autobus ist jetzt in seinen Flittertagen so etwas wie ein verhätschelter Liebling des Wiener Publikums, und manchmal bringt man ihm eine Art stiller, verschämter Verwunderung entgegen."<p>Einstiegstelle war das Churhaus am Stephansplatz, von wo sich die Wagen über den Graben Richtung Währingerstraße und Volksoper bewegten. Allein am ersten Tag beförderte man rund 6500 Personen.<p>Insgesamt sieben Busse wurden in Betrieb gestellt, vier Reservewagen standen zusätzlich für Notfälle in einer Garage in der Michelbeuerngasse zur Verfügung. Jeder Wagen wies 13 Sitz- und 5 Stehplätze auf, die Fahrgeschwindigkeit betrug 12 bis 15 Kilometer pro Stunde, die Fahrzeit von einer Endstelle zur anderen rund zehn Minuten. Das Chassis und die elektrische Ausrüstung stammten von der "Österreichischen Daimler-Motoren A.G." in Wiener Neustadt, die Batterien von der "Akkumulatoren-Fabrik-A.G." in Wien, die Karosserie steuerte Hofwagenfabrikant Lohner bei.<p>Das Innere der Wagen stellte sich als zwar klein, aber bequem dar. Es gab ein Raucher- und ein Nichtraucherabteil, die Beleuchtung war selbstverständlich elek-trisch. Der Antrieb erfolgte über in die Vorderräder eingebaute Motoren, die große und schwere Batterie war an der Unterseite des Fahrzeugs angebracht. Die Reichweite einer Ladung sollte rund vierzig Kilometer betragen. Zum "Auftanken" fuhr man in eine nach dem neuesten Stand der Technik ausgerüstete Ladestation, die in den Stadtbahnbögen am Währinger Gürtel untergebracht war.<p>Die ersten Fahrgäste kamen sich, so ein zeitgenössischer Beobachter, wie "Pioniere des Fortschrittes" und "Vorkoster großer Menschheitserrungenschaften" vor. Welche Route der Bus zurücklegte, war eigentlich unbedeutend. Der Genuss der Fahrt selbst stand im Mittelpunkt. Wobei sich die ausdauerndsten Passagiere nicht nur mit einer Tour zufrieden gaben und gleich mehrmals hin und her fuhren.<p>Für die Wiener Bevölkerung war der geräuscharme Elektrobus eine neue Sehenswürdigkeit und Sensation. Wenn er auch nur auf einer vergleichsweise kurzen Strecke verkehrte, so war ein derartiges Fahrzeug doch erstmals für alle benützbar (der Fahrpreis betrug leistbare 16 Heller für Erwachsene und 14 Heller für Kinder). Ganz nach den Vorstellungen der Gemeinde Wien, die die Konzessionärin und Betreiberin der Linie war, und die oben genannte Omnibus-Gesellschaft, welche die Fahrzeuge bereitstellte, nach Kilometerleistung entlohnte.<p>

Modernisierung

<p>Wien hatte endlich mit anderen Metropolen, allen voran Berlin, Paris und London, gleichgezogen und damit einen wesentlichen Rückstand auch hinsichtlich des Fremdenverkehrs aufgeholt. Und so manche blickten auch zu namhaften Hotels in der Schweiz und in Italien, die ihren Gästen schon seit Längerem elektrische Omnibusse des "ruhigen Ganges" wegen anboten.<p>Die schon lange anstehende und immer wieder geforderte Modernisierung des Wiener Omnibusverkehrs - manche sprachen gar vom "Autobuselend" - könnte damit, so die Hoffnung, einen entscheidenden Impuls erfahren. Denn nicht nur, dass im internationalen Vergleich noch sehr wenige "Automobilomnibusse" in der Stadt unterwegs waren, es waren auch zu viele unterschiedliche Typen, wie ein Einheimischer klagte: "Wir haben größere und kleinere Autobusse, rote und blaue, ein- und zweistöckige, Wagen mit offenem und mit verglastem Verdeck, solche mit einem Einstieg, den man schwer und andere, bei denen man ihn gar nicht findet." Vereinheitlichung und Ausbau wären für die rasch expandierende Großstadt also ein Gebot der Stunde.<p>Auch die Rolle des Fahrers sollte sich damit ändern und den modernen Zeiten angepasst werden. War er bisher eine wichtige und gerne in Anspruch genommene Auskunftsperson gewesen, die mitunter Sonderwünsche bis hin zu spontanen Zwischenstopps erfüllte, so war es nun mit solch Altwiener Gemütlichkeit vorüber:<p>"Der elektrische Kondukteur kann mit seinen Fahrgästen nicht in jenen engen familiären Kontakt kommen wie sein Ahne aus der Zeit des Pferdebetriebes. Dazu sind wir alle miteinander zu raschlebig, zu zielhungrig, zu nervös geworden. Der elektrische Omnibus wird schließlich auch in Wien nicht ewig zu den Sehenswürdigkeiten und zu den Sensationen gehören, und auch wir werden endlich, trotz aller nur allzu begreiflichen Sentimentalitäten, die Kinderschuhe des Großstadttums ausgetreten haben."<p>Die Wiener Elektrobusse waren dann auch weiterhin gut ausgelastet. Der Reiz des Neuen hielt einige Zeit an, ein Umstand, den ein Satireblatt weniger auf seine Modernität, denn auf soziale Gründe zurückführte: "Im neuen Elektromobil-Omnibus ist die fabelhafte Frequenz auf drei Ursachen zurückzuführen. Erstens, weil die Wagen erfahrungsgemäss von der Damenwelt bevorzugt werden. Zweitens, weil die Herren trotz der zu engen Sitzplätze sich ebenfalls in die Wagen drängen; drittens aus den beiden angeführten Gründen."<p>Doch mit den Jahren verblasste die Anfangseuphorie. Die hohen Erwartungen an die neue Technik konnten schlussendlich nicht erfüllt werden. Der Betrieb der doch relativ kleinen Elektrobusse erwies sich für die Stadt Wien als unrentabel und zu teuer. Geräuschlosigkeit und Sauberkeit waren letztlich zu schwache Argumente für eine Fortsetzung oder gar Ausweitung des Linienverkehrs.<p>Im Juli 1914 führte man daher Versuche mit neuen "Akkumulatorenautobussen" durch. Sie sollten auf der Linie Nordbahn-Südbahn verkehren und weitaus geräumiger und bequemer sein. Die Wägen wiesen einen seitlich gelegenen tiefen Einstieg auf; vom Untergeschoß kam man über zwei Stufen in ein Zwischengeschoß und von diesem über eine niedrige Treppe ins abgeschlossene Obergeschoß. Insgesamt gab es 33 Sitzplätze, die allesamt überdacht und somit wettergeschützt waren. Die Probefahrt mit Bürgermeister Richard Weiskirchner und zahlreichen Gemeinderäten verlief zufriedenstellend, allein das große Gewicht des Fahrzeugs ließ manche zweifeln. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs stoppte sodann auch diese Ambitionen.<p>

Straßenbahn statt Bus

<p>In der Zwischenkriegszeit blieb in Wien nur die elektrische Oberleitungs-Bus-Linie von Pötzleinsdorf nach Salmannsdorf übrig, die seit 1908 bestand und bis 1938 verkehrte. Als Verkehrsmittel für die Massen setzte Wien - wie schon die Jahrzehnte zuvor - weiterhin massiv auf die Straßenbahn, deren Liniennetz großzügig ausgebaut wurde. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg bevorzugte man die Straßenbahn und beim Omnibus erneut die Oberleitungstechnik. Von 1946 bis 1958 fuhr die O-Bus-Linie 22 vom Währinger Gürtel nach Salmannsdorf.<p>Letztlich sollte es bis zum Herbst 2012 dauern, ehe in Wien wieder batteriebetriebene Elektrobusse zum Einsatz kamen. Das innovative Konzept und die Antriebstechnik dazu lieferte die Firma Siemens. Die 12 Fahrzeuge, die bis heute in der Innenstadt unterwegs sind, waren bei ihrer Einführung europaweit die ersten modernen, in Serie hergestellten Elektrobusse. Ihr gesamter Energiebedarf wird über das mitgeführte Batteriesystem gespeist, ganz so, wie hundert Jahre zuvor.<p>Nur dass die Reichweite der Busse mittlerweile beachtliche 150 Kilometer beträgt und das Aufladen an den Endstellen der Buslinien über Stromabnehmer geschieht, die für kurze Zeit an eine Oberleitung angelegt werden. Leise und emissionsfrei fährt man sodann, wie einst, im Bus der Gegenwart und wohl auch Zukunft.

Peter Payer, geboren 1962, ist Historiker und Stadtforscher sowie Kurator im Technischen Museum Wien. Zahlreiche Publikationen, zuletzt "Quer durch Wien. Kulturhistorische Streifzüge" (Czernin Verlag).