Schon früh am Morgen füllt sich Selemet mit dem blumig-süßen Duft der Akazien. Darunter mischt sich das Parfüm einer Frau, die in schwarzem Kostüm und auf Hackenschuhen über die holprige Dorfstraße stöckelt. Weinroter Pagenkopf, weinrote Lippen, weinrote Fingernägel, die gepflegte Arbeiterhände zieren, Oberarme wie die aller Frauen hier, die neben ihrer Hausarbeit auch Felder bestellen. Tatiana Badan ist eine starke Frau, in jeder Hinsicht. Stolz trägt sie die moldauischen Farben auf ihrer linken Brust, ein Anstecker in Flaggenform, auf dem "Primarul" geschrieben steht: "Bürgermeister".

Stolze Amtsträgerin . . . - © Zinggl
Stolze Amtsträgerin . . . - © Zinggl

Weit und breit ist niemand zu sehen, nur ein paar Gänse überqueren schnatternd die Straße, ohne Angst, überfahren zu werden. Badan deutet zu ihrer Linken auf eine Ruine, die Fenster verriegelt, der Garten von mannshohem Unkraut überwuchert, an der Tür rostet ein Vorhängeschloss: "Hier lebte einmal eine vierköpfige Familie, heute hat sie sich über ganz Europa verstreut, nach Portugal, in die Ukraine, nach Russland."

Parteilose Optimistin

Ein paar Schritte weiter zeigt sie auf ein Haus, dessen bessere Zeiten offensichtlich länger zurückliegen: "Tragischer Fall", sagt sie. "Die Frau ging nach Italien, um zu putzen, und kehrte nie mehr heim. Seitdem trinkt sich ihr verlassener Mann zu Tode." Nicht weit davon: ein windschiefes Holzhaus. Verwitterte Fensterläden, gebrochene Zaunlatten, geborstene Scheiben. Davor ein Ziehbrunnen. Hundegebell. "Hier wohnen nur noch die Großeltern, ihre fünf Kinder leben längst im Ausland. Niemand kümmert sich um die Alten."

Sieben Kilometer könnte Tatiana Badan so weiter erzählen. So lang ist die Straße, die durch Selemet führt. Ein Viertel der 1600 Häuser steht leer. Auf den ersten Blick ein Ort, der für das Aussterben des Landes steht, auf den zweiten Blick aber ein Indiz dafür, dass noch nicht alles verloren ist.

Denn eine 53-jährige Bürgermeisterin versucht ihrem Dorf die Tristesse zu nehmen, indem sie es lebenswerter gestaltet und Heimatgefühle unter den Weggezogenen weckt, damit sie vielleicht eines Tages wieder zu Rückkehrern werden. Manch einer nennt sie Visionärin. "Optimistin", verbessert Badan und lächelt verlegen. Das Besondere an ihrer Position: Sie ist parteilos. Als unabhängige Politikerin umgeht sie damit zwar interne Querelen und bürokratischen Wahnsinn, erhält allerdings keine Rückendeckung, schon gar keine finanzielle, auch nicht vom Bezirk. Blauäugig fing sie an, Bittbriefe zu schreiben, an eine norwegische NGO, die schwedische Botschaft und eine amerikanische Hilfsorganisation. Als die ersten Spenden eintrudelten, investierte sie das Geld in Projekte, die Bildung, Infrastruktur und Wirtschaft in Selemet verbesserten. So macht sie das nun seit fünfzehn Jahren.