Die erkenntnistheoretische Frage, was wahr und falsch ist, die Kantische Frage "Wie kann ich wissen?", ist ja nicht bloß Gegenstand philosophischer Grundlagenseminare, sondern eine ganz zentrale der Demokratie: Wie werden faktenorientierte Deliberationsverfahren organisiert? Mit welchen Techniken lässt sich das Original vom Fake unterscheiden? Sind es vielleicht gar keine Kultur-, sondern bloß noch Computertechniken, mit denen die Prüfung stattfindet (durch eine Verifizierung von Metadaten und Hashwerten beispielsweise)?

Der französische Soziologe Jean Baudrillard schreibt in seinem Werk "Die Intelligenz des Bösen" (2004): "In der Sphäre des Virtuellen - des Digitalen, des Computers, des integralen Kalküls - ist nichts repräsentierbar. (. . .) Es ist die totale Immersion, und die zahllosen Bilder, die aus dieser Mediensphäre zu uns kommen, entstammen nicht der Ordnung der Repräsentation, sondern jener der Dekodierung und des visuellen Konsums."

In der Simulationstheorie hat sich die Welt in einer Hyperrealität aufgelöst: Maschinen produzieren Maschinen, die Bilder haben keinen Referenten mehr. Die Unterscheidung zwischen Fiktion und Wirklichkeit existiert nicht mehr. "Wir haben die reale Welt abgeschafft", schreibt Baudrillard. "Das Original ist nirgendwo mehr ausgewiesen."

Nach Baudrillard handelt es sich um eine "perfekte Vorwegnahme der Welt, wie sie uns bevorsteht: eine perfekte Kopie, von der wir nicht mehr wissen, dass es sich um eine Kopie handelt. Doch was wird aus dem Original, wenn die Kopie aufhört, eine Kopie zu sein?" Was wäre, wenn die computergenerierten Fakes immer realer würden, wenn sie dereinst sogar authentischer erscheinen als das Original? Wäre das die perfekte Simulation der Realität? Donald Trump sagte, er habe mittlerweile Zweifel, ob die Stimme des im Wahlkampf durchgestochenen Skandalvideos, in dem er sich mit dem Moderator Billy Bush chauvinistisch über Frauen auslässt ("grab them by the pussy"), auch wirklich seine sei.

Es ist schon bizarr: Der wissenschaftliche Fortschritt, die Möglichkeit, Stimmen digital zu reproduzieren, erlaubt es einem notorischen Faktenverdreher, die Authentizität von Videos infrage zu stellen. Dass Trump beim Lügen wahrhaftig ist und seine Körpersprache auf dem Bildschirm nicht verlogen, sondern authentisch rüberkommt, zeigt auch, dass die Maßstäbe verrückt sind.

Datensouveränität

Es hat etwas Tröstliches, dass der Obama-Fake ironisch gebrochen ist, dass mit dem Mittel des Fakes auf einer Metaebene vor demselben gewarnt wird. Man kann darüber schmunzeln. Doch es hat auch etwas Bedrohliches, weil man Obama Dinge artikulieren lässt, die er nie gesagt hat, weil man ihn zum Vehikel einer computerisierten Bildersprache macht, gegen die er sich nicht wehren kann. Das Individuum degeneriert zu einem Dummy, an dem Programmierer wie an einer Marionette herumspielen.

In der Digitaldebatte reden die Beteiligten immer über Datensouveränität und individuelle Selbstbestimmung - aber käme nur einmal jemand auf die Idee, ein Copyright für biometrische Merkmale einzufordern? Kann es angehen, dass man Gesichter wie in einem Baukastensatz auf Pornodarsteller montiert und in wildfremde Kontexte einbettet? Dass Gesichter zum Template für die elektronische Datenverarbeitung verkommen?