Ende Oktober. Die Stirn ist an die Scheibe des Narita Express gepresst, der mich vom 60 km entfernten Flughafen in die Stadt bringt. Vorbei zieht tropisch wucherndes Grün. Landschaften, zerschnitten von unzähligen Strommasten, eingebettet in Mauern aus Beton. Ich bin noch müde vom elfstündigen Flug, vom Starren auf den Mini-Bildschirm, wo sich das Flugzeugsymbol nicht einmal im Schneckentempo über die russische Landmasse schob. Jetzt also endlich Japan. Kleine Ortschaften in Vorstadtgrau, bis die Häuser immer größer werden, bis die Stadt ein einziges gigantisches Gebäude wird.

Der erste Morgen in einer fremden Stadt. Ich gehe in ein Café gleich um die Ecke mit dem französisch anmutenden Namen St. Marc. Ausnahmslos Japaner sitzen meist allein an den Tischen. Im Hintergrund läuft Jazz. Fünf junge Angestellte stehen hinter der Theke des Selbstbedienungsladens. Jeder erledigt ein oder zwei Aufgaben, wie an einer Werkbank. Praktisch jede Kommunikation wird mit einem Kopfnicken begleitet. Auch ein verzagt wirkendes Lächeln ist häufig zu sehen. Wenn ein Gast den Laden verlässt, folgt ein mehrstimmiger, fast schon gesungener dreisilbiger Abschiedsgruß. Ich werde ihn in den vier Wochen Tokyo noch häufig hören. Und anschließend eine Zeitlang vermissen.

Allein unterwegs zu sein in einer Stadt, dieses Gefühl ist mir vertraut. Ich reise immer mit Kamera, laufe durch die Straßen und halte Szenen des Alltags fest. Je größer die Stadt, je mehr Menschen meinen Raum queren, desto größer ist das Gefühl von Isolation. Es hilft dabei, die Umwelt, auch die Menschen, zu objektivieren, sie gegenständlich zu sehen - und so zu fotografieren.

In den ersten Tagen in Tokyo hat dieses erwünschte Gefühl der Isolation eine schärfere Qualität. Schon erstaunlich, wie sehr man sich als Paria fühlen kann, wenn man in Shinjuku durch die Straßen läuft. Selbst wenn es zu Situationen kommt, in denen eine Kommunikation unvermeidlich scheint, weil man sich etwa in einem engen Raum aus dem Weg gehen will, selbst dann wird der Augenkontakt meist gemieden. Die Männer laufen meist mit starrem Blick an einem vorbei, die Frauen schauen scheu und schnell zur Seite, vor allem, wenn sie die Kamera sehen. Ich bin zwar anwesend, aber nicht für sie.

Ich fahre mit der Metro nach Roppongi, einem Viertel, in dem viele Ausländer wohnen. Zwei Männer im Anzug sitzen nebeneinander. Nur der Jüngere spricht, lächelnd. Beide schauen sich nicht an. Als der Ältere kurz die Hände vors Gesicht nimmt, bin ich fast erschrocken, wie klein sie sind - und so glatt wie bei einem Kind.