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Ein Platz an der Sonne in Tansania

Von Marc Tornow

Reflexionen
Am Hafen des sansibarischen Stone Town.
© Tornow

In den Ballungsräumen des ostafrikanischen Staates verblasst der düstere Nachlass der Kolonialzeit. Dabei gehört die Urlaubsdestination zu den ärmsten Ländern der Welt.


"Beste Lage!" Muhammad Said breitet vor der Brüstung einer geräumigen Terrasse seine Arme aus. "Warum sollten wir Tansanier bitter sein?" In seinem lachenden Gesicht leuchten schneeweiße Zähne. "Die Geschichte ist Geschichte - einen Groll hegt hier niemand gegen irgendwen."

Im Hintergrund funkelt der Indische Ozean vor einer Kulisse aus Palmen, unten knattern dreirädrige Motorrikschas über porösen Asphalt. Die frühere Kaiserstraße zerteilt das Städtchen Bagamoyo in zwei Hälften: einen Küstenstreifen voller Fischerhütten und um ein Auskommen ringender Menschen sowie die Ruinen der deutschen Kolonialverwaltung. "Hier war das adminis-trative Zentrum der Deutsch-Ostafrikanischen Gesellschaft, hier wurde die weitere Eroberung der Region geplant", sucht Said die Ruinen eines einst hochherrschaftlichen Prunkbaus mit Leben zu füllen.

Unter der Devise "Ein Platz an der Sonne" hatten sich die weißen Eindringlinge mit vertraglichen Tricksereien die strategisch besten Ländereien gesichert, schildern Historiker die Zusammenhänge. Sie forschen unter anderem im alten Fort, das auf die Besatzungszeit durch den Sultan von Oman zurückgeht, der noch vor den Deutschen um 1700 entlang der Küsten des damaligen Tanganjika an Land gegangen war. Die alte Kaiserstraße und heutige India-Road nur ein Stück weit hinunter hatten die Araber hinter dicken Mauern ihr Hauptquartier. Wo inzwischen das örtliche Tourismusamt untergebracht ist und Trainings zum Thema nachhaltige Besuche für Interessenten wie Said abgehalten werden, wurden früher Menschen eingekerkert.

Sklaven-Vergangenheit

Angetrieben von den Heeren des Sultans waren sie in Karawanen aus der Mitte des Kontinents bis hierher ans Meer gelangt. Beladen mit kostbaren Lasten von Elfenbein und Edelhölzern, hatten sie Hunderte Kilometer zu Fuß zurückgelegt. Wer die Tortur lebend geschafft hatte, endete in den klammen Mauern des Forts - und nach kurzem Aufenthalt auf einer Dhow. Bis jetzt sind diese robusten Boote aus Mahagoni-Holz vor der Küste Tansanias unterwegs. Die Schiffe mit den markanten dreieckigen Segeln transportieren Nahrungsmittel, Softdrinks, Elektro- oder Haushaltsartikel zwischen dem Festland und den vorgelagerten Inseln hin und her.

Fahren Passagiere mit, so sind sie heute freiwillig an Bord und müssen für den Transport bezahlen. Doch wer bis Ende des 19. Jahrhunderts nach Bagamoyo kam, dem brachten die Dhows keinen Segen. 65 Kilometer nördlich der Hauptstadt Daressalam liegt der Ort, der auf Kisuaheli so viel wie "Lege dein Herz nieder" heißt. Die Opfer von Versklavung verabschiedeten sich beim Gang an Deck im wahrsten Sinne des Wortes von ihrem bisherigen Leben.

Inmitten der zauberhaften Kulisse, die einem tropischen Urlaubsidyll gleicht, reflektiert der Widerschein der Sonne in den Scheiben einer der modernen Schnellfähren. Die Katamarane verkehren mehrmals täglich zwischen der sansibarischen Hauptinsel Unguja und dem Festland. Drinnen gibt es Sessel wie in einem Flugzeug sowie eine stets von lokalen Geschäftsleuten belegte VIP-Class. Wie Fremdkörper brausen die schnittigen Schiffe zwischen den museumsreifen Flotten der Händler und Fischer hindurch, hinter denen in der Distanz die Silhouette von Stone Town auszumachen ist. Jener Ort, der die Hauptstadt des früher unabhängigen Inselstaates Sansibar ist, der etwa 200 Jahre lang Zentrum des Sklavenhandels gewesen war, und der bei guter Sicht schon vom Dach der ehemaligen deutschen Kolonialverwaltung aus wahrnehmbar ist.

Die Gassen von Stone Town sind Teil der Suaheli-Kultur.
© Tornow

Die Gewürzinsel, die auf einem Fundament aus versteinerten Korallen fußt, weckt mit ihrem Duft von Zimt, Kardamom und Nelken Abenteuerfantasien. Entlang verschlungener Gassen tänzelt Mister Farid. Ein Kulturschaffender, der sich für den Erhalt der vom Verfall bedrohten Altstadt einsetzt, und der auch ohne Frau und Kinder das Leben in vollen Zügen genießt - etwa bei einer Tasse würzigem Masala-Kaffee mit Chili, Ingwer und Kurkuma. Vom belebenden Trank gestärkt, weist er bald auf diese Schnitzerei, bald auf jenes bauliche Detail im Irrgarten hin, der sich Stone Town nennt.

Ein Rundgang, der im Schatten mittelöstlich und südasiatisch beeinflusster Architektur schließlich bis an die Tore der örtlichen Musikhochschule führt. Orientalische Rhythmen der für Sansibar zum Markenzeichen gewordenen Taarab-Musik schallen aus den geöffneten Fenstern, unterbrochen nur von den Rufen der Muezzins. Jährlich besuchen rund 200.000 Touristen vor allem aus Europa das Eiland samt seinen 50 Nachbarinseln. In ihr paradiesisches Bild passte der Eindruck eines einst florierenden Sklavenhandels lange Zeit nicht. Den beendeten die Briten offiziell 1873. "Nicht aus Nächstenliebe, sondern eher, um dem Sultan und politischen Widersachern wirtschaftlich zu schaden", sagt Issa Ziddy, der einen Universitätslehrstuhl für interkulturelle Religionswissenschaften innehat.

Militärpatrouillen

Die berechnenden Taktiken der Europäer in einem fremden Land erscheinen bis heute ebenso befremdlich wie die für hiesige Verhältnisse exotisch anmutende Hinterlassenschaft der revolutionären Regierung Sansibars. 1964 hatte die frisch gebackene Volksrepublik gerade erst Kolonialisten und arabische Ausbeuter vor die Tür gesetzt - schon ließ man sich mit den nächsten ausländischen Kräften ein.

Mit einer linken Koalitionsregierung an der Spitze erkannte Sansibar als erster Staat Afrikas die DDR an. Zur Belohnung revanchierte sich Ost-Berlin mit einem Neubaugebiet in Plattenbauweise, das bis heute an die UNESCO-Weltkulturerbe-Stadt Stone Town grenzt. Doch bald schon ging der Volksrepublik das Geld aus, um weiterzubauen. Das bewahrte die Inselhauptstadt vor dem Abriss.

Die sogenannte Suaheli-Kultur, die Kultur der Küste, die über Jahrhunderte hinweg vom Handel und mit den Händlern entlang des Indischen Ozeans gewachsen war, stand hier vor der Auslöschung. Während die Bauarbeiten ruhten, wirkten hinter den Kulissen andere Spezialisten. Markus Wolf, Chef des ostdeutschen Auslandsnachrichtendienstes, leistete der örtlichen Staatssicherheit Starthilfe.

Die Wirkungskraft dieser besonderen Art der Entwicklungszusammenarbeit bekommen Regierungskritiker und Journalisten bis heute zu spüren. Als 2015 bei den turnusgemäßen Neuwahlen die Oppositionspartei Civic United Front (CUF) als Siegerin festzustehen schien, annullierte der sansibarische Wahlleiter kurzerhand das Votum. Die seit 1977 ununterbrochen über die Inseln und das Festland herrschende Partei Chama Cha Mapinduzi (CCM) blieb an der Macht. Unter anderem zog die österreichische Bundesregierung daraufhin Entwicklungshilfegelder für Sansibar zurück. Die Präsidialverwaltung hält ihrerseits durch Militärpatrouillen Unruhen im Zaum, und kritische Geister verschwinden ohne Angabe von Gründen hinter Gittern.

Seit vor dreieinhalb Jahren John Pombe Magufuli den Präsidentenposten des Landes südlich des Äquators übernommen hat, wird es auch für Online-Medien eng. Allzu politische Blogs werden durch überzogene Gebühren ausgebremst: Eine Million Tansanische Schilling, knapp 400 Euro, kostet die Jahreslizenz für Auftritte in den Sozialen Medien. "Das kann ich mir nicht leisten, woher soll ich so viel Geld nehmen?", sagt eine Bloggerin, die längst aufgegeben hat. Der Unionsstaat Tansania gilt mit einem Bruttosozialprodukt von zuletzt 1110 US-Dollar pro Person und Jahr als eines der ärmsten Länder Afrikas.

Für die einen ist das aktuelle Regierungssystem zu autokratisch, für die anderen greifen endlich lange verschleppte Reformen. So würden jetzt korrupte Beamte auf Zuruf des Präsidenten entlassen, Steuern regelmäßig kassiert sowie vorhandene Reichtümer gerechter an alle Menschen im Land verteilt.

Zurück in die Zukunft

Daran können einem Zweifel kommen, wenn man nach Daressalam kommt. Die moderne Skyline der Hauptstadt scheint tatsächlich das Regierungsbulletin baulich zu spiegeln. Projekte, die allesamt in den vergangenen zehn Jahren entstanden sind. "Beste Aussichten", sagt Elias Jubo, ein Geschäftsmann, der zur wachsenden Mittelschicht des Landes gehört und "es geschafft" hat. Auf dem Hof seiner Villa parken zwei Autos und ein Motorroller. Seine Ferien verbrachte der Farmbesitzer in Mauritius. "Alles ist dort so sauber, die Flughäfen top modern."

Ein neues Flughafengebäude steht jetzt auch in der tansanischen Hauptstadt kurz vor der Eröffnung. Drüben, hinter den Hügeln, die an die Savannen Zentralafrikas erinnern und von immer neuen Bürotürmen gesäumt werden. "Das einzige Dilemma dieser Entwicklung sind die ewigen Staus", sagt der 38-Jährige. Täglich pendeln Hunderttausende mit ihren Privatwagen aus den Vororten ins Zentrum, um ihren Dienst anzutreten.

Zur Kehrseite des kleinen Wirtschaftswunders gehören zwei- bis dreistündige Fahrten - je Richtung, jeden Tag. Auch die preisgekrönten Schnellbuslinien von Dar, wie die Hauptstadt umgangssprachlich genannt wird, können den Ansturm kaum bewältigen. "Viele Angestellte fahren schon um vier Uhr früh los und schlafen dann im Parkhaus noch drei Stunden, ehe sie ins Büro gehen."

"Beste Aussichten" am Yachthafen Slipway von Daressalam.
© Tornow

Im Schatten der glitzernden Modernität kann die Upper-Class beim Pflegen ihres neu gewonnenen Lebensstils beobachtet werden. Es sind einige wenige Zehntausend, die nun in teuren Luxuswagen bei edlen Boutiquen vorfahren, in den Trend-Lokalen zum Lunch Station machen.

Etwa im noblen Slipway-Club. Ein Glas Sekt und Sandwiches unter Palmen machen dort den neuen Platz an der Sonne aus. Dort, wo immer mehr Segelboote und Yachten vertäut liegen und Tauchschulen mehr einheimische als auswärtige Gäste betreuen. Niemand scheint Notiz zu nehmen von den obdachlosen Landarbeitern, die zwischen den Hochhäusern auf der Straße und in Seitengassen campieren. Dort, wo zwischen viel Glas und Beton die Villen aus der deutschen Kolonialzeit liegen. Schneeweiße Häuser nach Allgäuer Vorbild. Auch der Präsident residiert in einem solchen historischen Bau, mit besten Aussichten auf den Hafen und das dahinter glitzernde Meer.

Marc Tornow, geboren 1972, lebt als Journalist in Hamburg und ist u.a. für die deutsche auswärtige Kulturarbeit tätig.