Zum Hauptinhalt springen

Alfons Walde, der Architekt vom Hahnenkamm

Von Wolfgang Machreich

Reflexionen
Auch von Alfons Walde entworfen: das berühmte Gams-Logo von "Kitz".
© Machreich

Der österreichische Maler war auch ein kreativer Baukünstler und schuf in seiner Heimatstadt Kitzbühel zahlreiche nachhaltige Bauwerke. - Eine Spurensuche.


Dieses Wochenende schwillt er wieder, der Kitzbüheler Hahnenkamm. Noch schneller, noch besser, noch mehr wird wieder alles sein: mehr Spannung, mehr Partys, Weißwürste, Champagner, Promis, Adabeis . . . - der Superlativ ist die DNA des Hahnenkamm-Rennens, die Jagd nach Rekorden auf und neben den Pisten sein Motor, der das Spektakel auch in seiner 79. Auflage nicht alt daherkommen lässt. Im Gegenteil: Hahnenkamm ist am Puls der Zeit, war es schon immer. Seit den Anfängen des Wintersports versteht es Kitzbühel, Trends aufzugreifen, Moden zu perfektionieren, Tiroler und darüber hinaus österreichisches Selbstverständnis als Melange zwischen Schussfahren, Hüttengaudi und Eleganz zu prägen.

Mondänes Design

Den Hahnenkamm auffrisiert, die Stufen zum Siegerpodest gelegt, das gleichzeitig alpine wie mondäne Design geprägt hat Alfons Walde. Seine Winter-, Skilauf-, Bauernhäuser- und Bergstadt-Bilder erzielen bei Auktionen regelmäßig Rekordpreise. Dabei ist seine Arbeit als Architekt und Designer in und für seine Heimatstadt Kitzbühel in den Hintergrund getreten. Zu Unrecht.

Walde habe sich zeitlebens als "Maler und Architekt" verstanden und in dieser Form auch seinen Schriftverkehr gezeichnet, sagt seine Urenkelin Olivia Hromatka im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Hromatka hat selbst ein Architekturstudium abgeschlossen; aufgrund dieses Fachwissens sieht sie die architektonische Leistung ihres Urgroßvaters weniger in einzelnen Bauwerken als mehr in der Summe der Dinge, die er gemacht hat - und fragt sich angesichts von 50 Architektur-Entwürfen, von denen 35 umgesetzt wurden: "Wie hat er das alles nur geschafft?"

Eine Antwort darauf ist, dass es Walde verstand, zur richtigen Zeit mit den richtigen Leuten am richtigen Ort zu sein, wo er seine Fähigkeiten einbringen konnte und seine Talente geschätzt wurden. So wie beim späteren Bürgermeister von Kitzbühel, Josef Herold, mit dem Walde an einem Abend im Winter 1925 "bei einem guten Tropfen wie des Öfteren plauderte".

Thema dieses Gesprächs "im Zigarrenrauch umhüllt", schreibt Walde mehr als ein Vierteljahrhundert später in einem Brief zum 25. Jubiläum des Baus der Hahnenkammbahn, war die Förderung des aufblühenden Fremdenverkehrs durch eine Seilbahn:

"In meinem jugendlichen Temperament, über das auch der alte Herold zeitweise verfügen konnte, entschieden wir uns einstimmig für den Hahnenkamm. Wir waren uns einig, dass dieser von Kitzbühel stiefmütterlich behandelte Hausberg den Schlüssel für die größte Anzahl von Skiabfahrten bot." Das Vorhaben wurde mit einer neuen Flasche besonderen Weins aus der Taufe gehoben, heißt es bei Walde. Als er um zwei Uhr nachts aufbrach, begleitete ihn Herold "in gehobener Stimmung ein Stück nach Hause (. . .) und rief mir nach einer Weile nach: ‚Die Hahnenkammbahn muss gebaut werden!‘ Das war also die Geburtsstunde der Hahnenkammbahn, welche heute für Kitzbühel das Um und Auf bedeutet."

Die tatsächliche Entbindung, sprich Planung und Umsetzung des Baus der Seilbahn auf den Hausberg, erwies sich in weiterer Folge als schwere Geburt. Beileibe nicht alle Kitzbühler standen hinter dem Projekt, Schwierigkeiten bei der Finanzierung und technische Probleme kamen dazu. Bei einer Probefahrt 1927 sprang das Seil aus der Stütze, Walde und andere Fahrgäste mussten aus der Gondel klettern und über die Stütze absteigen. Erst im Juni 1929, mehr als vier Jahre nach der feuchtfröhlich geborenen Projektidee, wurde die Hahnenkammbahn offiziell eröffnet.

Seilbahn-Großprojekt

Von Alfons Walde entworfen, 1929 offiziell eröffnet: die Kitzbüheler Hahnenkammbahn.
© Machreich

So verworren der wirtschaftliche und technische Weg zur Errichtung der ersten Seilbahn in Kitzbühel, so klar, stringent und beispielgebend war Waldes architektonischer Beitrag zum Projekt. Nach Rax, Zugspitze und Pfänder war die Hahnenkammbahn erst das vierte Seilbahn-Großprojekt in Österreich. Für die Planung der Tal- und Bergstation musste Walde Architektur-Neuland betreten, denn für die Anforderung einer Seilbahn-Steileinfahrt gab es noch keine Beispiele. "Walde sah sich zwei Forderungen gegenüber", beschreibt Walde-Biograf Gert Ammann die Ausgangslage: "die funktionsbedingte Zweckmäßigkeit und die landschaftliche Einbindung des Baukörpers. Beides gelang ihm in der hohen Rampeneinfahrt und dem sachlichen, ohne plastische Dekorationsmittel gestalteten Baukubus. Das sacht ansteigende Pultdach der Talstation überfängt einen tektonisch gegliederten Bau . . ."

Auch der Architekt und Architekturkritiker Friedrich Achleitner spart nicht mit Lob für diese Seilbahnstationen: "Der Maler Alfons Walde erweist sich (. . .) bei diesem vorwiegend technischen Bauwerk als durchaus ernstzunehmender Architekt. Für Bauaufgaben dieser Art gab es keine Vorbilder, so musste aus der Funktion, der Lage und der Auffassung her eine Synthese gefunden werden, die merkwürdigerweise in dieser Phase des frühen alpinen Bauens viel besser gelang als unter den späteren Zwängen des alpinen Stils, der zu einem Trivialsymbol für bestimmte Inhalte des Schitourismus wurde."

Und für den Wiener Kulturpolitiker, Kunstsammler und Schriftsteller Viktor Matejka steht überhaupt ein großer Teil der Seilbahnarchitekten in Waldes Schuld: "Die kühne Architektur der Tal- und der Bergstation der Hahnenkammbahn ist unerreichtes Vorbild für ungezählte Bergbahnen in aller Welt geworden."

Zusammengetragen hat diese positive Resonanz auf Waldes bravourösen Einstieg in die Bergarchitektur seine Urenkelin Olivia Hromatka. In dem auf ihrer Diplomarbeit basierenden Buch "Der Architekt Alfons Walde. Im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne" (Klein Publishing, 2016, kpv@gmx.at) beschreibt sie detailliert, mit Fotos und Kopien der Original-Zeichnungen und -Pläne angereichert, das bisher im Schatten des Star-Malers schlummernde architektonische Werk von Alfons Walde.

In diese erste Gesamtschau über den Architekten Walde sind die Ergebnisse akribischer Recherchen im Kitzbüheler Stadtarchiv und Stadtbauamt sowie von Zeitzeugengesprächen eingeflossen. Darüber hinaus saß Hromatka lange mit ihrer Großmutter Guta Eva Berger, der Tochter von Walde, zusammen, um den architektonischen und biografischen Spuren ihres Vorfahren nachzugehen. So zeigt ein überliefertes Schreiben der Mutter von Walde, dass Waldes Vater den begabten Sohn nicht Malerei studieren lassen wollte und ihn stattdessen zum Architekturstudium animierte.

Maler, Architekt, Designer: Alfons Walde (1891-1958).

Franz Walde war Fachlehrer für Zeichnen und Schulleiter in Kitzbühel; er restaurierte Gemälde, schrieb Heimatgedichte, komponierte und wurde für seine Verdienste um das Kulturwesen Ehrenbürger der Stadt. Das malerische Talent seines Sohnes, der mit Auszeichnung die Realschule Innsbruck abschloss, förderte er zwar, gleichzeitig war er dagegen, dass Alfons "die Akademie besucht, weil er sagte, mit diesem Talent wäre es doch schade, ein unbedeutender Maler zu werden, er solle viel lieber Architektur studieren". Ein anderer Einfluss auf Alfons Waldes Berufswahl dürfte seine Heimatbezogenheit und Kitzbühel-Liebe gewesen sein, fragte er doch seine Mutter oft: "Was muss ich werden, um immer hier bleiben zu können?"

Fürs Studium ging er dann doch weg: Mit 19 Jahren zog Walde 1910 nach Wien, um an der Technischen Hochschule Architektur zu studieren. Dort belegte er unter anderem die Fächer "Architektonische Formenlehre" und "Architektonisches Zeichnen". Insgesamt stand aber sein Interesse an der Malerei im Vordergrund, und er schloss Freundschaft mit Gustav Klimt und Egon Schiele. Was die Architektur betrifft, so zeigen die Recherchen seiner Urenkelin, dass er sich mit dem Jugendstil Otto Wagners und Josef Maria Olbrichs genauso beschäftigte wie mit den sachlich-modernen Bauten von Adolf Loos und Josef Hoffmann. 1914 rückt er zu den Kaiserschützen ein.

Finanzielle Nöte

Walde leistet seinen Kriegsdienst vor allem an der Dolomitenfront; mehrfach ausgezeichnet, kehrt er aus dem Krieg zurück, studiert noch ein Semester an der Technischen Universität Hochbau, Baukunst, Architekturgeschichte, Maschinenkunde, Ornamentzeichnen und geht 1918 ohne abgeschlossenes Studium heim nach Kitzbühel. Zeit seines Lebens wird er fortan, getreu seinem Vorhaben aus Kinder- und Jugendzeit, in der Bergstadt bleiben.

Seine architektonische Arbeit in Kitzbühel beginnt 1920 mit dem Umbau der Konditorei Reisch am Hauptplatz, wobei er auf ein besonderes Merkmal der traditionellen mittelalterlichen Bauweise in der Stadt zurückgreift und einen Eckerker verwendet. Danach wird es einige Jahre ruhig um den Architekten Walde, der Maler tritt in den Vordergrund. Die Inspiration für seine Bilder holt er sich im täglichen Kitzbüheler Leben und im Kontakt mit dem einsetzenden Touristenstrom: "Ich habe einen Monat in Berliner Gesellschaft eine Menge Skitouren hier gemacht und war sehr froh um diese Zerstreuung. Es waren originelle Weiber dabei, dafür heißts jetzt arbeiten und verdienen. Heraus ist das Geld rascher wie herein."

Seine eingeschränkten finanziellen Möglichkeiten prägten diese Zeit. In einem Brief vom Sommer 1925 an seinen Freund, den Bildhauer und Lyriker Gustinus Ambrosi, schrieb Walde: "Gegenwärtig ist meine Arbeit nur auf Verdienst eingestellt und zwar nur kleines und mittleres Format. Ich muß Bilder malen, die ich garantiert verkaufe und das ist heute nicht so einfach. Für die zukünftigen Arbeiten brauche ich Geld und das knappe Leben und Sparen ist mir auch absolut nicht soviel wert wie das beste Kunstwerk. Dieser Idealismus war einmal. Schließlich habe ich auch ein Weib, das Kleider und Nahrung braucht und mir würde es gesundheitlich sehr schaden."

Ambrosi antwortete Walde: "Du bist am besten Weg. Du bist groß, mein Lieber. Es ist ein Wunder mein Lieber, daß der Schnee, den Du malst, bei deinem Schwitzen, indem Du malst, nicht dahinschmilzt!"

Traum Künstlerkolonie

Seine angespannten Finanzen mögen mit ein Grund gewesen sein, dass Walde ab 1925 neben seiner Malerei als Baureferent der Stadt Kitzbühel zu arbeiten begann. Als Sachverständiger überprüfte er Bauansuchen und kümmerte sich um das Stadt- und Ortsbild. Unter anderem die Farbkomposition der Kitzbüheler Bürgerhäuser im Stadtkern geht auf diese Tätigkeit zurück. Von 1926 an gehörte Walde als Mitbegründer zum Aufsichtsrat der Bergbahn AG und beteiligte sich maßgeblich an den Planungen zur Erschließung des Hahnenkamms, die Initialzündung für den Boom des Kitzbühler Wintertourismus.

In seiner Funktion als Baureferent war Walde auch Heimatschutz-Beauftragter seiner Gemeinde. Die Heimatschutzarchitektur verpflichtete sich zur Tradierung regionaltypischer Bauformen und der Erhaltung des Ortsbildes. Alle neuen Bauwerke sollten sich harmonisch in die sie umgebende Kulturlandschaft einfügen. Als hauptberuflicher architektonischer "Heimatschützer", der quasi von Amts wegen auf "Bodenständigkeitspirsch" (© Anton Kuh) gehen musste, geriet Walde in das im Buch seiner Urenkelin aufgezeigte Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne: "Er war ein Architekt, der sehr fortschrittlich dachte, von seinen Ideen her viel Neues und Modernes wollte, aber nicht immer alles umsetzen konnte."

Olivia Hromatka sagt, dass ihr Urgroßvater viele Baupläne in zweifacher Ausfertigung, einmal mit dem traditionellen Satteldach und ein weiteres Mal mit modernem Pultdach gezeichnet habe. Lange Briefwechsel zwischen Walde und den Bauherren belegten ebenfalls seinen Einsatz für eine moderne Architektur. Letztlich habe er sich aber meistens den traditionellen Vorgaben und den dahin gehenden Erwartungen der Bauherren unterordnen müssen. Im Tal.

"Auf den Bergen ist Freiheit. Der Hauch der Grüfte steigt nicht hinauf in die reinen Lüfte" - die berühmte Passage aus Schillers "Braut von Messina" beschreibt auch Waldes Freiheitsgewinn im alpinen Raum, sagt Hromatka: "Im Tal ging mein Urgroßvater auf die gebaute Umgebung und die Wünsche der Auftraggeber ein, am Berg aber huldigte er der Moderne, die lediglich der Natur als Kulisse untergeordnet wurde."

Mit dem Bau der Seilbahn auf den Hahnenkamm geht der Plan einher, im Gelände neben der Bergstation eine Siedlung "Hochkitzbühel" zu errichten. Walde träumte von eine "Künstlerkolonie" am Hahnenkamm, kaufte sich ein großes Grundstück und verkaufte eine Parzelle weiter an Clemens Holzmeister. Beide wetteten angeblich, wer sein Berghaus besser bauen werde.

Waldes Berghaus mit der Adresse Hahnenkamm 19.
© Machreich

Am Ende gab es zwei Sieger: Holzmeister entschied sich für eine turmartige Architektur, Walde tendierte zunächst ebenfalls in eine vertikale Ausrichtung, konzipierte sein Haus aber schließlich horizontal, duckte es in seine Almumgebung und verlieh damit "seinem eigenen Haus die Gebärdensprache der Häuser seiner Bilder" (Achleitner).

Walde entwirft auch die Inneneinrichtung selbst: Stühle, Tische, Lampen, Türschnallen lässt er nach seinen Vorstellungen anfertigen. Seine Detailverliebtheit trägt laut seiner Urenkelin bis heute "zur gemütlichen Stimmung des Hauses bei". Aus der Künstlerkolonie am Hahnenkamm wird allerdings nichts. Auch zwischen Holzmeister und Walde kommt es zu Differenzen. Die Fachwelt bescheinigt jedoch den Häusern von Holzmeister, Walde und einem dritten, ebenfalls von Walde geplanten Haus (Lopez), "Pionierhaftigkeit" sowie "legendäre und paradigmatische Beispiele eines Bauens im hochalpinen Raum zu sein".

Gams und "Rote Teufel"

© Machreich

Ob ihm die Idee zum Gams-Logo als Markensymbol für den Kitzbüheler Ski Club, das Hahnenkamm-Rennen und den Wintersportort Kitzbühel in seinem Berghaus eingefallen ist, weiß man nicht. Möglich wär’s, nutzte Walde doch seine alpine Unterkunft als Atelier und Rückzugsort sowie Freiheitsraum von zu engen Vorstellungen im Tal. Mit der Kitzbüheler Gams schuf Walde jedenfalls eine grafische Stilikone. Gleiches gilt für seine Marketing-Idee, die Kitzbüheler Skilehrer mit roten Pullovern und Mützen auszustatten - und die "Roten Teufel" damit zu unverwechselbaren Aushängeschildern des Hahnenkamms zu machen.

"Der Maler lässt für sein Bild einen Rahmen arbeiten, der Architekt muss sein Werk in einen schon fertigen Rahmen hineinstellen", definierte Waldes Tiroler Architektenkollege Lois Welzenbacher den Unterschied zwischen den zwei Künsten. Alfons Walde ist beides meisterhaft gelungen. Mit beidem drückte er Kitzbühel seinen Stempel auf und frisierte den Hahnenkamm zu dem Mythos, als der er sich auch an diesem Rennwochenende wieder präsentiert.

Wolfgang Machreich ist Journalist (bis 2010 bei der Wochenzeitung "Die Furche") und Autor, zuletzt erschienen: "EU-Gipfel – 28 Höhepunkte Europas, auf die man stehen muss" (traveldiary Reiseliteraturverlag).