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Vom Erhabenen zum Lächerlichen mit Federico Fellini

Von Peter Jungwirth

Reflexionen
Federico Fellini mit seinem Lieblingsdarsteller Marcello Mastroianni, Rom 1962.
© Archivio Cicconi/Getty Images

Über den italienischen Kinomagier, dessen filmischem Schaffen zurzeit eine Retrospektive in Wien gewidmet ist.


"Asa Nisi Masa". Wenn man bei einem Millionenquiz, oder sonst wo, nach dem Geheimnis des Erfolges von Federico Fellini gefragt wird, und keine Antwort weiß, dann sollte man zumindest diese drei Worte kennen. Das hilft. Vielleicht. Vielleicht auch nicht.

In Fellinis Meisterwerk "Otto e mezzo" ("8 ½") tritt jedenfalls ein Magier auf, der den in einer totalen Schaffenskrise befindlichen Regisseur Guido Anselmi - ein alter ego von Fellini - mit seiner Darbietung so bezaubert, dass jener, in Kindheitserinnerungen getaucht, für einen Moment lang all seine Sorgen vergisst und plötzlich wieder, wie aus dem Nichts, Hoffnung schöpft.

Zeitloses Meisterwerk

Das geheimnisvoll hingehauchte "Asa Nisi Masa" lässt Guidos Augen wieder leuchten, lässt ihn, den von allen Gehetzten, den ob seiner schöpferischen Impotenz völlig Verzweifelten, selig sein. Und mit Guido leuchten auch die Augen des Publikums, und mit Guido, der natürlich von Marcello Mastroianni dargestellt wird, wem sonst, ist auch das Publikum plötzlich selig, mindestens, denn das veritable Wunder auf der Leinwand sprüht Funken bis in den Zuschauerraum - kein Mensch aus Fleisch und Blut, nur ein Holzklotz könnte sich der Magie des Kinos in diesem Moment entziehen.

"Asa Nisi Masa" also. Ein Zauberspruch. Und das soll es gewesen sein? Natürlich nicht. Mit einem Zauberstab kann jeder herumfuchteln, und durch ein Megaphon alles Mögliche dazu brüllen, und heutzutage hat sogar jede und jeder eine Filmkamera in der Hand- oder in der Hosentasche, deren technische Möglichkeiten zu Lebzeiten von Federico Fellini wie Zauberei angemutet hätten.

Aber die Wahrscheinlichkeit, dass eine oder einer damit ein zeitloses Meisterwerk schafft und damit ein Stück Ewigkeit in Bilder bannt, ist gering, realistisch betrachtet sogar nahezu null. "8 ½" aber, aus dem Jahr 1963, zählt seit mehr als einem halben Jahrhundert zu den besten Filmen aller Zeiten, und als Ende der 80er Jahre John Kobal rund um den Globus 80 Cineasten befragte und eine auch heute noch lesenswerte Liste der 100 besten Filme zusammenstellte, waren darunter fünf von Fellini. Neben ihm stand nur ein Einziger mit ebenfalls fünf Filmen: Charles Chaplin.

Diese Paarung mit Chaplin ist zwar allein dem Zufall geschuldet, aber sie liefert dennoch einen Hinweis zum Verständnis des Erfolgs von Federico Fellini. Den Anfang fand Fellinis Weltruhm nämlich mit einem Film, in dem erstmals ein weibliches Pendant zu Chaplins "Tramp" auftaucht: Gelsomina. 1954, in "La Strada", spielt Giulietta Masina, die Frau von Fellini, diesen gänzlich naiven, unscheinbar kleinen, aber unendlich rührenden weiblichen Clown. Gelsomina wird von ihrem grobschlächtigen und gewalttätigen Ernährer, Mann und Zirkuspartner Zampano (dargestellt von Anthony Quinn) missachtet, missbraucht und psychisch vernichtet, bleibt ihm aber dennoch treu ergeben - und bis zum bitteren Ende liebenswürdig.

Ausgestattet mit nichts anderem als einem besonders gütigen Herzen, wird Gelsomina, die in bitterste Armut hinein geboren wird und ihr nie entkommt, ähnlich wie Chaplins "Tramp", zu einer Art Identifikationsfigur für die Geknechteten dieser Erde. Mit dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film geadelt und von Louis Aragon für den schönsten Film der Welt gehalten, wird "La Strada" zum Auftakt einer Karriere, in der Fellini, der noch weitere Meisterwerke mit Masina dreht, schon bald so berühmt sein wird wie sein Mentor Roberto Rossellini. Bei dessen Meisterwerk "Roma, città aperta" (1945) hatte Fellini als Drehbuchautor debütiert.

Rom als Mittelpunkt

Rom bleibt nicht nur der Ort seines beruflichen Anfangs, die Stadt am Tiber wird dem 1920 Geborenen, der in Rimini aufwuchs und seine Karriere in Rom als Journalist und Karikaturist begann, zur Heimat und zum gedanklichen und geographischen Mittelpunkt seines filmischen Schaffens. Und auch zu einem der wesentlichen Faktoren seines Erfolgs. Fellini ohne Rom? Undenkbar!

Immer wieder spielen Fellinis Filme in und rund um die Ewige Stadt, immer wieder durchwandern, durcheilen und durchfahren - wenn sie nicht gerade im Stau stecken - Fellinis Protagonisten die engen Gassen und weiten Straßen, und schenken dem Kinopublikum dabei en passant herrliche Veduten. Wobei Fellini die gesamte einstige und jetzige Bevölkerung Roms - von der Antike bis in die Gegenwart - explizit mit zu den absoluten Sehenswürdigkeiten rechnet und sie deshalb auch in all ihren sozialen, intellektuellen und moralischen, sowie ganz dezidiert auch physischen und modischen Ausprägungen höchst lustvoll zur Schau stellt.

Modeschau für Priester

Der Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen ist dabei nie groß, und Fellini ein Meister der Kunst, diese beiden Phänomene zu einem zu verschmelzen, in dem er das Charakteristische an seinen Figuren, zum Beispiel die Eitelkeit, langsam und subtil ins Groteske steigert. Eine der längsten und schönsten diesbezüglichen Sequenzen (in "Roma", 1972) spielt in einem römischen Palast. Die Adeligen der Stadt haben sich eingefunden, um, im Beisein eines Kardinals, einer ebenso exklusiven wie glanzvollen Modenschau der besonderen Art beizuwohnen: Es werden Kleider für Priester und Nonnen vorgeführt.

Das von vornherein absurd anmutende Spektakel beginnt in angemessenem Tempo, also gemessenen Schrittes, nimmt aber in genüsslich zelebrierter Weise Fahrt auf - im wahrsten Sinne des Wortes: Priester, die dabei Händchen halten, umrunden selig lächelnd das Geviert des Laufstegs auf Rollschuhen - und steigert sich zu einem Crescendo der Farbenpracht und Leuchtkraft, bei dem schließlich Neonlichter auf den Tiaren der defilierenden Würdenträger zu blinken beginnen, bevor Fellini, der mit diesen Bildern hypnotische Wirkung entfaltet, und zwischendurch immer wieder einen Gang höher schaltet, die in Rom so ungemein zahlreich residierenden hohen und höchsten katholischen Würdenträger wieder unbeobachtet und in Frieden lässt. Bis zum nächsten Mal.

Fellini und die katholische Kirche, das ist eine Geschichte für sich. In "La dolce vita" (1960), in dem er das frivole Treiben der gelangweilten römischen High Society in einer losen Abfolge von Szenen hinreißend porträtiert, steigt er der Kirche nicht nur auf die Füße, sondern - mit optisch grandioser Wirkung - auch aufs allerheiligste Dach: In der ikonischen ersten Szene schwebt eine riesige, an einem Helikopter hängende Christus-Statue über Rom Richtung Petersdom, und etwas später läuft eine vollbusige Filmdiva hinauf in dessen Kuppel - wobei beiden, der Statue und der Sexbombe, der Protagonist des Films, der Klatsch-Journalist Marcello Rubini (Marcello Mastroianni) nacheilt, an Ersterer rein beruflich, an Letzterer hauptsächlich privat interessiert. Während daheim, in einem Wohnblock an der Peripherie, seine Verlobte, ebenso vergeblich wie verzweifelt, auf ihn wartet.

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Verliert ihren Lebensmut nicht: Giulietta Masina als Prostituierte Cabiria in "Le notti di Cabiria" (1957).
© Österr. Filmmuseum

Eine eigene Geschichte sind bei Fellini natürlich auch die Frauen. Und zwar eine heikle, zumindest vom rigiden Standpunkt der heutigen political correctness gesehen. Denn Fellini, der sich offen dazu bekannte, gerne große Frauenhintern zu betrachten, hat zwar nie alles Fleischliche explizit gezeigt, aber nichts ausgespart, was es realistischerweise über die Beziehungen zwischen Frauen und Männern zu sagen gibt. Und er bewies dabei nicht nur Mut, sondern auch Phantasie.

Man erinnere sich etwa an die Traumszene in "Otto e mezzo", in der Guido, angetan mit schwarzem Cowboyhut, an einem eisigen Winterabend in seinen Harem heimkehrt, dort von einem Dutzend ihm untertänigst ergebener Frauen freudig empfangen, verwöhnt und verhätschelt wird: Die reine Idylle, geradezu himmlisch, zumindest aus Guidos Sicht - bis plötzlich gegen seine Willkür aufbegehrt wird, die Scheinharmonie des Systems wegbricht, eine Revolte droht, und Guido von einer Sekunde zur anderen vom sanften Pascha zum Peitsche schwingenden Despoten wird.

Ein Herz für Schufte

An dieser Stelle, zur Orientierung, der Hinweis, dass in "Otto e mezzo" ständig Traum, Phantasie und Realität verschwimmen, das ist öfter so bei Fellini, und besonders bei diesem Film, der vom Psychoanalytiker C.G. Jung inspiriert ist. Aber man kommt nicht umhin, zu bemerken, dass Guido auch in der "Realität" wenig von ehelicher Treue hält - und in so gut wie allen Filmen von Fellini zumindest einer der Protagonisten ebenfalls fremd geht. Der schöne Fausto in "I vitelloni" etwa, ein ganz sagenhafter Taugenichts, der seine junge, geradezu abgöttisch in ihn verliebte Frau Sandra andauernd betrügt.

Fellini hatte, das kann man so zusammenfassen, für fast alle Protagonisten seiner Filme ein Herz. Für Geschundene wie Gelsomina und Sandra ebenso wie für Schufte wie Guido und Fausto. Und, umgekehrt, haben bei ihm auch die meisten Schufte ein Herz - selbst wenn sie es, wie Fausto, bis zum Schluss gut verbergen. Oder, wie Zampano, erst bemerken, wenn es für ein Happyend leider schon viel zu spät ist.

Mit reinen Tugendbolden konnte Fellini wenig anfangen. Sie waren ihm als Protagonisten zu langweilig. Zu ihnen stand er stets in spöttischer Distanz. In den Adern seiner Figuren war Blut, und zwar überall, wo es naturgemäß hingehört, also zuweilen auch im Unterleib.

Allerdings war Fellini einer, dem es nicht gefiel, wenn sich in Menschen das Blut allzu oft oder aus nicht humanem Anlass staute. Seine düstere, 1976 entstandene Verfilmung des Lebens von Casanova, den er nicht von Mastro-ianni, sondern von Donald Sutherland spielen lässt, ist eine grimmige Abrechnung mit einem Mythos. Bei Fellini ist der berühmte Liebhaber eine tragische, völlig vereinsamte Figur, die - in Anlehnung an E.T.A. Hoffmann - auch einen mechanischen Automaten besteigt. Alle menschliche Wärme ist schon lange davor aus dem steif gewordenen Mann gewichen, der ganz zu einer grotesken, grauenhaften Kopulationsmaschine verkommen ist.

Diese radikal ernüchternde Sichtweise gefiel nicht allen. Luis Buñuel etwa, der viele frühere Filme von Fellini sehr mochte, verließ die Vorstellung von Casanova bereits "lange vor Schluss". Seine Reaktion ist vielleicht bezeichnend für das Spätwerk von Fellini. Am Beginn seiner Karriere hatte Fellini vor allem Filme über Themen und Menschen gemacht, die er sehr gut kannte, bewunderte und gerne mochte. Er wollte Zirkusartist werden, und diese Liebe zum Zirkus, zum Varieté, zu Gauklern, zum fahrenden Volk und generell zu den einfachen Leuten, die redeten, wie ihnen der Schnabel gewachsen war, die fluchten und witzig waren und mit ihrem losen Mundwerk stets auch um ihre Würde und nackte Existenz kämpften, merkt man seinen frühen Filmen an.

Ein Jahrzehnt später, in den 60er Jahren, löste er sich von diesen Milieus, seine Protagonisten lebten nicht mehr von der Hand in den Mund - und Fellini blieb dennoch erfolgreich. Kein Wunder, denn sehenswert sind natürlich auch die Sorgen und Marotten der High Society, deren Dokumentation und Bloßstellung sich Fellini in Filmen wie "La dolce vita", "8 ½" und "Julia und die Geister" mit ebenso feinem wie tiefsinnigem Witz widmete. Irgendwann war dann aber Schluss mit lustig. Sowohl die großen gesellschaftlichen wie auch die "kleinen" privaten Veränderungen forderten ihren Tribut. Nachdem ihm zwei seiner treuesten und wichtigsten Wegbegleiter weggestorben waren - 1972 der Drehbuchautor Ennio Flaiano, 1979 Nino Rota, der für alle Meisterwerke die kongeniale Musik komponiert hatte - und nachdem die sexuelle Revolution seinen frühen Filmen den Stachel und Reiz genommen hatte, blieben Fellini als dankbares Publikum nur mehr die Intellektuellen.

"Amarcord", aus dem Jahr 1973, eine wunderschöne Reminiszenz an seine Jugend in Rimini, war der letzte Film von Fellini, der in John Kobals Liste der 100 Meisterwerke aufgenommen wurde - und er war auch für längere Zeit der letzte, bei dem Fellini Außenaufnahmen drehte. Danach zog er sich - bedrückt sicher auch von der Ermordung seines Kollegen Pier Paolo Pasolini, mit dem er einmal zusammengearbeitet hatte - für Jahre in die Studios von Cinecittà zurück, um dort, fernab vom Staub der Straßen, aber auch vom Zauber des Zufalls, finster stimmende Filme zu drehen, die sich in allegorischer Weise so traurigen Themen widmen wie der permanenten Regierungskrise in Italien ("Orchesterprobe", 1979) und dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ("E la nave va", 1983), oder satirisch den verrohten und vertrottelnden Mechanismen des Fernsehens ("Ginger und Fred", 1986).

Unvergessliche Bilder

Auch diese Filme sind bemerkenswert gut und wurden in den Feuilletons gefeiert, aber sie haben oft einen Makel, nämlich den, dass einfachere Menschen sich von ihnen nicht mehr angesprochen fühlen - vielleicht, weil Fellini sich etwas zu weit von ihnen entfernt und ein wenig zu sehr über sie erhoben hatte.

Fellini mit Darstellerin und Ehefrau Giulietta Masina am "Casanova"-Set, 1975.
© Getty Images/Santi Visalli

Aber natürlich bleiben - auch wenn Fellini, ähnlich Casanova, am Ende übers Ziel hinaus geschossen ist, und seine Virtuosität Phänomenen gewidmet hat, denen kein Humanist, auch der begabteste nicht, Tröstliches abgewinnen kann - unvergessliche Filme und Bilder vom ihm bestehen: Anita Ekberg, die aus dem Trevi-Brunnen steigt, schön wie die Venus von Botticelli; die römischen Fresken in "Satyricon" und "Roma"; all die Menschen, tags auf der Spanischen Treppe, abends in Trastevere, die Rom in eine einzige große Bühne verwandeln; die nächtliche Wanderung der Schafherde durch die Ewige Stadt - und zu noch späterer Stunde die Luftballons, die dem Clown bei seinem Abgang aus dem Rampenlicht folgen. Und über all dem die elegische Musik von Nino Rota.

Und es bleiben von Fellini, der seinen Weg in der Mitte suchte, und die heikle Balance zwischen dem Wert des Individuums und jenem des Kollektivs meist punktgenau traf, zeitlose Figuren, von denen man Existenzielles lernen kann. Wie die Prostituierte Cabiria in "Le notti di Cabiria" (1957), deren Schicksal fast so tragisch ist wie das von Gelsomina. Die aber, allem Unglück zum Trotz, ihren Lebensmut doch nicht verliert. Federico Fellini (unterstützt von Pier Paolo Pasolini) gab dieser Heldin des Alltags die Gestalt. Giulietta Masina, die ein halbes Jahrhundert lang, bis zu seinem Tod 1993, mit Fellini verheiratet war, gab ihr das Gesicht.

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Im Wiener Filmmuseum ist dem Werk von Federico Fellini (gemeinsam mit jenem von Ermanno Olmi) noch bis Ende Februar eine Retrospektive mit allen wichtigen Filmen gewidmet: www.filmmuseum.at

Artikel von WZ-Filmkritiker Matthias Greuling: Das Österreichische Filmmuseum zeigt Filme von Federico Fellini und Ermanno Olmi.

Peter Jungwirth, geboren 1962, lebt als freier Autor und Fotograf in Wien.

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