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Die Hüter einer objektiven Wahrheit

Von Gregor Kucera

Reflexionen
Fake und Facts
© AdobeSTock

Was sind Fake News eigentlich? Propaganda, Lügen oder nur Irrtümer?
Die Geschichte reicht weit zurück.


Informationsaustausch und Kommunikation sind seit Menschengedenken nicht nur der Transfer von Fakten und Wissen, sondern auch von persönlicher Interpretation von Geschehnissen, Übertreibung, Irrtümern, Leerstellen und persönlicher Historie. Der Begriff "Fake News" ist spätestens seit Donald Trump in aller Munde, doch was steht eigentlich dahinter? Und was bedeutet es nicht nur für den Journalismus, sondern auch für die zwischenmenschliche Kommunikation?

"Lügenpresse" wurde abgeschafft, "Relotius-Presse" ist nun das neue Wort für unliebsame Medienberichte. Claas-Hendrik Relotius hat mit seiner Vorgehensweise die Medienwelt vor den Kopf gestoßen und eine neue Diskussion über Glaubwürdigkeit, journalistische Ethik, Kontrollen und interne Qualitätskontrollen in Verlagen angestoßen. Natürlich kann man dem Journalisten nicht dafür danken, aber die Affäre um, zumindest teilweise, erfundene Geschichten kommt zu einer guten Zeit. Wann, wenn nicht jetzt, müssen sich Medien mit ihrer Rolle, ihrer Glaubwürdigkeit und auch ihrer gesellschaftlichen Verantwortung beschäftigen und dies aber auch von den Rezipienten einfordern? Auch Journalisten müssen sich von ihrer Rolle als Hüter der objektiven Wahrheit verabschieden lernen. Denn diese wird es einfach nicht mehr geben. Die Frage ist vielmehr, wie kann man Geschichten einordnen, mit journalistischer Sorgfalt aufbereiten und mit einem äquidistanten Blick auf möglichst viele Seiten einer Medaille, seine Leserinnen und Leser zu mündigen Entscheidungsträgern ermächtigen.

Im Rahmen des Finales der American- Football-Liga NFL, der sogenannten Superbowl, lief ein Imagespot der "Washington Post", der die Bedeutung von Medien für die Demokratie, die Freiheit und das Wissen der Menschheit hervorhob. Zu lange schon habe man sich durch die lautstarken Rufe der Befürworter extremer Sichtweisen mit den Killerphrasen "Lügenpresse" und "Fake News" vor sich hertreiben lassen, argumentierten Medienexperten in einer Diskussion zu dem Spot. Man müsse nun endlich auch aktiv die Rolle und Bedeutung der Medien hervorstreichen und den Leuten ins Bewusstsein rufen, warum es eine freie Presse geben muss, und dass diese auch etwas kostet.

Mangelnde Medienkompetenz

Fake News, Propaganda, Lügen oder einfach nur ein Fehler, eine schlechte Recherche, das sind die Themen und Fragestellungen, mit denen man sich in Zukunft auseinandersetzen muss. Auch Medienethik – und noch wichtiger Medienkompetenz – wird in Zukunft in der Gesellschaft eine zentrale Bedeutung einnehmen. Zahlreiche Initiativen, nicht nur an Schulen, sondern auch innerhalb der EU, zeigen, dass das Thema – gerade in Zeiten der Digitalisierung – ein wesentliches ist. Es ist allerdings nicht so, dass jüngere Menschen tendenziell mehr Ausbildung in diesem Bereich benötigen als ältere.

Eine Studie der Universitäten Princeton und New York zeigt, dass ältere und konservative Facebook-Nutzer öfter Falschmeldungen teilen als andere. Nutzer im Alter von 65 Jahren oder älter teilen "fast sieben Mal mehr" Artikel von Falschmeldungen verbreitenden Internetadressen als 18- bis 29-Jährige. Für die Studie prüften die Autoren die Facebook-Nachrichten von fast 1200 Menschen in den USA. Die Forscher verglichen die von den Nutzern geteilten Links mit mehreren Listen von Websites, die dafür bekannt sind, Falschmeldungen zu verbreiten. Die in der Fachzeitschrift "Science Advances" veröffentlichte Studie ergab, dass nur 8,5 Prozent der Probanden einen Link von einer dieser Seiten geteilt hatten. Diese waren jedoch zumeist älter und ordneten sich selber eher dem konservativen Teil des politischen Spektrums zu.

Die Autoren begründeten das Ergebnis mit der mangelnden digitalen Medienkompetenz älterer Menschen sowie mit einem schlechteren Erinnerungsvermögen. Dass mehr Republikaner als Demokraten Falschmeldungen verbreiteten, könne dem Umstand geschuldet sein, dass während des Präsidentschaftswahlkampfs 2016 die meisten Falschmeldungen positiv über Trump berichteten. Seien mehr Falschmeldungen "pro-Clinton statt pro-Trump gewesen, hätten möglicherweise mehr Liberale als Konservative diese Inhalte geteilt", schrieben die Autoren in der "Washington Post".

Trollfabriken und Propaganda

Eine Folge dieser Entwicklungen und Untersuchungen ist, dass soziale Netzwerke intensiver auf die Verbreitung von Propaganda reagieren – hier wiederum sind es nicht so sehr die Medienunternehmen, sondern regelrechte Maschinerien von Trollen und Kommentarfabriken, die die öffentliche Meinung, häufig in der zeitlichen Nähe zu Wahlen, zu steuern suchen. So will Facebook zur Europawahl für mehr Transparenz auf seiner Plattform bei politischer Werbung in der EU sorgen. Die bereits unter anderem in den USA geltenden Anzeigen-Regeln sollen rechtzeitig vor der Abstimmung im Mai eingeführt werden. Dazu gehörte bisher unter anderem, dass jeder, der Werbung mit politischen Inhalten schalten will, seine Identität und seinen Standort angeben muss. Außerdem sollen die Anzeigen in einer öffentlich zugänglichen Datenbank bis zu sieben Jahre lang gespeichert werden.

Facebook ergriff die Maßnahmen in den Vereinigten Staaten vor allem nach der US-Präsidentenwahl 2016, da das Online-Netzwerk im Wahlkampf in großem Stil für Propaganda-Kampagnen missbraucht worden war. Sie wurden nach US-Erkenntnissen von Russland aus gesteuert. Das soziale Netzwerk hatte auch schon vor den Wahlen in Frankreich und Deutschland massenhaft gefälschte Accounts gelöscht, um eine Manipulation der öffentlichen Meinung zu verhindern. In Nigeria und der Ukraine lässt Facebook mit Blick auf die anstehenden Wahlen bereits von Mittwoch an grundsätzlich keine Wahlwerbung aus dem Ausland zu. Auch WhatsApp schränkt im Kampf gegen die Verbreitung von Falschmeldungen die Weiterleitung von Nachrichten weltweit deutlich ein. Nach einer halbjährigen Test-Phase können Nutzer Nachrichten künftig generell nur noch an einen beschränkten Kreis von fünf Empfängern weiterleiten. Bisher konnten Nachrichten an bis zu 20 verschickt werden.

Keine Ausprägung des digitalen Zeitalters

Wer allerdings der Meinung sein sollte, dass Fake News eine Erscheinung des digitalen Zeitalters seien, der irrt. Propaganda gab es immer schon und auch das Faktum, dass man (Medien-)Berichte für seine Zwecke zu nutzen suchte. Erst kürzlich fanden Archäologen eine Festung, bei der es sich um jene handeln soll, die Caesar in einem Bericht an den Senat beschrieben hat. Allerdings in einer drastischen Übertreibung der tatsächlichen Maße. Es wird nun vermutet, dass Caesar absichtlich von viel größeren – und damit auch bedrohlicheren Ausmaßen – der feindlichen Stellungen berichtet hat, um dem Senat mehr Geld für seine Feldzüge zu entlocken.

Auch große Universalgelehrte sind nicht vor Fälschungen gefeit. So berichtete doch niemand geringerer als Gottfried Wilhelm Leibniz in seiner, 1749 posthum herausgegebenen, Schrift "Protogaea" mit einer Zeichnung von einem Tier, das als "Einhorn von Quedlinburg" in die Annalen der Paläontologie ein-ging. Man vermutet, dass es sich dabei in Wahrheit um mehrere Knochen von Mammuts handelte, die so vermischt waren, dass ein Stoßzahn als Teil eines "Monokeros" interpretiert wurde. Davon berichteten im Übrigen davor schon Plinius der Ältere, Caesar und sogar die Bibel, wobei die dortige Erwähnung auf einem Übersetzungsfehler beruht.

Es muss also nicht immer alles bösartig gemeint sein, was man als Falschmeldung entlarvt. Manche Fehler werden auch erst Jahrzehnte später entdeckt, wenn sich etwa technologische Innovationen durchsetzen, die eine genauere Einordnung ermöglichen. Gerade in der Geschichtsschreibung, man denke nur an die Zeit der mündlichen Überlieferung, kann man sich lediglich auf möglichst logische Interpretationen, nicht aber auf Wahrheiten verlassen. Nicht zu vergessen, es finden sich zwar zahlreiche Heldenmythen, aber das Leben der Frauen oder ärmerer Bevölkerungsschichten wurde lange Zeit historisch vernachlässigt. Es zeigt sich auch, dass historisch betrachtet, Sprache und Berichte die wesentlichen Faktoren für Sichtbarmachung sind. Die Grenzen der Sichtbarmachung liegen allerdings dort, wo Originalaufzeichnungen und Zeitdokumente, wenn vorhanden, vernichtet oder verfälscht werden. Der Versuch, das geistige Erbe zu erhalten, in Bibliotheken zu digitalisieren, zu sammeln und der Nachwelt zu erhalten, ist somit eine unglaublich große Aufgabe. Die für sich genommen einen ganzen Fragenkatalog aufwirft: Datenschutz- und Haftungsfragen (wem gehören welche Daten, wer darf sie sammeln oder verwenden?), was wird sich aus dem weiten Feld der künstlichen Intelligenz in diesem Bereich noch ergeben? Sollen Algorithmen in Zukunft entscheiden, was wert ist aufgehoben zu werden oder können es nur mehr Maschinen schaffen, einen Überblick über relevante Themen und Dokumente zu behalten?

Viele Experten gehen davon aus, dass es einer grundlegenden Diskussion und eines großen, weltweiten Diskurses über diese Themenaspekte bedarf. Wem kann, wem soll man vertrauen? In vielen Ländern gibt es etwa staatlichen Institutionen gegenüber eine mehr als kritische Haltung. Gerade in sozialen Netzwerken wiederum neigt man dazu, Quellen nicht immer zu hinterfragen, vor allem wenn die Nachrichten von Freunden oder Bekannten geteilt oder geliked wurden. Es scheint, dass nur eine intensive Beschäftigung und Bildung in diesem Bereich zu einem guten Endergebnis führen können. Wissen und Fakten, glaubwürdige Quellen und ein breiter Diskurs sind die Schlüssel zum Erfolg. Schon Papier war geduldig, die digitalen Welten sind es erst recht – und dabei noch viel unüberschaubarer.