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Bauhaus, das Labor der Moderne

Von Anton Holzer

Reflexionen

Die Kunstschule wurde vor 100 Jahren in Weimar gegründet und strahlte international weit aus – aber in Österreich blieb das Echo bescheiden. Eine historische Spurensuche.


Dekorative Treppe im Hauptgebäude der Bauhaus-Universität in Weimar.
© ullstein bild/Daniel Lakomski

Nicht von einem Bauhaus, das unter der landläufigen Bezeichnung Baumarkt hierzulande viele Menschen kennen (und besuchen), ist im Folgenden die Rede, sondern vom historischen Bauhaus, der Kunst- und Designschule, die vor genau einhundert Jahren in Weimar gegründet wurde. Dieses andere Bauhaus, das schon wenige Jahre nach seiner Gründung zur Legende wurde und international breite Anerkennung fand, hat in Österreich nur wenige Anhänger gefunden. Während im Jubiläumsjahr 2019 in Deutschland dutzende Ausstellungen an das Bauhaus-Erbe erinnern, wird das Jubiläum in Österreich eher nur en passant wahrgenommen.

Die kühle Begegnung zwischen Österreich und dem Bauhaus mag eine kleine Episode illustrieren, die sich in den Sommermonaten 1930 zutrug. Damals reiste der aus Jena stammende Bauhausschüler Fritz (Friedrich) Heinze nach Wien. Die Donaumetropole interessierte ihn, denn er hatte am Bauhaus mehrere Vorträge des österreichischen Wissenschaftstheoretikers und Ökonomen Otto Neurath gehört und erfahren, dass dieser in Wien eine renommierte, sozial engagierte Bildungseinrichtung leitete, die mit gänzlich neuen visuellen und grafischen Methoden arbeitete: das österreichische Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum. In genau dieser Einrichtung, die eigentlich gar kein Museum, sondern eher eine innovative Erwachsenenbildungseinrichtung war, absolvierte Heinze ein Praktikum.

Fotografische Spur

Fotografie eines Bauhaus-Schülers in Wien: Opernkreuzung bei Nacht, Fritz Heinze, 1930.
© Archiv Holzer

Über seinen Wiener Aufenthalt ist wenig bekannt, wir wissen nur, dass der Gast aus Dessau in den Straßen Wiens fotografierte. Eine seiner Aufnahmen, sie zeigt die Opernkreuzung bei Nacht, erschien 1930 auf einer Doppelseite in der Novemberausgabe des "Wiener Magazins". Die Straße, der Verkehr und die Gebäude gehen im Schwarz der Nachtaufnahme unter, nur die bewegten Lichter des Verkehrs haben schmale, helle Streifen im Bild hinterlassen. Diese Fotografie des Bauhausschülers gehört - bis auf ein paar wenige biografische Verbindungen - zu den wenigen fotografischen Spuren, die das Bauhaus in Österreich hinterlassen hat.

Die Begegnung Fritz Heinzes mit Wien ist symptomatisch für die Verbindung, die Österreich und insbesondere Wien zum Bauhaus unterhielt: höfliches Interesse, ein fein dosierter Austausch, aber nicht mehr. Wieso blieb das Verhältnis der österreichischen Kulturszene zum Bauhaus derart unterkühlt? Warum strahlte das Bauhaus in viele Länder aus, aber kaum nach Österreich?

Bleiben wir zunächst bei Fritz Heinze. Der 1904 geborene Arbeitersohn war keineswegs ein typischer "Bauhäusler". Unter den Schülern waren Arbeiter in der absoluten Minderheit. Der Großteil des Bauhaus-Personals, sowohl der Schüler als auch der Lehrer, rekrutierte sich aus der gebildeten Mittelschicht. Die Mehrheit von ihnen stand politisch zwar links, engagierte sich aber nicht offen parteipolitisch. Erst als 1928 der Schweizer Architekt Hannes Meyer die Leitung des Bauhauses übernahm, fanden die erbitterten politischen Kämpfe, die in diesen Jahren in der Weimarer Republik tobten, verstärkt Eingang in das Bauhaus. Meyer, der sich in der Schweiz in der Genossenschafts- und Siedlerbewegung engagiert hatte, positionierte sich offen als Linker und wurde am 1. August 1930 aus politischen Gründen entlassen. Sein Weg führte ihn dann als Hochschullehrer nach Moskau.

Auch Fritz Heinze war politisch aktiv: er war Mitglied der "Arbeiter-Fotografen Deutschlands" in Leipzig und schloss sich in den 1930er Jahren den Kommunisten an. Seine Reise nach Wien fällt genau in die Phase des politischen Umbruchs am Bauhaus. Meyers Nachfolger als Bauhaus-Direktor, Ludwig Mies van der Rohe, führte die Schule deutlich unpolitischer, um sie weniger angreifbar zu machen.

Im Sommer 1930, als Meyer das Bauhaus verließ, reiste Heinze nach Wien. Er war damals Mitte 20 und sah angesichts der Demontage Meyers im dezidiert linken Gesellschafts- und Wirtschaftsmuseum Neuraths, aber auch im "Roten Wien" insgesamt, einen politischen Hoffnungsschimmer. Doch die Begegnung zeitigte kaum Folgen. Zwar hatten sich auf Betreiben Meyers und Neuraths Ende der 1920er Jahre zaghafte Verbindungen zwischen dem Bauhaus und Wien gebildet, aber eine engagierte Zusammenarbeit wurde daraus nicht. Ein paar gegenseitige Einladungen zu Vorträgen, das war’s.

Als der Architekt Walter Gropius am 12. April 1919 seinen Vertrag als Direktor des Bauhauses unterzeichnet hatte, war noch nicht abzusehen, welch große Wellen diese Einrichtung einmal schlagen sollte. Formal war die neue Schule aus der Großherzoglichen Sächsischen Hochschule für Bildende Kunst im Weimar hervorgegangen, die 1919 mit der dortigen Kunstgewerbeschule vereint wurde.

Das Programm der neuen Ausbildungsstätte suchte - nach den traumatischen Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und nach den künstlerischen Sackgassen der ornamentalen Eskapaden in den diversen Jugendstil- und l’art-pour-l’art-Bewegungen vor dem Krieg - einen ganz neuen künstlerischen Weg: die Rückkehr zu einer künstlerischen Einfachheit.

Ausgangspunkt der Kunst sollte das Handwerk sein, die Arbeit am und mit dem Material. Die sich (zu) weit auseinanderentwickelnden künstlerischen Disziplinen sollten zu einer neuen Einheit zusammengeführt werden, einer ganzheitlich denkenden und arbeitenden Baukunst. Das Bauhaus, wie es Gropius vorschwebte, war eine Ausbildungsstätte neuen Stils, ein Ort, an dem die Trennung zwischen Handwerk und Kunst aufgehoben wäre.

Fulminanter Beginn

Der Beginn des Bauhauses war fulminant. Jahr für Jahr wurden neue Werkstätten eröffnet, international renommierte Künstler und Pädagogen eingestellt. Bald verließen die ersten Absolventen das Haus. Die internationale Ausstrahlung wuchs. Und dennoch: Das Projekt Bauhaus war von Anfang an gefährdet. Die Kunstschule plagten permanente Finanznöte. Als 1924 der Weiterbestand politisch und finanziell an der Kippe stand, gründete Gropius einen "Kreis der Freunde des Bauhauses", der die Bauhausidee streuen und internationale Unterstützer für das Projekt begeistern sollte. Der Freundeskreis hatte zudem die Aufgabe, Spenden zu sammeln, aber auch beizutragen, "den immer wiederkehrenden Anfeindungen" standzuhalten.

Bemerkenswert ist, dass nicht wenige der Mitglieder in diesem Freundeskreis bekannte österreichische Künstler waren, etwa Josef Hoffmann, Arnold Schönberg, Oskar Kokoschka oder Franz Werfel. Sogar das Briefpapier, auf dem die Korrespondenz des "Freundeskreises" erfolgte, wurde von einem Österreicher gestaltet: dem Grafiker und Fotografen Herbert Bayer, der ab 1921 am Bauhaus studiert hatte und dort ab 1925 Leiter der Grafik- und Druckwerkstatt wurde.

Das von Walter Gropius entworfene Bauhausgebäude in Dessau, 1925/26.
© Stiftung Bauhaus Dessau

Als 1924 die Sozialdemokraten die Mehrheit in Weimar verloren und eine konservative Mehrheit die Stadt regierte, wurde das Bauhaus-Experiment finanziell ausgehungert. In Dessau fand die Schule eine neue Heimat - allerdings nur für sieben Jahre, bis 1932. Den Rechten und insbesondere der erstarkenden NSDAP war das Bauhaus ein Dorn im Auge. 1932 musste die Schule neuerlich umziehen, für einige Monate fand sie in Berlin eine Bleibe. Nach der Machtübernahme der Nazis kam 1933 das endgültige Aus für das Projekt.

Das Bauhaus übte auf zahlreiche junge Künstler aus Mitteleuropa, etwa aus Ungarn, Polen und der Tschechoslowakei, aber auch aus Frankreich, eine große Anziehung aus. Viele von ihnen studierten einige Jahre an der renommierten Kunstschule. Umgekehrt trugen die Bauhausschüler ihre Kenntnisse und Experimente auch zurück in ihre Herkunftsländer. In Bratislava und Prag etwa entstanden unter dem Einfluss von Karel Teige, Zdeněk Rossmann, Josef Vydra, Jaromír Funke u.a. Kunstschulen, die sich am Bauhaus orientierten.

Auch etliche österreichische Schüler studierten am Bauhaus, teilweise waren sie über die Vermittlung von Johannes Itten dazu gekommen, der während des Ersten Weltkriegs in Wien eine innovative Kunstschule betrieben hatte und 1919 auf Einladung von Gropius nach Weimar wechselte. Neben dem bereits erwähnten Herbert Bayer studierten und arbeiteten noch weitere Österreicher am Bauhaus, u.a. die Maler und Grafiker Trude Waehner, Franz Oehner, Franz Probst, Franz Skala und Rudolf Baschant, die Fotografin Edith Suschitzky (die später unter dem Namen Edith Todor-Hart in England bekannt wurde), die Architekten Otto Breuer, Anton Brenner und Franz Singer, die Malerin, Fotografin und Architektin Friedl Dicker, die Grafikerin Anny Wottitz, der Designer Carl Auböck und seine Frau, die Textilkünstlerin Mara Auböck sowie der Fotograf Erich Komeriner (der in Wien geboren wurde, aber in Berlin aufwuchs). Auch "Alt-Österreicher", wie etwa die aus Karlsbad stammende Textilkünstlerin Lisbeth Oestreicher suchten den Weg ans Bauhaus.

"Rotes Wien"

Das Interesses am Bauhaus war also in Österreich durchaus vorhanden. Und dennoch blieb es bei der Faszination Einzelner. Weithin sichtbare Spuren hat das Bauhaus hier nicht hinterlassen. Zum einen hat das wohl damit zu tun, dass in Österreich und vor allem in Wien die großen künstlerischen Reformbewegungen bereits um die Jahrhundertwende stattgefunden hatten, denken wir etwa an die Sezession oder die Wiener Werkstätte. Auch der österreichische Werkbund bot sich als Ansprechpartner zunächst an, da dieser bis Ende der 1920er Jahre zerstritten und wenig aktiv war.

Dazu kommt, dass wichtige und wortgewaltige Protagonisten der Wiener Moderne, etwa Adolf Loos, nicht nur auf Distanz zum Werkbund, sondern auch zum Bauhaus gingen. Der wichtigste Grund für die Distanz lag aber wohl in der (Kultur-)Politik des "Roten Wien". Die Stadt, die in den 1920er Jahren ein internationales Vorzeigemodell der sozialen und politischen Umgestaltung war, hätte sehr wohl die Ressourcen für die Errichtung einer modernen Kunstschule nach dem Modell des Bauhauses gehabt. Aber sie stand der Bauhausidee reserviert gegenüber. Zwar war die Kulturpolitik des "Roten Wien" durchaus offen für neue künstlerische Strömungen. Ende der 1920er Jahre wurden alle möglichen progressiven Kulturprojekte in Wien vorgestellt. Rezipiert wurde etwa die Kunst-, Theater- und Fotoszene der jungen revolutionären Sowjetunion. Auch die avantgardistische deutsche Filmkultur der 1920er Jahre fand in Wien ein interessiertes Publikum. 1927 hatte etwa, fast zeitgleich wie in Berlin, Walther Ruttmanns Film "Berlin - Die Symphonie der Großstadt" Premiere in Wien.

In städtebaulicher Hinsicht und in der Architektur aber blieb die Programmatik des "Roten Wien" auffallend konservativ. Es setzte sich die gemäßigt-moderne Richtung der Schüler Otto Wagners durch - und nicht die radikale Avantgarde. Das "Rote Wien" huldigte, so Friedrich Achleitner, vor allem dem "sozialen Realismus" - und nicht den Ideen des Bauhauses.

Neu belebter Werkbund

Nur indirekt strahlte das Bauhaus ins Land - und zwar in der Zeit um 1930, als sich die österreichische Kunstszene für kurze Zeit der Avantgarde öffnete. Aber nicht Bauhausschüler waren die Protagonisten, sondern Künstler, die dem Werkbund nahestanden. Ende der 1920er Jahre wurde der österreichische Werkbund nach einer langen Phase der Lethargie und der Spaltungen wiedervereint und neu belebt. Um 1930 entwickelte der Verein ein reges und sehr modernes Ausstellungsprogramm: 1929 wurde in der Hofburg die Schau "Neues Bauen" gezeigt, 1930 fand im Museum für Kunst und Industrie die legendäre avantgardistische Fotoausstellung "Film und Foto" (Fifo) statt, die zuvor in Stuttgart gezeigt wurde. Und 1932 wurde die Ausstellung über die neue Werkbundsiedlung gezeigt. Über diesen Umweg fanden auch Bauhaus-Ideen den Weg nach Wien. Tatsächliche Bauhaus-Ausstellungen fanden aber keine statt.

Anfang der 1930er Jahre wurde die konservative Wende in Österreich immer spürbarer - auch in der Kultur. Ende 1933 gründete eine Gruppe um Peter Behrens und Clemens Holzmeister den "Neuen Werkbund Österreichs", der die liberale, an der internationalen Avantgarde orientierte Moderne des bestehenden Vereins ablehnte und eine neue Verbindung zwischen Tradition, Patriotismus und Moderne anstrebte.

Die neue Gruppierung suchte die Nähe zur christlich-sozialen, ab 1933/34 diktatorisch agierenden Regierung. Das Bauhaus in Deutschland gehörte zu diesem Zeitpunkt bereits der Geschichte an. Im April 1933 wurde das Berliner Bauhaus-Gebäude polizeilich durchsucht und zahlreiche Schüler wurden vorübergehend festgenommen. Im Juli 1933 wurde die Schule endgültig geschlossen.

Nächtliches Wien, 1933/34, von Ladislav Foltyn.
© Archiv Holzer

Viele der Bauhausschüler, insbesondere jene jüdischer Herkunft, gingen ins Exil, in die USA, nach Süd- und Mittelamerika, oder nach Palästina, wo jüdische Bauhaus-Architekten den Bauboom der Stadt Tel Aviv wesentlich mitbestimmten und rund 4000 Gebäude errichteten. Wien war nach 1933 kein bevorzugtes Ziel der Bauhaus-Emigration. Und dennoch: Vereinzelt zog es ehemalige Bauhäusler auch an die Donau. Edith Suschitzky kehrte nach ihrem Studium in Dessau nach Wien zurück, wo sie als Fotografin Fuß zu fassen versuchte. Anfang 1934 ging sie nach London. Der aus Bratislava stammende Ladislav Foltyn, der am Bauhaus Architektur und Fotografie studiert und danach in Berlin gearbeitet hatte, verließ im Frühjahr 1933 fluchtartig die Stadt Berlin. Er fand in Wien Zuflucht, wo er beim Bauhaus-Architekten Franz Singer arbeitete. Dieser war nach seinem Studium in Weimar und einem Aufenthalt in Berlin 1926 nach Wien zurückgekehrt und hatte hier zusammen mit der linken, politisch engagierten Künstlerin Friedl Dicker das Künstleratelier und Architekturbüro "Singer & Dicker" gegründet, das beide bis 1931 gemeinsam führten.

In seiner Freizeit streifte Foltyn mit seiner Kamera durch die Stadt. In poetischen Schnappschüssen, die deutlich seine Bauhaus-Erfahrungen durchscheinen lassen, hielt er Straßenszenen, Fassaden, Orte an der Donau fest - und immer wieder Eindrücke aus dem Prater. Eines seiner Bilder, das er 1933/34 in Wien schoss, ist eine mehrfach belichtete Nachtaufnahme, die in der Nähe der Oper entstand. Es ist bemerkenswert, dass einige der markantesten fotografischen Spuren des Bauhauses in Wien von zwei Nicht-Österreichern stammen: von Fritz Heinze und Ladislav Foltyn. Und beide fotografierten nächtens an der Opernkreuzung. Ist das ein Zufall?

Anton Holzer, geboren 1964, ist Fotohistoriker, Publizist, Ausstellungskurator und Herausgeber der Zeitschrift "Fotogeschichte". www.anton-holzer.at