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"Der Kuckuck", Sprachrohr des "Roten Wien"

Von Anton Holzer

Reflexionen

Die Bilderzeitung neuen Stils wurde vor 90 Jahren in Wien gegründet. Über ein Flaggschiff des linken Fotojournalismus.


Eindrückliche Bildessays, aufrüttelnde Sozialreportagen, viel Unterhaltung: "Der Kuckuck".
© Archiv Holzer

Nicht von einem Vogel namens Kuckuck, sondern von einer Zeitung ist hier die Rede. Ungewöhnlich ist nicht nur der Name dieses Blattes, und bis heute ist nicht wirklich geklärt, wie er zustande kam. Ungewöhnlich ist auch das äußere Erscheinungsbild: geklebte, zusammengesetzte Bilder - Fotomontagen, ergänzt durch zugespitzte Texte. Scharfzüngige Bildberichte, die aufrütteln, verändern wollten. Das war damals vollkommen neu in der österreichischen Publizistik.

"Der Kuckuck", so hieß besagte Zeitung, wurde 1929 gegründet. Sie wurde nur knapp fünf Jahre alt. 1934 wurde sie von der christlichsozialen Diktatur verboten. Man könnte dieses kurzlebige Medium, das vom Journalisten Siegfried Weyr geleitet wurde, als kleine Episode in der österreichischen Zeitungsgeschichte abtun. Doch Halt: "Der Kuckuck" war nicht irgendeine Zeitschrift, sondern ein seinerzeit berühmtes Flaggschiff der engagierten Bildberichterstattung. In Österreich war sie ohne Vorbild und Konkurrenz. Und auch international eilte ihr ein avantgardistischer Ruf voraus.

"Der Kuckuck" stand für innovative Bild- sowie gewitzte und oft propagandistisch zugespitzte Umschlaggestaltungen - und generell für ein großes Interesse an der modernen Fotografie. Bis heute gilt "Der Kuckuck" in der internationalen Fotoszene als Geheimtipp, die Zeitung wird in internationalen Foto-Ausstellungen immer wieder als frühes Beispiel eines engagierten Fotojournalismus angeführt. Gerade weil das legendäre Archiv der Zeitschrift verloren ist, genießen einzelne Ausgaben, die im Antiquariat noch erhältlich sind, geradezu Kultstatus.

Auflagenstark

Und dennoch: Trotz dieses erheblichen Interesses ist die Zeitschrift hierzulande nur wenig bekannt. Zwar erschien vor über zwanzig Jahren eine eingehende und verdienstvolle, leider längst vergriffene wissenschaftliche Studie von Stefan Riesenfellner und Josef Seiter über den "Kuckuck". Aber sie konnte das Blatt des Vergessens nicht wirklich wenden.

"Der Kuckuck" war ein Sprachrohr des "Roten Wien" und zugleich der Versuch der österreichischen Sozialdemokratie, angesichts der Übermacht der bürgerlichen Presse eine große linke Illustrierte für ein Massenpublikum zu produzieren. Das Konzept stammte von Julius Braunthal und Siegfried Weyr, die ab 1927 an der Konzeption des Blattes arbeiteten. Knappe, plakative Berichte, eindrückliche Bildessays, aufrüttelnde Sozialreportagen, aber auch viel Unterhaltung. Das war die Erfolgsmischung des Blattes. Zielgruppe war die breite, leseungewohnte Masse, die für Boulevard-Medien empfänglich und zugleich mit der textlastigen "Arbeiter-Zeitung" überfordert war. "Der Kuckuck" war leicht zu lesen, denn er setzte ganz auf Bilder. Zahlreiche bekannte Fotojournalisten (unter ihnen kaum Frauen) publizierten darin.

"Der Kuckuck"-Cover vom 12. Dezember 1933.
© Archiv Holzer

Neben einheimischen Fotografen wie Hans Popper, Nikolaus Schwarz, Edith Suschitzky, Rudolf Spiegel, Ferdinand Hodek, Willi Zwacek, Leo Ernst, Albert Hilscher, Lothar Rübelt, Bruno Völkel und Ernst Kleinberg wurden auch zahlreiche renommierte ausländische Fotografen in der Illustrierten vorgestellt: etwa Tina Modotti, Paul Wolff, Willy Riethof, Hans Casparius oder Martin Imboden.

"Der Kuckuck" war in den Augen des linken Pressemanagers Julius Braunthal ein Baustein für einen mächtigen sozialdemokratischen Medienkonzern, der der bürgerlichen Presse Paroli bieten sollte. 1927 gründete Braunthal mit großem Erfolg die linke Boulevardzeitung "Das kleine Blatt", die 1930/31 eine tägliche Auflage von 173.000 Stück erreichte. Zwei Jahre später, 1929, folgte mit dem "Kuckuck" eine ebenfalls auflagenstarke Illustrierte. 1932 erhielt "Das kleine Blatt" mit der "Bunten Woche" eine illustrierte Wochenendausgabe, ein Jahr später, im Februar 1933, kam die Wochenillustrierte "Rundfunk" hinzu. Ergänzt wurden diese durch zahlreiche weitere Zeitschriften und Publikationen, ebenso wie regionale Blätter.

Kenn- und Markenzeichen des "Kuckuck" waren seine pointierten Umschläge, die sich am Kiosk deutlich von anderen Titelblättern abhoben. Während der Innenteil konventioneller gestaltet war, setzte Weyr am Umschlag mittels gezielt inszenierter, spannungsreicher Fotomontagen seine Vorstellungen einer kämpferischen Arbeiterillustrierten um.

Gegenüberstellungen

Eine moderne illustrierte Zeitung wie der "Kuckuck", so brachte Weyr sein Credo 1930 auf den Punkt, begnügt sich nicht mehr damit, "Bilder einfach nebeneinander zu stellen und durch ein paar Zeilen Text zu erläutern. Die moderne Bilderzeitung versucht vielmehr durch geschickte Kombinationen die Bilder selbst zu den Beschauern sprechen zu lassen. Das ist nicht immer leicht, erfordert genaue Kenntnis des Gegenstandes und Kombinationsgabe." Und er ergänzt: "Auch der Leser muß sich vielfach erst mit der neuen Methode vertraut machen."

Viele Fotomontagen des "Kuckuck" stammen von Weyr selbst, andere von Artur Stadler, einem sehr innovativen Wiener Zeichner und Illustrator, weitere von Alexander Stern, der nach seiner Ausbildung als Gärtner zum experimentellen Künstler wurde und als Zeichner, Fotograf, Filmer und Autor in Graz arbeitete. Er signierte seine Arbeiten mit dem Kürzel "STAL".

Die Dynamik und die Kraft dieser Fotomontagen nahm unverkennbar Vorlagen aus Deutschland auf. Dort hatten die kommunistische "Arbeiter-Illustrierte-Zeitung" und insbesondere der Grafiker John Heartfield mit zugespitzten Fotomontagen ein neues Genre der Bildberichterstattung entwickelt.

Auch im "Kuckuck" setzten die Fotomontagen immer wieder auf aufrüttelnde Gegenüberstellungen. In Bildern und Texten wurden politische und gesellschaftliche Gegensätze inszeniert: hier der aggressive Polizeistaat, dort die friedliebende Arbeiterschaft; hier Militarismus, dort Kriegsopfer; hier Nationalsozialismus, dort die Opfer der Gewaltherrschaft. Die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft wurden in einfachen, schlagenden Bildern vorgeführt. Während der Faschingszeit im Jahr 1931 stellte Siegfried Weyr etwa in einer bissigen Montage schwielige Arbeiterhände dem ausschweifenden Luxus der feinen Gesellschaft entgegen.

Cover vom 25. Jänner 1931.
© Archiv Holzer

Neben den oft seitenfüllenden Montagen gab es im "Kuckuck" aber auch kleinere Bild-Text-Montagen, die zu aktuellen politischen Themen pointiert Stellung nahmen. Auch sie waren nach dem Vorbild der "Arbeiter-Illustrierte-Zeitung" gestaltet, wo Autoren wie Erich Weinert, Gertrud Ring und (unter Pseudonymen) vor allem Kurt Tucholsky jeweils eine Fotografie mit einem sozialkritischen Gedicht kombinierten.

Der "Kuckuck" nahm diese Form Anfang der 1930er Jahre auf. Einige der besten "Bildgedichte" stammen von Jura Soyfer, der auf dialektisch-witzige Weise zwischen Bild und Text Funken schlug. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten in Deutschland nahm er in einem Bildgedicht die Massenbegeisterung für Hitler bissig aufs Korn. In der letzten Zeile dieses Textes prophezeite er: "Blutige Jahre werden vergehen / Dann wirst Du alles verstehen."

Der Start des "Kuckuck" war im Jahr 1929 fulminant gewesen. Die Zeitung erreichte bereits im ersten Jahr ihres Bestehens eine wöchentliche Auflage von knapp über 50.000 Stück. Damit verkaufte sie mehr als die bekannten bürgerlichen Bilder-Zeitungen, etwa das "Interessante Blatt" oder die "Wiener Bilder". Und dennoch täuschen die Anfangserfolge. Die Sozialdemokratie war um 1930 bereits in der Defensive. In der Folge begann die Auflage des "Kuckuck" kontinuierlich zu sinken.

1932 verkaufte das Blatt nur noch 29.000 Exemplare. 1933 begann die christlichsoziale Regierung Dollfuß ganz offiziell mit der Demontage ihrer politischen Gegner. Im März 1933 wurde das Parlament ausgeschaltet, die Vorzensur für missliebige Zeitungen und Zeitschriften wurde eingeführt. Kämpferisch titelte "Der Kuckuck" noch Anfang April 1933: "Österreich ist eine demokratische Republik . . . und wird es bleiben, trotz alledem!" Ein Irrtum, wie sich zeigen sollte. Der Spielraum für die sozialdemokratische Opposition wurde immer enger.

Bis schließlich im Februar 1934 die sozialdemokratische Partei und ihre Medien ganz verboten wurden. Am 10. Februar 1934 erschien die letzte Nummer des "Kuckuck".

Anton Holzer, geboren 1964, Fotohistoriker, Publizist, Ausstellungskurator und Herausgeber der Zeitschrift "Fotogeschichte". www.anton-holzer.at