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Faszination Bergfotos: Hinauf!

Von Anton Holzer

Reflexionen
Die Bergfotografie kennt auch im 21. Jahrhundert keine Grenzen . . .
© Archiv

Vom beschwerlichen Abenteuer zu einem der beliebtesten Genres im Netz: Zur Geschichte der Alpinfotografie.


Eine Stichprobe ergibt, dass Flickr, das größte Fotonetzwerk der Welt, unter dem Suchbegriff "mountain" über 2,5 Millionen Fotos bereithält. Nur das überaus beliebte Motiv "children" liegt mit 3,3 Millionen noch deutlich davor. Sogar die populären Rubriken Hunde und Katzen (Suchbegriffe "dog" bzw. "cat") rangieren einzeln betrachtet hinter den Bergen.

Klick - und ab ins Netz: Flickr, Facebook, Instagram, Pinterest, Tumblr und andere Plattformen sorgen heute dafür, dass unsere Schnappschüsse in Bruchteilen von Sekunden weltweit zu sehen sind. Warum sind Bergfotos in den sozialen Netzwerken so beliebt? Weil sie kleine Fluchten aus dem Alltag festhalten? Oder weil sie den Schweiß des mühsamen Unterwegseins in wunderschönen Ansichten sublimieren? Oder einfach, weil es heute so leicht ist, in jeder Situation auf den Knopf zu drücken?

Blicken wir zunächst einmal zurück. Früher, ganz früher, war das Fotografieren im Hochgebirge alles andere als einfach. In den späten 1840er und 1850er Jahren, als die ersten Fotografen ins Gebirge stiegen, mussten, um die schwere Fotoausrüstung zu schleppen, Träger mit Maultieren angeheuert werden.

Heute halten ultraleichte Apparate und Handykameras jede beliebige Szene am Berg und in der Wand fest. Die Bergfotografie hat einen langen Weg zurückgelegt, bevor sie im 20. Jahrhundert zum Massenmedium der Knipser und am Beginn des 21. Jahrhunderts zum millionenfachen Liebhabermotiv im Internet geworden ist.

Die ersten Bergfotos

Das erste, erhalten gebliebene Hochgebirgsfoto: Gustave Dardel: Scheuchzerhorn und Thierberg-Gletscher, Berner Alpen, 1849.
© Abb.: Archiv

Als die ersten Aufnahmen von Bergen entstanden, war das Medium Fotografie gerade einmal ein Jahrzehnt alt. Das erste bis heute erhaltene Hochgebirgsfoto entstand 1849 in der Schweiz. Die Ansicht stammt von Jean Gustave Dardel und zeigt das 3462 Meter hohe Scheuchzerhorn und im Vordergrund den Thierberg-Gletscher in den Berner Alpen.

Der Anstoß für diese erste fotografische Unternehmung in den Schweizer Hochalpen ging von Daniel Dollfus-Ausset aus, der im elsässischen Mülhausen eine Fabrik für Farbdrucke auf Textilstoffen führte. Seine Leidenschaft galt seit 1842 der Erforschung der Alpengletscher. Zwischen 1849 und den 1860er Jahren gab der Wissenschafter ein kleines Vermögen für fotografische Expeditionen in die Alpen aus. Er arbeitete mit mehreren Fotografen zusammen, mit Einzelgängern ebenso wie mit großen fotografischen Unternehmen. In seinem Auftrag arbeiteten neben Dardel auch Camille Barnabé aus Lyon, ebenso die bekannte Pariser Société Bisson frères sowie der Fotounternehmer Adolphe Braun aus dem elsässischen Dornach.

Eines der beliebtesten Fotomotive: die Jungfrau, mit 4158 Metern der dritthöchste Berg der Berner Alpen.
© Robert Bressani

Während Dardel und Barnabé kleinformatige Unikate, nämlich Daguerreotypien, herstellten, arbeiteten die Brüder Bisson und auch Braun mit einer neuen Technik, dem sogenannten "Nassen Kollodiumverfahren". Dabei wurden als Trägermaterial Glasplatten verwendet, die vor der Aufnahme händisch mit einer chemischen Lösung beschichtet und lichtempfindlich gemacht wurden. Belichtet wurden sie in nassem Zustand. Die Bilder mussten noch vor Ort fixiert und gewässert werden. Diese Vorgangsweise war besonders im Hochgebirge zeitraubend und oft schwierig. Nicht selten misslangen Aufnahmen, die unter großen Strapazen entstanden waren.

Das Fotografieren im Hochgebirge war, so lautete eine häufig geäußerte Klage der frühen Fotopioniere, immer ein Kampf mit den Tücken der Natur. "Das Mitschleppen des Zeltes, in dessen Dunkel das Silberbad bereitet und das Bild ‚hervorgerufen‘ wird, die Last der Camera und insbesondere des dreifüßigen Stativs sind dabei das Geringste", beschrieb Heinrich Noë im Jahr 1874 die Schwierigkeiten des Fotografierens im Gebirge und klagte insbesondere über "Staub, Insekten und andere kleine Teufeleien, die sich auf die feuchte Collodium-Schichte der Platte stürzen".

Schwere Ausrüstung

Noë hatte im Oktober 1873 den Münchner Fotografen Bernhard Johannes bei dessen gewagter Besteigung der Zugspitze begleitet und im Jahr darauf einen Bericht über das fotografische Bergabenteuer verfasst. "Mit jedem Hundert Meter Erhebung über die Meeresfläche", so heißt es bei ihm weiter, "vermindern sich die Aussichten des Gelingens. Maulthiere oder Träger können an den Werkzeugen etwas verderben; der Wind kann das aufgeschlagene Zelt bedrohen, geeignetes Wasser schwer zu finden sein, im wichtigsten Augenblicke sich Nebel vor das Objectiv legen, die Platten im Kasten können zertrümmert werden - und wie die Störungen, die einer fortgesetzten Reihe von chemischen Experimenten drohen können, alle heißen mögen."

Neben der Natur und den Herausforderungen der Chemie und der Technik setzte den frühen Bergfotografen vor allem eines zu: das Gewicht ihrer Ausrüstung. Zu befördern waren die schwere, großformatige hölzerne Kastenkamera mit Objektiv und Stativ, Glasplatten, Negativkassetten, ein Dunkelkammerzelt, Chemikalien und Wasser. Dazu kamen Zelte für die Unterkunft sowie Verpflegung für die oft mehrtägigen, gelegentlich auch mehrwöchigen Ausflüge, da zunächst noch kaum Hütten und Unterkünfte zur Verfügung standen. Als der Franzose Aimé Civiale 1859 eine Fotoexpedition ins Schweizer Hochgebirge zusammenstellte, benötigte er, um die Last der umfangreichen Ausrüstung transportieren zu können, 25 Träger samt mehreren Maultieren.

Am 24. Juli 1861 erreichte der französische Fotograf Auguste Rosalie Bisson nach zwei gescheiterten Versuchen (August 1859 und Juli 1860) in einer aufsehenerregenden Expedition den Gipfel des Montblanc und brachte aus 4792 Metern Höhe drei belichtete Platten mit.

Das Medienecho auf Bissons Erfolg war gewaltig, er selbst wurde als Held und Eroberer gefeiert. Seine Unternehmungen gaben den Anstoß für eine Reihe weiterer fotografischer Expeditionen in den Alpen. Im Juli 1863 brach der Österreicher Gustav Jägermayer zu einer fotografischen Großglockner-Expedition auf. Im selben Monat unternahm der Turiner Fotograf Alberto Luigi Vialardi die erste italienische Hochgebirgsmission in die Turiner Alpen. Er brachte mehrere Aufnahmen vom 3841 hohen Monviso mit ins Tal.

Die frühen Bergfotos fingen ein existenzielles Drama ein. Sie waren Beweisstücke mutiger Eroberungen und zugleich begehrte Schaustücke für ein bürgerliches Publikum. Dieses konnte sich, quasi im Lehnsessel und in Pantoffeln, mittels Bildern gefahrlos bis in die letzten Extremzonen der Wildnis vorwagen.

Auf die Wissenschafter und Eroberer folgten wenige Jahre später die Touristen. In den 1880er Jahren übernahm eine neue Gruppe von Fotografen die Regie in der Hochgebirgsfotografie: die Amateure. Sie etablierten einen neuen Blick. Mithilfe neuer, industriell vorgefertigter Negative (sogenannten "Trockenplatten") konnte nun jeder technisch halbwegs Begabte fotografieren. Das Fotografieren im Hochgebirge wurde allmählich zum Hobbyunternehmen begüterter Touristen.

Vittorio Sella unterwegs.
© Archiv

Einer der ersten Fotoamateure im Hochgebirge war der in der Schweiz geborene, in Straßburg lebende Jules Beck, der viele Sommer bergsteigend und fotografierend in den Schweizer Bergen verbrachte. Deutlich größer war der geografische Radius des Italieners Vittorio Sella, der in den Alpen, im Kaukasus, in Alaska und im Himalaya fotografierte.

Unter den bergbegeisterten Amateurfotografen waren nun erstmals auch einige (wenige) Frauen. Sie waren, wie die Männer, begütert, hatten viel Freizeit und konnten sich lange Aufenthalte im Gebirge leisten. Eine von ihnen war die Engländerin Elizabeth Main. Sie war Mitbegründerin des "Ladies Alpine Club", Autorin und passionierte Fotografin. Main begann in den 1890er Jahren in der Schweiz zu fotografieren.

Die Fotoindustrie und der Fotohandel reagierten rasch auf diese größer werdende neue Klientel. Die Kameras wurden kleiner und leichter, neues Zubehör wurde entwickelt, eigene Kameratypen für den Einsatz im Hochgebirge kamen auf den Markt. In den 1890er Jahren setzte eine Flut von Anleitungen und Ratgebern ein, die den neuen Boom der Fotoausflügler im gebirgigen Gelände in die "richtigen" Bahnen zu lenken versuchten. Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts verließ die Bergfotografie endgültig die elitäre Nische und wurde zum Massenphänomen.

Nach 1900 setzte sich innerhalb der Bergfotografie ein neues Genre durch: die Kletterfotografie. Die Fotografen rückten nun zwangsläufig näher an den Fels heran, sie wählten oft enge Ausschnitte und zeigten die kletternden Protagonisten häufig in extremen Perspektiven - und nicht selten in Untersicht. Zu den Pionieren, die sich um die Jahrhundertwende der Kletterfotografie zuwandten, gehören George und Ashley Abraham, die um 1890 im englischen Lake District fotografierten. In den Ostalpen fotografierten um und nach 1900 Wilhelm Paulcke aus Freiburg, Fritz Benesch aus Wien, W. Thiel aus Dresden, Josef March aus Brixen, der als einer der Ersten Kletterszenen in den Dolomiten aufnahm, ebenso Emil Terschak in Cortina, die Italiener Ettore Santi aus Turin und Adolfo Hess, der vor dem Ersten Weltkrieg im Montblanc-Gebiet fotografierte.

Der Eiger in den Schweizer Alpen.
© Robert Bressani

Auch Frauen waren unter diesen Pionieren, etwa die Engländerin Lily Bristow, die ebenfalls auf den Montblanc kletterte und fotografierte. In der Kletterfotografie trat an die Stelle des breit angelegten Landschaftsbildes das Detail, die Textur der Oberfläche, Blöcke, Spalten, Risse. Und natürlich der Protagonist, der sich scheinbar mühelos inmitten des steilen, abweisenden Geländes bewegt.

Seit der Zwischenkriegszeit beschleunigte sich die mediale Vermarktung der Erstbesteigungen und vor allem der groß angelegten außereuropäischen Bergexpeditionen. Die großen Expeditionen wurden nun nicht nur von Fotografen, sondern teilweise auch von Filmern begleitet, um die Unternehmungen möglichst umfassend und - insbesondere im Nationalsozialismus - auch propagandistisch ausschlachten zu können (u.a. in Wochenschauen, in der illustrierten Presse, in Postkarten und Fotobüchern).

Distanz zum Gebirge

In die Geschichte der deutschen Bergpropaganda gingen etwa die Aufnahmen von Ludwig Vörg ein, der Ende der 1930er Jahre die legendäre Erstbesteigung der Eiger Nordwand fotografierte. Ebenfalls in den 1930er Jahren begleiteten die Fotografen Ludwig Schmaderer und Peter Aufschnaiter die deutschen Himalaya-Expeditionen.

Einen ästhetisch ganz anderen Weg schlug etwa zeitgleich der Amerikaner Ansel Adams ein, der ab 1942 die amerikanischen Nationalparks fotografierte. Im Unterschied zu den Expeditionsfotos, die die Dramatik und die Steilheit des Geländes inszenierten, hielten Adams’ Aufnahmen Distanz zum Gebirge. Die Berge wurden bei ihm oft in ein monumentales, gelegentlich romantisch gefärbtes Licht getaucht. Er inszenierte in seinen Bildern eine der Zivilisation entrückte amerikanische Paradelandschaft und trug wesentlich zur nationalen Wiederentdeckung der Wildnis in der Nachkriegszeit bei.

Seit den 1950er Jahren gehörte die billige, kleinformatige Kamera in praktisch jeden Bergrucksack. Heute ist die Handykamera an ihre Stelle getreten. Jahrzehntelang landeten Millionen von Bergfotos im Familienalbum, seit etlichen Jahren in den Sozialen Netzwerken und auf Datenplattformen im Netz. Aus diesen massenhaft zirkulierenden Urlaubserinnerungen ist längst jede Pionierstimmung gewichen. Und so ist es kein Wunder, dass sich gegen die Flut der mittelmäßigen Bergbilder Widerstand regt. Einige der bekanntesten Bergfotografen der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit traten und treten explizit gegen diese Welle geknipster Mittelmäßigkeit an. Einige versuchten, dem zu Tode eroberten (und fotografierten) Gelände wieder die Anmutung des Abenteuers zurückzugeben oder es in einem neuen, faszinierenden Licht erscheinen zu lassen.

Professionelle Fotografen wie Bernd Ritschel, Heinz Zak, Peter Mathis, Ruedi Homberger, Jürgen Winkler oder Michael Schnabel knüpfen in ihren Bildern durchaus an die heroische Zeit des Alpinismus an, propagandistische Verklärung oder pathetische Gestik sind ihnen aber fremd. Andere zeitgenössische Lichtbildner, etwa Lois Hechenblaikner, Jules Spinatsch, Gregor Sailer oder Walter Niedermayr dokumentieren mit nüchternem Auge die Verwandlung des Gebirges zum Themenpark und Freizeitspektakel. Während ihre künstlerischen Fotoarbeiten in Galerien und Museen gezeigt werden, erobert die populäre Bergfotografie der Gegenwart immer neue thematische Nischen.

Längst ist an die Stelle des Familienalbums und des altehrwürdigen Bergbildbands das Internet getreten. Aber immer noch werden Bergfotos an die Wohnzimmerwand gehängt. Neben dem traditionellen Bergkalender gibt es neuerdings Bergbilder auch für besondere Zielgruppen. Der "Bikini Boulderers Calendar" etwa zeigt junge, leicht bekleidete Frauen in aufreizenden Kletterposen. Die Bergfotografie kennt auch im 21. Jahrhundert keine Grenzen.

Anton Holzer, geboren 1964 in Südtirol, arbeitet als freiberuflicher Fotografie- und Kulturhistoriker in Wien, Herausgeber der Zeitschrift "Fotogeschichte", Ausstellungskurator und Publizist.