"Ich kann mir nicht vorstellen, anderswo so zu arbeiten wie hier. Es ist die Stille, und vielleicht die wundervolle Landschaft. Eine Landschaft voll ernster Stille", schrieb Ludwig Wittgenstein 1936 an einen Freund, aus Skjolden in Norwegen, aus seinem Häuschen jenseits des Endes des Sognefjordes.

Sein Blick aus dem Fenster schweifte über einen einsamen See unten, fiel dahinter auf ein winziges Dorf und darüber auf fast dauernd schneebedeckte Berge. Nur einmal wöchentlich verließ er sein 7 x 8 Meter großes Refugium, um Lebensmittel zu kaufen, im Sommer rudernd, im Winter auf Skiern über den monatelang zugefrorenen See. Hier konnte Wittgenstein Gedanken zu Papier bringen, die ihn später zu einem der bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts machen sollten.

Idylle mit Seeblick: Wittgensteins "Huset" im norwegischen Skjolden. - © Stadler
Idylle mit Seeblick: Wittgensteins "Huset" im norwegischen Skjolden. - © Stadler

Ludwig Wittgenstein wurde 1889 in die - nach den Rothschilds - vielleicht reichste Familie Österreichs geboren. In der großen Familie führt der Vater Karl, als Stahlfabrikant reich geworden, ein strenges Regiment und verlangt von seinen Söhnen Studium und Erfolg; die ihm fehlende Empathie kann auch die Mutter nicht ersetzen. Als sich der Vater unerwartet von seinen Geschäften zurückzieht, lebt er nur mehr für seine Kunstsammlung und die Musik, im (nicht mehr existierenden) Palais in der heutigen Argentinierstraße in Wien verkehren Gustav Klimt und Johannes Brahms.

Unberührte Natur

1913 stirbt Karl und hinterlässt seinen überlebenden Kindern - zwei Söhne haben Selbstmord begangen, ein dritter wird es 1918 im Felde beim Zusammenbruch tun -, vor allem Ludwig, ein Vermögen. Ludwig scheint der Einzige zu sein, der mit seinem technischen Studium seinen Beruf an dem des Vaters ausrichten will: Als Ludwig Boltzmann 1906 stirbt, wählt er als Studienort die Technische Hochschule in Berlin. Doch die folgenden Praktika befriedigen ihn nicht und er geht nach England, wo er sich mit der neuen Aviatik beschäftigt.

Bald wird er wegen seines brillanten Intellekts in den inneren Kreis der Universität Cambridge aufgenommen. Bertrand Russell, George Moore und John Maynard Keynes, Alan Turing (er konnte später den "Enigma Code" der deutschen Wehrmacht brechen) zählen zu seinen Mitdiskutanten - wobei Wittgenstein stets das letzte Wort haben möchte.

In einem Geheimverein, der "Cambridge Conversazione Society", wird die wahre Welt gesehen. Man lebt libertinär (wobei Frauen eine Nebenrolle spielen), und Wittgenstein führt das Dasein eines reichen jungen Mannes aus gutem Haus. Doch es befriedigt ihn nicht, er kann inmitten der gesellschaftlichen und universitären Verpflichtungen seine Gedanken nicht in ein organisches Ganzes zusammenfügen - was später das Hauptziel seines "Tractatus logico-philosophicus" werden sollte.