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Nationalgut französischer Wein

Von Ingeborg Waldinger

Reflexionen

Der Rebensaft ist im kollektiven Bewusstsein der Franzosen tief verankert, er stiftet Identität: Ein zentraler Wirtschaftsfaktor mit starkem Symbolwert.


Der Rebstock - eine ergiebige Metapher für die Verwurzelung eines Volkes.
© Robert Bressani

"Great" ist in Amerika mehr als ein superlativistisches Beiwort: es ist Ausdruck einer Mentalität des unzögerlichen Werturteils. Ein Paradewort also für Donald Trump, der die Welt jüngst mit der Aussage betwitterte: "The American wines are great". Gewiss, die USA produzieren mittlerweile wirklich guten Rebensaft. Allerdings war Trumps Tweet keine Wortspende zu irgendeinem nationalen Weinevent, sondern Teil einer transatlantischen Drohbotschaft: Amerikanischer Wein sei nicht nur gut, er sei besser als der französische; das habe er, Trump, schon immer gewusst, auch wenn er selbst keinen Wein trinke. Touché!

Das Ganze hat eine Vorgeschichte: Frankreich hat vor einem Monat die sogenannte "taxe GAFA" (GAFA für Google, Amazon, Facebook, Apple) beschlossen, eine Steuer auf digitale Umsätze. Und diese trifft nun einmal vorwiegend "the great American technology companies" (Trump), mag Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire auch noch so betonen, dass die Maßnahme alle Internet-Unternehmen ab 25 Millionen Euro Umsatz in Frankreich betreffe, einerlei, welcher Nationalität sie seien. Und Le Maire griff in seiner Argumentation zu einem breitenwirksamen Vergleich: Internetgiganten lieferten in Frankreich weniger Steuern ab als eine Großbäckerei; damit habe er ein Problem.

Angedrohte Strafzölle

Trump wiederum zieh die Grande Nation ob dieses Alleingangs der "Dummheit" - und twitterte weiter: Er werde französische Weine mit Strafzöllen belegen (Ähnliches hatte er schon im Vorjahr angekündigt - damals, weil er Frankreichs Importzölle für amerikanische Weine zu hoch fand). Nichtweintrinker Donald Trump hat übrigens 2011 selbst ein "riesiges Weingut" in Virginia erworben, wie "Die Welt" kürzlich berichtete; inzwischen sei die Trump Winery im Besitz seines Sohnes Eric.

Zwei Spitzen also richtet der amerikanische Präsident gegen die altehrwürdige Weinnation Frankreich - zum einen die Des-avouierung ihres weltberühmten Kulturgutes, zum anderen eine schmerzliche fiskalische Strafmaßnahme. Denn die USA sind der größte Abnehmer für Weine und Spirituosen aus Frankreich. Im Jahr 2018 erzielten französische Winzer auf diesem Exportmarkt gut drei Milliarden Euro Umsatz. Es herrscht also Handelskrieg zwischen den USA und Frankreich - bzw. den USA und der EU. Denn Trump schwingt seine Zollklinge auch in Richtung europäische Auto-, Luftfahrt- und Lebensmittelindustrie. Ob die jüngsten Zugeständnisse der EU - Importerhöhung für das "great American beef" (©Trump) die Lage entschärfen werden, darf bezweifelt werden.

Der handelspolitische Schlagabtausch ist das eine, der kulturelle Affront das andere. "Donald Trump hätte vom Käse sprechen können, ab es stimmt, der Wein ist ein starkes Bild von Frankreich", erklärte Benoît Roumet, Direktor des Bureau interprofessionnel des vins du Centre (Weinverband) vor Kurzem gegenüber dem Sender Europe 1. Und Trump weiß natürlich um dieses symbolische Gewicht.

Bewahrende Kraft, Medium der Erinnerung:alter Wein konserviert Zeit und Tradition.
© Robert Bressani

Zwar hat Wein in Frankreich keinen offiziellen Emblemcharakter: im Unterschied zu Trikolore, Phrygiermütze, Hahn oder Lo-thringerkreuz finden Weinlaub, Rebe oder Weinkelch in der (offiziellen) nationalen Ikonographie keinen Niederschlag. Als "mythisches" Produkt aber, vergleichbar mit Baguette, Käse oder Baskenmütze, zählt er sehr wohl zu den prägenden "Bildern" dieses Landes. Der Rebensaft ist nicht nur ein Kulturgut mit langer Geschichte (wie in anderen Weinnationen auch), er stiftet Identität. Das hat u.a. mit dem Prinzip des "Terroir" zu tun, also der geografischen Typik der Rebe, von der Kelterkunst ganz abgesehen. Darüberhinaus eignet dem Wein eine bewahrende Kraft: er speichert die Biologie der Rebe - und die Tradition; er konserviert die Zeit.

Tradition, Kontinuität und Perfektion sind denn auch die Fundamente der großen châteaux, deren Weine durch Finesse und Langlebigkeit bestechen. Ein Leitbild, das ihren Weltruhm begründete, und das nun herausgefordert wird - von einer neuen Marktphilosophie, die nicht das unverwechselbare Terroir in den Fokus rückt, sondern die Rebsorte. Im Wandel begriffen ist auch der Weinkonsum. Das alles ändert freilich nichts an dem Umstand, dass die Franzosen eine so fachkundige wie ritualisierte Beziehung zu diesem Kulturgut haben.

Ritualisierte Beziehung

Als die von den Vätern der Annales-Schule, Lucien Febvre und Marc Bloch, begründete "Nouvelle Histoire" die traditionelle Geschichtswissenschaft öffnete, rückten die Prozesse des Alltags, die Geschichte der Massen ins Blickfeld. Fächerübergreifend, und anhand zuvor wenig beachteter Quellen (mündliche Überlieferungen, Gebrauchstexte und -bilder, Traditionen) ergründeten die neuen Geschichtsschreiber die Mentalität der französischen Zivilisation, erstellten eine Landkarte der besonderen Art: "Die Orte der Erinnerung". Gemeint sind Orte im Sinne von loci und Topoi, auf welchen die nationale Identität beruht. Dies schließt erhabene Stätten der Geschichte ebenso mit ein wie alltägliche Manifestationen des Zusammenlebens.

Sohin auch Riten und Sitten rund um den Wein. Dass dieser im kollektiven Bewusstsein der Franzosen einen besonderen Rang einnimmt, schrieb auch schon Nationalhistoriker Jules Michelet fest. Er verfasste eine Abhandlung über den Wein und den französischen Geist, "Le vin et l’esprit français".

Guten Wein zu schätzen hat die Bedeutung einer nationalen Referenz, ist Teil des Savoir-vivre. Der Soziologe und "Zeichendeuter" Roland Barthes attestierte seinen Landsleuten in der 1957 erschienenen Studie "Mythen des Alltags" gleichsam eine parareligiöse Verbundenheit mit ihrem Wein. Der Rebensaft habe für sie ähnlichtotemistischen Charakter ("Boisson- Totem") wie der Tee für die Royals. Ein Nationalgut mit Fetisch-Charakter, eine Glaubenssache. Die Kunst des Trinkens sei eine nationale Technik und gelte als Ausweis der Soziabilität.

Im Wein liegen viele Wahrheiten - und Symbole sind in ihrer Deutbarkeit bekanntermaßen elastisch. So eignet dieses hehre Medium der Erinnerung auch als Träger politischer - insbesondere nationalistischer - Inhalte. Das Bild der "schollengebundenen" Rebe, welche Jahr um Jahr den feurigen Lebenssaft hervorbringt, erweist sich als ideologisch ergiebige Metapher für Herkunft, Vitalkraft oder Kontinuität eines Volkes.

Dieses kollektive Gut gilt es zu verteidigen wie die "Patrie" selbst. Ein Beispiel hiefür liefert der im 19. Jahrhundert entflammte deutsch-französische "Dichterkrieg" um die "rheinische Frage". Die wechselnde nationale Zugehörigkeit des Rheinlandes inspirierte beide Ufer zu ideologieschwerer Weinmetaphorik.

Nikolaus Becker schrieb die Verse "Sie sollen ihn nicht haben, / Den freien deutschen Rhein / So lang sich Herzen laben / An seinem Feuerwein". Die Antwort vom andern Rheinufer ließ nicht auf sich warten. Alfred de Musset erwiderte: "Wir haben ihn gehabt, den deutschen Rhein. /Habt ihr das Weltgeschehn vergessen, / So dachten eure Jüngferlein / Um so viel mehr an uns indessen. / Sie füllten uns den Krug mit eurem kleinen Wein".

Nationale Symbole bieten emotionalen Halt. Allein, der Lauf der Geschichte kann diesen Nimbus beschädigen, sie als "Genre" diskreditieren. So fühlte sich Michel Pastoureau im Vorwort seines Werkes "Die Embleme Frankreichs" (Les emblèmes de la France, Paris 1998) zur folgenden Rechtfertigung bemüßigt: Nur weil man sich als französischer Historiker mit den Emblemen Frankreichs befasse, sei man nicht zwangsläufig ein Nationalist. Inzwischen ist viel Wasser die Seine hinuntergelaufen - und die Würdigung nationaler Symbole wieder salonfähig.

Anti-Wein-Kampagne

Begreift eine Nation den landeseigenen Wein als Lebensnerv und Identifikationssymbol, lässt sich dieser umgekehrt gut als Zielscheibe politischer Angriffe instrumentalisieren. Und diese beschränken sich beileibe nicht auf nationalistische Kampfpoesie. Als weitaus wirksamer erweisen sich wirtschaftliche Druckmittel. So verlangte etwa England im Jahr 1995 von Frankreich die Einstellung der Nukleartests und rief zum Boykott französischer Weine auf. Nächstes Beispiel: Als Frankreich seine Teilnahme am Irak-Krieg verweigerte, boykottierten britische und amerikanische Weinliebhaber französischen Rebensaft. - So weit ist Trump noch nicht.

Bliebe die Frage: Hat der französische Wein auch "Feinde" im eigenen Land? Nun, da wäre vor allem die Loi Evin aus dem Jahr 1991. Das Gesetz schränkt die Werbung für alkoholische Getränke massiv ein. Die französische Weinwirtschaft wetterte gegen die "branchenschädigende" Reglementierung, den Gesundheitsverbänden wiederum ging sie nicht weit genug. Dann lancierte die Regierung Raffarin auch noch eine breite Anzeigenkampagne, um vor den Folgen des Weinkonsums zu warnen. Aber weil Frankreichs Winzer unter dem internationalen Konkurrenzdruck lautstark stöhnten, machte dieselbe Regierung Millionen zur Stützung dieses zentralen Wirtschaftssektors frei. Und lockerte die "Loi Evin" ein wenig. Französischer Wein ist eben nicht einfach Alkohol, und schon gar keine Droge. Mit der Diabolisierung dieses Kulturerbes ist im Land der Gallier nun einmal kein Staat zu machen.

Ingeborg Waldinger, geboren 1956, Romanistin und Germanistin, ist Redakteurin im "extra" der "Wiener Zeitung" und literarische Übersetzerin.