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Gregor Eisenhauer weiß, wie man sich richtig fürchtet

Von Peter Jungwirth

Reflexionen
Spezialist für Krisen des Alltags: Gregor Eisenhauer.
© Ullstein Bild/Schleyer

Der Berliner Autor hat ein Buch über die Angst - und seine eigenen Ängste - geschrieben, auf so mutige wie paradoxe Weise.


Es klingt paradox. Da stellt sich ein Autor zuerst als Mensch voller Ängste vor, ja mehr noch, als Angsthase in fast allen Belangen. Dann schreibt er dennoch ein Buch mit dem ganz unverschämt vielversprechenden Titel "Wie wir die Angst vor der Angst verlieren - Furchtlos in 7 Tagen", in dem er, seriös wirkend, und gleichzeitig erfrischend ironisch, von seiner eigenen, einwöchigen Express-Konfrontationstherapie berichtet. Und am Schluss gesteht der Autor, den man sich also durchaus als Schelm vorstellen darf, wenn auch als einen mit guten Absichten, dass er seine, ihn während dieser sieben Tage - und durch viele aufschlussreiche, pointierte Dialoge - begleitende Angsttherapeutin, Frau Bürstner, nur erfunden hat.

Und, scheinbar schlimmer noch, er gesteht zuletzt auch den Fortbestand der Angst ein - und zwar in alle Ewigkeit: "Die Angst war immer da. Die Angst wird immer da sein" -, womit er, wenn man die ganze Sache ausreichend unklug betrachtet, als Autor eines Ratgebers für das extrem heikle Thema Angstbewältigung eigentlich einen saftigen Bauchfleck hingelegt hat.

Wenn man sich von dieser Unverfrorenheit aber nicht irritieren lässt, sondern stattdessen dieses kluge, auf Anhieb schwer auszulotende Buch noch einmal aufmerksam liest, dann kommt man zu einer völlig anderen Ansicht. Nämlich jener, dass diese fiktive Angsttherapie ein reales Wunder bewirkt hat. Weil in der jüngeren Vergangenheit kaum jemand ein mutigeres Buch über das Thema Angst geschrieben hat.

Obwohl vieles früher schamhaft Verschwiegene mittlerweile nahezu problemlos beredet werden kann, wie etwa das Sexuelle, ist es auch heute noch riskant, coram publico eine aufrichtige Inventur all seiner Ängste vorzunehmen. Jedenfalls dann, wenn zeitgenössische Tabuthemen dabei nicht nur flüchtig erwähnt, sondern frontal angesprochen werden: "Der öffentliche Raum ist ein Raum der Angst geworden, nur kann ich mit niemandem darüber reden, weil alle so tun, als wäre es nicht so schlimm. Für mich ist es schlimm. Die Angst ist mittlerweile mein ständiger Begleiter, wenn ich in der Stadt unterwegs bin."

Und es ist geradezu verwegen, wenn jemand nach einem derartigen Geständnis es wagt, auch noch konkrete Gründe für seine Empfindungen zu nennen, bevor er - gerade noch rechtzeitig, um einem Shitstorm zu entkommen - mit den Worten "Das sind übertriebene Ängste" daran erinnert, dass er als Missionar der Aufklärung unterwegs ist. Denn genau das ist Gregor Eisenhauer.

Einfach wegschauen, wenn es irgendwo ein größeres Problem gibt, ist für den in Berlin lebenden Autor keine Option. Im Gegenteil. Je größer das Problem, desto stärker scheint für Eisenhauer der Reiz zu sein, sich damit zu beschäftigen. Und zwar bei Bedarf an vorderster Front. Im Notfall auch im Alleingang. Aber nie ohne Vernunft.

Drei Ratgeber, thematisch eng miteinander verwandt und stilistisch zum Verwechseln ähnlich, sind so entstanden, und zum besseren Verständnis, von welch anachronistischer und tiefgründiger Art die Empfehlungen sind, die Eisenhauer jetzt in seinem Buch über die Angst versammelt hat, lohnt ein Blick in die beiden vorangegangen Bücher.

Den Auftakt der Trilogie bildete 2014 "Die zehn wichtigsten Fragen des Lebens - in aller Kürze beantwortet". (Siehe Besprechung in der "Wiener Zeitung" dazu.)  Der großspurige Titel führt in die Irre. Das Buch enthält nämlich keine Ratschläge, wie man möglichst rasch reich oder berühmt wird. Im Gegenteil. Es rät ganz entschieden zu Bescheidenheit und Demut. Warum?

Eisenhauer schreibt im "Brotberuf" Nachrufe. Sein Blick auf das Leben vieler Verstorbener, die für ihre Freiheit und Karriere auf alle Bindungen verzichtet hatten und die dann vor ihrem Tod verzweifelt feststellen mussten, dass in der größten Not niemand da ist, der sie tröstet, hatte ihn überzeugt: Was im Leben letztlich wirklich zählt, ist die Freundschaft zu anderen Menschen - und auch die Freundschaft zu sich selbst.

2016 erschien "Wie wir alt werden ohne zu Altern - 7 Ideen gegen die Verholzung des Denkens". (Rezension in "WZ") Wiederum versprach der Titel zu viel. Denn Eisenhauers Rat ist nicht dafür gedacht, das biologische, sondern das geistige Altern zu stoppen - und die unausweichlichen körperlichen Einschränkungen mit geistiger Weiterentwicklung zu kompensieren. Und das ist sein Programm: Bücher lesen, statt sich mit Pillen zu sedieren. Dankbar für geschenkte Lebensjahre sein, statt über Gebrechlichkeit zu jammern.

Gregor Eisenhauer ist kein Autor, der Lesern das eigene Denken ersparen will. Er zwingt sie vielmehr dazu. Und er zwingt sie auch zu ständigem Zweifel. Seine Sätze sind keine Sänften, die Leser zu Gewissheiten tragen. Sie sind eher wie ein überraschender Schwall Eiswasser ins Gesicht.

"Ich habe Angst. Seit ich denken kann. Angst vor der Dunkelheit, vor dem Erwachsenwerden, vor dem Altwerden, vor dem Dickwerden, vor dem Tod. Angst vor der Liebe, vor dem Hass, vor dem Neid, vor den Grillpartys meiner Nachbarn, vor dem Besuch alter Schulfreunde, vor der Zukunft, vor der Vergangenheit, vor den engen Kurven im Parkhaus."

Illusion Autonomie

Mit diesem eruptiven Geständnis beginnt Eisenhauers jüngstes Buch. Als Leser gerät man in-stinktiv in Panik, einer derart ausufernden und aufdringlichen Beichte nicht lange genug folgen zu können, um bis zu brauchbarem Rat vorzudringen. Das weiß natürlich auch Eisenhauer, darum grenzt er sein ungeheuer großes Thema rasch ein: "Dieses Buch handelt nicht von den großen Krisen: Finanzkrise, Klimakrise, Hungerkrise, Glaubenskrise, Eurokrise, es handelt von den Krisen des Alltags."

Da kommt kurz Erleichterung auf. Aber nicht lange. Denn auch schon eine Angst alleine, nämlich die vor ungewollter Einsamkeit, erweist sich, weil sie aus einer verhängnisvollen Kaskade anderer Ängste resultiert, bald als so unüberschaubares Problemfeld, dass man mehr als ein Buch darüber schreiben müsste. Und, ja, ziemlich genau das hat Gregor Eisenhauer auch getan. Und zwar mit entwaffnender Offenheit einerseits, denn der ungewollt Einsame in seinem jüngsten Buch ist am Ende er selbst. Aber vor allem, wie immer, elegant, profund und mit großer Umsicht.

Denn statt lang und breit über ein Schicksal zu klagen, das jede und jeden jederzeit treffen kann, geht Eisenhauer zuerst einmal einen weiten Weg zurück, in seine eigene und ganz generell in die Phase der Kindheit. Und er erinnert an jenes unsichtbare, aber dennoch tragfähige Netzwerk aus Behelfsbrücken, über das jeder in eine Trost spendende Gesellschaft eintreten kann: "Jedes dritte Kind, so schätzen Experten, hat eine Freundschaft, die nur in der Fantasie existiert."

Bei Erwachsenen, vermutet Eisenhauer, "wird die Zahl kaum niedriger sein". Warum? Weil wir Menschen zwar einerseits hoffen, alle Probleme allein meistern zu können, andererseits "genau wissen, dass es ohne Beistand nicht geht. Wir sind auf andere angewiesen. Vom ersten Tag unseres Lebens an. Autonomie ist eine Illusion".

Pu der Bär, obwohl nach seiner eigener Einschätzung nur "von geringem Verstand", weiß das. Und ist sich auch der Konsequenzen bewusst: "Ein Tag ohne einen Freund ist wie ein Topf, ohne einen einzigen Tropfen Honig darin". Erstaunlich viele Menschen, so Eisenhauer, verdrängen dieses Wissen. Sie glauben, auch ohne Freunde gut auszukommen. "Ihnen genügen Kollegen, Nachbarn, Bekannte oder Familienangehörige."

Doch da beginnt das Problem. Weil mangels Freunden auch aus kleinen Krisen des Alltags größere persönliche Katastrophen werden (können). Nicht nur in Berlin, jener Stadt, die zwar einen Bären im Wappen trägt, aber in der vorwiegend Nachteulen leben. Gregor Eisenhauer lebt in Berlin. Manche Ängste, die er empfindet, zum Beispiel in der U-Bahn, könnte er in Kleinstädten nicht empfinden, weil es dort keine U-Bahn gibt. Ähnliche Ängste aber schon. Denn die biologischen Grundlagen für Ängste sind älter als die Idee der Stadt. Und dunkle Räume unter der Erdoberfläche, die in-stinktiv Ängste hervorrufen, gab es immer schon. Auch in jedem Dorf. Ein Rückblick in seine eigene Kindheit, in der Eisenhauer vor allem eine Angst hatte, nämlich auf dem Bauernhof seiner Großeltern zum Mostholen alleine in den dunklen Keller geschickt zu werden, erinnert (ihn) daran.

Eisenhauer wirft noch einen weiter reichenden Blick zurück - bis hin zur Herkunft des Menschen vom Tier. Denn Ängste sind zum Überleben unverzichtbar. Nicht nur in freier Wildbahn. Die Aussage "Die Angst war immer da. Die Angst wird immer da sein" ist also keine Kapitulation, sondern die Feststellung einer Tatsache, die unter aufgeklärten Menschen für keinen Streit sorgen sollte. Warum wird dann dennoch darüber gestritten, und zwar gefühlt überall und dauernd, und zudem auch sehr heftig?

Kapazität Kafka

Zu den Vorzügen von Gregor Eisenhauer zählt, dass er sich mit dieser Frage keine Sekunde lang beschäftigt. Statt sich also in die Niederungen des Politischen zu begeben, beschränkt er sich darauf, auf seine ihm eigene Art einschlägige Aufklärung zu betreiben. Das sieht dann so aus, dass er den literarischen Experten für Angst schlechthin, also Franz Kafka, herbeizitiert - und nicht nur über dessen Werk, sondern auch über dessen tragisches Leben reflektiert. Vom sprechenden Affen Rotpeter, über Gregor Samsas Verwandlung in einen Käfer, bis zu Kafkas eigener Metamorphose von einem Schriftsteller zu einem Liebenden, spannt Eisenhauer den Bogen - und schießt mit einem an Kafka gerichteten Brief einen Vogel ab.

Diese brillante Pointe rundet ein Gesamtbild ab, das zwar durch tollkühne Extravaganzen zuweilen verstört, gerade deswegen aber letztlich überzeugt. Neben Kafka sorgen noch andere einschlägige Kapazitäten, darunter der Philosoph Sören Kierkegaard und der Psychologe Daniel Kahneman, dafür, dass der Leser, sofern er den Mut zur Lektüre von Eisenhauers Buch aufbringt, das "Fürchten richtig lernt" - genau so nämlich, dass man begründete Ängste nie bagatellisiert, aber auch nicht übertreibt. Eine hohe Kunst, die das Leben ganz ungemein erleichtert. Eine so heikle Balance indes, dass sie kaum jemand beherrscht.

Gregor Eisenhauer
Wie wir die Angst vor der Angst verlieren
Furchtlos in 7 Tagen. Dumont, Köln 2019, 299 Seiten, 20,60 Euro.