Prozessionen stapfen hinauf bis ans Ende der Eismeere, in Schwarz gekleidet, trauernd, klagend - damals wie heute. Wie sich die Bilder gleichen, obwohl sie für Gegensätzliches stehen. Was sie verbindet, ist die Sorge um das ewige Eis.

1652: Die Kirchenglocken der Gemeinde Fieschertal im Schweizer Kanton Wallis riefen die Gläubigen zu einer Gletscherprozes- sion, um dem vorstoßenden Fieschergletscher Einhalt zu gebieten. Zuvor hatten sie mit dem gleichen Ziel ein Gelübde zur Tugendhaftigkeit abgelegt.

In Trauerkleidung

Ein Jahr später wird eine gletscherbannende Prozession zum Großen Aletschgletscher pilgern. Gletscherkreuze zum Schutz vor einer "Verheerung des Thales" wurden errichtet, da wie dort und an anderen Eisabbrüchen entlang des Alpenbogens. Typische Schlachtaufstellung im jahrhundertelangen Stellungskrieg zwischen göttlichem Segen und Naturgewalt mit sich stark veränderndem Frontverlauf und Gebietsgewinnen für die nicht enden wollenden Gletscheroffensiven.

2019: "Trauerkleidung erwünscht", stand auf der Einladung zur Trauerfeier für den Pizol-Gletscher. Einen Monat nach der demonstrativen Abschiedszeremonie für den offiziell für tot erklärten Gletscher Okjökull in Island trauerten 250 Schweizer im September dieses Jahres bei einer Wanderung zu den letzten Resten des Gletschers im Kanton St. Gallen, der in den vergangenen Jahren so stark geschrumpft ist, dass er heuer zum letzten Mal vermessen wurde.

Bei der Trauerfeier sprachen ein Glaziologe und ein Pfarrer. Sie geißelten den am Eisschwund schuldigen Klimawandel und forderten radikale Schritte, um den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase zu reduzieren. Bei der Totenfeier für den isländischen Okjökull war eine Tafel mit der Überschrift "Ein Brief an die Zukunft" enthüllt worden. Darauf stand zu lesen: "In den nächsten 200 Jahren ist zu erwarten, dass alle unsere wichtigsten Gletscher den gleichen Weg gehen. Diese Gedenktafel dient dazu, anzuerkennen, dass wir wissen, was vor sich geht und was zu tun ist."

Anselm de Mas, Porträt Friedrich Simony, 1890, Autotypie. - © Oberösterreichisches Landesmuseum
Anselm de Mas, Porträt Friedrich Simony, 1890, Autotypie. - © Oberösterreichisches Landesmuseum

Einer der Ersten, der maßgeblich dazu beitrug, dass wir wissen, was in und mit den Gletschern vor sich geht, war Friedrich Simony. "Von wunderbarer Klarheit" heißt die laufende Ausstellung im Wiener Photoinstitut Bonartes, die Simonys Gletscherfotografien aus den Jahren 1875 bis 1891 zeigt. Allesamt alte Zeichnungen und Aufnahmen, die aufgrund des gegenwärtigen Gletschersterbens jedoch aktueller sind denn je und in "wunderbarer Klarheit" - ein Ausdruck, den Simony für die Gipfelaussicht des Hohen Dachsteins prägte - die seit 150 Jahren andauernde Eismeer-Ebbe zeigen.