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Krone richten, weitergehen!

Von Judith Belfkih

Reflexionen

Steht das Modell Monarchie vor dem Aus? Mitnichten. Nicht nur den Briten bietet es gegenwärtig mehr Vor- als Nachteile.


Während der Rest der Welt - allen voran britische Medien - sich in aufgeregten Spekulationen verliert, hatte der angekündigte Rückzug der beiden britischen Royals an einem Ort bereits Konsequenzen: bei Madame Tussauds. Das traditionsreiche Wachsfigurenkabinett in London hat nach der Ankündigung von Prinz Harry und seiner Frau Meghan, sich aus der ersten royalen Reihe zurückzuziehen und künftig finanziell auf eigenen Beinen stehen zu wollen, reagiert und die Figuren des Herzogs und der Herzogin von Sussex von der königlichen Kernfamilie rund um Queen Elizabeth II weggerückt.

Es ist mehr als eine räumliche Lücke, die dieser Schritt hinterlässt. Sie steht für die Ratlosigkeit, die der Austritt aus dem sonst so eingeschworenen Königsklan auslöst. Es geht bei der Entscheidung der beiden darum, die Rolle der (westlichen repräsentativen) Monarchie im 21. Jahrhundert neu auszuloten - darüber sind sich wohl sogar Queen und Boulevard einig. Auch wenn beide alles andere als amused zu sein scheinen.

Wir haben eure prunkvolle Märchen-Hochzeit bezahlt und euer Anwesen mit sehr viel Steuergeld renoviert - damit haben wir uns das Recht erkauft, uns nach Lust und Laune über euch das Maul zu zerreißen. Vor allem, wenn ihr uns nicht in dem Maße an eurem Leben teilhaben lasst, in dem wir das wünschen. Die nicht gerade zimperliche britische Presse brachte diese Argumentation zuletzt in Variationen immer wieder vor - und damit so etwas wie einen ungeschriebenen Vertrag zwischen Volk und Königsfamilie zur Sprache. Das Volk leistet sich eine Monarchenfamilie, um sich an ihr zu ergötzen. Als verehrungswürdige Hoffnungsträger oder verachtenswert niederträchtige Luxusgeschöpfe: Die Palette ist breit. So dienen gerade die Jungfamilien wie William und Kate mit ihren Kindern als perfekte Abziehfolie des im Niedergang befindlichen Familien-Idylls, zeigen die royalen Scheidungen, dass man Liebe nicht kaufen kann, und prominente Schicksalsschläge, dass der sprichwörtliche Hobel alle gleich macht. Der Hof selbst mit seinem Prunk und Protokoll liefert eine tief in Traditionen verwurzelte Verlässlichkeit und Kontinuität. Gerade im durch den Brexit geschüttelten Großbritannien zeigte sich Letzteres als Stabilitätsfaktor von unschätzbarem nationalen Wert.

Trost und Erquickung

Menschen finden Trost und Erquickung an royalen Figuren und Biografien. Sie sind ihnen das eigene Leben durch banale Parallelen aufwertende Identifikationsfiguren. Ihren Gegnern dienen sie als ebenso konstantes Feindbild. Auch Ablehnung schafft letztlich Identität. Zudem gibt der Monarch einer Nation ein Gesicht - meist auch ein Herz. Im imperialen Glanz der Krone lässt es sich auch als Volk herrlich sonnen - auch in einem Nationalstolz jenseits von populistischem Nationalismus.

Der Monarch als von Gott eingesetzter Herrscher, dessen Legitimation und Macht nicht zu hinterfragen sind, er gehört in Europa der mitunter verklärten Geschichte an. Die realen Staatsgeschicke führen längst gewählte Regierungen, die Aufgabe der Monarchen beschränkt sich auf das Repräsentieren - und Wohltätigkeitsarbeit. Teil einer europäischen Königsfamilie zu sein, ist schon beinahe so etwas wie ein Beruf geworden mit prallen Terminkalendern und entsprechendem Zahltag. Monarchen stehen in Zeiten von Effizienzstreben und Wirtschaftlichkeit längst unter dem Beweisdruck, ihrer Nation mehr zu nutzen als Kosten zu verursachen - geschweige denn, Schaden anzurichten. Die teils glühende Anhängerschaft der modernen Monarchien von Spanien über Holland bis Norwegen zeigt, dass dies den Königshäusern recht gut gelingt. Zur Disposition steht keines der Herrscherhäuser.

Die realen Zahlen lassen sich nur schwer vergleichen, legen jedoch nahe, dass eine Präsidentin oder ein Präsident und der Erhalt entsprechender Räumlichkeiten zumindest ähnlich hohe Kosten verursacht wie ein Königshaus. Die Umwegrentabilität durch royalen Tourismus, bedruckte Kaffeehäferl und Regenschirme oder den Verkauf von TV-Rechten an glanzvollen Hochzeiten sind da noch gar nicht mitgerechnet.

Die Kontinuität und Tradition des Modells Monarchie sind aber nicht nur deren Trumpf, sondern zugleich ihr größter Nachteil: Ist eine Nation nicht einverstanden mit ihrem Königshaus, kann sie sich nicht einfach ein neues aussuchen. Selbst die Wartezeit bis zur Ablöse einer einzelnen Königin - auch das zeigen die Briten eindrucksvoll - kann mitunter etwas länger dauern als die bis zur Wahl einer neuen Präsidentin. Ein Argument, das so gut wie alle der Vorzüge der Monarchie verblassen lässt.

Das Rollenbild des Monarchen ist mit jeder Generation einem Wandel unterworfen, im Medienzeitalter noch rasanter. In der antiken Erfolgsformel, dem Volk Brot und Spiele zu bieten, diktiert längst die Masse, wie diese Unterhaltung auszusehen hat. Hübsch auszusehen und zu lächeln genügt da längst nicht mehr. Auch die Funktion als rein moralisches Aushängeschild, das sich auf und mit Steuerkosten wohltätig zeigt, eine Symbolfigur also, mit der eine Nation sich ein integres Feigenblatt umbinden kann, reicht nicht mehr. Ohne einen eigenen Instagram-Account geht da kaum noch etwas.

Beobachtung und Hetze

Was dem Volk mehr an Futter liefert, bietet den königlichen Personen jedoch kaum Vorteile. Ein beinahe gläsernes Leben ohne Privatheit - damit können nicht alle umgehen, auch wenn den meisten Königshäusern gelingt, hier klare Grenzen abzustecken. Wie gefährlich diese ständige mediale Beobachtung werden kann, wenn sie zur brutalen Hetzjagd wird, davon wissen die Prinzen William und Harry nicht erst seit dem Tod ihrer Mutter Diana zu berichten.

Das britische Königshaus wird einen Weg finden, um diesen (überfälligen) Wandlungsprozess konstruktiv umzusetzen. Was er über das Verhältnis von Herscherhaus und Volk aussagt? Er zeigt eine eigenartige Umkehr. In der Vergangenheit waren es Kriege oder das revoltierende Volk selbst, die Monarchien zu Fall gebracht haben, weil Herrscher sich vermeintlich nicht an die Spielregeln gehalten oder über die Stränge geschlagen haben. Dass Monarchen selbst diesen Pakt von Geben und Nehmen auflösen wollen, weil das Volk - genauer gesagt die Medien - Grenzen überschritten und sie vergrault haben, ist in dieser Form neu.

Doch Harry und Meghan haben ihre Rechnung ohne das britische Volk gemacht. Bei aller privater Sympathie, die die Briten dem jungen Paar auf der Flucht vor der Öffentlichkeit entgegenbringen: Ein Entkommen aus der royalen Falle ist eine schiere Unmöglichkeit. Oder wie es ein Kommentator des "Spectator" zuspitzte: "Der einzige schnelle Weg aus einer royalen Familie ist die Guillotine."