Vor gut einem Jahrhundert ist ein Mann gegen die Zeitungen angetreten, hat ihre Gesinnung und Korruption, ihren Chauvinismus und - hinter und über allem - ihre Sprache bloßgestellt. Den Kampf gegen sie hat er seinerseits in einem Medium in aller Öffentlichkeit geführt. Heute ist Medienkritik nicht minder nötig, und unter denen, die sie betreiben, hat sich im angelsächsischen Raum ein Vorbild etabliert, ein Mann in der Öffentlichkeit, der ähnlich zielgerichtet - und ebenfalls sozusagen von innen - die "vierte Macht" angegriffen hat, wo es am meisten wehtut.
Geistesverwandte
Karl Kraus mit Jon Stewart zu vergleichen, mag gewagt klingen. Zu groß scheinen die Unterschiede zwischen dem autokratischen Herausgeber und praktisch einzigem Autor der "Fackel" und dem Gastgeber einer als Comedy Talkshow titulierten US-Fernsehsendung vor Publikum im Studio, an der ein Team von dutzenden Mitarbeitern arbeitete. Die beiden sind durch viele Jahrzehnte und einen Ozean getrennt, sie hatten es auch mit völlig anderen Medienlandschaften zu tun.
Kraus in Wien stellte sich in den "Letzten Tagen der Menschheit" als "Nörgler" dar, er war seinen publizistischen und sonstigen Zeitgenossen in aktiver Abneigung verbunden ("Nicht grüßen genügt nicht. Man grüßt ja auch Leute nicht, die man nicht kennt"). Stewart in New York hingegen genoss seine Auftritte. Fernsehkollegen aus seiner "Daily Show", die er bis 2015 moderierte und die ihn zum Star gemacht hat, sind selber zu Showgrößen und kritischen Beobachtern der Medien geworden, unter ihnen Stephen Colbert, John Oliver, Samantha Bee und Trevor Noah. Sie haben dank YouTube und Streaming-Portalen auch bei uns eine wachsende Gefolgschaft. Stewart aber war und bleibt ihr Vorbild.
Verschiedene Welten also. Doch einiges hatten Kraus (1874, Gitschin/Jičín, Böhmen - 1936, Wien) und Stewart (1962, New York) gemeinsam, und das macht einen Vergleich möglich und reizvoll: Beide nutzten Satire als Waffe. Beide vertrauten auf die Kraft des Zitierens: Sie bedienten sich der wörtlichen Wiedergabe der von ihnen aufgegriffenen Äußerungen, um sie zu entlarven und - wie man zu Kraus Zeiten noch nicht gesagt hat - zu dekonstruieren. So ist auch die Frage zu stellen, was sie, unabhängig voneinander, mit dieser Waffe bewirkt haben.
Gerne wird für Satire gehalten, was irgendwie lustig ist. Sie ist aber ein präziseres Werkzeug, dem bei aller Erheiterung ein ernster Kern innewohnt. Dazu kann man bei Schiller nachschlagen, demzufolge ein Dichter satirisch ist, "wenn er (...) den Widerspruch der Wirklichkeit mit dem Ideale zu seinem Gegenstand macht". Karl Kraus, der durchaus kräftig austeilen konnte, meinte dennoch (und in seinem Fall etwas paradoxerweise), dass Satire "fern aller Feindseligkeit" ist. Sie "bedeutet ein Wohlwollen für eine ideale Gesamtheit, zu der sie nicht gegen, aber durch die Einzelnen durchdringt". Er insistierte auf einem ethischen Anspruch, ohne dessen Ideal detailliert auszumalen. Sonst wäre es, meint Jens Malte Fischer in seiner großen Biografie "Karl Kraus. Der Widersprecher" (Zsolnay 2020), ja auch nicht Satire, "sondern ein Lehrgedicht oder eine kulturkritische Betrachtung".
Für Fischer ist der Protagonist seines 1.100-Seiten-Werkes nicht nur "Lyriker, Dramatiker, Rezensent, Theaterkritiker und Pressekritiker, sondern (...) in der Breite, in der Höhe, in der Tiefe vor allem eins: Satiriker" - und zwar einer, der "auch außerhalb des deutschen Sprachraums, sofern er dort bekannt ist, als einer der größten Satiriker der Literaturgeschichte betrachtet wird".
Entlarvende Zitate
Eingängig sind bis heute seine Aphorismen, Kraus selbst hat sie in drei Bänden veröffentlicht. Seine satirische Technik des Zitierens hingegen könnte man nicht sinnvoll in eigene Bücher verpacken, sie durchziehen sein gesamtes Werk.
"Die letzten Tage der Menschheit", das monumentale Theaterstück über den Ersten Weltkrieg, enthalten, wie Kraus im Vorwort schrieb, nur tatsächlich Geäußertes: "Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich gesprochen worden; die grellsten Erfindungen sind Zitate." Zielscheibe seiner Montagen ist, häufiger noch als Militärs und Politiker, die Presse: Zeitungsherausgeber, Redakteure, Kriegs- und Hofberichterstatter, Fotografen, mit Äußerungen, die sich selbst desavouierten oder vom Nörgler/Kraus auf den wunden Punkt gebracht wurden.
Ein besonders beeindruckendes Beispiel von Kraus Zitiermethode erschien 1921 in der "Fackel". Die "Basler Nachrichten" hatten ein Eigeninserat veröffentlicht, das Rundfahrten zu Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs anbot. Er druckte es im Faksimile ab, sein Kommentar führte die Mentalität der Organisatoren vor, "Presspiraten, (...) die aus dem Tod einen Spott und aus der Katastrophe ein Geschäft machen". Einen seiner intensivsten und beklemmendsten Texte nennt Fischer die "Reklamefahrten zur Hölle"; Kraus rezitierte sie 1934 furios für eine Filmaufnahme, die bis heute erhalten ist.
Schein-Information
Kraus schrieb als Ein-Mann-Unternehmen bedingungslose, für keine Relativierung oder Reform empfängliche Medienkritik. Er schärfte die Aufmerksamkeit seiner Leser für das, was als Information galt, aber nicht informierte, sondern vernebelte. "Der Journalismus", lautete einer seiner Aphorismen, "dient nur scheinbar dem Tage. In Wahrheit zerstört er die geistige Empfänglichkeit der Nachwelt."
Wir machen nun einen weiten Sprung in eine andere Zeit - die unsere -, in die Sphäre der elektronischen Medien und bleiben doch beim Thema. Im gegenwärtigen deutschsprachigen Fernsehen sind ja, neben harmloser "Comedy", durchaus Satiriker am Werk, die kräftig austeilen können - man denke etwa an Jan Böhmermann, Peter Klien oder den YouTuber Rezo. Aber so wie Harald Schmidt nach eigener Aussage die Inspiration für seine Talk Show transatlantisch gesucht und gefunden hat, bei David Letterman vor allem, so dürften auch die Genannten dort ihre Vorbilder orten - Böhmermann zumindest hat sie der "New York Times" genannt: Letterman, Colbert und eben auch Stewart.
Stewart war zu seiner Zeit jedenfalls der populärste und pointierteste unter den TV-Stars, und er machte Kritik an der Sache und der Sprache der Medien zu seinem besonders wichtigen Anliegen. Auch er verfolgte wie Kraus die Berichterstattung in Kriegszeiten mit besonderer Aufmerksamkeit Während der 16 Jahre ab 1999, in denen er "The Daily Show" leitete, zettelten die Vereinigten Staaten den Irakkrieg an, der fast ein Jahrzehnt dauerte; eher als die hurrapatriotischen großen Networks war es Stewart, der der Politik misstrauisch gegenüberstand und sie auch immer wieder zum Thema seiner Sendung machte.
So kam es, dass er vor allem bei jüngeren, besser gebildeten Zuschauern zunehmend als vertrauenswürdige Nachrichtenquelle gesehen wurde, "the most trusted man in America" - eine Ehre, die zuvor nur gravitätischen Nachrichtenmoderatoren zuteilwurde. Drei Mal gewann Stewart den renommierten Peabody Award für beste Information in den elektronischen Medien. Sein Team recherchierte die Hintergründe, die in den Abendnachrichten fehlten. Politiker wurden mit früheren Aussagen konfrontiert, TV-Clips stellten sie bloß.
War für Kraus die "Neue Freie Presse" die hegemoniale Zeitung, die er mit besonderer Schärfe attackierte, so wurde für Stewart der Nachrichtensender Fox News, ebenfalls ein dominanter Player, Zielscheibe seines Spottes und Sujet ernst zu nehmender Kritik. Beiden ging es weniger um die Demontage von Individuen, vielmehr darum aufzuzeigen, wie Medien den gedanklichen Horizont vergiften. Auf den Widerspruch zwischen Wirklichkeit und Ideal (siehe Schiller) schauten beide, in seiner auf Massenappeal ausgerichteten Sendung führte Stewart nur die viel gröbere und komödiantischere Klinge als Kraus in der "Fackel".
Auch konservative Kulturkreuzzüge griff er auf seine Art an. Ein Beispiel: Alle Jahre wieder brachte Fox News die überwiegend weißen, älteren Zuschauer in Rage, weil in den multikulturellen USA Weihnachten angeblich in die Defensive gedrängt wird. Die Fox-Moderatorin Gretchen Carlson fragte einmal einen Gast: "Sind wir beide verrückt (nuts), weil wir glauben, dass es einen Krieg gegen Weihnachten gibt?"
Stewart und seine Zuschauer im Studio sahen eine Zuspielung des Gesprächs, und nach einer sehr langen Pause hob er langsam an: "Als allgemeine Regel, wenn man herausfinden möchte, ob man verrückt ist oder nicht, sollte man eine dritte Person fragen, am besten jemanden außerhalb des Irrenhauses. Wenn Sie also schon fragen, ob Sie verrückt sind, kann ich als Antwort nur nachdrücklich anbieten: Yes, you are fucking nuts."
Je offensichtlicher für Stewart die Desinformation in den Medien und die irreführende Rhetorik in der Politik wurden, desto mehr transformierte er, was als reine Unterhaltungssendung begonnen hatte, in eine Art Waschanstalt für Informationshygiene. Von einer "Katakombe von Satire und skeptischer Verhöhnung" schrieb der in den USA lehrende Experte für digitale Medien Michael Heim und kam zu einer interessanten Schlussfolgerung: "Die ,Daily Show with Jon Stewart und Stephen Colberts ,The Colbert Report (Colbert leitet inzwischen die ,Late Show auf CBS, Anm.) sind die gegenwärtigen Entsprechungen von Karl Kraus und Fritz Mauthner in Wittgensteins Wien."
Interessant deswegen, weil Kraus jenseits des Atlantiks außerhalb akademischer German-Studies-Zirkel praktisch unbekannt ist. Der Autor Jonathan Franzen hat sich zwar, angeregt durch Daniel Kehlmann, mit dem Satiriker beschäftigt ("The Kraus Project", 2013), das blieb aber in seinem Land ohne bemerkenswerte Folgen. Umgekehrt sind Stewart und seine Nachfolger wie eben Colbert oder John Oliver bei uns dank des Internets zwar einer wachsenden Fan-Gemeinde bekannt. Allerdings ist kein Funke übergesprungen - Politiker, Unterhaltungsstars oder Mediengrößen per Zitat oder live sich selbst vorführen zu lassen, noch dazu in ernsthaft aufklärender Absicht, das stößt hierzulande schnell an Grenzen. Das Kabarett ist und bleibt Konsens- und Konsumkunst mit Insiderschmähs, wie Richard Schuberth in einem Essay über Humor - im Gegensatz zu Kraus satirischem Wortwitz - resümiert ("Karl Kraus. 30 und drei Anstiftungen", Klever 2016).

Was aber bewirkt Satire jenseits unverbindlichen Vergnügens? Wir sehen hier bei allen Verschiedenheiten eine weitere, vielleicht entscheidende Parallele zwischen Kraus und Stewart. Kurz gesagt, sie resignierten letzten Endes. Mit seiner "Fackel" war Kraus angetreten, umzubringen, statt Texte nur zu bringen - natürlich nicht wörtlich, aber doch mit dem Furor des Aufklärers, der an die Macht des Wortes, der reinigenden Sprache glaubte. Wenn er persönlich und polemisch wurde, konnte er einige Erfolge verbuchen, vor allem in seinem Kampf gegen den korrupten Zeitungszaren Imre Békessy ("Hinaus aus Wien mit dem Schuft!"). Doch die politische Lage der Ersten Republik, ein zahnloses Pressegesetz, das journalistische Kriegshetzer aus ihrer Verantwortung entließ, und seine publizistische Wirkungslosigkeit machten ihn zusehends verbittert.
Unbesiegte Gegner
Kraus musste feststellen, schreibt Fischer, "dass seine bisherige satirische Methode (...) nicht mehr funktioniert". Seine Parteinahme für das Dollfuß-Regime, wenn auch von einer klaren Sicht auf den in Deutschland bereits siegreichen Nationalsozialismus beeinflusst, entfremdete ihn vielen seiner Anhänger. Es sei ein Fehler zu glauben, schrieb Kraus 1934, dass "die Kunstform der Sprachsatire" der politischen Höllenorgie "in den Arm fallen" könne. Die Wirklichkeit, resümiert Jens Malte Fischer, habe alles Satirische überholt.
Jon Stewart kam zu einem ähnlichen Ergebnis. In seiner vorletzten "Daily Show" im Sommer 2015 zeigte er, gespielt stolz, mehr als zwei Dutzend Zeitungsschlagzeilen, die ihn dafür priesen, wen er aller "vernichtet" hatte - um gleich darauf TV-Clips abzuspielen, die das Gegenteil bewiesen: Seine Gegner, egal ob Banken, Fox News oder rassistische Politiker, waren weiterhin erfolgreich unterwegs.
Es war, wenn auch witzig dargebracht, eine düstere Bilanz. Er zog sie drei Wochen, nachdem Donald Trump seine Kandidatur bekanntgegeben hatte. Ein Jahr später war er Präsident. Man hätte Stewart gebraucht, klagten seine Fans. Aber er hätte nichts verhindern können, ebenso wie Kraus an der Karriere des Polizeipräsidenten Johann Schober ("Ich fordere Sie auf, abzutreten") nichts ändern konnte.