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Viktor Rogy und der Wille zum ästhetischen Dasein

Von Wolfgang Koch

Reflexionen
Asket mit schlechtem Benehmen, der der Ruhe, der Unvorzeitigkeit und der Unübereiltheit frönte: Viktor Rogy (1924-2004).
© Heinz W. Schmid, 1999

Ein Aufruf zur längst fälligen Wiederentdeckung des österreichischen Kunstextremisten, Mystikers und Libertinisten.


Viktor Rogy ist vielleicht der wichtigste österreichische Künstler, von dem die meisten Österreicher noch nie etwas gehört haben. Zeichnung, Theater, Video, Skulptur, Plastik, Postkarte, Tanz, Lyrik - es ist schwer, einen Bereich zu finden, in den sich der in Kärnten lebende Multimedia- und Performance-Künstler nicht hinausgewagt hätte. Doch erst seine magrittehafte Verspiegelung der Evangelischen Stadtkirche in Villach im Jahr 2000 trug dem notorischen Kunstbetriebsverweigerer und Kuratorenschreck die Bewunderung akademischer Autoritäten ein, allen voran von "Architekturpapst" Friedrich Achleitner.

Da war Rogy allerdings nur mehr vier Jahre am Leben. Begonnen hat seine Existenz 1924 als Kind einer Eisenbahnerfamilie in Gailitz bei Arnoldstein. Sein Vater, Peter Rogy, engagierte sich bis 1934 im sozialdemokratischen, danach im kommunistischen Widerstand gegen die Diktaturen. Im April 1944 ermordeten NS-Schergen den seit einem Unfall einbeinigen Mann in der Haftanstalt Krems-Stein. Sein nach Victor Adler benannter Filius schloss eine Maurerlehre ab und schlug sich danach an drei Fronten als Simulant durch die Einsätze als Wehrmachtssoldat.

Diner mit Duchamp

Nach dem Krieg verkehrte Rogy im Literaturzirkel des Villacher Architekten, Lyrikers und Grafikers Hans Leb, der die Neo-Avantgardezeitschrift "Der Bogen" aus der Taufe hob. Unter dem Einfluss des deutschen Dichtermalers und Mystikers Bô Yin Râ begann Rogy zu schreiben. Für ein paar Monate schloss er sich dem Nationalzirkus Knie als Helfer an, als er aber hörte, dass die Tournee nicht in das ersehnte Licht Griechenlands gehen sollte, machte er sofort die Fliege.

© Verlag Hollitzer

Rogy zog mit dem Maler und Bildhauer Hans Bischoffshausen unter die allerärmste Pariser Bohème und ab 1962 als Stuckateur und Ateliergehilfe durch die Kärntner Schlösser Saager, Ehrenhausen und Damtschach. Er wandte sich der minimalistischen Bildhauerei zu und nahm unter anderem an einem internationalen Symposium in Vermont/USA teil.

Rogy war ein narzisstischer, großsprecherischer Mann, der im Geist täglich mit Marcel Duchamp, mit französischen Symbolisten und Stummfilmstars dinierte. Er setzte mit Günter Brus Fenster in altes Gemäuer und befreundete sich mit dem Japaner Mizui Yasuo. Ein Trio aus Peter Turrini, H.C. Artmann und Gerhard Lampersperg rettete Rogys erste Frau, die Künstlerin Caroline, in einer Fluchtaktion aus den Fängen ihres trinkwütigen Ehemannes. In den 1970er Jahren ging Rogy zur Konzeptkunst über, signierte Vorgefundenes, wurde ein Objekt-Fetischist und Arrangeur von Motiv-Serien. Er sprach lieber von "Gunst" und "Schau" als von Kunst und Auktionshaus. In Klagenfurt fand er in der ehemaligen Waschküche von Maria Lassnigs Erbvilla am Lendkanal sein "Schloss Sorgenlos".

Semantik der Leere

In diesem Gartenhaus ohne Fließwasser und WC entfaltete Rogy drei Jahrzehnte lang den abstrakten Furor einer völligen Selbstentbindung, der Herauslösung aus allen Zusammenhängen. Im Kampf um eine mystische Reinigung tauchte er ein in eine Semantik der Leere und des Schweigens, der unendlichen Räume und auch des Geheimnisvollen.

Rogys Readymade "Ich hab Dich lieb", 2002.
© Wilfried Kofler

Rogys Werk wurde zu einem ungeschützten Bildertagebuch, das er mit Spruchweisheiten panzerte. Sein radikales Verständnis von Kunst-als-Kunst war tautologisch wie seit dem US-Künstler Ad Reinhardt nicht mehr. Aus der Kunst machen, was sie ist, indem man sie absondert und leerer macht, absoluter und ausschließlicher - nicht-imagistisch, nicht-expressionistisch, nicht-subjektiv -, das war Rogys Programm. Er kultivierte einen Minimalismus, wie er sich sonst in Österreich nur in der Architektur fand.

Der Wille zum ästhetischen Dasein wurde die trotzig zur Schau getragene Kehrseite seiner Armut. Chaplin hat sich 1919 aus Abfällen der Keystone-Studios die unbrauchbarsten, weil zu großen oder zu kleinen oder zu hässlichen Kleidungsstücke ausgesucht und fügte, so wie man Müll zusammenkehrt, die Hose eines Dicken, die Jacke eines Zwerges, eine zerbeulte Melone und abgetragene Schuhe zusammen. Rogy ließ sich zwanzig Mal bei Meister Richard Zöttl in Villach denselben altmodischen Anzug schneidern, trug seit einer Begegnung mit dem expressionistischen Tanzpionier Harald Kreutzberg Glatze und betrieb die Maskenhaftigkeit seiner öffentlichen Person mit einem Fotografierverbot.

"Quatschbombe"

Er unternahm Wallfahrten in die Wiener Loos-Bar und an Gräber von Fußballern. Rogy war in mirakulöser Weise dankbar, solange sein Glas voll war und er seine Entourage verquast unterhalten konnte. Sein Talent zur mitternächtlichen "Quatschbombe" trug ihm die Freundschaften eines Industriellen und eines Wirten ein, sodass er schließlich drei Klagenfurter Innenstadt-Lokale designte, das heißt von allem überflüssigen Mobiliar befreite und sich selbst als "Lebendige Skulptur" und besten Gast ins Schaufenster stellte.

Rogy hat früh verstanden, dass es in der Kunst nicht darum geht, etwas zu sagen, sondern darum, was nicht gesagt wird. Das hielt ihn aber nicht davon ab, sich als Architekturkritiker und als heroischer Regierungsgegner der schwarzblauen Koalition zu gerieren. Vor seinem "Hau-ab!"-ismus aus Züchtigungston und Drohgebärden fiel ein Milieu von vielleicht 200 Leuten regelmäßig vor Lachen auf den Rücken.

Rogys Globalformel "Trottel/ Intelligenztrottel/ Welttrottel" hat die Nachwelt in gerechter Weise an ihm selbst exemplifiziert: Sie setzte ihm das Monument nicht, das er nicht nötig hatte. Sein Werk liegt heute nur zum geringsten Teil in öffentlichen Sammlungen, das Gros ist verstreut unter Privatsammlern, lagert in einem Klagenfurter Depot und im Feuerwehrmuseum von Groß St. Florian.

Es ist grundsätzlich ein Irrtum, zu glauben, dass sich das Wertvollste erhält. Erhalten bleibt, wer am lautesten geschrien hat. Das tat Rogy nur in seinen sprichwörtlichen 15 Minuten. Die längste Zeit aber frönte dieser Asket mit dem schlechten Benehmen der Ruhe, der Unvorzeitigkeit und der Unübereiltheit. Vielleicht entdeckt das Publikum im Lebenswerk dieses Künstlers eines Tages jene Bescheidenheit, die allein von Gewicht ist, seinen Größenwahn aufzuwiegen.

Wolfgang Koch, geboren in Kärnten, lebt als Publizist und Historiker in Wien. Er ist Autor des Buches "Jeden Tag Cowboy. Viktor Rogy. Der Kunstrebell vom Wörthersee" (Verlag Hollitzer, Wien 2020, 553 Seiten, 40.- Euro).